DAZ aktuell

Pharmazeutische Dienstleistungen - die Zukunft?

BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer und ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill im Gespräch

MERAN (du) | Geht es nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dann werden mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz (Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken) erstmals die Grundlagen für die Honorierung pharmazeutischer Dienstleistungen gelegt. Die ABDA hat dieses Ansinnen in ihrer Stellungnahme zu dem entsprechenden BMG-Referentenentwurf explizit begrüßt. Doch es herrscht Unklarheit darüber, welche pharmazeutischen Dienstleistungen flächendeckend angeboten und honoriert werden sollen. Und dann steht die Frage im Raum, ob diese Dienstleistungen zur Zukunftssicherung geeignet sind.

In ihrer Stellungnahme begrüßt die ABDA die Einführung eines Rechtsanspruchs von Versicherten auf durch die Apotheke zu erbringende Dienstleistungen: Die Schaffung einer gesetz­lichen Grundlage für die Erbringung solcher zusätzlich zu erbringender Leistungen sei ein wichtiger Schritt, um die Versorgungsqualität und das Versorgungsniveau der Versicherten im Umfeld der Arzneimittelversorgung zu erhöhen und sie von den Kompetenzen der Apotheken profitieren zu lassen. Die ABDA betont, dass bei der Auswahl und Umsetzung entsprechender Dienstleistungen vor allem Faktoren berücksichtigt werden sollten, die die Anzahl identifizierter arzneimittelbezogener Probleme in der Apotheke erhöhen. Wörtlich heißt es dazu: „Dies sind u. a. ein systematisches, also standardisiertes und strukturiertes Vorgehen, das persönliche Gespräch mit dem Patienten, die systematische Erfassung und Analyse aller Arzneimittel eines Patienten sowie Elemente der Medikationsanalyse/des Medikationsmanagements.“ Dazu soll der Medikationsplan in seiner zentralen Bedeutung als Instrument für den Patienten im Medikationsprozess aufgewertet und in die Dienstleistungen eingebunden werden, die Ergebnisse der drei vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Modellprojekte zur „Erprobung eines Medikationsplanes in der Praxis hinsichtlich Akzeptanz und Praktikabilität“ sollen aufgegriffen werden. Diese Projekte seien einheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine verpflichtende Beteiligung von Apothekerinnen und Apothekern sowohl in der Ersterstellung als auch bei der Fortschreibung von Medikationsplänen für deren Qualität unverzichtbar ist. Deshalb begrüßt die ABDA, dass Versicherte künftig einen Rechtsanspruch auf individualisierte pharmazeutische Fürsorge erhalten sollen. Aber sie stellt auch eine ganz entscheidende Forderung auf: Die Entscheidung darüber, welche Maßnahme(n) angemessen sind, müsse im konkreten Fall getroffen werden und allein der heilberuflichen Verantwortung des Apothekers überlassen sein.

Foto: U.Sellerberg
BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer und ABDA-Geschäftsführerin Pharmazie Dr. ­Christiane Eckert-Lill im Gespräch mit DAZ-Chefredakteurin Dr. Doris Uhl (v. l.).

Der Begriff der pharmazeutischen Dienstleistung soll in Anlehnung an die Definition der apothekenüblichen Dienstleistungen in § 1a Abs. 11 ApBetrO wie folgt präzisiert werden:

„Versicherte haben nach Maßgabe des Vertrages nach Satz 3 Anspruch auf zusätzliche honorierte Dienstleistungen, die das pharmazeutische Personal der Apotheke erbringt und die der Gesundheit dienen, insbesondere indem sie die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen, oder die Gesundheit fördern („pharmazeutische Dienst­leistungen“).

In ihrer Stellungnahme äußert sich die ABDA zu den Leistungen, die vor diesem Hintergrund in Betracht kommen, wie folgt:

  • Reduktion von AMTS-Risiken für definierte Risikokonstellationen (z. B. Patienten mit Multimedikation, bei Anwendung von Hochrisiko-Arzneimitteln oder für multimorbide, immobile Menschen in häuslicher Pflege)
  • Lückenlose Weiterversorgung bei Arzneimitteln, die auf Patientenebene zurückgerufen und ausgetauscht werden müssen
  • Maßnahmen zur Prävention/Früherkennung von Erkrankungen
  • Verbesserung der Umsetzung der Arzneimitteltherapie/verbesserte Zielerreichung der Arzneimittelanwendung bei komplexen (schwierig anzuwendenden oder auch sehr teuren) Arzneimitteln bzw. Darreichungsformen
  • Förderung der Therapietreue bei Dauertherapien
  • Vermehrte Verbreitung und Verwendung von (qualitativ guten) Medi­kationsplänen
  • Förderung/Sicherstellung der Qualität von Selbstkontrollen zur Begleitung/Anpassung der Arzneimitteltherapie

Soweit die offiziell der Stellungnahme zu entnehmenden Vorstellungen der ABDA. In seiner Eröffnungsrede zum Pharmacon Meran am 26. Mai 2019 hat Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, dafür geworben, die pharmazeutischen Dienstleistungen als zentrales Element zur Zukunftssicherung zu nutzen. Wie das konkret geschehen soll, darüber haben wir mit ihm und der Geschäftsführerin Pharmazie der ABDA, Dr. Christiane Eckert-Lill, gesprochen.

DAZ: Frau Dr. Eckert-Lill, Herr Dr. Kiefer: Nach wie vor herrscht große Unsicherheit darüber, welche pharmazeutischen Dienstleistungen nun honoriert werden sollen und welche nicht. Können Sie hier Licht ins Dunkel bringen?

Kiefer: Vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Pharma­kotherapie sind wir bereit, Dienstleistungen zu erbringen, die die Arzneimitteltherapie verbessern und sicherer machen können. Das werden sicher nicht solche Dienstleistungen sein, die wir jetzt schon im Rahmen unseres Fixums erbringen.

Diese Dienstleistungen werden ein Mix sein aus dem, was bislang nicht eingepreist war, aus einfachen Stufen der Medikationsanalyse bis hin zu einem Medikationsmanagement.

Dr. Christiane Eckert-Lill

DAZ: Also kein Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln?

Kiefer: Nein, und auch nicht der Reminder zum Einnahmezeitpunkt, nicht die Blutdruckmessung, die Knochendichtemessung oder die Anwendung des Inhalers, aber auch nicht die Medikationsanalyse Stufe 1, also nur die Überprüfung der Medikation auf Grundlage der Medikationsdatei.

DAZ: Aber honorierbar sind dann sicher erweiterte Medikationsanalysen ab Stufe 2a?

Kiefer: Nicht zwangsläufig nur diese. Honorierbar sollen Dienstleistungen prinzipiell dann werden, wenn die Beratung rund um die Arzneimittelanwendung komplexer wird, wenn analysiert werden muss und so die Arzneimitteltherapiesicherheit zum Nutzen des Patienten verbessert wird. Der erste Schritt in die honorierbaren pharmazeutischen Dienstleistungen wird mit der Einbindung in die Erstellung des bundeseinheitlichen Medikationsplans getan werden. Die Ausstellung und Vervollständigung dieses Plans durch die Apotheke vor Ort fußt auf dieser Logik. Daraus werden sich weitere honorierbare Dienstleistungen ergeben.

Eckert-Lill: Generell müssen wir sagen, dass alle Beteiligten mit den honorierbaren pharmazeutischen Dienstleistungen Neuland betreten. Diese Dienstleistungen werden ein Mix sein aus dem, was bislang nicht eingepreist war, aus einfachen Stufen der Medikationsanalyse bis hin zu einem Medikationsmanagement.

DAZ: Das klingt alles noch sehr vage, welche Dienstleistungen werden denn nun in Zukunft konkret honoriert ­werden?

Kiefer: Zunächst müssen wir abwarten, was der Gesetzgeber bereit ist, zuzusagen. Uns ist es wichtig, dass wir Apotheker die Definitionshoheit über die zu erbringenden Dienstleistungen haben, mit denen wir dem gemeinsamen Ziel, die Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit, näherkommen können. Dann müssen die finanziellen Rahmenbedingungen stehen, wir müssen wissen, wie viel Geld uns für solche Dienstleistungen zur Ver­fügung steht. Erst dann werden wir vonseiten der Bundesapothekerkammer bestimmte Patientengruppen mit komplexer Pharmakotherapie definieren, bei denen sicher ist, dass sie von einem dann noch näher zu bestimmenden Maßnahmenpaket profitieren. Was dabei sicher ist, und da sind wir uns mit dem BMG einig: es wird keine Honorierung nach dem Gießkannenprinzip geben.

DAZ: Wer soll denn veranlassen, dass eine dann definierte zu honorierende Dienstleistung dem Patienten „verordnet“ wird? Ist es der Arzt oder steht das im Ermessen der Apotheker?

Kiefer: Die Anspruchsberechtigung des Patienten ist im Gesetz festgeschrieben. Die Art der Dienstleistung wird durch die Bundesapothekerkammer beschrieben und die Einschlusskriterien werden mit den Krankenkassen vereinbart. Dadurch bedarf es keiner formalen Verordnung durch den Arzt, sondern nur einer Prüfung der Kriterien und eines Angebots an die Patienten.

DAZ: Welche Apotheken sollen diese dann definierten Dienstleistungen anbieten können? Müssen es spezialisierte Apotheken mit besonderer Qualifizierung sein?

Kiefer: Nein, prinzipiell sollen diese Leistungen von jeder Apotheke erbracht werden können. Wir sehen hier den Apothekenleiter in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Apotheke gerüstet ist. Ich sage aber nicht, jeder kann das jetzt schon. Ich fordere dazu auf, die Fort- und Weiterbildungen der Kammern zu nutzen. Wir, die Landesapothekerkammern und die BAK, stellen die Werkzeuge zur Verfügung. Es bleibt der Verantwortung jedes Einzelnen überlassen, diese zu nutzen.

Eckert-Lill: Zu den Werkzeugen die wir zur Verfügung stellen: Das Curriculum „Medikationsanalyse/Medikationsmanagement als Prozess“ beruht auf der Leitlinie Medikationsanalyse, die ein strukturiertes Vorgehen vorgibt. Um dieses Modul haben wir ein ganzes Paket von Fortbildungen gebaut – unter anderem zu den Themen „Erkennen von Arzneimittel-bezogenen Problemen“, „Förderung der Therapietreue“, „Interaktionen“ und „Unerwünschte Arzneimittelwirkungen“. Hierzu gibt es auch Seminarunterlagen, die sowohl von Kammern in der Fortbildung als auch Universitäten in der Ausbildung im Bereich klinische Pharmazie genutzt werden. Jeder Apotheker kann entsprechende Angebote nutzen, wenn Fortbildungsbedarf besteht.

DAZ: Also ein ganz klares Plädoyer an die Eigenverantwortung des Apothekenleiters, wenn es um die Erbringung neuer Dienstleistungen geht.

Eckert-Lill: Natürlich wissen wir, dass das alles sehr anspruchsvoll und komplex ist. Deshalb haben wir schon 2016 beschlossen, ein Tutorennetz aufzubauen, das bei komplexen Fällen den Apotheken beratend zur Seite steht. Für den Ausbau dieses Netzes bieten sich auch die regionalen Arzneimittelinformationsstellen an, die entsprechend fortentwickelt werden können.

Kiefer: Und natürlich wird die ABDATA ihre Datenbanken erweitern, und die Apothekendienstleister werden ein breites Softwareangebot zur Verfügung stellen, Stichwort „Künstliche Intelligenz“. Das Angebot ist aber nur als Werkzeug zu verstehen. Der Prozess selbst – die strukturierte Analyse und die individuelle Problemlösung – wird nie automatisierbar sein. Das bedeutet auch, dass jede von wem auch immer angebotene App immer nur auf der Werkzeugstufe stehen bleiben kann.

„Die Gleichpreisigkeit ist nicht begraben, sondern dient der Finanzierung und Sicherstellung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland und muss erhalten bleiben!

Dr. Andreas Kiefer

DAZ: Die ABDA scheint das Rx-Versandverbot begraben zu haben, selbst die Gleichpreisigkeit zwischen EU-Versendern und deutschen Vor-Ort-Apotheken soll nicht mehr zu realisieren sein. Wie sieht die Zukunft der deutschen Vor-Ort-Apotheken jetzt aus? Sind die pharmazeutischen Dienstleistungen die Zukunftssicherung?

Kiefer: Die Gleichpreisigkeit ist nicht begraben, sondern dient der Finanzierung und Sicherstellung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland und muss erhalten bleiben. Noch einmal, der Einstieg in die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen ist dem geschuldet, dass erkannt worden ist, dass es große Defizite in der Arzneimitteltherapiesicherheit gibt. Diese zu beheben, kann nur mit den Apotheken vor Ort im direkten Patientenkontakt gelingen. Das, was jetzt ansteht, kann deshalb nur der Anfang sein, um die notwendigen Mechanismen zu etablieren, um darauf das Spektrum an anzubietenden Dienstleistungen aufzubauen. Ich sehe darin durchaus die Zukunft der Apotheken vor Ort.

Eckert-Lill: Es ist in jedem Fall ein Einstieg in die Erweiterung des Tätigkeitsfeldes der Apotheker.

Kiefer: Ich sehe das konkret so: Momentan ist das einzige Instrument, das der Gesetzgeber zur Sicherung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch Präsenzapotheken hat, den Geldhahn aufzudrehen. Wir sehen auch, dass dies notwendig ist, denn immer mehr Apotheken schließen, weil insgesamt nicht mehr genügend Geld zur Verfügung steht. Deswegen sind zusätzlich zu honorierende Dienstleistungen ein Zukunftssicherungsinstrument, weil das Aufdrehen des Geldhahns allein nach dem Gießkannenprinzip unter Beibehaltung des Versandes von Arzneimitteln die flächendeckende Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken nicht retten kann. Dazu bedarf es anderer Instrumente. Und in erster Linie steht die Honorierung der bedarfsgerecht persönlich erbrachten apothekerlichen Leistung im Fokus. Sie muss entsprechend entwickelt werden. Denn diese persönlich erbrachte Leistung ist das, was in einem sich ändernden Versorgungskonzept die Zukunft der Vor-Ort-Apotheke sichern wird.

DAZ: Die Spekulationen darüber, wie es jetzt nach den Europawahlen und dem Rücktritt von Andrea Nahles mit der Großen Koalition weitergehen wird, lässt auch die Frage aufkommen, was geschieht, wenn die von Spahn auf den Weg gebrachten Gesetzespakete scheitern.

Kiefer: Das ist Kaffeesatzleserei. Der Minister hat gesagt, er will versuchen, das Gesetzespaket zu verabschieden, deshalb glaube ich, dass dies gelingen wird, wenn die Koalition hält.

DAZ: Frau Dr. Eckert-Lill, Herr Dr. Kiefer, vielen Dank für das Gespräch! |

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