Arzneimittel und Therapie

Erste S3-Leitlinie zum Hodenkarzinom

Die häufigste Krebserkrankung junger Männer hat gute Heilungschancen

Mit der Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens“ wurde die nunmehr vierte S3-Leitlinie zu urologisch-onkologischen Erkrankungen publiziert. Ihr Ziel ist es, eine Über- und Untertherapie zu vermeiden und die Prognose der Patienten zu verbessern.

Jährlich erkranken etwa 4000 junge Männer an einem Hodenkarzinom, der häufigsten Krebserkrankung in der Altersgruppe der 20- bis 44-Jährigen. Die Inzidenz dieser Tumorentität ist in den vergangenen Jahren gestiegen und liegt derzeit bei rund zehn von 100.000 Männern. Keimzelltumoren des Hodens werden in Seminome, die von den Spermatogonien – den Vorläufern der männlichen Keimzellen – ausgehen, und nichtseminomatöse Keimzelltumore, welche sich aus anderen Gewebearten entwickeln, unterteilt. Hodenkarzinome zählen zu den Tumor­erkrankungen mit den höchsten Überlebenswahrscheinlichkeiten: Die Fünfjahres-Überlebensrate liegt bei Erst­erkrankungen über 96%. Die Ätiologie dieses Tumors ist nicht geklärt, wohl aber sind Risikofaktoren bekannt. Dazu gehören Vorerkrankungen mit einseitigem Hodentumor, ein Hodenhochstand, eine positive Familien­anamnese sowie Infertilität.

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Ein besonderes Augenmerk der Leitlinie liegt auf dem Erhalt der Fertilität.

Statt Screening: Regelmäßig selbst untersuchen

Ein allgemeines Screening zur Früherkennung wird nicht empfohlen, wohl aber – insbesondere bei jungen Männern – die regelmäßige Selbstuntersuchung der Hoden. Etwa ab dem 14. Lebensjahr sollte auf Symptome wie eine einseitige schmerzlose Vergrößerung oder Verhärtung des Hodens oder kleiner, harter, schmerzloser Knoten auf dem Hoden geachtet werden. Ebenso kann ein Schwere­gefühl oder ein Ziehen im Hoden­bereich ein Warnhinweis sein. Die Sensibilisierung für die Selbstunter­suchung kann durch das Verteilen von Broschüren, Informationsvideos, Ansprechen während der Ausbildung etc. geför­dert werden. Auf dem Internetportal der Deutschen Gesellschaft für Urologie ist eine Anleitung zur Selbstuntersuchung zugänglich (www.hodencheck.de).

Vor der Therapie: Samenzellen einfrieren

Bei Patienten, die an einem Hoden­tumor erkrankt sind, ist die Fertilität häufig bereits vor Therapiebeginn eingeschränkt. Da Chemo-, Strahlentherapie und chirurgische Eingriffe die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können, sollte vor Therapiebeginn eine Kryokonservierung der Spermien angeboten werden. Die Kostenübernahme hierfür durch die Krankenkassen steht unmittelbar bevor: Mit dem Terminservice- und Versorgungs­gesetz (TSVG), das im Mai 2019 in Kraft getreten ist, fällt die Übernahme der Kosten für fertilitätserhaltende Maßnahmen für junge Patientinnen und Patienten mit Krebs in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Bevor die Kryokonservierung zur Regelleistung wird, muss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) allerdings noch eine entsprechende Richtlinie erlassen.

Im Frühstadium: Aktiv überwachen

Chirurgische Maßnahmen, aktive Überwachung, Chemotherapie und Strahlentherapie orientieren sich an der Histologie, am jeweiligen Tumorstadium und am Vorhandensein von Risikofaktoren. Die wichtigste Maßnahme ist die chirurgische Entfernung des Tumors. Der operativen inguinalen Freilegung des Hodens folgt in Abhängigkeit des Ausgangsbefunds die organerhaltende Entfernung des Tumors (Enukleation) oder die vollständige Entfernung des Hodens (Ablatio testis) inklusive Samenstrang. Je nach Tumortyp (Seminom bzw. nichtseminomatöser Keimzelltumor) und Tumorstadium (in situ, nicht metastasiert oder metastasiert) wird im Anschluss eine Strahlen-, eine Chemotherapie oder eine aktive Überwachung durchgeführt. Letztere ist in bestimmten Fällen bei Tumoren in frühen Stadien (Keimzellneoplasien in situ) eine sichere Option, da eine adjuvante Therapie mit einem hohen Risiko der Übertherapie verbunden ist und mehr als die Hälfte dieser Patienten auch ohne adjuvante Therapie rezidivfrei bleibt. Die aktive Überwachungsstrategie mit Einleitung einer kurativen Therapie erst im Progressionsfall ist vor allem bei Männern mit noch nicht abgeschlossener Familien­planung sinnvoll, da die invasiven Therapien (insbesondere Ablatio testis und lokale Strahlentherapie) zu einem Verlust der meist bereits bei Diagnosestellung eingeschränkten Spermatogenese führen wird.

Bei manifesten Karzinomen kommen neben der aktiven Überwachung eine adjuvante Chemotherapie oder eine adjuvante Strahlentherapie infrage. Bei Vorliegen eines Seminoms sind dies ein bis zwei Zyklen Carboplatin (dosiert nach AUC 7) oder alternativ eine Strahlentherapie der Paraaortalregion mit 20 Gy. Beim nichtseminomatösen Keimzelltumor sind es ein bis zwei Zyklen Cisplatin, Etoposid, Bleomycin (PEB-Schema). Bei einer metastasierten Erkrankung sollte sowohl beim Seminom wie auch beim nichtseminomatösen Keimzelltumor eine mehrzyklische Polychemotherapie erfolgen.

Beteiligte Fachgesellschaften

Die S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nach­sorge der Keimzelltumoren des Hodens“ wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) und der Deutschen interdisziplinären Hodentumorgruppe der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie der Arbeits­gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. und der Deutschen Krebshilfe (DKH) erstellt und am 2. Mai 2019 publiziert. Ihre Gültigkeit beträgt fünf Jahre. Es liegen eine Lang- und eine Kurzfassung sowie ein Leitlinienreport vor. Eine Patientenversion sowie eine englische Fassung sind vorgesehen.

Falls erforderlich: Testosteron substituieren

Therapiebedingt können Akut- oder Spätfolgen auftreten. Neben Fertilitätseinbußen sind dies vor allem kardiovaskuläre Spätschäden (erhöhtes Risiko für ein metabolisches Syndrom) sowie ein Hypogonadismus, unter dem zwischen elf und 34% der Erkrankten leiden. Durch eine adäquate Testosteron-Therapie kann eine Verbesserung der Symp­tome erreicht werden. Ferner können Strahlen- und Chemotherapie das Risiko für Zweitmalignome erhöhen. Für eine adäquate Nachsorge zum Ausschluss eines Rezidivs empfiehlt die Leitlinie den verschiedenen Risikogruppen entsprechende Nachsorgeuntersuchungen und stellt tabellarische Pläne zum Download zur Verfügung. |

Literatur

Leitlinienprogramm Onkologie Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF. S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens, Langversion 1.0, 2019. AWMF-Registernummer: 043/049OL. www.leitlinienprogramm-onkologie.de; Abruf am 12. Juni 2019

Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. und des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V. vom 21. Mai 2019. www.urologenportal.de; Abruf am 12. Juni 2019

Pressemitteilung der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. vom 22. Mai 2019. www.krebsgesellschaft.de; Abruf am 12. Juni 2019

Pressemitteilung der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs vom 9. Mai 2019. www.junge-erwachsene-mit-krebs.de; Abruf am 12. Juni 2019

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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