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Dermatologie

Knibbeln, pulen, drücken, quetschen

Skin Picking – vom Zwang, die Haut exzessiv zu attackieren

Etwa 2 bis 5% der Bevölkerung leiden unter Dermatillomanie, auch Skin Picking genannt. Sie knibbeln, kratzen oder drücken an Pickeln und Haut­unebenheiten so lange herum, bis sie sich entzünden. Welche Auslöser liegen dieser Erkrankung zugrunde? Worin unterscheidet sich der unwiderstehliche Drang zum Hautknibbeln vom alltäglichen Pulen und Kratzen? Und welche gezielten Techniken stoppen das intensive Bearbeiten der Haut, wenn „einfach aufhören“ nicht funktioniert? | Von Ines Winterhagen

Die Erkrankung Dermatillomanie ist mit alltäglichem Hautknibbeln und Kratzen nicht zu vergleichen. Denn bei diesem auch als Skin Picking bezeichneten krankhaften Verhalten manipulieren betroffene Personen ihre Haut zwanghaft und wie in Trance, angetrieben von einem starken inneren Drang zum Kratzen, Drücken, Reiben oder Quetschen verschiedener Hautstellen, dem sie kaum Widerstand entgegensetzen können. Daher wird die Dermatillomanie den Impulskon­trollstörungen zugeordnet. Bei den meist mit den Fingernägeln, aber mitunter auch mit Pinzetten, Nadeln oder anderen scharfen Gegenständen bearbeiteten Arealen handelt es sich vorwiegend um Hautunreinheiten wie Pickel und Mitesser. Es können aber auch Insektenstiche, Entzündungen, Wunden, Narben oder Muttermale sein, teilweise wird auch gesunde Haut beschädigt. Am meisten betroffen sind leicht zugängliche Bereiche wie Gesicht, Hals oder Hände.

Beginn der Erkrankung und Auslöser

Nach ersten Studienergebnissen überwiegen unter den Betroffenen eindeutig die Frauen mit einem Anteil von 60 bis 90%, wobei von einer hohen Dunkelziffer bei Männern auszugehen ist. Die Erkrankung entwickelt sich besonders häufig in der späten Kindheit oder frühen Jugend. Nicht selten besteht am Anfang ein Zusammenhang mit Akne. Ein zweiter Erkrankungsgipfel liegt im mittleren Erwachsenenalter, zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr, und ist dann zumeist assoziiert mit anderen traumatischen Bedingungen oder psychischen Problemen. So konnten Studien zeigen, dass viele Dermatillomanie-Patienten zeitgleich an einer Angststörung leiden und das Manipulieren an der Haut hierbei zu einer Linderung der Symptome führt.

Skin Picking verläuft phasenhaft und kann bei ausbleibender Behandlung chronifizieren. Als Ursachen werden verschiedene Faktoren diskutiert. Einen hohen Stellenwert nimmt das gesellschaftliche Ideal von glatter, makelloser Haut ein, die für Gesundheit und Attraktivität steht. Darüber hinaus spielen biologische Faktoren eine entscheidende Rolle. So variiert Skin Picking bei vielen Frauen in Abhängigkeit vom Menstruationszyklus: Kurz vor oder während der Menstruation wird dabei die Haut mehr bearbeitet als in den übrigen Zeiträumen. Darüber hinaus können auch ­belastende Lebensereignisse – etwa familiäre oder partnerschaftliche Probleme, Krankheit oder Tod eines Familienmitglieds, schulische oder berufliche Sorgen – und be­stimmte Persönlichkeitseigenschaften wie niedriges Selbst­wertgefühl, Perfektionismus, erhöhte Impulsivität oder Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen das Risiko für Dermatillomanie erhöhen. In diesen Fällen kann die Erkrankung als Ventil für negative Gefühlszustände gesehen werden und als ein Versuch, mit einer belastenden Situation umzugehen.

Wann, wo und wie treten Skin-Picking-Episoden auf?

Zum Bearbeiten der Haut kommt es oft in Momenten, in denen die Betroffenen einer völlig anderen Tätigkeit nachgehen, bei der eine Hand meist frei ist, sodass die Haut berührt werden kann. Manche Patienten manipulieren ihre Haut eher gedankenverloren, z. B. in langweiligen Situationen, andere eher während passiver Beschäftigungen wie Fernsehen oder Telefonieren, aber auch beim Lernen unter starker Konzentration oder wenn sie unter Druck stehen. Zudem befinden sich die Dermatillomanie-Patienten während einer Skin-­Picking-Episode vorwiegend an Orten, an denen sie allein sind oder sich unbeobachtet fühlen, also meist in der privaten Umgebung, im Wohn-, Arbeits- oder Schlafzimmer sowie besonders häufig vor dem Spiegel im Bad. Oft findet das Manipulieren der Haut im Rahmen der Körperpflege statt, bevorzugt in den Abendstunden – mit der Hoffnung, dass sich die malträtierte Haut bis zum nächsten Morgen beruhigt, bevor man wieder in Kontakt mit anderen Menschen tritt.

Teufelskreis – Gefahr der Chronifizierung

Das exzessive Hautknibbeln wird kurzfristig als entspannend, angenehm oder stimulierend empfunden. Diese zunächst positiven Wirkungen erschweren es jedoch, das Bearbeiten der Haut zu unterlassen, auch wenn mit der Zeit negative Konsequenzen drohen. Trotz des Wissens um die nachfolgenden Schäden können die Betroffenen die Manipulation nicht unterbinden. Erst wenn der impulsive Drang nachlässt, wird die Handlung beendet – meist mit anschließender Reue und Schuldgefühlen wegen der zerstörten Haut. Durch das intensive Traktieren der Haut, das sich minuten- bis stundenlang hinziehen kann, treten Entzündungen und Rötungen auf und es sind erhebliche Gewebeschäden (Wunden, Narben) und Schmerzen möglich. Zudem führt das obsessive und entstellende Attackieren der Haut zu einer erheblichen Beeinträchtigung im beruflichen und privaten Alltag. Die Hautbearbeitung, aber auch die anschließende Pflege und das Verdecken der verletzten Haut, kann übermäßig viel Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen, sodass andere Tätigkeiten vernachlässigt werden. Darüber hinaus plagen sich viele Betroffene nach einer Skin-Picking-Episode mit Selbstvorwürfen, Scham und Verzweiflung über die begangenen Selbstverletzungen. Sie meiden soziale Kontakte oder Aktivitäten, weil sie sich für die unübersehbar beschädigten Hautstellen schämen. Diese Isolation erhöht zunehmend den inneren Leidensdruck, der wiederum durch Hautknibbeln abgebaut wird, wodurch ein Teufelskreis entsteht.

Was kann man tun?

Zur Einschätzung der Impulskontrollstörung sollte ein Arzt aufgesucht werden, der in einer sehr genauen körperlichen Untersuchung auch eventuell versteckte Areale der Haut­manipulation aufdecken kann. Nach einer gründlichen psychiatrischen Anamnese ist den Patienten zu einer kognitiven Verhaltenstherapie zu raten – mit oder ohne begleitende Einnahme von Psychopharmaka. Für die medikamentöse Therapie gibt es bisher keine klaren Richtlinien. Da die Dermatillomanie teilweise einer Zwangserkrankung ähnelt, werden bei einzelnen Skin-Picking-Patienten selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ohne Zulassung im Off-­Label-Use eingesetzt.

Betroffenen kann man den Tipp geben, dass sie bereits im Vorfeld einer Skin-Picking-­Episode auf ausreichend Hygiene achten sollten, also die Hände waschen, die Hautstellen, die meistens bearbeitet werden, vorher reinigen und Hilfsmittel (Nadeln, Pinzetten) desinfizieren. Nach dem Manipulieren der Gesichtshaut sollten ein mildes Reinigungsprodukt und eine dem Hauttyp entsprechende, beruhigende Feuchtigkeitscreme aufgetragen werden, im Anschluss dann eine deckende Grundierung, Concealer oder Puder. Das Abschminken kann mit feuchten Abschminktüchern erfolgen, um eine Waschprozedur im Bad zu umgehen, die wiederum leicht zum Drücken und Kratzen verführt. Während sich kleine Hautläsionen noch problemlos selbst versorgen lassen, wird bei größeren Verletzungen eine fachkundige medizinische Versorgung unumgänglich.

Gezielte Techniken im Umgang mit Skin Picking

Generell ist für die Selbsthilfe wichtig zu wissen, dass man zunächst etwas Positives aufgeben muss (Entspannung, B­eruhigung durch Skin Picking) und erst in mittelbarer Zukunft mit neuen Errungenschaften belohnt wird, etwa ohne Schminken aus dem Haus gehen zu können, Schwimmen und Saunagänge zu genießen und wieder in näheren Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Wo kann man Hilfe finden?

  • Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie - Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie - am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bietet auf ihren Seiten im Internet für verschiedene Zwangs- und Impulskontrollstörungen Selbsthilfeansätze zum kostenlosen Download an: https://clinical-neuropsychology.de/home/. Es werden Selbsthilfetechniken erklärt und über Befunde zur Wirksamkeit informiert. Ziel ist es, Betroffene, die oft lange auf einen Therapieplatz warten müssen oder sich nicht in eine Behandlung trauen – sei es aus Angst vor Stigmatisierung oder dem Wunsch, die Probleme eigenständig zu lösen oder aus Scham – zur Selbsthilfe zu ­motivieren. Geben Sie den Webcode E7TK7 in die Suchfunktion auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen direkt zu den Seiten, die Selbsthilfetechniken bei Dermatillomanie zeigen.
  • Die Selbsthilfegruppe „Skin Picking“ in Köln möchte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Skin Picking lenken. Sie informiert ausführlich über die Erscheinungsformen und stellt den Betroffenen eine Plattform zum Austausch zur Verfügung (http://skin-picking.forumieren.com/). Die Adressen anderer regionaler Selbsthilfegruppen sind ebenso zu finden wie Informationsflyer und weiterführende Tipps für Bücher und CDs, die von Betroffenen empfohlen werden. Auch werden verschiedene Selbstbeobachtungs-Bögen vorgestellt: www.skin-­picking.de

Zudem ist es bei der Behandlung der Dermatillomanie allein mit simplen Ratschlägen, das Hautknibbeln einfach zu unterlassen, längst nicht getan. Vielmehr sind Techniken im Umgang mit Skin Picking gefragt, die helfen, sich in der schwierigen Umstellungsphase zu motivieren und sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Der erste Schritt zur Bewältigung beginnt mit dem Schulen der eigenen Wahrnehmung. Eine systematische Selbstbeobachtung mit einem Protokoll hilft, Auslöser und Begleitumstände des Skin Pickings besser zu erkennen. Schriftlich über ein bis drei Wochen geführte Protokolle verdeutlichen manche Zusammenhänge, die sonst leicht im Alltag untergehen. Neben der Selbstbeobachtung sorgt eine Stimuluskontrolle dafür, das intensive Bearbeiten der Haut einzugrenzen, indem gezielt die Auslöser beseitigt oder vermieden werden. Beispielsweise können weiche Handschuhe getragen oder Pflaster auf die Fingerkuppen geklebt sowie die Fingernägel kurz geschnitten werden. Hilfsmittel sind wegzuschließen, Spiegel abzuhängen, Handspiegel zu entfernen. Außerdem sollten Zeiten des Alleinseins reduziert werden.

Zur Therapie der Impulskontrollstörung hat sich zusätzlich vor allem das Habit-Reversal-Training bewährt, bei dem der ursprüngliche Verhaltensautomatismus durch eine alternative Handlungsweise ersetzt wird. Immer dann, wenn der Betroffene den Drang verspürt, die Haut zu bearbeiten, können stattdessen beispielsweise für eine Dauer von ein bis drei Minuten die Hände gefaltet oder zu Fäusten geballt werden. Auch ist es möglich, sich auf die Hände zu setzen, die Hände wie zum Gebet zu falten bzw. in die Hosentaschen zu stecken oder Hilfsmittel wie Stifte mit beiden Händen zu umfassen. Über diese Methode der Gewohnheitsumkehr hinaus können Entspannungsverfahren wie Progressive Muskelentspannung, Fantasiereisen oder Yoga für Stressabbau sorgen. Ebenso reduziert Sport oder der Kontakt mit Freunden übermäßige Belastungen. Um allgemein ein besseres Lebensgefühl entwickeln zu können, ist es weiterhin hilfreich, das Selbstwertgefühl und die Selbstakzeptanz zu stärken und die eigenen Bedürfnisse mehr zu berücksichtigen.

Auf einen Blick

  • Unter Dermatillomanie (Skin Picking) versteht man ein intensives Bearbeiten der Haut.
  • Die zwanghaften Hautattacken gelten als eine Impulskontrollstörung.
  • Von alltäglichem Knibbeln und Pulen unterscheidet sich die Dermatillomanie durch das zeitliche Ausmaß, den Leidensdruck der Be­troffenen und die erhebliche Beeinträchtigung im beruflichen und privaten Alltag.
  • Das exzessive Hautknibbeln führt meist zu ­beachtlichen Gewebeschäden und Schmerzen sowie zu großem Schamgefühl und starker Selbstabwertung.
  • Einfach zu sagen, man „soll die Haut in Ruhe lassen“ funktioniert nicht. Stattdessen haben sich zur Behandlung vor allem die kognitive ­Verhaltenstherapie sowie das Habit-Reversal-Training (Gewohnheitsumkehr) bewährt.

Umgang mit Rückfällen

Rückfälle sind beim Skin Picking normal und können auch noch nach langen knibbelfreien Zeiten auftreten. Hiervon sollten sich die Betroffenen keinesfalls entmutigen lassen und diese auch nicht als persönliches Versagen ansehen. Durch einen konstruktiven Umgang fällt es leichter, sich Rückfälle zu verzeihen und eventuell auch mit professioneller Hilfe weiterhin „am Ball“ zu bleiben. Zudem kann der Kontakt zu anderen Betroffenen in Internetforen oder Selbsthilfegruppen einen nützlichen Erfahrungsaustausch bieten. Aber auch auf den Trost und die emotionale Unterstützung von Freunden oder Familienmitgliedern sollten Dermatillomanie-Patienten setzen, um der sozialen Isolation zu entkommen und einen Ausstieg aus dem Teufelskreis der Erkrankung zu finden. |

Literatur

Habit Reversal Behandlung bei Dermatillomanie (zwanghaftes Bearbeiten der Haut). Reaktionsumkehr - Selbsthilfetechnik für Dermatillomanie. Informationen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie. https://clinical-neuropsychology.de/impulskontrollstoerung_selbsthilfetechnik_dermatotillomanie/

Fricke S. Dermatillomanie. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 2013;61(3):175–179

Informationen der Selbsthilfegruppe in Köln. www.skin-picking.de

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Odlaug B, Lust K, Schreiber L, Christenson G, Derbyshire K, Grant J. Skin picking disorder in university students. General Hospital Psychiatry 2013;35(2):168–173

Psychosomatische Dermatologie (Psychodermatologie). S1-Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), des Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (DGPM), Gesellschaft für Sexualwissenschaft (GSW), Arbeitsgemeinschaft für Katathymes Bilderleben und imaginative Verfahren in der Psychotherapie (AGKB). AWMF-Register Nr. 013/024

Sonnenmoser M. Dermatillomanie – Ventil für negative Gefühlszustände. Deutsches Ärzteblatt PP 13, 2014:568

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Wilhelm S et al. Self-injurious skin picking: clinical characteristics and comorbidity. Journal of Clinical Psychiatry 1999;60:454-459

Autorin

Ines Winterhagen, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Homöopathie und Naturheilkunde; Autorin für die DAZ und den Deutschen Apotheker Verlag; Mitglied im Aus- und Weiterbildungsausschuss der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg

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