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Pharmazeutische Dienstleistungen

Wenig Geld, viele Fragen

Neue Apothekenleistungen aus ­wirtschaftlicher Sicht

Im Entwurf für das Apothekenstärkungsgesetz ist ein neuer Zuschlag von 20 Cent pro Rx-Fertigarzneimittelpackung für einen Fonds zur Finanzierung pharmazeutischer Dienstleistungen vorgesehen. Wie kann dieses Geld angemessen auf die Apotheken und auf verschiedene Leistungen verteilt werden? Wenn die neuen Leistungen nicht in den Ruin führen sollen, ist das insbesondere eine wirtschaftliche Frage - hier einige Antworten dazu.  | Von Thomas Müller-Bohn

Aus den Erfahrungen mit dem Notdienstfonds ergibt sich, dass 20 Cent pro Rx-Fertigarzneimittelpackung jährlich 144 Millionen Euro für den neuen Dienstleistungsfonds einbringen. Die vom Bundesgesundheitsministerium genannten 150 Millionen Euro sind offenbar großzügig aufgerundet. 144 Millionen Euro sind etwa 7.500 Euro pro Durchschnitts­apotheke. Dies ist kein zusätzlicher Gewinn, weil neue Leistungen neue Kosten verursachen. Als betriebswirtschaftliche Vergleichsgröße bietet sich der Rohertrag an, der durchschnittlich etwa 570.000 Euro pro Apotheke beträgt (ermittelt aus Daten des Apothekenwirtschaftsberichts der ABDA für 2018). Er würde damit um etwa 1,3 Prozent steigen. Dies eröffnet keine neue Perspektive und kompensiert keine Einbußen an anderer Stelle.

Anteil für Investitionen

Vermutlich wird nur ein geringerer Betrag verteilt. Denn es bietet sich an, einen Teil der Mittel zur Entwicklung technischer Hilfen für künftige Dienstleistungen zu verwenden. Solche Investitionen hatten insbesondere Dr. Frank Diener (siehe „Investieren statt alles sofort verteilen“, DAZ 2019, Nr. 16, S. 17 ff.) und Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, bereits vorgeschlagen.

Etablierte Nebenleistungen

Einen Sonderfall in der betriebswirtschaftlichen Bewertung bilden Honorare für Leistungen, die bisher schon erbracht werden. Gemäß der Begründung zum Kabinettsentwurf für das Apotheken-Stärkungsgesetz müssen die honorierten Leistungen „über die bestehenden Informations- und Beratungsverpflichtungen hinausgehen“. Dem lässt sich entgegnen, dass es einige heute übliche Leistungen noch nicht gab oder dass sie viel seltener vorkamen, als der Festzuschlag 2004 eingeführt wurde. Im Kabinettsentwurf wird der besondere Betreuungsbedarf bei bestimmten Erkrankungen und bei körperlichen oder kognitiven Einschränkungen erwähnt. Ausführliche Beratungen in solchen Situationen finden seit jeher in Apotheken statt. Daher sollten zumindest einige solcher Leistungen künftig honoriert werden. Dies käme allen Apotheken zugute. Honorare für Leistungen, die ohnehin erbracht werden, sind für die Apotheken unabhängig von der vereinbarten Höhe vorteilhaft, sofern kein neuer Aufwand für die Dokumentation entsteht.

Insbesondere bei „kleinen“ Leistungen muss der Abrechnungsaufwand im Vergleich zum Honorar kritisch hinterfragt werden. Wenn ein Drittel der 144 Millionen Euro für solche Leistungen aufgewendet würde, ergäbe das 2.500 Euro pro Apotheke. Wenn es um „kleine“ Leistungen für jeweils etwa 3 Euro ginge, wären dafür ungefähr drei Leistungen pro Arbeitstag und Apotheke abzurechnen. 2.500 Euro entsprechen etwa 0,6 Prozent der Kosten einer Durchschnitts­apotheke und wären damit für die Apotheke nicht einmal ein Inflationsausgleich für ein Jahr.

Viele Kandidaten für honorierte Leistungen

Zu weiteren Leistungen bieten sich folgende Überlegungen an: Da das in Aussicht gestellte Honorar der Apotheker für den E-Medikationsplan nicht im Digitale-Versorgung-Gesetz vorgesehen wurde, ist zu befürchten, dass die Mittel dafür aus dem Dienstleistungsfonds entnommen werden. Als realistische Größenordnung eines Honorars für die Erstellung eines E-Medikationsplans sollen hier 10 Euro angenommen werden. Allerdings ist kaum kalkulierbar, wie viele Patienten einen solchen Plan in der Apotheke erstellen lassen. Das wird wesentlich davon abhängen, wie offensiv die Ärzte die Pläne anbieten. Doch schon 1 Million Pläne würden mit 10 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Ein weiterer Kandidat für Leistungen aus dem neuen Fonds ist die patientenindividuelle Verblisterung. Für 52 Wochen­blister zu je 2,50 Euro wären 130 Euro pro Patient nötig, für 100.000 Patienten also 13 Millionen Euro. Gemäß dem geplanten neuen § 129 Absatz 5d SGB V sind auch Maßnahmen zur Vermeidung von Krankheiten vorgesehen. Wenn für eine Impfberatung nur 5 Euro angesetzt würden, wären dies bei 5 Millionen Beratungen pro Jahr bereits 25 Millionen Euro. Dabei wäre dies nur knapp eine Impfberatung pro Arbeitstag und Apotheke. Gemäß einem Vorschlag von Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, ist auch ein Honorar für die Nicht-Abgabe von Arzneimitteln dringend geboten. Das finanzielle Volumen dafür ist kaum zu schätzen, weil die Zahl der Nicht-Abgaben unbekannt ist. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass viele naheliegende und sinnvolle Leistungen um ein sehr begrenztes Budget konkurrieren. Das reduziert die Mittel für die berufspolitisch betonten Medikationsanalysen.

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Sollten alle Patienten Anspruch auf alle erdenklichen pharmazeutischen Dienstleistungen haben, könnten das die Apotheken nicht leisten – schon gar nicht für 144 Millionen Euro.

Vollkostenrechnung für neue Leistungen

Um die neuen Leistungen betriebswirtschaftlich zu bewerten, ist ein Personalkostensatz für Apotheker nötig, der auch die übrigen Kosten der Apotheke abbildet, also eine Vollkostenrechnung. Es reicht nicht aus, neue Leistungen mit Teilkosten zu bepreisen, also nur die Personalkosten zu berechnen. Denn die neuen Leistungen sind als künftiges zusätzliches wirtschaftliches Standbein für die Apotheken gedacht. Sie sollen dem System – und damit auch den Krankenkassen – ermöglichen, Leistungen von Apothekern auch unabhängig von einer Arzneimittelabgabe in Anspruch zu nehmen. Dann müssen diese Leistungen einen Beitrag zur Finanzierung der Apothekenräume und ihrer Ausstattung sowie zu den sonstigen Kosten der Apotheke leisten. Denn auch Dienstleistungen erfordern eine Infrastruktur. Außerdem kann der Festzuschlag auf Rx-Arzneimittelpreise, der seit 2004 nur geringfügig angepasst wurde, keine Leistungen subventionieren, die bei seiner Einführung nicht absehbar waren.

Eine Vollkostenrechnung ergibt 1,69 Euro pro Arbeitsminute für Apotheker (siehe „Wie verteilt man 240 Millionen Euro?“, DAZ 2019, Nr. 8, S. 26 ff.). Im ARMIN-Modell wird offenbar mit 1 Euro pro Minute kalkuliert. Aus diesen beiden Werten ergibt sich eine Spannweite für akzeptable Verhandlungsergebnisse. Wenn die gesamten 144 Millionen Euro zur Verfügung stünden, wären damit 1,42 Millionen Apothekerstunden bei einer Vollkostenrechnung oder 2,40 Millionen Apothekerstunden zum ARMIN-Kostensatz finanzierbar. Bei angenommenen 1.650 Arbeitsstunden pro Jahr wären dafür etwa 860 Vollzeit-Apotheker bei einer Vollkostenrechnung oder etwa 1.455 Vollzeit-Apotheker zum ARMIN-Kostensatz erforderlich.

Genügend Apotheker verfügbar?

Da ein erheblicher Teil der 144 Millionen Euro vermutlich für andere Leistungen verwendet wird (siehe oben), stünde für besonders anspruchsvolle Aufgaben wie Medikationsanalysen nur ein deutlich kleinerer Betrag zur Verfügung. Als Beispiel sollen hier 50 Millionen Euro angenommen werden. Dafür könnten etwa 493.000 Apothekerstunden bei Vollkostenrechnung oder 833.000 Apothekerstunden zum ARMIN-Kostensatz finanziert werden. Damit könnten 493.000 bis 833.000 Patienten eine einstündige Medikationsanalyse pro Jahr oder eine vergleichbare Leistung erhalten. Dann würde eine Apotheke durchschnittlich 26 Mal pro Jahr eine solche Leistung für jeweils 101 Euro erbringen – oder 43 Mal für 60 Euro, falls zum ARMIN-Satz abgerechnet wird. Dafür wären etwa 300 beziehungsweise 500 zusätzliche Vollzeit-Apotheker nötig, oder Teilzeit-Apotheker müssten ihre Arbeitszeit entsprechend erhöhen.

Welche Apotheken leisten?

Für anspruchsvolle neue Leistungen werden voraussichtlich Zusatzqualifikationen vereinbart. Daher werden zumindest anfangs nicht alle Apotheken diese Leistungen erbringen. Die ermittelte Zahl der Leistungen verteilt sich daher auf eine begrenzte Zahl von Apotheken. Dabei ist nicht nur an spezialisierte Apotheken in der Nähe besonderer Fachärzte in Großstädten zu denken. In der Begründung zum Kabinettsentwurf für das Apotheken-Stärkungsgesetz heißt es dazu, die Dienstleistungen sollen „insbesondere auch die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Gebieten mit geringer Apothekendichte, zum Beispiel im ländlichen Raum, berücksichtigen“. Dazu werden „Maßnahmen zur pharmazeutischen Betreuung von Patientinnen und Patienten in häuslicher Umgebung“ genannt. Wenn an dieser Stelle nicht alle Apotheken von den neuen Mitteln profitieren können, ist dies ein zusätzliches Argument, einen Teil des Geldes für „kleinere“ Leistungen zu verwenden (siehe oben). Dennoch können Apotheken, die keine neuen Leistungen anbieten, wirtschaftlich belastet werden, weil sie Patienten und damit Arzneimittelumsätze an Apotheken verlieren, die solche Leistungen erbringen.

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144 Millionen Euro pro Jahr entsprechen 2,4 Millionen Apothekerstunden zum „ARMIN-Preis“ oder 1,42 Millionen Apothekerstunden zu Vollkosten mit Gewinnzuschlag.

Welche Patienten erhalten Leistungen?

Das geplante Gesetz begründet einen Anspruch der Versicherten „auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 der Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern“ (§ 129 SGB V, geplanter neuer Absatz 5d). Der Gesetzentwurf enthält weitreichend formulierte Beschreibungen für die Fälle, in denen die Apotheken Maßnahmen erbringen sollen. Die weitreichenden Formulierungen können hilfreich sein, um dort viele „kleine“ Leistungen einzuordnen. Doch es erschiene abwegig, dass alle Patienten einen Anspruch auf alle erdenklichen Leistungen haben, die unter diese Beschreibungen fallen. Denn das könnten die Apotheken nicht leisten, schon gar nicht für 144 Millionen Euro. Darum sollen Krankenkassen und Apotheker die Anspruchsvoraussetzungen konkretisieren und die Vergütung sowie die Abrechnung vereinbaren.

Vorsicht: Ruinöse Falle

Wenn der Anspruch der Patienten durch ein Gesetz und Verträge begründet wird, erübrigen sich individuelle Entscheidungen durch Krankenkassen oder Ärzte. Dies erscheint vordergründig erfreulich für die Apotheken, aber es eröffnet ein großes wirtschaftliches Problem. Denn das zu erbringende Leistungsvolumen hängt dann vom Nachfrageverhalten der Patienten ab, das nicht vorherzusehen ist. Wenn die Honorare als feste Geldbeträge vereinbart werden, müssen nicht abgerufene Mittel für die Zukunft bewahrt werden können. Wenn die Nachfrage später erheblich steigt, werden die Mittel jedoch nicht mehr reichen. Wenn die Mittel des Fonds aufgebraucht sind, werden die Apotheken die gesetzlichen Ansprüche der Patienten möglicherweise ohne Honorar erfüllen müssen. Wenn die Leistungen dagegen mit Punktwerten honoriert werden, kann der Punktwert anfangs hoch sein, bei steigender Nachfrage aber so sehr verfallen, dass das Angebot für die Apotheken ruinös wird. Möglicherweise werden dann nur noch wenige Apotheken zu solchen Leistungen bereit sein, sodass sich eine gerade noch hinnehmbare Honorierung einpendelt. Der Leistungsanspruch vieler Patienten liefe dann ins Leere. Die zu treffenden Vereinbarungen bergen damit ein großes Potenzial für neue betriebswirtschaftliche Probleme der Apotheken und bisher unbekannten Ärger mit den Patienten.

Lösungsansätze

Doch wenn Krankenkassen oder Ärzte individuell über die Leistungsansprüche entscheiden würden, könnte das Leistungsvolumen kontrolliert werden. Im ungünstigsten Fall läge es in der Hand der Krankenkassen oder der Ärzte, die Apotheken durch zu viele Dienstleistungsverordnungen bei feststehender Honorierung in die Unwirtschaftlichkeit zu treiben. Sinnvoll wäre dagegen eine Zielvereinbarung über ein anzustrebendes Leistungsvolumen.

Wenn die Entscheidung jedoch allein bei den anspruchsberechtigten Patienten liegt, können nur vorsichtige Definitionen der Leistungsansprüche die Wirtschaftlichkeit sichern. Dann sollten zunächst nur Leistungen für überschaubare Patientengruppen vorgesehen werden, auch wenn anfangs nicht alle verfügbaren Mittel abgerufen werden. Die große Unbekannte dabei ist der Anteil der Anspruchsberechtigten, der die Leistung in Anspruch nimmt. Bei den Verhandlungen über die neuen Leistungen muss dies berücksichtigt werden, notfalls mit einer Möglichkeit zur Kündigung des Vertrags.

Fazit

Die obigen Überlegungen lassen erwarten, dass nur ein eher kleiner Teil des neuen Dienstleistungshonorars für Medikationsanalysen oder ähnliche anspruchsvolle Angebote zur Verfügung stehen wird. Dennoch ist dies ein wichtiger Schritt, um neue pharmazeutische Leistungen voranzubringen. Trotz aller pharmazeutischer Ambitionen ist es dringend nötig, die Zahl der Anspruchsberechtigten eng zu begrenzen, weil sonst eine für die Apotheken ruinöse Entwicklung droht, die die Zukunft der pharmazeutischen Leistungen beenden würde, bevor sie begonnen hat. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn

Apotheker und Dipl.-Kaufmann, auswärtiges Mitglied der ­Redaktion der Deutschen ­Apotheker Zeitung

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