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Hochschulpolitik
Der zähe Kampf um die Klinische Pharmazie
Kommentierende Analyse eines berufspolitisch-akademischen Grabenkriegs
Im letzten Vierteljahrhundert hat sich die Pharmazie, initiiert von FIP und WHO, weltweit neu erfunden und zu einer vornehmlich patientenorientierten Wissenschaft entwickelt. Einer kürzlich publizierte Studie zufolge, die den Fortschritt auf diesem Weg untersucht, liegen USA und Kanada mit 100% der erreichten Ziele an der Spitze, mit 0% der erreichten Ziele bildet Deutschland zusammen mit Bosnien-Herzegovina und dem Kosovo das Schlusslicht [vgl. Erzkamp S: Schlusslicht Deutschland, DAZ 2018, Nr. 41, S. 76]. Dass den Balkanstaaten die Ressourcen fehlen, um mit der Entwicklung Schritt zu halten, ist ebenso wenig zu bestreiten wie die Tatsache, dass das in einem der reichsten Staaten der Erde nicht der Fall sein kann. Es stellt sich daher die Frage, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen.
Der vorliegende Beitrag basiert auf vielen Gesprächen, die der Autor mit derzeitigen und ehemaligen Studenten, Professoren und Universitätsangestellten, Kollegen und Standespolitikern geführt hat, ebenso auf der Arbeit mit Pharmaziepraktikanten und der Auswertung von Aufzeichnungen aus KliPha-Seminaren. Nach und nach ergab sich daraus ein Bild dessen, was in Sachen Klinische Pharmazie an den Universitäten passiert und mit welchen Fähigkeiten bezüglich des patientenorientierten pharmazeutischen Arbeitens die jungen Kollegen in die Apotheken entlassen werden.
Vorauszuschicken ist, dass dieses Bild heterogen ist und die Zahl der Gesprächspartner zu gering, um ein Ranking deutscher Universitäten hinsichtlich der Ausbildungsqualität im Fach Klinische Pharmazie zu erlauben. Dagegen ergibt sich ein sehr deutliches Bild der Positionen, die viele etablierte Professoren gegenüber dem neuen Fach beziehen. Wenn sich beispielsweise ein pharmazeutischer Chemiker vor die Studenten hinstellt und sagt, er bilde doch hier keine Apotheker aus, das sehe er gar nicht ein, dann bleibt das den jungen Kollegen über Jahre hinweg im Gedächtnis. Zitate dieser Art hört man aus einigen wenigen Universitäten gehäuft, aus anderen jedoch gar nicht.
Dass die Klinische Pharmazie an den meisten Standorten das ungeliebte Stiefkind in Forschung und Lehre ist, steht außer Frage, wenn man sieht, wie wenige Lehrstühle überhaupt geschaffen und besetzt sind. In vielen Gesprächen entsteht der Eindruck, dass die Approbationsordnung hier vielerorts eher unterlaufen als umgesetzt wird. Mit „unterlaufen“ ist gemeint, dass der Text der Verordnung auf minimalistische Weise dem Wortlaut nach umgesetzt wird, während der Sinn hinter den Worten schlicht ignoriert wird. Aber warum und wie geschieht das?
Die Mechanik des Stillstands
Grundsätzlich hat es jedes neue Fach schwer an deutschen Universitäten. Galeniker der alten Schule fühlen sich an Elsa Ullmann erinnert, die „Urmutter“ der pharmazeutischen Technologie. Viele Anekdoten belegen, wie mühsam sie mit ihrem Fach Fuß fasste. Erst ihren Schülern war eine ordentliche Professur vergönnt, sie selbst schaffte es nie über eine C3-Stelle hinaus. Das erfährt man heute allerdings nur aus persönlichen Gesprächen, in einer offiziellen Laudatio haben Informationen wie diese keinen Platz.
Einer der Hauptgründe für den Widerstand gegen jedes neue Fach ist die Konkurrenz um Doktoranden. Junge Menschen mit guter Auffassungsgabe, Fleiß, Ehrgeiz und einem Hang zur Selbstausbeutung zu finden, ist keine einfache Aufgabe. Teilweise liegt hier der Grund dafür, dass so viele Lehrinhalte in den Vorlesungen (Stichwort Synthesechemie, siehe unten) kaum Berührungspunkte mit der späteren Berufsrealität der Studenten haben: Sie sind die nahezu einzige Berufsrealität des Professors – und wo, wenn nicht in seiner Vorlesung, soll er die Doktoranden von morgen und damit die Autoren seiner Publikationen von übermorgen finden? Je mehr Doktoranden er aus anderen Fächern rekrutieren muss (beispielsweise Chemiker für Dissertationen in pharmazeutischer Synthesechemie, siehe unten), desto mehr leidet seine Glaubwürdigkeit als pharmazeutischer Lehrer und Forscher. Wenn nun ein neues Fach mit hoher Relevanz für die Berufsausübung von morgen mit einem solchen Lehrstuhl in Konkurrenz um Doktoranden tritt, drängt es den Lehrstuhlinhaber weiter mit dem Rücken zur Wand und wird daher schon im Ansatz mit allen Mitteln bekämpft.
Man darf dabei nicht vergessen, dass es die Konkurrenz der Etablierten um Doktoranden schon viel länger gibt als das Fach Klinische Pharmazie, nämlich in Gestalt der Universitätsmedizin. Vor fast vierzig Jahren schufen viele medizinische Fakultäten Promotionsmöglichkeiten für Absolventen anderer Fächer, schlauerweise unter Bezugnahme auf deren eigene Promotionsordnungen, die in der Regel eine Arbeitszeit von mindestens zwei Jahren vorschreiben. Damit boten die Mediziner Promotionsmöglichkeiten, die oft viel näher an der Berufsrealität von Offizin- und Krankenhausapothekern liegen als die der Etablierten an den pharmazeutisch-chemischen Fakultäten. Wenn diese, bereits heute mit dem Rücken zur Wand stehend, nun auch noch eine fakultätsinterne Konkurrenz fürchten müssen, wird ihre Gegenwehr umso erbitterter.
Eine besondere Rolle spielt dabei ein Fach, das – gemessen an der heutigen Bedeutung innerhalb der Pharmazie – in der Zahl ihrer Lehrstühle und Doktorandenstellen an deutschen Universitäten deutlich überrepräsentiert ist: die pharmazeutische (Synthese-)Chemie.
Die Rolle der pharmazeutischen Chemiker
Wer herausfinden will, wie es zu der üppigen Personalausstattung der pharmazeutisch-chemischen Lehrstühle kam, muss ein Jahrhundert tief in die Pharmaziegeschichte eintauchen. Die synthetischen Arzneistoffe hatten ihren Siegeszug gerade erst begonnen, Deutschland fühlte sich als die „Apotheke der Welt“ und blieb es auch noch in der Nachkriegszeit, als die Fakultäten neu aufgebaut und personell ausgestattet wurden. Dann verlagerten sich die Schwerpunkte. Heute sind innovative Arzneistoffe zu einem von Jahr zu Jahr steigenden Anteil Biologicals.
Die pharmazeutische Chemie besetzt ihre Doktorandenstellen vielerorts zunehmend mit Chemikern, weil die angehenden Apotheker flächendeckend verstanden haben, dass die Zukunft der Pharmazie nicht in der Arzneistoffsynthese liegt. Und natürlich auch, weil Chemiker für die Synthesechemie um Längen besser ausgebildet sind. Damit kommt das Gleichgewicht von Geben und Nehmen zwischen den Fakultätsteilen Chemie und Pharmazie ins Rutschen, was zusätzlichen Rechtfertigungsdruck erzeugt. Gerade diese Schwierigkeit, noch Doktoranden aus der Pharmazie zu finden, veranlasst viele pharmazeutische Chemiker zu einer besonders aggressiven Bekämpfung der Konkurrenz aus der Klinischen Pharmazie.
Dabei wird die Synthesechemie-Lastigkeit, die wir vor allem bei Professoren im fortgeschrittenen Alter finden, nur durch eine einzige Stelle in Anlage 14 zu § 18 der Approbationsordnung gerechtfertigt, nämlich durch das Wort „Darstellung“ in dem Absatz, der die Inhalte der Pharmazeutischen/Medizinischen Chemie beschreibt und sich ansonsten stark auf Struktur-Wirkungs-Beziehungen und Analytik konzentriert.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Würzburg. Der Text zu den Lehrinhalten auf der Homepage der pharmazeutischen Chemie lautet: „In einer Formel lesen wie in einem Buch. So wird die Medizinische Chemie in Würzburg vermittelt. Im Rahmen der Ringvorlesung „Medizinische Chemie“ des Hauptstudiums stehen deshalb weniger die Synthesen der einzelnen Arzneistoffe im Vordergrund, sondern deren chemische, physikochemische und biologische Eigenschaften.“ Damit wird der Arzneistoffsynthese derselbe Stellenwert wie in Anlage 14 der Approbationsordnung zugewiesen, nämlich ein eher untergeordneter – obwohl die verantwortliche Lehrstuhlinhaberin zu den profiliertesten pharmazeutischen Synthesechemikern Deutschlands gehört. Dieselbe Professorin sorgte übrigens sehr zeitnah nach Einführung der aktuellen Approbationsordnung dafür, dass ein Lehrstuhl für Klinische Pharmazie geschaffen und kürzlich sogar um eine Juniorprofessur erweitert wurde.
Follow the Money
Man darf Universitäten heute nicht mehr als isolierte Gebilde, quasi als alleine in der Landschaft stehende Elfenbeintürme, auffassen. Vielmehr ragen diese Türme aus einem Nebel auf, der ein kompliziertes Wurzelwerk von Strukturen verbirgt. Universitäten, insbesondere Elite-Universitäten, sind heute Teil eines wissenschaftlich-industriellen Komplexes, in dem Drittmittel in die eine Richtung, Patente und Absolventen in die andere Richtung fließen. Wer sich an diesen Flüssen nicht beteiligen kann, hat schlechte Karten.
Nun gehört es zu den Hauptaufgaben der Klinischen Pharmazie, den Einsatz von bereits verfügbaren (in der Mehrzahl patentfreien, also generischen) Arzneimitteln zu optimieren. Forschende Unternehmen, die von Innovationen leben, haben daran nicht das geringste Interesse und folglich dafür auch keine Drittmittel. Im Gegenteil: Patienten, die dank einer qualifizierten pharmazeutischen Betreuung mit den First-Line-Therapien gut eingestellt sind, müssen seltener auf innovative und teure Second-Line-Therapien umgestellt werden. Das ist schlecht für den Umsatz, und so wird die Klinische Pharmazie auch bei den Geldgebern der universitären Pharmaforschung zum Störfaktor.
Daraus resultiert die Frage, wer denn nun überhaupt ein Interesse daran hat, Klinische Pharmazie auf hohem Niveau in die Universitäten zu bringen. Grundsätzlich sind das wir alle, die Gesellschaft, repräsentiert von der Gesundheitspolitik und den Kostenträgern, also den Krankenkassen. Von diesen wissen wir allerdings, dass sie ihre Macht eher durch Fordern als durch Fördern ausüben. Zwar werden mehrstellige Millionenbeträge investiert, TK-Chef Jens Baas zufolge aber eher in Drückerkolonnen, die Ärzte zu mehr und schwereren Diagnosen anstiften sollen. Klinische Pharmazeuten, die die eine oder andere Diagnose als Arzneimittelnebenwirkungen innerhalb einer Verschreibungskaskade entlarven könnten, stören da eher.
Publish or Parish
Ein gebetsmühlenartig wiederholtes Argument des Establishments lautet, die Klinische Pharmazie sei in Forschung und Lehre überhaupt kein wissenschaftliches Fach, sondern lediglich die praktische Anwendung dessen, was man an der Universität gelernt habe.
Dabei nutzt man die Tatsache, dass zur Erzielung signifikanter und damit publikationsreifer Ergebnisse umso mehr Arbeit investiert werden muss, je komplexer das System ist, in dem die Daten erhoben werden. Das einfachste System ist unbelebte Materie. Wer hier identische Versuchsbedingungen gewährleistet, erhält in der Regel schnell reproduzierbare und publikationsreife Ergebnisse. Schon Zellkulturen als biologische Systeme haben eine höhere Streuung der Ergebnisse. Das komplexeste aller biologischen Systeme trägt den Namen Patient, und genau damit befasst sich die Klinische Pharmazie. Aufgrund der hohen Streuung seiner Ergebnisse muss ein Klinischer Pharmazeut also bis zur Signifikanz viel mehr Arbeit investieren als ein experimenteller Pharmakologe oder gar ein Synthesechemiker. Das macht sich in der Zahl der Publikationen bemerkbar und wird gerne als Argument für die Ablehnung eines (im Extremfall eines jeden) Kandidaten herangezogen.
Lehre auf Schulniveau
Die Behauptung der Nicht-Wissenschaft betrifft auch die Lehre. An Universitäten, die keinen Lehrstuhl in Klinischer Pharmazie haben, ist diese zwischen mehreren Fächern aufgeteilt. Die von den verschiedenen Lehrstühlen entsandten Dozenten haben meist drei Dinge gemeinsam: Erstens haben sie Interessens- und Forschungsfelder, die nichts mit patientenorientierter Pharmazie zu tun haben. Zweitens haben sie in ihrem ganzen Berufsleben genau für sechs Monate patientenbezogen gearbeitet, nämlich in einer Hälfte des praktischen Jahres. Drittens sind sie loyale Mitarbeiter, die klaglos auch unbeliebte Aufgaben übernehmen. Bereits die ersten beiden Eigenschaften würden ausreichen, um das Niveau der Lehre und damit das Prinzip der Aufteilung zwischen den Fächern infrage zu stellen. Die dritte Eigenschaft aber lässt die Lehre im Fach Klinische Pharmazie vollends zur Farce entarten. Man stelle sich den loyalen Mitarbeiter eines Professors vor, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, Klinische Pharmazie sei eine Nicht-Wissenschaft, die an einer Universität nichts verloren habe. Dieser loyale Mitarbeiter würde sich in patientenbezogenen Fragestellungen weiterbilden und fortan das Fach auf dem Niveau lehren, auf dem es gelehrt werden könnte und sollte. Er würde damit zwangsläufig – unvereinbar mit Loyalität – seinen Chef als Ignoranten dastehen lassen. Folglich wird Klinische Pharmazie an diesen Universitäten auf dem Niveau unterrichtet (das Wort ist absichtlich so gewählt), auf dem es sich nach Meinung der etablierten Lehrstuhlinhaber der anderen Fächer befindet. So wird das Dogma von der wissenschaftlichen Minderwertigkeit auch in der Lehre zur „self-fulfilling prophecy“. Und die Unzufriedenheit der Studenten steigt.
Gemildert wird diese Problematik durch das z. T. ehrenamtliche Engagement einiger Kollegen, was aber zwei weitere Probleme aufwirft: Erstens fühlen sich die eigentlich für die Lehre Verantwortlichen umso weniger zuständig. Das gipfelt in der erstaunten Reaktion eines pharmazeutisch-chemischen Lehrstuhlinhabers auf die Kritik an der Lehre in Klinischer Pharmazie: „Dann kritisieren die ja ihre eigene Arbeit?!“ Zweitens kommt dieses Engagement hauptsächlich von Kollegen aus der Krankenhauspharmazie, während sich die Offizinapotheker offenbar mehrheitlich für ihren Berufsnachwuchs kaum zuständig fühlen. Das führt zu einer Klinik-Lastigkeit der Lehre, die 80% der Absolventen nicht gerecht wird. Das Defizit bleibt bestehen. In der Folge stapeln sich die Blindbewerbungen auf den Schreibtischen der Klinik-Chefapotheker, während viele Offizinapotheker händeringend nach Approbierten suchen.
Die Rolle der Standespolitik
Man tut unseren Standespolitikern Unrecht, wenn man annimmt, dass sie den Egotrip großer Teile ihrer akademischen Elite reaktionslos hinnimmt. Beispiele wie die Einrichtung der Stiftungsprofessur in Regensburg zeigen, dass hinter den Kulissen fieberhaft daran gearbeitet wird, die Lehre im Fach Klinische Pharmazie zu verbessern. Jeder Versuch, dies auch vor den Kulissen zu tun, zieht unweigerlich den Hinweis nach sich, dass jede Einmischung in die akademische Personalpolitik unzulässig ist, zumal das Grundgesetz den Universitäten die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert. Für die Standespolitiker ist jeder konfrontative Weg nur eingeschränkt gangbar. Man kann sich bei der Gesundheitspolitik um bezahlte Dienstleistungen wie Medikationsanalysen bewerben. Man kann auch einzelne Universitäten scharf kritisieren, weil sie den Berufsnachwuchs nicht ausreichend auf diese Aufgaben vorbereiten. Wenn man aber beides gleichzeitig tut, schwächt man die eigene Position.
Also versuchen die Apothekerkammern mit Fort- und Weiterbildung auszugleichen, was an den Universitäten versäumt wurde. Das ist teilweise durchaus erfolgreich, aber auch hier gibt es zwei Dinge anzumerken. Erstens sind Apotheker immer noch nicht verpflichtet, sich fort- und weiterzubilden. Das führt zu einer eher heterogenen Qualität der patientenorientierten Pharmazie. Zweitens bestätigt es die Haltung der Professoren, die die Klinische Pharmazie ablehnen – man hat ja immer schon gesagt, dass patientenorientierte Inhalte außerhalb der Universitäten gelehrt werden sollten.
Die Psychologie hinter der Propaganda
Viele Aussagen des professoralen Establishments an einigen Universitäten gegen die Klinische Pharmazie (und damit gegen die geltende Approbationsordnung) sind in diesem Text bereits erwähnt worden. Im Vordergrund steht dabei das Postulat der wissenschaftlichen Minderwertigkeit des neuen Fachs, gipfelnd in der Behauptung, dies sei der Weg, der das Pharmaziestudium unweigerlich in die Fachhochschule schicke. Diese Argumentation hat psychologisch gesehen mehrere Aspekte.
Zunächst ist Angst ein schlechter Ratgeber und damit geeignet, den Feind zu verunsichern. Für Angst gibt es allerdings objektiv keinen Grund, denn in keinem der Länder, in denen sich die Pharmazie weg von der Stoff-, hin zur Patientenorientiertheit entwickelt hat, wird das Fach heute an einer FH gelehrt. Auch ein so notorisch patientenorientiertes Fach wie Medizin wird an Universitäten und nicht an der FH gelehrt. Daneben aber beinhaltet die Aussage in ihrem Kern auch eine Selbstüberhöhung bei gleichzeitiger Herabwürdigung der Ansprechpartner. Grundtenor: „Was ihr Offizinapotheker macht, hätte man euch auch an der FH beibringen können. Allein uns Vertretern der hehren Wissenschaft verdankt ihr es, dass ihr euch Akademiker nennen dürft!“ Wer sollte bei solchen Texten zwischen den Zeilen noch das Sakrileg wagen, dem Professor zu widersprechen? Die Verunsicherung beginnt allerdings in dem Moment auf ihre Urheber zu reflektieren, in dem junge Pharmazeuten Medikationsanalysen auf hohem Niveau machen, die sich den meisten Bewohnern des Elfenbeinturms nicht mehr erschließen. Zitat eines (experimentellen und sehr patientenfernen) Pharmakologen in der Prüfung in Klinischer Pharmazie einer sehr engagierten Studentin: „Erzählen Sie mir nichts von Leitlinien! Erzählen Sie mir, was im Skript steht!“
Diese Verunsicherung zieht sich wie ein roter Faden durch die Haltung des patientenfernen Universitätspersonals und führt zu Äußerungen, die man schnell als arrogant interpretiert. Arroganz hat immer eine Schutzfunktion. In diesem Fall schützt sie vor der Erkenntnis, dass sich der Berufsstand auf seinem (akademisch durchaus ambitionierten) Weg hin zum Patienten in eine Richtung entwickelt, zu der man nichts beizutragen hat. Da geht ein Stück Existenzberechtigung verloren, die Angst, zum Auslaufmodell zu werden, greift um sich. Dem Druck von dieser Seite steht, gerade an Elite-Universitäten, der Druck des Excellence-Clusters gegenüber, in kurzer Zeit möglichst viel zu publizieren und Drittmittel an Land zu ziehen – und das geht meist nur auf die althergebrachte, stoffbezogene Art und Weise. Wer sich mit diesen Professoren unterhält, kommt schnell zu dem Schluss, dass er nicht mit ihnen tauschen möchte.
Strategien für eine berufsrelevantere Lehre
Schuldzuweisungen machen keinen Sinn. Der Tendenz vieler Professoren, die Berufsrealität und die berufspolitischen Ziele von 80% ihrer Absolventen schlicht zu ignorieren und sich in eine eigene, Uni-interne Realitätswahrnehmung zurückzuziehen, liegt nicht Bosheit zugrunde, sondern die verzweifelte Suche nach einer Überlebensstrategie. Hier wird es vor allem darum gehen, das Gefühl der Bedrohung aus der Diskussion herauszunehmen. Auch eine neue Approbationsordnung wird es nicht darauf anlegen, Fächer wie die Pharmazeutische Chemie gänzlich abzuschaffen, auch wenn eine Neubewertung ihres Stellenwerts in Forschung und Lehre ebenso unumgänglich ist wie eine Überarbeitung ihrer Inhalte. An vielen Standorten hat diese Überarbeitung ja bereits durch die Professoren selbst stattgefunden.
Sehr viel wird in Zukunft von der Wahl der Ansprechpartner abhängen. Junge Professoren haben hier den Vorteil, dass sie Klinische Pharmazie als Lehrfach kennengelernt haben, während ihre Vorgänger noch nach der alten Approbationsordnung ausgebildet wurden. Und sie können sich im Gegensatz zu den über 60-Jährigen nicht der Illusion hingeben, dass man das Problem mit der neuen Konkurrenz einfach aussitzen kann. Man darf also darauf hoffen, dass künftige Gesprächspartner dem Thema aufgeschlossener gegenüberstehen als die bisherigen.
Eine große Hürde wird genommen sein, wenn man an den Universitäten bereit ist einzuräumen, dass es Dinge gibt, die ein Offizinapotheker wissen und können sollte, die man an der pharmazeutischen Fakultät aber nicht lehren kann. Bisher lautete der Grundtenor: „Was wir nicht können, ist es auch nicht wert, gekonnt zu werden. Dann ist es keine Wissenschaft.“ Diese Haltung kann in einer Zeit, in der sich nur noch hochqualifizierte Spezialisten in ihrem Fach profilieren können, der Lehre nicht gerecht werden, die zu 80% Allgemeinpharmazeuten produzieren soll. Der Testfall für diese Bereitschaft, sich anderen Fächern zu öffnen, ist die Frage, ob und wie die Forderung des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD), die Grundlagen der Psychologie ins Studium aufzunehmen, in der nächsten Approbationsordnung berücksichtigt wird. Dies auch deshalb, weil die übliche Argumentationsschiene hier nicht greift – weder Psychologie, noch die Neuro- und Kognitionswissenschaften werden an Fachhochschulen gelehrt. Wenn man eine neue Approbationsordnung diskutiert (s. S. 74), wird ein Schwerpunkt auf der Frage liegen müssen, wie man verhindert, dass diese in den Punkten der patientenorientierten Lehre ebenso unterlaufen werden kann wie die bestehende. |
Siehe dazu auch den Beitrag von Markus Zieglmeier in derselben DAZ: "Klinische Pharmazie an deutschen Universitäten. Was wir über Qualität und Praxisrelevanz wissen"
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