Arzneimittel und Therapie

Stört Lavendelöl den Hormonhaushalt?

Präpubertäre Veränderungen lassen aufhorchen

Vorzeitiges Wachstum der Brustwarzen bei Mädchen, Gynäkomastie bei Jungen – und schuld ist womöglich Lavendelöl. In-vitro-Untersuchungen legen einen Zusammenhang nahe. Doch sind diese Beobachtungen tatsächlich ein Grund zur Sorge?

Lavendelöl mit seinem angenehmen Duft wird weltweit vielfältig verwendet. Im Arzneimittelbereich spielt es traditionell eine Rolle bei der Behandlung von Unruhezuständen, aber auch in Kosmetika, Parfüms und Körperpflegeprodukten ist es weit verbreitet.

Für Aufmerksamkeit sorgte daher eine Meldung aus dem Ärzteblatt von Anfang September [1]. Zitiert wurden dort aktuelle Forschungsergebnisse einer US-amerikanischen Arbeitsgruppe um Kenneth Korach vom National Institute of Environmental Sciences aus Durham, North Carolina. Die Gruppe befasst sich seit Längerem mit der Funktion des menschlichen Hormonsystems und mit Substanzen, die in den Hormonhaushalt eingreifen können, sogenannten endokrinen Disruptoren. Bereits 2007 veröffentlichten Korach und Mitarbeiter im „New England Journal of Medicine“ drei Fallbeispiele von Jungen, bei denen eine präpubertäre Gynäkomastie diagnostiziert worden war [2]. Als Auslöser vermuteten sie Lavendel- bzw. Teebaumöl, das in Körperpflegeprodukten enthalten war, die die Kinder nach ihren Recherchen sehr häufig angewendet hatten. Nach Absetzen der Produkte besserte sich der Zustand der Patienten. In der Folgezeit untersuchte die Arbeitsgruppe die verdächtigen Öle genauer und fand in vitro eine Estrogen-artige und antiandrogene Wirkung.

Foto: Irina Burakova – stock.adobe.com

Auch Mädchen betroffen

In einer aktuellen Publikation [3], die der Anlass für die Meldung im Ärzteblatt war, wurden nun erneut vier Fallbeispiele vorgestellt. Diesmal waren erstmalig auch Mädchen im Alter zwischen drei und sieben Jahren betroffen, bei denen es zu einem vorzeitigen Wachstum der Brustwarzen gekommen war, während ein siebenjähriger Junge eine Gynäkomastie zeigte. Wiederum ermittelten die Ärzte Lavendelöl-haltige Produkte (Seife, Parfüms) als mutmaßliche Auslöser. Außerdem untersuchten sie acht verschiedene Monoterpene, die als Bestandteile von Lavendel- und/oder Teebaumöl bekannt sind, hinsichtlich einer möglichen hormonellen Wirkung in vitro. Tatsächlich konnten sie für Terpinen‑4-ol, α-Terpineol, Linalylacetat und Linalool eine Interaktion mit Estrogen-Rezeptoren zeigen. Die ebenfalls untersuchten Substanzen Eucalyptol, Limonen sowie α- und γ-Terpinen erwiesen sich in diesem Assay als inaktiv. Allerdings waren alle Substanzen in der Lage, die Expression bestimmter Estrogen-Rezeptor-kontrollierter Gene zu beeinflussen, und zeigten unterschiedlich stark ausgeprägte antiandrogene Eigenschaften. Die Autoren unterstreichen, dass ihre Untersuchungen als erster Hinweis für eine hormonelle Aktivität von Monoterpenen aus ätherischen Ölen gewertet werden können. Sie nehmen ihre Beo­bachtungen zum Anlass, Ärzte darauf hinzuweisen, dass bei einer entsprechenden Symptomatik die mögliche Verwendung von Lavendel- oder Teebaumöl-haltigen Körperpflegeprodukten bedacht und ein Verzicht angeraten werden sollte. |

Literatur

[1] Lavendelöl kann bei Kindern Brustentwicklung auslösen. Meldung auf aerzteblatt.de vom 10. September 2019. www.aerzteblatt.de; Abruf am 16. September 2019

[2] Henley DV et al. Prepubertal gynecomastia linked to lavender and tea tree oils. N Engl J Med 2007;356(5):479-485

[3] Ramsey JT et al. Lavender products associated with premature thelarche and prepubertal gynecomastia: Case reports and EDC activities. J Clin Endocrinol Metab 2019; doi: 10.1210/jc.2018-01880

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems, Apothekerin

 

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

"Auch andere Chemikalien könnten Auslöser sein!"

Eine Einordnung der Untersuchungen zu hormonellen Veränderungen durch Lavendelöl


Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Kenneth Korach sind sicherlich beachtenswert und sollten eventuell Anlass für weiterführende Untersuchungen sein. Allerdings zeigt eine genaue Betrachtung der veröffentlichten Werte, dass die analysierten Monoterpene in den In-vitro-Assays in extrem hohen Konzentrationen (500 bis 1000 µM) eingesetzt wurden. Es erscheint daher kaum wahrscheinlich, dass wirksame Konzentrationen in den Zielgeweben erreicht werden können. Beim derzeitigen Forschungsstand muss zudem bedacht werden, dass einzelne Fallbeispiele noch keine zwingende Kausalität belegen können. So wurde bereits in der Folge der ersten Publikation von mehreren Leserbriefschreibern darauf hingewiesen, dass auch andere in den verwendeten Produkten enthaltenen Chemikalien (z. B. Weichmacher, die bekanntermaßen eine hormonelle Akti­vität besitzen) für die beobachteten Symptome verantwortlich sein könnten. Des Weiteren lässt sich aus In-vitro-Ergebnissen zu endokrinen Disruptoren nicht unbedingt eine entsprechende Wirkung in vivo ableiten. Für eine Bewertung derartiger Substanzen sind unbedingt In-vivo-Untersuchungen, die Resorption und Metabolisierung mit in Betracht ziehen, erforderlich [1]. In diesem Zusammenhang konnte von einer anderen Arbeitsgruppe bereits gezeigt werden, dass das in der Studie ebenfalls angesprochene Teebaumöl zwar tatsächlich eine hormonartige Wirkung besitzt, die dafür verantwortlichen Inhaltsstoffe aber nicht in der Lage waren, durch die Haut zu penetrieren [2]. Insofern mag eine gewisse Aufmerksamkeit hinsichtlich möglicher hormoneller Neben­wirkungen von Lavendelöl-haltigen Präparaten nicht verkehrt sein, die Forderung nach einer kompletten toxikologischen Neubewertung erscheint auf Basis der aktuellen Datenlage allerdings verfrüht.

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

Literatur

[1] Greim H. Chemicals with Endocrine-Disrupting Potential: A Threat to Human Health? Angew Chem Int Ed Engl 2005; 44(35):5568–5574

[2] Nielsen JB. What you see may not always be what you get – bioavailability and extrapolation from in vitro tests. Toxicol In Vitro 2008;22(4):1038-1042

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