Deutscher Apothekertag 2019

„Den Kollegen die Angst nehmen!“

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt ringt in seinem Lage­bericht um Zustimmung

Foto: DAZ/Alex Schelbert
du | „Wir werden nicht zurückfallen in den Zustand von 2003, auch nicht in die Zeit vor der Einführung des Versandhandels und das vordigitale Zeitalter!“ Und: „Im Saal sind die Meinungsbildner des Berufsstandes, Sie sind verantwortlich, den Kollegen die Angst zu nehmen und den Weg aufzuzeigen, unvermeid­liche Veränderungen in unserer Gesellschaft positiv zu nutzen!“ Mit diesen Worten beendete ABDA-Präsident Friedemann Schmidt seinen Lagebericht und versuchte vor dem Eintritt in die Antragsberatung die Mitgliederversammlung des Deutschen Apothekertags 2019 auf einen gemeinsamen Kurs einzustimmen.

In seiner Eröffnungsrede zum Deutschen Apothekertag hatte Schmidt schon den rheinischen Frohsinn beschworen, eine „ganz außerordent­liche“ Eigenschaft, hinter der ein Lebenskonzept stehe, das mit Optimismus die schwierigsten Situationen meistern lässt. Diese Eigenschaft vermisst er, sowohl in Berlin und als auch in seiner Heimat Sachsen. Er lobte die Krankenhausapotheker, die mit dem Konzept des Stationsapothekers dem Berufsstand einen wirklich großen Dienst erweisen. Er sprach die Ver­treter von Wissenschaft und Lehre an und deren große Bedeutung für die Sozialisation des Nachwuchses. Zur PTA-Ausbildung sei man in der Diskussion und in Sachen Hochschul­arbeit sei man nach zwei Jahren vorbereitender Facharbeit dabei, das Novellierungsverfahren einzuleiten. Ein zentrales Thema sei die Versorgungsicherheit und das Problem Liefer­engpässe. Und mit Blick auf die umstrittene Apothekenreform und das als Kabinettsentwurf vorliegende Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) hoffte er auf eine konstruk­tive und zielorientierte Diskussion.

Ein altes Hobby

Der dann folgende Lagebericht ist dem ABDA-Präsidenten seinen Worten zufolge nicht leicht gefallen. Zum Einstieg verwies er auf ein wieder entdecktes Hobby: Das Fotografieren mit Apparaten, die mindestens so alt sind wie er selbst. Diese hätten einen Messsucher, man sehe zwei Bilder, eines weit, eines nah. Die Kunst sei es, so lange an der Entfernung zu arbeiten, bis diese Bilder deckungsgleich sind. In Sachen Apotheke hat er zwei Bilder vor Augen:

  • ein persönliches sehr unruhiges unscharfes Bild, das zwischen Zuversicht und Sorge schwankt. Zuversicht, weil die Menschen immer in die Vor-Ort-Apotheke kommen werden; Sorge, dass man nicht bestehen kann, weil die Ressourcen nicht ausreichen.
  • Das zweite Bild, das Schmidt vor Augen hat, ist der Blick auf die politische Landschaft. Und dieser Blick ist scharf.

Kein politischer Vertreter stelle noch die Existenzberechtigung von Apothekern infrage, davon ist Schmidt überzeugt. Es seien die Apotheker selbst, die diese Frage stellen würden. Sie fürchteten die Digitalisierung, aber hätten bislang am allermeisten davon profitiert. Und trotzdem beherrsche die Dystopie den Blick. Das sei verständlich und habe einen realen Hintergrund: „Wir wissen nicht, was am Ende des Wandels steht“. Hinzu kommen frustrierende Erfahrungen im Arbeitsalltag. So sei das Mantra der letzten Jahre: „Wir verhindern, dass aus Lieferengpässen Versorgungs­engpässe werden!“, nicht mehr richtig. „Im Krankenhaus haben wir sie schon und zum Teil auch in den Apotheken.“ Der Aufwand werde immer größer. Eine vernünftige Versorgung mit ­Fokus auf die Qualität sei in vielen Fällen nicht mehr möglich.

Versorgung sichern!

Kritik übte Schmidt an der Aufgabenbeschreibung der designierten europäischen Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Sie soll sich für die pharmazeutische Industrie und deren Innovationskraft einsetzen. Für den ABDA-Präsidenten wäre es aber viel wichtiger, die Versorgung zu sichern, Lieferketten so auszugestalten, wie es die Patienten erwarten: „Das was für Trinkwasser und Elektrizität gelingt, muss auch für Arzneimittel gelingen!“

Darüber prangerte Schmidt den bürokratischen Aufwand an. Es mache keinen Spaß mehr. Selbstständig allein und in voller Verantwortung zu arbeiten, sei nicht mehr attraktiv, Kooperationen würden immer attraktiver. Das zeigten die Entwicklungen bei Zahn- und ­Tierärzten.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Auf Pollyanna hören!

Doch Schmidt wollte auch Positives beleuchten und mahnte, neben Kassandras Stimme auch die Stimme Poll­yannas zu hören. Pollyanna ist die Heldin eines 1913 erschienenen gleichnamigen Kinderbuchs von Eleanor Hodgman Porter, der es gelingt, mit einer unerschütterlichen positiven Einstellung in jeder noch so schwierigen Situation auch Positives zu entdecken. So würden Menschen nicht nur älter, sondern auch kränker und seien auf die Apotheker angewiesen, betonte Schmidt. Neben Professionalität, Empathie und sozialem Empfinden sei Kreativität gefragt. Und hier forderte Schmidt mehr Selbstbewusstsein ein und den Blick auf bislang Erreichtes zu richten. Apothekerinnen und Apotheker hätten in den letzten Monaten die Valsartan-Krise gemeistert und unzählige Lieferengpässe gemanagt: „Wir haben allen gezeigt, dass wir die Arzneimittelversorgung am Laufen halten, trotz aller Schwierigkeiten, mit unserer Professionalität, weil wir es wollen und können. Wir stemmen jeden Tag Bürokratie und Dokumenta­tionsaufwand. Das hilft uns, dass wir keine Opioid-Krise wie in den USA haben, weil wir da den Daumen drauf haben. Wir managen jeden Tag, das gigantische Regelwerk der Azneimittelversorgung, sodass es der Patient oftmals gar nicht merkt!“ Schmidt wollte zwar die Situation nicht schönreden, aber zog trotzdem die positive Schlussfolgerung: „Wir sind es, die dafür sorgen, dass der Patient in einem durchbürokratisierten Sytem willkommen ist!“

„Wir haben allen gezeigt, dass wir die Arzneimittel­versorgung am Laufen halten trotz aller Schwierigkeiten, mit unserer Professionalität, weil wir es wollen und können!“

Damit das auch noch in Zukunft so ist, sei man auf klare regulatorische Bedingungen angewiesen. Im Entwurf des VOASG gebe es solche Ansätze und:: „Von diesem Gesetz­entwurf hängt unsere Zukunft ab!“

Entscheidend für die Apothekenwahl sei das Vertrauen der Patienten. Das ist der höchstpersönliche Kontakt von Angesicht zu Angesicht. „Dieser Unterschied wird unsere Existenzgrundlage sein. Wir müssen klar machen, was unser Alleinstellungsmerkmal ist!“ Schmidt sieht die Apothekerschaft in dieser Sache auf einem guten Weg und fragt: „Warum sollen wir Angst vor dem Wettbewerb haben, wo doch unsere Stärken genau dort liegen?“

Rx-Versandverbot

Der Satz, dass es besser als es ist, nicht werden kann, sei unhaltbar geworden. In vielerlei Hinsicht sei es besser geworden, wenn auch nicht für alle. Jeder vierte habe seinen Betrieb aufgeben müssen. An keinem konkreten Punkt in der aktuellen Diskussion werde das so deutlich wie in Sachen Rx-Versandverbot. Die persönliche Position des ABDA-Präsidenten: „Ja ein Rx-Versandverbot wäre die wirksamste Maßnahme, den problema­tischen Auswirkungen des EuGH-Urteils zu begegnen. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Und: Nein, diese Maßnahme ist unter den gegebenen Bedingungen in der Politik nicht durchsetzbar.“ Das sei auch die Meinung der meisten seiner Vorstands­kollegen.

„Wir brauchen das Vertrauen in die Gesundheitspolitik und ja, wir haben das!“

An dieser Stelle ging er auf den Pharmaziestudenten Benedikt Bühler ein, der mit seiner erfolgreichen Online-Petition für ein Rx-Versandverbot kämpft. Auch wenn er dessen Standpunkt nicht teile, habe er persönlichen Respekt für dessen Entschlossenheit und Willen, für seine Überzeugungen einzustehen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

„Wir sind es, die dafür sorgen, dass der Patient in einem durchbürokratisierten Sytem willkommen ist!“

Die Fähigkeit zur Einigung

Der Streit um den richtigen Weg werde weitergehen. So sei auch in den ABDA-Mitgliederversammlungen heftig gestritten worden. Hier seien mühsam Positionen erarbeitet worden. Am Ende jeder Mitgliederversammlung habe ein gemeinsames einstimmiges Votum gestanden. Das gebe es selten. Die Fähigkeit zur Einigung würde den Berufsstand auszeichnen und sei Voraussetzung dafür, dass der Berufsstand überhaupt politikfähig ist. Doch so wie es derzeit sei, könne es nicht bleiben. Struktur vor Geld, dieser Leitsatz der letzten Jahrzehnte sei so einfach wie falsch. Wettbewerbsregeln seien dringend erforderlich, dafür seien im aktuellen VOASG-Entwurf viele gute Ansätze vorhanden. Aber eine Abgrenzung zum Versand müsse sich auch wirtschaftlich abbilden. Auch dafür seien erste Schritte vorgesehen, auch wenn diese noch viel zu klein seien. Diese Schritte würde aber die Perspektive für eine heilberufliche Aufwertung bieten. „Das aktuelle Reformpaket ist nicht der große Wurf“, so Schmidt wörtlich. Aber eine gute Zukunft gelinge nicht in einem großem Wurf, sie entstehe in vielen kleinen Schritten. Dann beschwor er das Vertrauen in die Gesundheitspolitik: „Wir brauchen das Vertrauen und ja, wir haben das!“ Und er beendete seinen Lagebericht mit den Worten: „Wir werden nicht zurückfallen in den Zustand von 2003, auch nicht in die Zeit vor der Einführung des Versandhandels und das vordigitale Zeitalter. Die Zukunft steht in der Tür. Wir werden auch hoffentlich nicht zurückfallen wollen in den Zustand vor der Integration in die europäische Union. Die Zukunft wird anders aussehen, sie braucht die Stimmen Kassandras und Pollyannas und die nüchterne Analyse. Im Saals sind die Meinungsbildner des Berufsstandes. Sie sind verantwortlich, den Kollegen die Angst zu nehmen und den Weg auf­zeigen, unvermeidliche Veränderungen in unserer Gesellschaft positiv zu nutzen!“ |

 

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