Arzneimittel und Therapie

Darmkrebs-Screening in der Diskussion

Neue Empfehlungen zur risikoabhängigen Untersuchung werden kritisiert

cst | Maßnahmen zur Früherkennung von Darmkrebs werden all­gemein als sehr sinnvoll erachtet. Doch wem ein Screening angeboten werden sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Empfehlung, nur Menschen mit einem gewissen Risiko zu untersuchen, sorgt für Diskussionen.

Die Darmkrebsvorsorge hat in Deutschland einen hohen Stellenwert. Seit letztem Jahr gilt die neue Richtlinie für organisierte Krebsfrüher­kennungsprogramme – ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Kolonkarzinom. Damit verbunden sind regel­mäßige Einladungen zu Vorsorgeuntersuchungen: Männern werden nun bereits ab einem Alter von 50 Jahren zwei Darmspiegelungen (Koloskopien) im Mindestabstand von zehn Jahren angeboten. Frauen haben ab einem Alter von 55 Jahren Anspruch auf die Untersuchungen. Sowohl Männer als auch Frauen können ab dem 50. Geburtstag einmal im Jahr auf Kassenkosten einen immunologischen Test auf okkultes Blut im Stuhl durchführen lassen, ab einem Alter von 55 Jahren dann alle zwei Jahre – sofern in der Zwischenzeit keine Darmspiegelung gemacht wurde. Ziel ist es, eine Krebserkrankung möglichst früh zu erkennen und adäquat behandeln zu können.

Nun sorgt eine Publikation in der Fachzeitschrift „BMJ“ für Aufsehen. Ein Expertengremium empfiehlt unter Berücksichtigung der derzeit verfügbaren Evidenz ein etwas anderes Vorgehen. So sollten diejenigen Patienten ein Screening durchlaufen, deren Risiko, in den nächsten 15 Jahren an Darmkrebs zu erkranken, mehr als 3% beträgt. Ist das Risiko geringer, wird von den Vorsorgeuntersuchungen eher abgeraten. Nach Meinung der Autorengruppe können in diesem Fall der mögliche Schaden und die Belastungen durch die Untersuchungen den Nutzen überwiegen.

Foto: Fokussiert – stock.adobe.com

Nutzen klar belegt

Damit würde man jedoch einem Großteil der Frauen von einem Screening abraten und dessen Anwendung insgesamt in höhere Altersgruppen verlagern – obwohl der Nutzen klar belegt sei, meint Professor Ulrike Haug. Die Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen übt Kritik an der Methodik der BMJ-Publikation. So seien beispielsweise der Nutzen, nicht an Krebs zu erkranken, und der Nutzen, nicht an Krebs zu versterben, als gleich­wertig eingestuft worden. Zudem bemängelt Haug die Aussagekraft der verfügbaren Modelle zur Risikoeinschätzung. Unter Berücksichtigung bekannter Einflussfaktoren wie Familienanamnese, Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, Tabak- und Alkoholkonsum kann die individuelle Gefährdung mithilfe von Risikorechnern wie dem von den BMJ-Autoren empfohlenen QCancer® calculator bestimmt werden. Diese Vorhersagemodelle seien derzeit allerdings noch fehlerhaft. Es bestehe die Gefahr, dass das Risiko unterschätzt und infolgedessen auf ein Screening verzichtet wird.

Und auch von anderer Seite wird Kritik laut, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. So stehe Professor Hermann Brenner, Leiter der Abteilungen Klinische Epidemiologie und Alternsforschung sowie Präventive Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg den Empfehlungen ebenfalls äußerst skeptisch gegenüber: „Die Empfehlung betrachtet die Frage, ob eine Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll ist, komplett aus der persönlichen Perspektive der Teilnehmer. Dafür ist die Risikoeinschätzung aber viel zu grob.“ Zudem bestehe nach Einschätzung von Professor Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Uniklinikum Ulm und Experte der Deutschen Gesell­schaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), in Deutschland weniger ein Problem der Überdiagnosen, dem die neue Empfehlung begegnen will. Im Gegenteil: Hierzulande gingen jedes Jahr nur 5 bis 6% der Berechtigten zum Screening. Und das kann fatale Folgen haben. „Wenn die große Mehrheit der Menschen in den entsprechenden Altersstufen auch nur einmal zur Vorsorgekoloskopie gehen würde, dann könnte man mehr als die Hälfte der Todesfälle durch Darmkrebs vermeiden“, so Brenner. |

Literatur

Darmkrebs-Screening künftig als organisiertes Programm. Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 19. Juli 2018. www.g-ba.de; Abruf am 10. Oktober 2019

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme und eine Änderung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie vom 19. Juli 2018. BAnz AT 18.10.2018 B3. www.g-ba.de; Abruf am 10. Oktober 2019

Helsingen LM et al. Colorectal cancer screening with faecal immunochemical testing, sigmoidoscopy or colonoscopy: a clinical practice guideline. BMJ 2019;367:l5515

Neue BMJ-Empfehlung zum Darmkrebs-Screening schadet Frauen. Pressemitteilung des Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS vom 4. Oktober 2019. www.bips-institut.de; Abruf am 10. Oktober 2019

Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diskussion um Darmkrebs-Früherkennung: Wann ist Vorsorge sinnvoll? Meldung vom 10. Oktober 2019. www.rnd.de; Abruf am 10. Oktober 2019

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