Arzneimittel und Therapie

Mit Lanadelumab Attacken vorbeugen

Neuartiger Hoffnungsträger bei hereditärem Angioödem

rr | Patienten mit hereditärem Angio­ödem leben in ständiger Alarmbereitschaft: Die Attacken kommen oft aus heiterem Himmel und können lebensbedrohlich sein, wenn die Atemwege betroffen sind. Glucocorticoide und Antihistami­nika helfen im Notfall nicht, nur spezielle Arzneistoffe, die teilweise intravenös appliziert werden müssen. Mit Lanadelumab (Takzhyro®) steht nun ein Antikörper zur Verfügung, der das Risiko für Attacken signifikant senken kann. Ist die Zeit der Angst vorbei?

Angioödeme, früher als Quincke-Ödeme bekannt, sind sich rasch ent­wickelnde, schmerzlose Schwellungen, die sich vorrangig an Haut und Magen-Darm-Trakt manifestieren. Seltener, aber besonders gefährlich sind Ödeme an Zunge, Larynx und Pharynx sowie anderen Weichteilorganen. Hintergrund ist meist eine erhöhte Permeabilität der Gefäßwände.

Eine Sonderform stellt das hereditäre Angioödem (HAE) dar, eine seltene auto­somal-dominant vererbte Erkrankung, die sich in einem Mangel an funktionsfähigem C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) begründet. Die Diagnose wird im Durchschnitt im elften Lebens­jahr gestellt. Namensgebend für den C1-INH ist die Kontrolle der spontanen Autoaktivierung des ersten Komplementfaktors (C1) und des aktivierten C1. Ein Mangel führt zu einer Aktivierung des Komplementsystems als Teil des unspezifischen humoralen Immunsystems. Daneben ist C1-INH der wichtigste Regulator des Kallikrein-Kinin-Systems (KKS oder Kontakt­system), das eine Rolle bei Entzündung und Gerinnung spielt. Im akuten HAE-Anfall wird die Bremse der Kaskade gelöst und exzessiv das für die Schwellung verantwortliche Bradykinin freigesetzt.

Gefürchtete Attacken

HAE-Attacken treten spontan und unregel­mäßig auf. Die Frequenz und Intensität variieren von Patient zu Patient. Möglicherweise kündigen sie sich durch Müdigkeit, Abgeschlagenheit, verstärktes Durstgefühl und depressive Verstimmung an. Die Hautschwellungen können im Gesicht, an den Extre­mitäten sowie im Genital­bereich auftreten. Die Ödeme bilden sich meist erst nach zwei bis drei Tagen zurück, halten somit länger an als bei Mastzell-vermittelten Angioödemen, die selten länger als 24 Stunden bestehen. Gefürchtet ist das Larynx­ödem: Es ist die häufigste Todes­ursache bei HAE. Juckreiz gehört nicht zu diesem Krankheitsbild, es schließt ihn aber auch nicht aus. Meist empfinden die Betroffenen ein Spannungsgefühl, in fort­geschrittenem Stadium gelegentlich auch Schmerzen und Brennen. Häufig treten wiederholt kolikartige Abdominalattacken durch Schwellungen der Darmwände auf.

Zu den Faktoren, die das Risiko für eine Attacke erhöhen können, zählen: Traumen wie Stöße oder Druck, psychische Stresssituationen, Infektionskrankheiten, Operationen und hormonelle Schwankungen wie Menstruation. ACE-Hemmer sind bei HAE kontraindiziert, da sie die Neigung zu Ödemattacken verstärken können. Auch Sartane sollten vorsichtshalber gemieden werden.

Foto: Shire, Teil von Takeda

Lanadelumab (Takzhyro®) ist zugelassen zur subkutanen Anwendung bei Patienten ab zwölf Jahren zur routinemäßigen Prophylaxe, aber nicht zur Behandlung akuter HAE-Attacken. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 300 mg Lanadelumab alle zwei Wochen. Bei Patienten, die unter einer Behandlung attackenfrei sind, kann eine Dosisreduktion auf 300 mg Lanadelumab alle vier Wochen in Erwägung gezogen werden.

Zurückhaltung bei Prophylaxe

Um HAE-Attacken in den Griff zu bekom­men, gibt es zwei Strategien: die Bedarfstherapie oder eine Dauertherapie mit dem Ziel der Prophylaxe. Gering­fügige Schwellungen der Hände und Füße sind nicht zwingend behand­lungsbedürftig, Gesichtsschwellungen sollten dagegen immer behandelt werden. Derzeit stehen für Erwachsene im Akutfall fünf Medikamente zur Verfügung: zwei C1-INH-Konzentrate zur Substitution (Beri­nert® und Cinryze®), der Brady­kinin-Rezeptorantagonist Icatibant (Firazyr®), ein rekombinanter humaner (rh) C1-Inhibitor (Ruconest®) und gefrorenes Frischplasma, das einen hohen Anteil an C1-INH aufweist, mangels Evidenz aber nur bei Nicht-Verfügbarkeit besserer Alternativen eingesetzt werden soll. Weder Glucocorticoide noch Antihistaminika noch Adrenalin und Derivate sind bei HAE wirksam.

Eine Langzeitprophylaxe sollte nach aktueller S1-Leitlinie erst in Erwägung gezogen werden, wenn sich trotz angemessener Bedarfstherapie keine hinreichende Symptomkontrolle erreichen lässt. Zu den bisherigen Möglichkeiten zählt die Anwendung von C1-INH-Konzentrat, abgeschwächten Androgen-Derivaten (Danazol und Oxandrolon), antifibrinolytischen Agenzien (Epsilonaminocapronsäure und Tranexamsäure) sowie Gestagenen (z. B. Desogestrel) bei Frauen. Sie alle haben Limitationen: C1-Inhibitoren wegen der intravenösen Gabe, Antifibrinolytika wegen ihrer geringen Wirksamkeit und Androgene wegen ihrer Nebenwirkungen. Noch als Zukunftsmusik wird in der Leitlinie die subkutane oder orale Behandlung mit Kallikrein-Inhibitoren beschrieben.

Lanadelumab wirkt anders

Im Februar 2019, nur wenige Monate nach Erstellung der Leitlinie, wurde der erste Kallikrein-Inhibitor in den deutschen Markt eingeführt: Lanadelumab (Takzhyro®). Der vollständig humane monoklonale Antikörper hemmt die proteolytische Aktivität von aktivem Plasmakallikrein und ermöglicht auf diese Weise eine anhaltende Kontrolle der Plasmakallikrein-Aktivität und Bradykinin-Bildung bei Patienten mit HAE (s. Abbildung).

Abb.: Das Peptidhormon Bradykinin wird im Körper durch Kallikrein proteo­lytisch aus hochmolekularen Kininogenen (high molecular weight kininogens, HMWK) freigesetzt. Der spezifisch gegen die Serinprotease Plasma-Kallikrein gerichtete monoklonale Antikörper Lanadelumab hemmt die proteolytische Aktivität des Enzyms.

In der randomisierten, doppelblinden, kontrollierten Phase-III-Studie HELP (Hereditary Angioedema Longterm Prophylaxis) wurden 125 Patienten ab zwölf Jahren über 26 Wochen untersucht. Mit Lanadelumab 300 mg alle zwei Wochen waren in der Steady­State-Behandlungsphase (Tag 70 bis Tag 182) fast acht von zehn Patienten (77%) attackenfrei gegenüber 3% mit Placebo. Über die gesamte Studien­dauer (Tag 0 bis Tag 182) blieben 44% der Patienten von Attacken verschont gegenüber 2% unter Placebo. Insgesamt reduzierte sich die Häufigkeit von HAE-Attacken unter Behandlung mit Lanadelumab 300 mg um 87% (p < 0,001). Ebenso signifikant ver­besserte sich die Lebensqualität der Patienten (nach Angioedema Quality of Life Questionnaire, AE-QoL).

Der G-BA ist überzeugt

Diese Ergebnisse scheinen auch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von Lanadelumab überzeugt zu haben: Für Patienten ab zwölf Jahren mit wiederkehrenden Attacken des hereditären Angioödems (HAE) stellte er einen beträchtlichen Zusatznutzen fest. Lanadelumab hat den Status eines Orphan Drug. Pro Patient werden Jahrestherapiekosten von 212.951,77 bis 425.903,53 Euro erwartet. Die Langzeitsicherheit und -wirksamkeit von Lanadelumab wird derzeit in einer offenen Erweiterungsstudie zu HELP untersucht. Eine Zwischenanalyse deutet darauf hin, dass die Wirkung während einer einjährigen Behandlungsdauer aufrechterhalten wurde. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen zählen Reaktionen an der Injektionsstelle wie Schmerzen, Hautrötung und blaue Flecken. Auch Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich.

Ob mit Lanadelumab die Zeit der Angst für HAE-Patienten tatsächlich um ist und welchen Stellenwert der Antikörper im Reigen der verfügbaren Therapieoptionen einnimmt, erläutert Prof. Dr. Bettina Wedi im Interview auf S. 23. |

Literatur

Bork K et al. S1-Leitlinie: Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. Allergo J Int 2019;28:16–29

Fachinformation Takzhyro®, Stand März 2019

Banerji A et al. Effect of Lanadelumab Compared With Placebo on Prevention of Hereditary Angioedema Attacks. JAMA 2018;320(20):2108-2121

Zulassung von Takzhyro® (Lanadelumab): Neue Option zur Prophylaxe von HAE-Attacken. Pressemitteilung von Shire vom 13. Dezember 2018

Lanadelumab (Takzhyro®): G-BA erkennt beträchtlichen Zusatznutzen zur Behandlung des hereditären Angioödems an. Pressemitteilung Takeda, 12. August 2019

Wedi B. Lanadelumab to treat hereditary angioedema. Drugs Today (Barc) 2019;55(7):439-448

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