Kongresse

Früh die Weichen stellen

42. Heidelberger Herbstkongress widmete sich Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

HEIDELBERG (cst) | Auch in diesem Jahr war der Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, der vom 23. bis 24. November 2019 in Heidelberg stattfand, wieder voll ausgebucht. Rund 1000 Apotheker informierten sich über die häufigsten Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter.

Nachdem die Fortbildungsveranstaltung in den vergangenen zwei Jahren in der Heidelberger Stadthalle ein Ausweichquartier gefunden hatte, konnte Kammerpräsident Dr. Günther Hanke die Teilnehmer des 42. Heidelberger Herbstkongresses dieses Jahr wieder in den „heiligen Hallen“ des Chemischen Instituts der Universität Heidelberg begrüßen. Geändert hatte sich an den Räumlichkeiten indes nichts, die geplante Renovierung war aus Kostengründen auf Eis gelegt worden. Der Qualität der Veranstaltung tat das jedoch keinen Abbruch, diese war unver­ändert hoch.

Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr eine ganz spezielle Patientengruppe. Denn „im Kindes- und Jugendalter werden die Weichen für die Gesundheit im späteren Leben gestellt“, so Hanke. Bevor sich die Teilnehmer mit Dr. Thomas Spindler, Chefarzt für Kinder und Jugendliche an der Hochgebirgsklinik in Davos, im ersten Vortrag auf einen Parforceritt durch die Allergien in dieser Lebensphase begaben, durfte Hanke noch den Preisträger der besten Projektarbeit 2018 im Rahmen der Weiterbildung zum Fachapotheker für Allgemeinpharmazie verkünden: Der mit 750 € dotierte Preis ging an Sebastian David Dittus, Apotheker in der Sonnen-Apotheke Neuenbürg, für seine Arbeit zum Thema „Verbesserte Patientenberatung zur Anwendung von portablen Arzneiformen zur bronchopulmonalen Anwendung“.

Foto: LAK Baden-Württemberg/Schäfer

Apotheker Sebastian David Dittus freute sich über den Preis für die beste Projektarbeit im Rahmen der Weiterbildung zum Fachapo­theker für Allgemeinpharmazie.

Sensibilisierung ist noch keine Allergie

Als erster Redner brachte Spindler den Zuhörern das komplexe Thema der Allergien näher, die in den letzten Jahren immer mehr zugenommen haben. Wichtig dabei war dem Allergologen die Unterscheidung zwischen Sensibilisierung und Allergie. So kann ein Mensch ein Leben lang beispielsweise gegen „Katze“ sensibilisiert sein, ohne jemals etwas davon zu merken. Im „Allergietest“ – egal ob Haut- oder Bluttest – wird jedoch lediglich die Sensibilisierung in Form von spezifischem IgE gemessen. Folglich rechtfertigt ein positiver Allergietest alleine weder eine Karenzmaßnahme noch eine therapeutische Intervention. Erst im Zusammenhang mit der Anamnese und gegebenenfalls dem Goldstandard Provokationstest kann eine entsprechende Diagnose gestellt werden. Ist die Diagnose gesichert – und eine Vermeidung des Allergens beispielsweise bei Pollenallergikern nicht möglich –, ist gegebenenfalls eine spezifische Immun­therapie sinnvoll, um das Risiko des gefürchteten Etagenwechsels zu minimieren. Die Erfolgsquote dieser einzigen kausalen Therapie ist hoch, der Erfolg langanhaltend, so Spindler. Ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrags lag auf der Anaphylaxie. Diese ernst zu nehmende, rasch begin­nende allergische Reaktion kann unbehandelt zum Tode führen. In diesem Zusammenhang sollte man in der Apotheke auch kritisch nachfragen, wenn jemand zum Beispiel das „fünfte Mal Fenistil holt“, so Spindler. Denn bei jeglichem Hinweis auf eine systemische Reaktion verbiete sich eine Selbstmedikation ohne vorherige Abklärung durch einen Allergologen. Gefähr­dete Patienten sollten stets ein Notfallset (Adrenalin-Pen) bei sich tragen und in der Handhabung geübt sein.

Foto: LAK Baden-Württemberg/Schäfer

Referenten des ersten Fortbildungstages und wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. Martin Wabitsch, Silke Laubscher, Prof. Dr. Claudia Pföhler, Andrea Litzinger, Dr. Thomas Spindler, Dr. Bianca Scholz (v. l.)

Empfehlung: Schießen!

Eine weitere Erkrankung mit zunehmender Prävalenz ist die Neuroder­mitis. Die Pathogenese und Therapie­möglichkeiten dieser häufigen Erkrankung im Kindesalter stellte Prof. Dr. Claudia Pföhler, geschäftsführende Oberärztin am Universitätsklinikum des Saarlandes, vor. Einen besonderen Stellenwert hat hierbei die konsequente Basistherapie. Sie gilt als wichtigste Maßnahme gegen die Bildung eines Juckreizgedächtnisses. Auch wenn der Patient wirksame Arzneimittel verordnet bekommt, so wird er laut Pföhler doch „immer Zeit für die Körperpflege aufwenden müssen“. Dabei gilt der Grundsatz: „Feucht auf feucht, fett auf trocken.“ Dermatologen sollten allerdings nicht selbst irgendwelche Rezepturen erfinden, die dann unter Umständen wenig stabil sind, sondern auf Bewährtes aus dem NRF zurückgreifen. Für diese Anmerkung erntete die Dermatologin spontan Applaus aus dem Auditorium. Ebenfalls wenig empfehlenswert sind ihrer Ansicht nach topische Basistherapeutika, die pflanzliche Inhaltsstoffe wie Kamille oder Calendula enthalten. Sie können als Kontaktallergene fungieren. Ein weiteres No-Go sind Harnstoff-haltige Präparate bei Säuglingen. Empfehlenswert ist laut Pföhler jedoch eine Sprühbehandlung mit Octenidin zur Bekämpfung bakterieller Superinfektionen, die bei den kleinen Neurodermitis-Patienten gar nicht mal so selten vorkommen und oft „der“ Trigger für Ekzeme sind. So hätten Kinder mit einem erhöhten Risiko für wiederholte Superinfektionen richtig Spaß daran, sich mit Schwimmbrillen und Hand­tüchern bewaffnet einmal in der Woche von Kopf bis Fuß mit dem Antiseptikum „abzuschießen“.

Leidensdruck wie bei Leukämie

Den Abschluss des ersten Fortbildungstages bildete ein spannender Vortrag von Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugend­medizin in Ulm, zum Thema Adipositas. Ein besonderes Anliegen war ihm, mit Vorurteilen gegenüber übergewichtigen Kindern aufzuräumen und ein Bewusstsein für den enormen Leidensdruck der Betroffenen zu schaffen. „Die Lebensqualität entspricht der von Kindern auf der Leukämiestation!“, so Wabitsch. Das Verständnis der Genetik und Physiologie der Appetitkontrolle sowie der Kontrolle der Energiehomöostase hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Sättigungsgefühl und Grundumsatz sind hochgradig vererbbar. Auf dieser Grundlage fördern die modernen Lebensumstände die Entwicklung einer Adipositas. Auch weiß man heutzutage, dass sich bereits im Alter von drei Jahren entscheidet, ob jemand adipös ist (und bleibt) oder nicht – danach ändere sich praktisch nichts mehr, so Wabitsch. Die Folge: Adipositas, wenn sie früh entsteht, ist mehr oder weniger therapieresistent. Eine Gewichtsabnahme ist nur möglich, wenn Lebensbedingungen sub­stanziell geändert werden. Der Fokus liegt daher auf der Primärprävention. Bei der Therapie von Adipösen sollte nicht auf eine eher unrealistische Gewichts­reduktion gesetzt werden, sondern auf eine realistische Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens. Mit entsprechenden Schulungs-Programmen erreicht man jedoch nur einen geringen Prozentsatz der Betroffenen. Neue medikamentöse Ansätze zielen auf die zugrunde liegenden neurobiologischen Prozesse im zentralen Nervensystem ab. Denn bei allen Adipösen sind im Vergleich zu Schlanken deutliche Veränderungen im Gehirn feststellbar.

Foto: LAK Baden-Württemberg/Schäfer

Wie in Studienzeiten Der 42. Heidelberger Herbstkongress fand im Chemischen Instit­ut der Universität Heidelberg statt. Wer keinen Platz im großen Hörsaal ergattern konnte, folgte der Live-Videoübertragung in einem der beiden kleineren Hörsäle.

Metabolisches Syndrom der Haut

Den Auftakt des zweiten Fortbildungstages machte der Hautarzt Dr. Jean-Christoph Datz aus Tübingen, der die Teilnehmer über die wohl häufigste Dermatose im Jugendalter informierte. Schätzungsweise sind 70 bis 80% der 12- bis 17-Jährigen in irgendeiner Form von Akne betroffen. Auch wenn die meisten Patienten gerne einen Grund für das unschöne Hautbild genannt bekommen würden, so ist die Ätiologie doch multifaktoriell und genetisch bedingt. Eine einzige Ursache für das „metabolische Syndrom der Haut“ gibt es in der Regel nicht, so Datz. Fast ebenso vielfältig wie die Ursachen sind die möglichen Therapien. Sie reichen von topischen Arzneiformen mit Benzoylperoxid, Retinoiden, Antibiotika und Azelainsäure zum systemischen Einsatz von Antibiotika und dem Goldstandard Isotretinoin bei sehr schweren Akneformen. Systemisches Isotretinoin lasse die Akne zwar „dahinschmelzen“, da es auf sämtliche ätiologische Faktoren wirke, so Datz, allerdings besitzt das Vitamin‑A-Derivat eine erwiesene teratogene Wirkung. Aufklärung ist das A und O, wobei auch die Eltern mitein­bezogen werden sollten. Eine Schwangerschaft muss unter allen Umständen vermieden werden (Stichwort „Doppelverhütung“). Auch topische Retinoide sollten in der Schwangerschaft und bei Kinderwunsch nicht eingesetzt werden. Eine Kontrazeptionspflicht für Epiduo® (und forte) gibt es allerdings nicht mehr. Topische Antibiotika sollten aufgrund des Risikos der Resistenzbildung immer kombiniert werden – beispielsweise mit Benzoylperoxid oder Retinoiden. Dabei können die entsprechenden Präparate auch separat verwendet werden.

„Red-Flags“ bei Infektionen

Jede Menge „Red-Flags“ brachte Prof. Dr. Johannes Pöschl, Ärztlicher Direktor an der Klinik für Neonatologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in Heidelberg, mit. Er sensibilisierte die Zuhörer dafür, wann ein Kind mit einer Infektionserkrankung sofort zum Arzt muss. Insbesondere sollte man bei Neugeborenen mit Fieber über 38 °C hellhörig werden – es besteht die Gefahr einer Meningitis. Ein weiteres Alarmzeichen sind Petechien, punktförmige Hauteinblutungen. Bei Meningitis darf keine Zeit verloren werden, man muss dann sofort antibiotisch behandeln. In vielen anderen Fällen sind Antibiotika hingegen völlig sinnlos. Husten, Halsschmerzen, Ohrenschmerzen und Erkältungen im Kindesalter sind in aller Regel viraler Natur. Allerdings ist hier noch sehr viel Aufklärungsarbeit insbesondere auf Seiten der besorgten Eltern zu leisten, die oft ein Antibiotikum wünschen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den natürlichen Verlauf einer Infektionskrankheit zu erläutern und zur Geduld zu raten. So kann eine Erkältung auch einmal bis zu zwei Wochen dauern, Ohrenschmerzen bis zu sieben Tage. Bei Ohrenschmerzen ist allerdings in jedem Fall eine Linderung der qualvollen Schmerzen mit einer analgetischen Therapie (Paracetamol oder Ibuprofen) angebracht. Bei einer Erkältung lassen sich Schnupfenbeschwerden mit abschwellenden Nasen­tropfen/-sprays lindern. Aber Achtung: Bei Neugeborenen dürfen Imidazoline nicht angewendet werden. Lebensbedrohliche Apnoen sind möglich.

Wann muss ein Kind mit Fieber zum Arzt?

  • > 39 °C über > 24 Stunden
  • > 40 °C
  • > 38 °C bei Neugeborenen
  • kein klinischer Fokus (Husten, Schnupfen, etc.)
  • keine Senkung mit Paracetamol oder Ibuprofen erreichbar
  • komatöser Zustand
  • Anzeichen einer Meningitis (Cave: Hautausschlag!)

Spielzeit ist kein Maß für Computer­spielsucht

Als letzte Vortragende des diesjährigen Herbstkongresses führte Dr. Kerstin Paschke vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugend­alters in Hamburg die Zuhörer in ein wenig pharmazeutisches, dafür aber umso aktuelleres Thema ein. So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Computerspielsucht (eng. gaming disorder) im Mai 2019 in den offiziellen Katalog der Erkrankungen aufgenommen. Weltweit geht man von einer Prävalenz von rund 5% aus, wobei das Phänomen in Ostasien stärker verbreitet ist als beispielsweise in Deutschland. Doch woran erkennt man eine Abhängigkeit? Jedenfalls nicht an der Dauer der Spielzeit. Vielmehr ist entscheidend, ob spezifische Kriterien (Kontrollverlust, Vernachlässigung anderer Interessen, Fortsetzen des Spielens trotz negativer Konsequenzen) erfüllt sind. Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, haben das Internationale Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und die kinder- und jugendpsychiatrische Suchtkommission Empfehlungen zum Medienkonsum herausgegeben. Unter anderem sollten der PC, Spielkonsolen oder das Smartphone von Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren maximal 45 Minuten bzw. maximal eine Stunde von Kindern im Alter von elf bis 13 Jahren und maximal 1,5 Stunden am Tag von über 14-Jährigen genutzt werden. Kinder unter zwölf Jahre sollten keinen eigenen PC im Zimmer haben und Grundschulkinder kein eigenes Smartphone besitzen. Wer sich mit dem Thema näher beschäftigen möchte oder besorgten Eltern Informationsmaterial an die Hand geben will, dem empfiehlt Paschke die Broschüren der Computersuchthilfe (www.computersuchthilfe.info). |

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