Foto: Antonioguillem – stock.adobe.com

Recht

Reklamation - was nun?

Kundenrechte beim Erwerb apothekenpflichtiger oder apothekenüblicher Produkte

Es war der Arzneimittelskandal des vergangenen Sommers: Der umfassende Rückruf Valsartan-haltiger Arzneimittel, deren Wirkstoff den potenziell krebserregenden Stoff NDMA enthält. Der Fall warf für Patienten und Apotheker zahlreiche Fragen auf. Viele Patienten kamen mit ihren (oft angebrochenen) Val­sartan-Packungen in die Apotheke und wünschten Ersatz. Aktuell ist der Fall weiterhin, denn noch immer werden verunreinigte Sartane zurückgerufen. Doch welche Rechte und Pflichten bestehen tatsächlich, wenn der Kunde ein Arzneimittel mit einem sogenannten Sachmangel erwirbt – oder zumindest annimmt, dass ein solcher Sachmangel besteht? Der folgende Beitrag zeigt: Diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. | Von Sabine Wesser

Eine einfache Antwort ist schon deshalb nicht möglich, weil Apotheken ganz unterschiedliche Produkte anbieten: Fertigarzneimittel und Rezepturarzneimittel, verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Medizinprodukte und apothekenübliche Waren.

Kaufvertragsrecht eingeschränkt und überlagert durch öffentliches Recht

Hinzukommt, dass insbesondere bei der Abgabe von Arzneimitteln bürgerliches Recht, das auch das Sachmängelgewährleistungsrecht umfasst, durch öffentliches Recht wie das Arzneimittelrecht und das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung beeinflusst, eingeschränkt oder überlagert wird.

So ist zum Beispiel ein Kaufvertrag über ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel nichtig, wenn dem Apotheker die Abgabe mangels einer gültigen ärztlichen Verschreibung – und damit die Erfüllung des Kaufvertrages – verboten ist.

Eine weitere Beschränkung ergibt sich daraus, dass die Vertragsparteien den Kaufpreis nicht frei vereinbaren können, sondern an Festpreise gebunden sind (§ 78 Arzneimittelgesetz [AMG] in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung). Lediglich ausländische Versandapotheken sind solchen Preisreglementierungen (jedenfalls nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs) derzeit nicht unterworfen.

Auch werden den Apotheken durch die Apothekenbetriebsordnung Informations- und Beratungspflichten bei der Abgabe von Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten auferlegt. Diese können über die Beratungspflichten, die als Nebenpflichten einem Kaufvertrag entspringen können, hinausgehen und als zu den Haupt­pflichten gehörend angesehen werden. Verträge über die Abgabe apothekenpflichtiger Produkte werden daher zum Teil als gemischte Verträge aufgefasst, die sowohl kauf- als auch behandlungsvertragliche Elemente enthalten. Sie werden um werklieferungsvertragliche Elemente ergänzt, wenn es um Arzneimittel geht, die in der Apotheke herzustellen sind.

Kaufvertrag zwischen Apotheke und Kunde auch ohne Pflicht zur Kaufpreiszahlung?

Eine weitere Besonderheit ist, dass bei Arzneimitteln und sonstigen Produkten, die eine Apotheke aufgrund vertragsärztlicher Verordnung abgibt, ein wesentlicher Bestandteil eines Kaufvertrages entfällt: die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises (es sei denn, der Versicherte hat ausnahmsweise, wie z. B. bei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, einen Eigenanteil an die Apotheke zu leisten). Die einzige Zahlung, die der Kunde in solchen Fällen regelmäßig in der Apotheke zu entrichten hat, ist die Zuzahlung. Doch diese ist keine Leistung, die der Kunde – als teilweise Kaufpreiszahlung – an die Apotheke erbringt. Vielmehr ist sie eine Zahlung, die der Versicherte an seine Krankenkasse leistet und die von der Apotheke für die Krankenkasse nur eingezogen wird. Damit fällt im Verhältnis des Kunden zur Apotheke ein zentrales Element des Kaufvertrages – die Pflicht zur Kaufpreiszahlung – weg. Sie lebt selbst dann nicht auf, wenn die Apotheke von der Krankenkasse keine Vergütung für das von ihr abgegebene Arzneimittel erhält.

Die Frage ist, ob diese Besonderheit zur Folge hat, dass zwischen dem GKV-Versicherten und der Apotheke gar kein Kaufvertrag zustande kommt. Früher nahm das Bundessozialgericht (BSG) an, es komme ein (öffentlich-rechtlicher) Kaufvertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke zustande. Seit 2009 geht das BSG allerdings davon aus, dass der Anspruch des Apothekenbetreibers gegen die Krankenkasse auf Vergütung kein vertraglicher, sondern ein gesetzlicher, durch § 129 SGB V begründeter und durch die Kollektivverträge (Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V, ergänzende Arzneiversorgungsverträge nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V) näher ausgestalteter Anspruch ist.

Die Annahme, bei gesetzlich Versicherten trete an die Stelle des bürgerlich-rechtlichen Kaufvertrages (oder des gemischten Vertrages mit kaufvertraglichen Elementen) zwischen Versichertem und Apotheke ein öffentlich-rechtlicher zwischen Krankenkasse und Apotheke, ist damit überholt – und zwar zu Recht. Schließlich leugnet auch im Arztrecht niemand die Vertragsstellung des Patienten nur deswegen, weil nicht er es ist, der dem Vertragsarzt die Vergütung für die vertragsärztliche Behandlung zu leisten hat. Es spricht daher einiges für die Annahme, dass das Sozialrecht das bürgerliche Recht zwar in Teilen überlagert, dieses aber nicht vollständig verdrängt. Deshalb stehen Apothekenkunden vertragliche Gewährleistungs- und Schadensersatz­ansprüche gegen Apothekenbetreiber unabhängig davon zu, ob das mangelhafte Produkt auf Kosten der GKV an sie abgegeben worden ist oder nicht. Allerdings ist zu bedenken, dass das kaufvertragliche Gewährleistungsrecht hier durch öffentliches Recht beeinflusst, modifiziert und überlagert sein kann. Ein Patient kann daher keine Erstattung oder Minderung des Apothekenabgabepreises verlangen, wenn gar nicht er, sondern seine Krankenkasse der Apotheke den Apothekenabgabepreis für dieses Arzneimittel gezahlt hat.

Foto: ZL
Keine akute Gesundheitsgefahr bestand nach Ansicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte im Fall der verunreinigten und zurückgerufenen Valsartan-haltigen Arzneimittel.

Kaufvertragliches Gewährleistungsrecht

Im Falle der Mangelhaftigkeit der gekauften Sache hat der Käufer grundsätzlich verschiedene Rechte (vgl. § 437 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Er kann Nacherfüllung, das heißt die Lieferung einer mangelfreien statt der mangelhaften Sache verlangen. Er kann von dem Vertrag zurücktreten und dann Rückgewähr der einander gewährten Leistungen verlangen. Er kann den Kaufpreis mindern, Schadensersatz (einschließlich z. B. vorgerichtlicher Anwaltskosten) oder den Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Es müssen allerdings die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein. Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht zum Beispiel nicht, wenn der Verkäufer den Sachmangel nicht zu vertreten hat.

Sachmangel als Anspruchsvoraussetzung

Eine allen Ansprüchen gemeine Voraussetzung ist, dass der Kaufgegenstand einen Sachmangel aufweist. Und zwar zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs, der regelmäßig mit Übergabe der verkauften Sache erfolgt.

Die Beweislast trägt der Käufer. Für das Vorhandensein eines Sachmangels trägt der Käufer die Beweislast. Zwar gibt es beim Verbrauchsgüterkauf, zu dem auch der Kauf von Arzneimitteln und sonstigen Produkten aus der Apotheke zählt, eine Beweislastumkehr. Danach wird grundsätzlich vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich der Sachmangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang zeigt. Doch dies entbindet den Käufer nicht davon, darzulegen und zu beweisen, dass sich überhaupt ein solcher Mangel gezeigt hat. Die Beweislastumkehr betrifft lediglich das Zeitmoment, also das Vorliegen des Sachmangels bereits bei Gefahrübergang. Damit reicht es nicht aus, dass der Kunde einen Sachmangel lediglich behauptet, dieser muss tatsächlich gegeben sein. Bestreitet der Verkäufer, dass ein Sachmangel vorliegt, muss der Käufer dies beweisen.

Begriff des Sachmangels. Nach § 434 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich 1. für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst 2., wenn sie sich für die gewöhnliche Ver­wendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

Reicht der Verdacht einer Qualitätsminderung als Sachmangel? Bei einer Sache, die, wie der Verkäufer weiß, für den Weitervertrieb gekauft wird, kann bereits der Verdacht einer Qualitätsminderung ausreichen, die Sache als mangelhaft anzusehen. So hat der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden, dass bei Lebensmitteln oder Futtermitteln, die zur Verwendung in der Lebensmittelkette bestimmt sind, ein Sachmangel auch dann anzunehmen ist,

  • wenn sie wegen ihrer Herkunft unter dem auf konkrete Tatsachen gestützten und naheliegenden Verdacht stehen, gesundheitsschädlich zu sein (Salmonellen-Befall argen­tinischer Gefrierhasen, grenzwertübersteigende Dioxin-Belastung von Legehennenfuttermittel),
  • dieser Verdacht durch dem Käufer zumutbare Maßnahmen nicht zu beseitigen ist
  • und daher die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verkäuflichkeit der Ware bzw. der mit ihr produzierten Lebensmittel entfällt.

Es fehlt dann an der vereinbarten Beschaffenheit der Ware. Dies gilt auch dann, wenn der Verdacht zwar erst nach der Übergabe entsteht, aber auf Tatsachen beruht, die schon zuvor gegeben, jedoch nicht erkannt waren. Dementsprechend wertet es die Rechtsprechung als Sachmangel, wenn von einer Apotheke, also für den Weitervertrieb gekaufte Arzneimittel unter Fälschungsverdacht stehen.

Damit stellt auch der begründete Verdacht, dass bestimmte Arzneimittel mit NDMA verunreinigt sind, im Verhältnis kaufender Apotheke und verkaufendem Großhändler/pharmazeutischem Unternehmer einen Sachmangel dar. Außerdem liegt ein Rechtsmangel vor, wenn für die fraglichen Arzneimittel ein Rückruf angeordnet ist und sie damit nicht mehr verkehrsfähig sind.

Reicht der Verdacht eines Sachmangels, wenn der Käufer Verbraucher ist?

Ob aber der Verdacht einer Verunreinigung auch im Verhältnis zwischen Patient und Apotheke einen Sachmangel begründet, ist fraglich, denn die Weiterverkaufsfähigkeit stellt hier keine vertraglich vereinbarte Beschaffenheit dar. Der Bundesgerichtshof hat bislang nicht entschieden, ob bei Waren, die nicht zur Weiterveräußerung, sondern zum Verbrauch gekauft worden sind, schon der Verdacht einer Verseuchung (etwa von Wein mit Glykol) ausreicht, um einen Sachmangel anzunehmen. Lediglich bei Grundstücken hat er angenommen, dass ein aufgrund der früheren Nutzung des Grundstücks objektiv bestehender Altlastenverdacht – unabhängig von dem mit dem Kauf verfolgten Zweck – in aller Regel schon wegen des Risikos der öffentlich-rechtlichen Inanspruchnahme und wegen der Wertminderung nicht die „übliche Beschaffenheit“ aufweist. Diese Wertungen lassen sich aber auf Verbrauchsgüter nicht ohne Weiteres übertragen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Viel erklären mussten die Apotheker den Patienten bei der Rückgabe der verunreinigten Valsartan-haltigen Arzneimittel. Für ein nicht vom Rückruf betroffenes Präparat wird in jedem Fall ein neues Rezept benötigt.

Im Fall der verunreinigten und zurückgerufenen Valsartan-haltigen Arzneimittel bestand keine akute Gesundheits­gefahr. So erklärte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einer Pressemitteilung vom 4. Juli 2018, dass der Rückruf aller betroffenen Chargen „vorsorglich“ europaweit bis zur Klärung des Sachverhaltes erfolge und ein „akutes Patientenrisiko“ nicht bestehe.

Also stellt sich die Frage: Ist es ein Sachmangel, wenn ein an Patienten abgegebenes Arzneimittel einen Stoff enthält, der „als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wird, von der Behörde aber nur auf Apothekenebene zurückgerufen wurde, und dieser Stoff auch in Lebensmitteln wie geräuchertem Fisch oder gepökeltem Schweinefleisch zu finden ist und beim Passivrauchen aufgenommen wird? Und das unabhängig von der Frage, in welcher Konzentration der fragliche Stoff im konkreten Arzneimittel jeweils enthalten ist? Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) erachtet in ihrer Pressemitteilung vom 13. September 2018 das Risiko einer durch die zurückgerufenen Arzneimittel hervorgerufenen Krebserkrankung als niedrig und schätzt es auf einen von 5000 erwachsenen Patienten, die es in der höchsten Dosis (320 mg) jeden Tag von Juli 2012 bis Juli 2018 eingenommen haben. Zwar kann man sich fragen, ob ein Arzneimittel zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung geeignet ist, wenn es nicht nur gesundheitsdienlich, sondern potenziell auch gesundheitsschädlich ist. Dabei ist aber zu bedenken, dass Arzneimittel ja gerade auch durch ihre Ambivalenz gekennzeichnet sind: Sie haben eben nicht nur erwünschte, sondern auch unerwünschte Wirkungen, weshalb sie einer strengen behördlichen Kontrolle unterliegen. Und die für Kontrollen zuständigen Behörden hatten den fraglichen Valsartan-haltigen Fertigarzneimitteln ihre Eignung zur Anwendung gerade nicht abgesprochen, wenn sie ihren Rückruf auf die Apothekenebene beschränkten.

Nun könnte man darauf abstellen, dass nicht alle Valsartan-haltigen Arzneimittel mit NDMA verunreinigt sind, so dass ein Arzneimittel, das NDMA enthält, nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Damit aber ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB angenommen werden kann, muss der Käufer nachweisen, dass gerade das von ihm erworbene Arzneimittel mit NDMA verunreinigt ist – und zwar in einem Maße, dass die Therapie mit diesem Arzneimittel für ihn eine solche Gesundheitsgefahr begründet, dass diesem Arzneimittel nicht mehr die Eignung für die gewöhnliche Verwendung zukommt.

Letztendlich kann eine Apotheke aber auch offenlassen, ob das von ihr verkaufte Valsartan-haltige Arzneimittel einen Sachmangel aufweist. Denn wenn das Arzneimittel, das ein Kunde zurückgeben möchte, einer auf Apothekenebene zurückgerufenen Charge entstammt, kann die Apotheke das Arzneimittel unter Rückerstattung des Kaufpreises (bei Selbstzahlern) oder unter Gutschrift für die Krankenkasse (bei dessen Abgabe auf Kosten der GKV und bereits erfolgter Abrechnung) zurücknehmen und es dann unter Geltend­machung ihrer eigenen Gewährleistungsansprüche gegenüber Großhandel/pharmazeutischen Unternehmer an diese zurückgeben (vorausgesetzt, jene haben ihre Pflicht zur Sachmängelgewährleistung nicht wirksam eingeschränkt oder ausgeschlossen). Das Problem, dass von Patienten zurückgegebene Arzneimittel grundsätzlich nicht mehr verkehrsfähig sind, so dass Apotheken einen Verlust erleiden, stellt sich in diesem Fall nicht.

Neues zum Apothekenrecht

Auch in diesem Jahr bietet der ApothekenRechtTag – Forum Arzneimittel&Recht einen kompakten Überblick zu den wichtigsten Rechts­fragen rund um Arzneimittel und Apotheke:

  • Wettbewerbsrecht und Apotheke – ein Update. Christiane Köber, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, Frankfurt/M
  • Der Spahn-Plan: Bedrohung oder Chance? Dr. Elmar J. Mand, LL.M. (Yale), Universität Marburg
  • Deutsches Apotheken- und Arzneimittelrecht: ­Zahnlos gegenüber ausländischen Versendern? Dr. Morton Douglas, Freiburg
  • Arzneimittelabgabe ohne persönlichen Kontakt: Möglichkeiten und Grenzen. Dr. Markus Rohner, Essen
  • Datenschutz in der Apotheke – was aus Sicht einer Datenschutzbehörde zu beachten ist. Dr. Walter Krämer, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg
  • Apotheke im Internet: Rechtliche Fußangeln und wie man sie umgehen kann. Dr. Timo Kieser, Stuttgart

ApothekenRechtTag | Forum Arzneimittel&Recht, am Freitag, 15. März 2019, auf der Interpharm in Stuttgart.

Weitere Informationen finden Sie unter www.interpharm.de

Ist die Nacherfüllung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln überhaupt zulässig?

Fraglich ist jedoch, ob die Apotheke dem Kunden an Stelle des von ihr (aus Kulanz) zurückgenommenen ein anderes, nicht von einem Rückruf erfasstes Arzneimittel überlassen darf.

Dies hängt davon ab, ob das Arzneimittelrecht und das Sozialrecht es den Apotheken erlauben, ein tatsächlich oder potenziell mangelhaftes Arzneimittel in ein mangelfreies Arzneimittel „umzutauschen“, ohne dass der Patient ein neues Rezept beibringen (und erneut Zuzahlung leisten) muss, mithin für die Apotheke öffentlich-rechtlich überhaupt die Möglichkeit zur „Nacherfüllung“ besteht.

„Umtausch“ bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln setzt nämlich voraus, dass die ärztliche Verschreibung, aufgrund der das (tatsächlich oder potenziell) mangelhafte Arzneimittel abgegeben wurde, es rechtfertigt, dass die Apotheke gegen Rücknahme dieses Arzneimittels ein „mangelfreies“ an den Patienten abgibt.

Das Bundesgesundheitsministerium hat dies in einer von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) am 21. Oktober 2014 veröffentlichten Antwort auf eine AMK-Anfrage zur Austauschmöglichkeit bei Rückrufen verneint: Nach Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 AMG müsse auch bei einem Austausch eines Arzneimittels ein Arzt konsultiert werden. Die Diagnose sowie Therapiealternativen sollten auch anlässlich einer „Austausch“-Verschreibung vom Arzt geprüft werden. Dabei sollte eine zuvor möglicherweise fehlerhafte oder unwirksame Medikation des Patienten bei der ärztlichen Beurteilung der weiteren Behandlung mit berücksichtigt werden.

Zweifel an der Auffassung des Ministeriums

Diese Auffassung überzeugt nicht, wenn es um den Austausch eines vom Patienten noch nicht angebrochenen, also noch nicht zur Medikation eingesetzten Arzneimittels geht. Der Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 AMG besteht darin, die Verbraucher vor der Anwendung bestimmter Stoffe zu schützen, indem für die Abgabe von Arzneimitteln, die diese Stoffe enthalten, eine ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Verschreibung verlangt wird. Die Verschreibungspflicht orientiert sich also nicht an Arzneimitteln, sondern an Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen. Dementsprechend ist gemäß § 2 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) in der Verschreibung entweder die Bezeichnung des Fertigarzneimittels oder des Wirkstoffes einschließlich der Stärke anzugeben, gegebenenfalls die Darreichungsform (sofern diese nicht schon aus der Bezeichnung des Arzneimittels folgt) sowie die abzugebende Menge. Eine ärztliche Verschreibung unter Bezeichnung des Wirkstoffs und Angabe von Stärke, Darreichungsform und abzugebender Menge reicht somit. Schon dies zeigt, dass in den Fällen, in denen eine ärztliche Verschreibung auf mehrere Arzneimittel „passt“, das Gesetz dem Apotheker die Entscheidung zuweist, welches der in Betracht kommenden Arzneimittel er an den Patienten abgibt (vorbehaltlich der Wirtschaftlichkeitsvorgaben des Sozialrechts). Ein solches Auswahlermessen steht dem Apotheker nur dann nicht zu, wenn der Arzt die Substitution ausgeschlossen hat. Das Gesetz geht mithin selbstverständlich davon aus, dass sowohl bei Wirkstoffverschreibungen als auch bei Verschreibungen nach Handelsnamen, aber ohne Substitutionsausschluss der Apotheker bestimmt, welches der von der Verschreibung erfassten Arzneimittel er abgibt. Daher muss es ihm auch erlaubt sein, ein vom Patienten unter Vorlage der entsprechenden ärztlichen Verschreibung in die Apotheke zurückgebrachtes (und noch nicht angebrochenes) Arzneimittel unter entsprechender Dokumentation auf der Verschreibung gegen ein Arzneimittel gleichen Wirkstoffs, gleicher Stärke, Darreichungsform und Menge auszutauschen. Der formale Umstand, dass auf diese ärztliche Verschreibung bereits eine Arzneimittelabgabe erfolgt ist, steht nach dem Sinn und Zweck des § 48 AMG einer weiteren Abgabe nicht entgegen, wenn die Apotheke die Erst­abgabe durch die Rücknahme des abgegebenen Arzneimittels rückgängig gemacht hat. Das Problem ist nur, dass Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften möglicherweise der Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums folgen werden. Die Rechtmäßigkeit der zweiten Abgabe wäre dann vermutlich gerichtlich zu klären.

Der sichere Weg: Ein neues Rezept verlangen

Ein weiteres Problem ist, dass Patienten ärztliche Verschreibungen über abgegebene Arzneimittel nur dann noch in Besitz haben, wenn sie privatärztliche waren. Denn vertragsärztliche Verschreibungen auf dem Muster-16-Vordruck verbleiben in der Apotheke. Selbst wenn die Apotheke das GKV-Rezept noch nicht zur Abrechnung eingereicht haben sollte und gewillt ist, dieses herauszusuchen, stünde sie vor dem Problem, dass eine vertragsärztliche Verordnung nicht nur ärztliche Verschreibung im Sinne des Arzneimittelrechts ist, sondern zugleich Voraussetzung für die Entstehung ihres Vergütungsanspruchs ist. Der Apotheker, der ein vertragsärztlich verordnetes Arzneimittel zurücknimmt, die ursprünglich im Apothekenfeld des Verordnungsblattes angegebenen Daten ändert und dann ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel in gleicher Stärke und Menge abgibt, läuft Gefahr, allein aus dem formalen Grund einer nachträglichen Änderung der auf dem Verordnungsblatt gemachten Angaben Probleme mit der Abrechnungsstelle der Krankenkasse zu bekommen. Zudem können sich hinsichtlich der vom Patienten zu leistenden Zuzahlung Änderungen ergeben, wenn das „neue“ Arzneimittel höherpreisig ist als das „alte“ und bei Letzterem der Zuzahlungshöchstbetrag von 10 Euro nicht erreicht wurde.

Es ist daher sicherer, sich auf den formalen Standpunkt zu stellen und für die Abgabe eines mangelfreien Arzneimittels eine erneute ärztliche Verschreibung zu verlangen.

Kommt der Kunde dem nach, so fragt sich, ob er von der Apotheke Ersatz der von ihm für das „mangelfreie“ Arzneimittel zu leistende Zuzahlung verlangen kann. Nach § 439 Abs. 2 BGB hat der Verkäufer die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. Ob die Apotheke zur Erstattung der Zuzahlung verpflichtet ist, hängt also zum einen davon ab, dass das von ihr zuerst abgegebene Arzneimittel tatsächlich mit einem Sachmangel behaftet war, und zum anderen davon, dass zu den nach § 439 Abs. 2 BGB vom Apothekenbetreiber zu tragenden „Nacherfüllungskosten“ auch eine vom Kunden zu leistende Zuzahlung zählt. Gerichtsentscheidungen dazu gibt es bislang nicht.

Fazit

Die umfassenden Rückrufe verunreinigter Valsartan-haltiger Arzneimittel haben zahlreiche juristische Fragen aufgeworfen. Viele sind nicht eindeutig zu beantworten. Sicher ist: Im Fall, dass ein Patient für ein offiziell zurückgerufenes Arzneimittel in der Apotheke Geld zurückverlangt, kann die Apotheke diese Forderung ihrerseits an den Hersteller/Großhändler richten. Will der Patient sein altes verunreinigtes gegen ein neues „sauberes“ Arzneimittel umtauschen, sollte die Apotheke eine neue Verordnung verlangen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Ist Letzteres zu verneinen, stellt sich die Frage, ob der Patient die erneut anfallende Zuzahlung als Schadensersatz geltend machen kann. Aus § 437 Nr. 3 BGB folgt, dass der Käufer vom Verkäufer Ersatz des durch den Sachmangel entstehenden Schadens verlangen kann. Es ist schon fraglich, ob die erneute Zuzahlung überhaupt einen solchen Schaden darstellt; denn eigentlich besteht der Schaden in der Leistung der Zuzahlung für das mangelhafte, aber nicht zur Anwendung gelangte Arzneimittel. Sofern die Apotheke dem Kunden die Zuzahlung für das von ihr zurückgenommene Medikament erstattet hat, liegt schon kein Schaden vor. Darüber hinaus greift die Schadensersatzpflicht nicht, wenn der Verkäufer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Zu vertreten sind grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Einen Sachmangel, der aus einer im industriellen Produktionsprozess erfolgten Verunreinigung eines Fertigarzneimittels resultiert, hat ein Apotheker nicht zu vertreten, es sei denn, es hätte konkrete Anhaltspunkte für eine solche Verunreinigung gegeben und der Apotheker hätte es versäumt, seiner aus § 12 ApBetrO resultierenden Pflicht zur stichprobenweisen Prüfung der nicht in der Apotheke hergestellten Fertigarzneimittel nachzukommen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn es sich bei dem qualitätsgeminderten Arzneimittel um ein solches handelt, das in der Apotheke hergestellt worden ist. Pauschale Aussagen verbieten sich hier aber.

Sonderfall Rezepturarzneimittel

Zu beachten ist, dass bei in der Apotheke hergestellten Arzneimitteln § 15 Produkthaftungsgesetz, der für zulassungspflichtige Arzneimittel den Vorrang der Gefährdungshaftung nach dem AMG anordnet, nicht eingreift. Damit kommt bei Produktfehlern von Rezepturarzneimitteln grundsätzlich auch eine (verschuldensunabhängige) Gefährdungshaftung nach Produkthaftungsgesetz in Betracht. Allerdings setzt dies voraus, dass durch den Fehler des Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Der bloße Vermögensschaden, erneut eine Zuzahlung leisten zu müssen, zählt hierzu nicht. |

Autor

Dr. habil. Sabine Wesser, Rechtsanwältin, Köln, Expertin für Arzneimittel- und Apothekenrecht, Co-Autorin der im Deutschen Apotheker Verlag erschienenen Kommentare zum Apothekengesetz (Kieser/Wesse/Saalfrank) und der Apothekenbetriebsordnung (Cyran/Rotta)

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.