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„Gemeinsam nachdenken, wie zukünftige Prüfungen aussehen sollen“
MC-Fragen bald auch im zweiten Staatsexamen? – IMPP dementiert entsprechende Gerüchte
Für die meisten Apothekerinnen und Apotheker stellt das erste Staatsexamen zum Ende des Grundstudiums den einzigen Berührungspunkt mit dem Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) dar. Schnell und gerne versucht man die Erinnerungen an die ungeliebte Prüfung mit Multiple-Choice-Fragen aus den Fächern Chemie, Biologie, Physik und Analytik zu vergessen. Das IMPP hat daher aus nachvollziehbaren Gründen kein durchweg positives Image bei den Pharmazeuten. Überhaupt agiert das 1971 gegründete Institut eher im Hintergrund, erstellt Gegenstandskataloge und Prüfungsaufgaben – nicht nur für die angehenden Apotheker, sondern auch in den Fächern Medizin und Psychotherapie.
Das IMPP ist eine zentrale Einrichtung der obersten Gesundheitsbehörden aller Bundesländer und hat seinen Sitz in Mainz. Was vielen wahrscheinlich unbekannt ist: Es erfüllt auf Grundlage eines Staatsvertrages noch weitere Aufgaben; insbesondere berät es die Länder und den Bund über notwendige Reformen in den jeweiligen Fächern. Dazu betreiben die IMPP-Wissenschaftler angewandte Prüfungsforschung und stehen im internationalen Austausch mit Kollegen aus vergleichbaren Institutionen.
Aktuell gerät das IMPP vermehrt und eher unfreiwillig in die Schlagzeilen der Fachpresse. Der Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) kritisierte vergangene Woche in gleich zwei Pressemitteilungen das Vorgehen des Instituts. Anlass für die Pressemitteilung am Montag, den 9. Dezember, war ein öffentlicher Brief der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd). Darin monieren die 34 lokalen Studierendenvertretungen „den übereilten Prozess durch Frau Professorin Dr. Jünger als Direktorin des IMPP, die überraschend die Veröffentlichung des neuen Gegenstandskataloges für den schriftlichen Teil des zweiten Staatsexamens im Fach Medizin (GK2) für November 2019 angekündigt hatte“. Weil bis dato für das Pharmaziestudium ebenfalls eine Überarbeitung der Gegenstandskataloge für das erste Staatsexamen anstand, unterstützte der BPhD den Medizinstudierendenverband öffentlichkeitswirksam. Den Fachschaften geht es darum, dass sie sich aktiv in die Überarbeitung der Gegenstandskataloge einbringen möchten und eine Veröffentlichung erst dann geschieht, wenn der Arbeitsprozess von allen Beteiligten als abgeschlossen bewertet wird. Außerdem soll es eine ausreichend lange Übergangszeit geben, bevor neue Inhalte geprüft werden können, damit die entsprechenden Inhalte zuvor in der Lehre auch thematisiert werden.
Zwei Tage später, am 11. Dezember, fühlte sich der BPhD gezwungen, mit einer weiteren Pressemitteilung nachzulegen. Denn nun ist auch der neue Gegenstandskatalog zum ersten Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung auf der Website des IMPP zu finden und offensichtlich wurden die Fachschaften „sowohl über die Überarbeitung als auch über die Veröffentlichung im Vorfeld nicht informiert“. Darüber hinaus bewerten die Pharmaziestudierenden die Übergangsfrist von nur einem Jahr, bis die neuen Inhalte in den Klausuren auftauchen sollen, als zu kurz. Die Mitteilung schließt ab mit einer deutlichen Feststellung: „Die Überarbeitung fand ohne studentische Beteiligung und damit ohne Berücksichtigung studentischer Interessen statt.“
Doch damit nicht genug, denn die Kritik am IMPP ist seit spätestens dem Deutschen Apothekertag (DAT) 2019 aus dem Kammerlager unüberhörbar geworden. Diese richtet sich nicht gegen die Überarbeitung der Gegenstandskataloge, sondern gegen die vermeintliche Absicht des Instituts, sich in die aktuellen Diskussionen zur Novellierung der Approbationsordnung zu sehr einzumischen. Die Apothekerkammer Berlin formulierte ihre Bedenken und Forderungen in einem DAT-Antrag so: „Aktuelle Bestrebungen des IMPP sehen vor, das 2. Staatsexamen in eine multiple-choice-basierte schriftliche Prüfung umzuwandeln, die dann vom IMPP betreut würde.“ Für eine Prüfung, welche unmittelbar vor den ersten beruflichen Erfahrungen steht, sei dieses Format ungeeignet. Der Antrag wurde von der Vollversammlung angenommen.
In Baden-Württemberg existieren mit Tübingen und Heidelberg zwei Pharmazie-Standorte, die auf eine MC-Prüfung nach dem Grundstudium verzichten. Eine Ausnahmeregelung des Sozialministeriums ermöglicht seit mehr als zehn Jahren ein entsprechendes alternatives Prüfungsverfahren. Kammerpräsident Dr. Günther Hanke äußerte auf der letzten Delegiertenversammlung Ende November – wahrscheinlich in Bezug auf den DAT-Antrag aus Berlin – seinen Wunsch, dass sich das IMPP zukünftig am besten ganz aus den Prüfungen raushalten sollte. Das alternative Prüfungsverfahren könne vielmehr als Vorbild für ganz Deutschland gelten.
Wie kommt es, dass sich Studierende und Standesvertreter derzeit so vehement gegen die Aktivitäten des IMPP stellen? Will das Institut seinen Einfluss auf die Pharmazeutischen Prüfungen tatsächlich vergrößern und geltend machen? Wir haben mit Prof. Dr. Jana Jünger gesprochen, Fachärztin für Innere Medizin und seit April 2016 Direktorin am IMPP.
DAZ: Frau Prof. Jünger, Anfang Dezember wurde auf der Website des IMPP offenbar relativ plötzlich und für viele unerwartet der überarbeitete Gegenstandskatalog für das erste Staatsexamen veröffentlicht. Wie oft finden solche Änderungen statt?
Jünger: Der Gegenstandskatalog dient den Studierenden als Grundlage, um zu wissen, was im Examen alles geprüft werden kann. Da sich – unabhängig von einer Weiterentwicklung der Approbationsordnung – die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Studienfach und dem Berufsbild permanent wandeln, sind solche Änderungen sehr wichtig und immer wieder notwendig. Wann das genau passiert, ist nicht explizit festgelegt und obliegt der IMPP-Leitung.
DAZ: Wann genau – also für welche Generation von Pharmaziestudierenden – werden die Änderungen in Kraft treten?
Jünger: Die Aktualisierung greift frühestens ab 2021.
„Die klinische Entscheidungsfähigkeit wird mit dem Ankreuzen nicht erfasst.“
DAZ: Was wurde denn konkret überarbeitet?
Jünger: Ohne jetzt auf jede Einzelheit einzugehen: Der Gegenstandskatalog wurde kräftig entrümpelt. So wurden z. B. analytische Verfahren, die nicht zuletzt aus umwelttoxikologischen Gründen in der pharmazeutischen Praxis keine Bedeutung mehr haben, gestrichen. Insgesamt haben wir also die Prüfungsinhalte praxisnäher gestaltet. Man darf nicht vergessen: Alles das, was im Katalog steht, dürfte prinzipiell geprüft werden. Daher ist eine Aktualisierung wichtig und im Sinne aller Beteiligten, damit die Studierenden nicht lernen, was sie nicht mehr brauchen.
DAZ: In der vergangenen Woche stand das IMPP unfreiwillig in der Fachpresse. Der BPhD monierte, dass die Einflussmöglichkeiten der Studierenden bei der Aktualisierung des Gegenstandskatalogs zu gering gewesen seien. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Jünger: Ehrlich gesagt wundert mich dieser Kritikpunkt, bisher waren die Studierenden der Pharmazie noch nie in die Entwicklung einbezogen. Bei der zurzeit laufenden kompetenzorientierten Umgestaltung des Gegenstandskataloges Pharmazie, die wir dieses Jahr begonnen haben, sind die Studierenden aktiv mit eingeplant. Darüber hinaus setze ich mich persönlich dafür ein, dass in den Sachverständigenkommissionen der pharmazeutischen Prüfungsfächer auch viele Berufsangehörige aus der Praxis sowie Standesvertreter repräsentiert sind. Insgesamt sollen die Prüfungen – übrigens nicht nur in der Pharmazie, sondern auch in der Medizin und der Psychotherapie – praxisrelevanter werden. Das ist der explizite Wunsch aller Fachschaften. Diese Entwicklung versuche ich seit meinem Beginn beim IMPP im Jahr 2016 aktiv zu begleiten.
DAZ: Derzeit kommen immer wieder Gerüchte auf, das IMPP würde seinen Einfluss auf alle pharmazeutischen Staatsexamina vergrößern wollen. Konkret soll der zweite Abschnitt nach den Vorstellungen Ihres Instituts eine MC-Prüfung werden. Was ist da dran?
Jünger: Wie Sie sagen, es handelt sich um Gerüchte. Ich möchte diese Behauptungen sogar als „Fake News“ bezeichnen. Aber natürlich müssen wir gemeinsam nachdenken, wie zukünftige Prüfungen aussehen sollen.
„In der Pharmazie muss die Gesellschaft eine einheitliche und hohe Qualität bei den Studieninhalten und Prüfungen erwarten können.“
DAZ: Können Sie sich vorstellen, warum diese Gerüchte aufgekommen sind?
Jünger: Viel zu häufig wird ausgeblendet, dass das IMPP den generellen gesetzlichen Auftrag hat, das Prüfungswesen zu erforschen und die obersten Gesundheitsbehörden der Länder über notwendige Reformen zu informieren. Das IMPP arbeitet also kontinuierlich an einer evidenzbasierten Gestaltung der Prüfungen. Dabei geht es nicht nur um die Aktualisierung der Prüfungsinhalte, sondern auch der Prüfungsformate.
DAZ: Haben Sie denn einen aktuellen Auftrag, die Prüfungsabschnitte in der Pharmazie zu überarbeiten?
Jünger: Im Jahr 2016 fand ein Treffen im Bundesgesundheitsministerium statt. Das Resultat dieser Gespräche war, dass es in der Pharmazie derzeit zu keinen Veränderungen bei den Prüfungsformaten kommen soll. Doch es soll darüber nachgedacht werden, inwiefern die Prüfungen im internationalen Vergleich aufgestellt sind. Dafür gibt es regelmäßige Treffen mit internationalen Vertretern, erst letztens mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA, aus Singapur und Großbritannien. Das Ziel muss stets sein, dass den Absolventen sowohl das Lernen als auch das Behalten der Inhalte leicht fällt und vor allem, dass sie sicher in den Beruf starten.
DAZ: Sehen Sie im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Approbationsordnung die Möglichkeit, dass auch die pharmazeutischen Prüfungsabschnitte aktualisiert werden?
Jünger: Ich sehe vor allem die Chance, dass an diesem Prozess mehr Personen und Institutionen beteiligt sein werden, als nur die Vertreter der Hochschulpharmazie. Ein prägendes Erlebnis für mich ist in diesem Zusammenhang, als ich vor ziemlich genau zwei Jahren eher zufällig auf den „Kompetenzorientierten Lernzielkatalog Pharmazie – Perspektivpapier ‚Apotheke 2030‘“ auf der Website der ABDA gestoßen bin. Der KLP-P führt relativ detailliert auf, wie sich die Standesvertretung konkret den Prüfungsstoff in allen drei Abschnitten der Pharmazeutischen Prüfung vorstellt. Solche Beschlüsse müssen unbedingt beachtet werden und in eine mögliche Reform mit einbezogen werden.
DAZ: Wie bewerten Sie denn den zweiten und dritten Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung? Sind Sie eine Befürworterin oder Gegnerin von mündlichen Prüfungen?
Jünger: Weder noch. Ich sehe im Übrigen auch MC-Prüfungen für sich alleine kritisch. Als Prüfungsforscherin weiß ich nämlich, dass Prüfungen am besten in einer Triangularität funktionieren: Die Ergebnisse sollten aus multiplen Prüfungen, Zeitpunkten und Formaten resultieren. Mit MC alleine kann man vielleicht Wissen und Fakten abfragen, aber die klinische Entscheidungsfähigkeit wird mit dem Ankreuzen nicht erfasst.
DAZ: Das bedeutet, Sie favorisieren eine Kombination aus mehreren Prüfungsformaten?
Jünger: Auf jeden Fall. Die Mediziner sind hier den Pharmazeuten schon deutlich voraus.
DAZ: Es gibt Hochschullehrer in der Pharmazie, die das IMPP am liebsten ganz aus den Prüfungen heraushalten würden. In Baden-Württemberg beispielsweise existieren an den Standorten Tübingen und Heidelberg seit mehr als zehn Jahren und durch eine Ausnahmeregelung des Sozialministeriums ermöglichte alternative Prüfungsverfahren, die keine MC-Prüfungen mehr zum Ende des Ersten Abschnitts vorsehen. Haben Sie Bedenken, dass sich diese Modellprojekte ausweiten und Sie als IMPP am Ende keine Aufgabe mehr haben?
Jünger: Wir können alle von Modellprojekten lernen, gleichzeitig ist es wichtig, dass zentrale staatliche Prüfungen mit standardisierten Inhalten für eine Vergleichbarkeit der Prüfungen und Prüflinge sorgen. Es geht doch um die Frage, wie Ärzte und Apotheker ausgebildet werden müssen und was aus Gründen der Patientensicherheit relevant ist. Überall in Deutschland müssen dafür gleiche Standards herrschen. Diese Frage kann daher nur einheitlich beantwortet werden, dafür braucht es eine zentrale Stelle, die sich mit dem Prüfungswesen und den Inhalten beschäftigt.
DAZ: Sie sehen in den alternativen Prüfungsverfahren und den Rufen mancher Hochschullehrer nach mehr Freiheit und Eigenständigkeit bei der Gestaltung der Studieninhalte und Prüfungen also die Gefahr, dass der zentrale Gedanke der Examensstudiengänge verloren geht?
Jünger: Viel zu schnell wird bei diesen Diskussionen die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit infrage gestellt. Ich finde, diese bleibt aber völlig unberührt. In Fächern wie „Mittelalterliche Literatur“ darf es Vielfalt statt Standards geben. Institute können ihre eigenen Schwerpunkte setzen und Lehrinhalte definieren. Das geht im Übrigen auch in Biochemie oder Chemie. In der Medizin und Pharmazie ist das aber anders: Hier darf, ja muss sogar die Gesellschaft eine einheitliche und hohe Qualität bei den Studieninhalten und Prüfungen fordern und erwarten können. Es geht um die Verbindlichkeit klinischer Empfehlungen, um Patientensicherheit und um ethische Standards. Diese dürfen in Baden-Württemberg nicht anders sein als in NRW. Diese Vergleichbarkeit der Gesundheitsversorgung ist eine große Errungenschaft unseres Gesundheitssystems und unserer Demokratie. Das müssen wir bewahren und verstärken.
DAZ: Frau Prof. Jünger, vielen Dank für das Gespräch. |
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