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Schwerpunkt Adipositas

Probiotika zum Abnehmen?

Der Zusammenhang von Adipositas und Mikrobiom

Der menschliche Darm enthält Billionen von Bakterien tausender verschiedener Spezies, die zusammenfassend als Mikro­biom oder Mikrobiota (veraltet: Darmflora) bezeichnet werden und unterschiedliche metabolische und immunologische Funktionen erfüllen. Beobachtungen ergaben, dass es Unterschiede in der Mikrobiota normal- und übergewichtiger Menschen gibt. | Von Julia Podlogar

Zu den Aufgaben der Mikrobiota gehören z. B. die Fermentation ansonsten unverdaulicher Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren (KKFS) wie Propionat und Butyrat, die an der Aufrechterhaltung der Barrierefunktion des Darms, der Regulation des Immunsystems und an verschiedenen Prozessen im Energiestoffwechsel beteiligt sind. Außerdem konkurrieren die Bakterien des Mikrobioms mit pathogenen Keimen um Nährstoffangebot und Bindungsstellen an den Epithelzellen und tragen somit zur Erregerabwehr bei [1].

Bei verschiedenen Krankheitsbildern wurden Veränderungen des Mikro­bioms erkrankter im Vergleich zu gesunden Individuen festgestellt. Die als Dysbiose bezeichnete Abweichung zeigte sich zum Beispiel im Zusammenhang mit Reizdarmsyndrom, Darmkrebs, Asthma, multipler Sklerose (MS) und metabolischem Syndrom [2 – 5]. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass es sich zumeist um Beobachtungsstudien handelt; ob die Dysbiosen Ursache oder Folge der ­Erkrankung waren, ist häufig unklar. Dennoch sind auch Kausalzusammenhänge beschrieben: Die Übertragung des Mikrobioms von MS-Patienten führte beispielsweise an Mäusen zu einer MS-ähnlichen Enzephalopathie [6].

Adipositas und Mikrobiom

Dass die Adipositas mitsamt ihren kardiovaskulären und metabolischen Folgeerkrankungen eines der drängendsten Gesundheitsprobleme in Industrieländern darstellt, ist ebenso bekannt wie die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der überflüssigen Pfunde. Oft fehlen Motivation und Durchhaltevermögen für Sport und Diät; zuweilen stellen sich aber auch trotz intensivster Bemühungen keine (langfristigen) Erfolge ein. Als einer der möglichen Gründe hierfür werden – neben genetischen Aspekten und Umweltfaktoren – Zusammenhänge mit dem Mikrobiom diskutiert. Erste Hinweise lieferten tierexperimentelle Studien: Nach Stuhltransplantationen wurden zuvor keimfrei aufgezogene Mäuse eher übergewichtig, wenn sie das Transplantat eines adipösen Tieres erhalten hatten, als wenn es von einem normalgewichtigen Individuum stammte [7].

Tatsächlich wurden auch in Beobachtungsstudien am Menschen Unterschiede in der Mikrobiota normal- und übergewichtiger Individuen gezeigt [8, 9]. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Art und Menge der durch Fermentierung produzierten kurzkettigen Fettsäuren von der Zusammensetzung des Mikrobioms abhängen [1, 7]; verschiedene Bakterienarten sind diesbezüglich unterschiedlich effizient. Bakterien, die systematisch der Abteilung der Firmicutes zugeordnet werden (z. B. die Gattungen Enterococcus und Lactobacillus) sind aufgrund einer abweichenden Enzymausstattung bessere Nahrungsverwerter als die Bakterien der Abteilung Bacteroidetes (Tab. 1). Da die kurzkettigen Fettsäuren ein bedeutender Energieträger sind, beeinflusst folglich die Mikrobiomzusammensetzung die aus einer gegebenen Nahrungsportion gewonnene Energieausbeute. Dazu passend wurden in den Stuhlproben adipöser Personen erhöhte Mengen kurzkettiger Fettsäuren festgestellt [10]. Tierexperimentelle Daten, nach denen ein hoher Firmicutes-Anteil eine Adipositas begünstigt, während bei Normalgewichtigen der Anteil der Bacteroidetes höher ist, bestätigten sich am Menschen allerdings nicht uneingeschränkt. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte die Verschiebung des Verhältnisses von Firmicutes zu Bacteroidetes in Richtung der Bacteroidetes einen interessanten Ansatz zur Prävention und Therapie der Adipositas dargestellt [1]. Tatsächlich scheinen die zugrundeliegenden Mechanismen deutlich komplexer zu sein und es ist bisher nicht klar, welche Bakteriengattungen oder -spezies im Speziellen die Entstehung einer Adipositas begünstigen oder verhindern – zum Teil sind sogar widersprüchliche Ergebnisse für eine Art im Verhältnis zur dazugehörigen Gattung beschrieben [1].

Tab. 1: Die am häufigsten in der Darm-Mikrobiota vorkommenden Bakterien [nach: Zündorf I, Dingermann T. Wer bin ICH? Wie die gute alte Darmflora und die Mikrobiota das Individuum prägen. DAZ 2017, Nr. 28, S. 39-43]
Bakteriengruppe
Charakteristikum
Gattungen
Firmicutes
überwiegend grampositive Bakterien, die zum Teil Endosporen bilden können;
gelten als sehr gute Nahrungsverwerter
Clostridium, Eubacterium, Faecalibacterium, Lactobacillus, Roseburia, Ruminococcus
Bacteroidetes
gramnegative Bakterien, die keine Endosporen bilden, leben anaerob oder auch aerob, gelten als schlechte Nahrungsverwerter;
bauen Ballaststoffe ab
Bacteroides, Prevotella, Xylanibacter
Actinobacteria
grampositive Stäbchen;
können unter verschiedenen Sauerstoffmilieus wachsen, von strikt aerob bis strikt anaerob;
einige sind filamentös und mehrzellig, viele können Endosporen bilden; Haupt­produzent von Folat
Bifidobacterium
Proteobacteria
formenreiche, gramnegative Bakterien;
etliche besitzen Geißeln zur Fortbewegung
produziert über gemischte Säuregärung Essigsäure, Milchsäure und Bernsteinsäure
Escherichia

Ein weiterer Aspekt, der beim Zusammenhang zwischen Adipositas und Mikrobiom wahrscheinlich eine Rolle spielt, ist der vermehrte Übertritt von Lipopolysacchariden aus der Zellmembran gramnegativer Bakterien ins Blut, wenn die Barrierefunktion des Darms durch Veränderungen der Mikrobiota gestört ist. Lipopolysaccharide führen als Endotoxine zu inflammatorischen Prozessen, die mit metabolischen Störungen wie Insulinresistenz und Adipositas in Verbindung gebracht werden [11].

Helfen Probiotika beim Abnehmen?

Der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln als Hilfsmittel zur Gewichtsreduktion erscheint aufgrund der bekannten Probleme beim Abnehmen für viele Betroffene attraktiv. Entsprechend groß ist das Angebot an Produkten, die z. B. das Schwangerschaftshormon hCG (humanes Choriongonadotropin) oder Zubereitungen aus Kaktusfeige, Grüntee oder Bitterorange enthalten und deren Wirkung in den meisten Fällen nicht belegt ist. Zunehmend werden auch Probiotika als „natürliche Helfer“ beim Abnehmen angepriesen [12].

Probiotika sind Präparationen lebender Mikroorganismen, die nach oraler Applikation das Verhältnis intestinaler Keime so beeinflussen sollen, dass daraus positive Effekte für den Organismus resultieren [11]. Verwendet werden meist Bakterienstämme der Gattungen Lactobacillus, Bifidobacterium und Enterococcus sowie Escherichia-coli-Stämme und die Hefe Saccharomyces boulardii. Probiotika werden verschiedene gesundheitsfördernde ­Eigenschaften zugeschrieben. Während einige Einsatzgebiete relativ gut belegt sind, fehlen in vielen Fällen aussagekräftige Humanstudien, die zell- oder tierexperimentell ermittelte Ergebnisse bestätigen können.

Wenn sich, wie beschrieben, das Mikro­biom normal- und übergewich­tiger Personen unterscheidet und sich außerdem die Mikrobiom-Zusammensetzung durch den Einsatz von Pro­biotika verändern lässt, erscheint die Vermutung naheliegend, dass richtig gewählte Probiotika bei der Gewichtsreduktion helfen können. Tierexperimentelle Untersuchungen lieferten vielversprechende Ergebnisse: Mit ­bestimmten Stämmen ließen sich bei Mäusen sowohl das Körpergewicht als auch der Körperfettanteil und verschiedene metabolische Parameter positiv beeinflussen [1].

Die zahlreichen verfügbaren Humanstudien zum Thema sind häufig von unzureichender methodischer Qualität. Für eine aktuelle Metaanalyse zum Zusammenhang von Übergewicht von Pre- und Probiotika wurden über 8000 Studien identifiziert [15]. Randomisiert und kontrolliert und damit für die Metaanalyse verwertbar waren jedoch nur 21 Studien, davon vierzehn, die sich mit Probiotika beschäftigten. Anders als vorherige systematische Reviews, die keinen Einfluss von Probiotika auf Körpergewicht und Fettanteil feststellen konnten [13, 14], zeigt die aktuelle Arbeit statistisch signifikante Auswirkungen einer Probiotika-Einnahme auf diese Parameter bei übergewichtigen Personen [15]. Die Effekte, die die Autoren aus der Zusammenschau der sehr heterogenen und schwierig zu vergleichenden Einzelstudien ermittelten, waren jedoch gering: Der BMI reduzierte sich im Mittel um 0,33 kg/m2, das Körpergewicht um 0,65 kg. Die besten Effekte wurden mit der Einnahme verschiedener Lactobacillus-Stämme erreicht – hier reduzierte sich das Körpergewicht im Durchschnitt um 1,25 kg. Ob dies für die Betroffenen im Alltag spürbar ist oder gar die gesundheitlichen Konsequenzen einer Adipositas abmildert, darf bezweifelt werden – ein schönes Beispiel für die Diskrepanz zwischen statistischer Signifikanz und klinischer Relevanz. Viele der eingeschlossenen Studien berücksichtigten übrigens weder die Ernährungs­gewohnheiten der Teilnehmer noch ihre körperliche Aktivität, was ihre Aussagekraft stark einschränkt. Die Studiendauer betrug zwischen zwei und 24 Wochen. Die Auswirkungen einer längerfristigen Einnahme sind nicht bekannt. Auch weiß man nicht, ob die durch Probiotika hervorgerufenen Veränderungen im Mikrobiom bei Beibehaltung der bisherigen Ernährungsgewohnheiten wieder auf­gehoben würden.

In einer neueren, methodisch hochwertigen Studie über zwölf Wochen, die unter Verwendung eines Bifidobacterium-Stammes durchgeführt wurde, konnte in Bezug auf das Körpergewicht kein Unterschied zwischen Placebo- und Verum-Arm festgestellt werden, allerdings reduzierte sich die Körperfettmasse in der Verum-Gruppe um durchschnittlich 0,6 kg im Vergleich zu Placebo [11].

Zum Weiterlesen

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Schwerpunkt Mikrobiom

Eine einzigartige Gemeinschaft

  • Zündorf I, Dingermann T: Wer bin ICH? Wie die gute alte Darmflora und die Mikrobiota das Individuum prägen
  • Moll D: Das Mikrobiom der Frau. Wie die Vaginal­flora das HIV-Infektionsrisiko beeinflusst
  • Bruhn C: Wohngemeinschaft Haut. Mikrobiom­forschung in der Dermatologie
  • Rausch R: Lactobacillen für die Schrumpfleber. Ein Probiotikum soll zirrhotische Patienten vor Infektionen schützen
  • „Positive, nie erwartete Ergebnisse!“ Interview mit Prof. Dr. V. Stadlbauer-Köllner zum Potenzial von Probiotika bei Leberzirrhose

DAZ 2017, Nr. 28, S. 39-55

Sicherheit

Angaben zu unerwünschten Wirkungen finden sich in den großen Übersichtsarbeiten nicht. Schwerwiegende Nebenwirkungen scheinen nicht aufgetreten zu sein. Gelegentlich wurden gastrointestinale Symptome beschrieben. Bei eingeschränkter Immunkompetenz ist jedoch Vorsicht geboten: Arzneimittel mit Saccharomyces boulardii sind beispielsweise bei schwerkranken und immunsupprimierten Patienten sowie bei liegendem Zentralvenen­katheter aufgrund des Fungämierisikos kontraindiziert [16]. Ähnliches gilt für Arzneimittel mit Lactobacillus rhamnosus [17]. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) veröffentlichte Anfang 2018 einen Rote-Hand-Brief der Hersteller von Saccharomyces-boulardii-haltigen Arzneimitteln, in dem auf die Kontraindikation bei schwerkranken oder immunsupprimierten Patienten hingewiesen wurde [19].

Mikroorganismen in probiotischen Lebensmitteln

Lactobacillus ssp.:

  • Lactobacillus-acidophilus-Gruppe
  • Lactobacillus-casei-Gruppe
  • Lactobacillus reuteri
  • Lactobacillus johnsonii
  • Lactobacillus plantarum

Bifidobacterium ssp.

  • Bifidobacterium bifidum
  • Bifidobacterium breve
  • Bifidobacterium infantis
  • Bifidobacterium longum

Entercoccus ssp.

  • Entercoccus faecalis
  • Entercoccus faecium

Fazit

Dass zwischen dem Aufbau der Mikrobiota und dem Auftreten von Über­gewicht und Adipositas ein Zusammenhang besteht, ist mittlerweile gut belegt. Der Einsatz bestimmter Pro­biotika-Stämme kann eventuell das Körpergewicht und den Fettanteil reduzieren. Die beobachteten Effekte sind allerdings minimal, was jedoch auch daran liegen könnte, dass sowohl die optimale Einnahmedauer und Dosierung als auch die Art des „richtigen“ Stammes bisher völlig unklar sind.

Probiotische Effekte sind in hohem Maße stammspezifisch, sodass die an einem Stamm beobachteten Effekte nicht ohne Weiteres auch auf nahe verwandte Stämme derselben Spezies übertragbar sind. Beim Einsatz bestimmter Stämme wurde sogar eine Erhöhung des Körpergewichts festgestellt [18]. Daher können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine fundierten Empfehlungen zum Einsatz von Probiotika in dieser Indikation gegeben werden. |

Literatur

 [1] Brusaferro A et al. Is It Time to Use Probiotics to Prevent or Treat Obesity? Nutrients 2018, 10, 1613; doi:10.3390/nu10111613

 [2] Principi N et al. Gut dysbiosis and irritable bowel syndrome: The potential role of probiotics. J Infect 2018;76:111-120

 [3] Scanlan PD et al. Culture independent analysis of the gut microbiota in colorectal cancer and polyposis. Environ. Microbiol 2008;10:789-798

 [4] McLoughlin RM. Mills KH. Influence of gastrointestinal commensal bacteria on the immune responses that mediate allergy and asthma. J. Allergy Clin Immunol 2011;127:1097-1107

 [5] Cekanaviciut E. Gut bacteria from multiple sclerosis patients modulate human T cells and exacerbate symptoms in mouse model. Proc Natl Acad Sci USA 114:10713-10718

 [6] Berer K et al. Gut microbiota from multiple sclerosis patients enables spontaneous autoimmune encephalomyelitis in mice. Proc Natl Acad Sci USA 2017;114(40):10719-10724

 [7] Turnbaugh PJ et al. An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest. Nature 2006;444:1027-1031

 [8] Hahn A et al. Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 3. Auflage 2015

 [9] Gerard P. Gut microbiota and obesity. Cell Mol Life Sci 2016;73(1):147-162

[10] Schwiertz A et al. Microbiota and SCFA in lean and overweight healthy subjects. Obesity 2010;18:190-195

[11] Minami J et al. Effects of Bifidobacterium breve B-3 on body fat reductions in pre-obese adults: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Biosci Microbiota Food Health 2018;37(3):67-75

[12] Leichter abnehmen mit Probiotika. www.zentrum-der-gesundheit.de/news/wie-frauen-leichter-abnehmen-100027.html, abgerufen am 21. Januar 2019

[13] Borgeraas H et al. Effects of probiotics on body weight, body mass index, fat mass and fat percentage in subjects with overweight or obesity: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Obes Rev 2018;19:219-232

[14] Park S, Bae, JH. Probiotics for weight loss: A systematic review and meta-analysis. Nutr Res 2015;35:566-575

[15] John GK. Dietary Alteration of the Gut Microbiome and Ist Impact on Weight and Fat Mass: A Systematic Review and Meta-Analysis. Genes 2018;9(3):167

[16] Fachinformation Perenterol®, Stand Dezember 2017

[17] Fachinformation InfectoDiarrStop® LGG® April 2017

[18] Jones RB et al. Probiotic supplementation increases obesity with no detectable effects on liver fat or gut microbiota in obese Hispanic adolescents: A 16-week, randomized, placebo-controlled trial. Pediatr Obes 2017;13:705-714

[19] Informationen der Hersteller: Rote-Hand-Brief zu Saccharomyces boulardii / Saccharomyces cerevisiae HANSEN CBS 5926: Neue Kontraindikation bei schwerkranken oder immunsupprimierten Patienten. AMK-Meldung vom 22. Januar 2018, DAZ 2018;4:120-121

Autorin

Dr. rer. nat. Julia Podlogar, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und Arzneimittelinformation, arbeitet im Bereich Arzneimittelinformation und Medikationsmanagement und schreibt seit 2016 regelmäßig für die DAZ.

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