Gesundheitspolitik

OTC-Gratismuster für Apotheker?

EuGH beantwortet BGH-Fragen zu Arzneimittelmustern

ks | Darf ein pharmazeutisches Unternehmen einem Apotheker ein apothekenpflichtiges Diclo­fenac-haltiges Schmerzgel mit neuer Textur kostenlos zu Demonstrationszwecken überlassen, damit dieser es ausprobieren und besser dazu beraten kann? Diese Frage muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Vorab hat er den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen, der nun entschieden hat: Während Rx-Gratismuster an Apotheken unzulässig sind, lässt das Unionsrecht bei OTC durchaus mehr zu. (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020, Rs. C-786/18)

Hinter dieser Entscheidung steckt folgender Fall: Der Novartis Consumer Health GmbH, die vor GSK das Schmerzgel Voltaren vertrieben hat, missfiel eine spezielle Praktik ihres Wettbewerbers Ratiopharm im Apotheken-Außendienst. Mitarbeiter des Ulmer Unternehmens gaben im Jahr 2013 an Apotheken 100-g-Packungen des apothekenpflichtigen Diclo-ratiopharm-Schmerzgels ab, die mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen waren – und zwar kostenlos. Die Textur war neu, davon sollten sich auch die Pharmazeuten ein Bild machen. Doch Novartis sah darin einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Dieser gestatte die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker nicht – tatsächlich sind Pharmazeuten hier nicht ausdrücklich als potenzielle Empfänger von solchen Gratismustern genannt, anders als etwa Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte. Diese Abgabe sei daher eine unzulässige Gewährung von Werbegaben.

Was sagt das EU-Recht?

Doch auch der europäische Hu­manarzneimittelkodex, die Richtlinie 2001/83/EG, enthält in seinem Artikel 96 Bestimmungen zur Abgabe von Arzneimittelmustern, die Apotheken nicht ausdrücklich nennen, sondern immer nur den ärztlichen Verordner im Blick haben. Zudem besagt diese Norm, dass Mitgliedstaaten „die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken“ können.

Nachdem Novartis in den ersten beiden Instanzen mit seiner Klage Erfolg hatte, wollte der Bundesgerichtshof erst entscheiden, wenn zuvor der EuGH Klarheit geschaffen hat. Konkret wollten die Karlsruher Richter wissen, ob der Gemeinschaftskodex die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an Apotheker „zu Demonstrationszwecken“ erlaubt, wenn keine Gefahr besteht, dass diese an den Endverbraucher weitergegeben werden. Und sollte dies der Fall sein: Werde Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, diese Abgabe zu verbieten?

Generalanwalt: Muster an Apotheken sind tabu

Anfang Februar veröffentlichte der Generalanwalt am EuGH, ­Giovanni Pitruzzella, seine Schlussanträge. Darin führte er aus, dass die europarechtlichen Vorgaben in jeder Hinsicht deutlich seien: Demnach könne es Arzneimittelmuster nur für verordnende Ärzte geben, nicht aber für Apotheken. Einen Unterschied, ob es sich um verschreibungspflichtige oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt, machte ­Pitruzzella nicht.

Ganz so weit geht der EuGH in seiner Entscheidung nicht. Der Gemeinschaftskodex ist seiner Ansicht nach so auszulegen, dass nur Ärzte, also verschreibungsberechtigte Personen, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel erhalten dürfen. Und dies hat zur Folge, dass eine Abgabe an Apotheker nicht zulässig ist. „Diese Arzneimittel dürfen in Anbetracht der mit ihrem Gebrauch ­verbundenen Gefahr oder der ­hinsichtlich ihrer Wirkungen bestehenden Unsicherheit nämlich nicht ohne ärztliche Überwachung verwendet werden“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Apotheker sollen sich mit OTC vertraut machen können

Allerdings machen die EU-Richter deutlich: Im Rahmen des nationalen Rechts werde den Apothekern durch den Kodex nicht die Möglichkeit genommen, Gratismuster von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu erhalten, ­damit sie sich mit neuen Präparaten vertraut machen und Erfahrungen mit deren Anwendung sammeln können.

Was das nun für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet, muss sich zeigen. Derzeit führt auch die Norm im Arzneimittelrecht die Apotheken nicht als empfangsberechtigte Personengruppe für Arzneimittelmuster auf. Und es ist stets nur von „Fertigarzneimitteln“ die Rede, nicht speziell von verschreibungs- oder apothekenpflichtigen Arzneimitteln.

Umstrittene AMG-Auslegung

Juristen legen den Umstand, dass Apotheker nicht genannt sind, ­bislang unterschiedlich aus. Während die einen meinen, dass ihre Nicht-Erwähnung zwangsläufig zu ihrem Ausschluss führe, vertreten andere das genaue Gegenteil. ­Letztere führen als Argument ­unter anderem an, dass es nicht zu rechtfertigen sei und gegen die ­Berufsausübungsfreiheit und den Gleichheitssatz verstoße, wenn Ärzte kostenfrei Muster erhalten, während Apotheker die zu Demonstrationszwecken benötigten Arzneimittel bezahlen müssten.

Nun ist es am BGH zu entscheiden und das Arzneimittelgesetz EUrechtskonform auszulegen. Es könnte sein, dass Pharmaunternehmen bald eine neue Marketingmethode für OTC hinzu­gewinnen. |

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