- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 1-2/2020
- Mehr als „Rücken
Arzneimittel und Therapie
Mehr als „Rücken“
Wie Patienten mit Morbus Bechterew und Co. geholfen werden kann
Spondyloarthritiden (spondylos = griech. Wirbel, arthritis = Gelenksentzündung) gehören zu den Erkrankungen des rheumatoiden Formenkreises. Wenn das Achsenskelett – bestehend aus Schädel, Brustkorb und Wirbelsäule – betroffen ist, wird die Bezeichnung axiale Spondyloarthritis verwendet. Die Prävalenz wird mit 0,4 bis 2% angegeben. Männer erkranken häufiger als Frauen. Bei den meisten Betroffenen stehen chronische, das heißt seit mindestens drei Monaten andauernde Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in diesen drei Skelettkomponenten im Vordergrund (prädominant axiale Spondyloarthritis). Die Symptome bessern sich durch Bewegung, jedoch nicht durch Ruhe. Bei einer Reihe von Patienten dominieren periphere Manifestationen wie Arthritis, Enthesitis (Sehnenansatzentzündung) und/oder Daktylitis (Finger- bzw. Zehenentzündung). Für diese Erkrankungsformen wird in der Leitlinie die Bezeichnung prädominant periphere Spondyloarthritis verwendet. Zusätzlich kommt es bei etwa 40% der Spondyloarthritis-Patienten zu extraskelettalen Manifestationen. Dazu zählen die Uveitis anterior (Entzündung der mittleren Augenhaut), die Psoriasis vulgaris sowie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Diese Erscheinungsformen mit Symptomen wie beispielsweise Augenschmerzen, Haut- und Nagelsymptomen sowie Diarrhö können die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigen. Da außerdem Komorbiditäten (z. B. kardiovaskuläre, Lungen- und Nieren-Erkrankungen) auftreten können, erfordert die Betreuung der Patienten eine enge multidisziplinäre Zusammenarbeit.
Am bekanntesten: Morbus Bechterew
Das bekannteste Krankheitsbild unter den prädominant axialen Sponyloarthritiden ist der Morbus Bechterew, für den international die Bezeichnung Spondylitis ankylosans (ankylosans: sich verbiegend, versteifend) gebräuchlicher ist. Bei M. Bechterew sind bereits strukturelle Läsionen in den Sakroiliakalgelenken (Kreuz-Darmbein-Gelenke) vorhanden bzw. röntgenologisch sichtbar (röntgenologische axiale Spondyloarthritis). Daneben unterscheiden die internationalen ASAS-Klassifikationskriterien (Assessment of Spondyloarthritis International Society) noch die nicht röntgenologische axiale Spondyloarthritis, bei der es sich prinzipiell um das gleiche, jedoch weniger fortgeschrittene Krankheitsbild handelt. Für die tägliche klinische Praxis sind die ASAS-Kriterien von untergeordneter Bedeutung. Sie werden aber für die Durchführung von Studien benötigt.
Frühsymptome häufig nicht ernst genommen
Verglichen mit anderen rheumatischen Erkrankungen dauert es bei der axialen Spondyloarthritis vom Symptombeginn bis zur korrekten Diagnose häufig sehr lange. Laut Studien können bei Männern zwischen fünf und sieben, bei Frauen sogar bis zu 14 Jahre vergehen. Ein Grund dafür ist, dass die Rückenschmerzen als ein Frühsymptom der Erkrankung bereits im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt auftreten und dann häufig fehlgedeutet werden. Für die korrekte Diagnose sind zudem viele verschiedene Untersuchungen notwendig, um die Patienten von Betroffenen mit unspezifischen Rückenschmerzen unterscheiden zu können. Dazu zählen neben Anamnese und klinischer Untersuchung auch die Erhebung von Laborbefunden (z. B. HLA-B27, CRP, BSG) sowie bildgebende Verfahren (Röntgen, Sonografie, Magnetresonanztomografie). Besonders empfehlenswert ist laut Leitlinie die Bestimmung des humanen Leukozytenantigens B27 (HLA-B27), da in Studien bei 60 bis 85% der Patienten mit axialer Spondyloarthritis dieser Marker positiv war, bei Morbus-Bechterew-Patienten sogar bei 80 bis 95%. Auch die Bestimmung von C-reaktivem Protein (CRP) und/oder der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) kann zur Abklärung der Verdachtsdiagnose eingesetzt werden. Erhöhte Spiegel dieser Entzündungsparameter weisen jedoch nur etwa die Hälfte der Patienten auf. Bei den bildgebenden Verfahren ist insbesondere die Magnetresonanztomografie der Wirbelsäule gut geeignet, um im Bereich der Wirbelkörper und angrenzender Strukturen entzündliche Veränderungen feststellen und den Verlauf verfolgen zu können.
Therapie: Lebensqualität erhalten, Beschwerden kontrollieren
Als primäres Behandlungsziel formulieren die Leitlinienautoren die Optimierung der Lebensqualität durch das Erreichen weitgehender Symptomfreiheit, die Reduktion der Entzündung und die Verhinderung struktureller Schäden. Betroffene sollten möglichst arbeits- und erwerbsfähig bleiben sowie ein aktives soziales Leben führen können. Angestrebt wird eine partizipative Entscheidungsfindung zwischen Patient und Arzt. Ebenso wie die Diagnostik setzt sich die Therapie aus verschiedenen Bausteinen zusammen (s. Abbildung). Bei symptomatischen Patienten sollen als Mittel der ersten Wahl nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) inklusive Coxibe eingesetzt werden. Für Morbus Bechterew gibt es aus Studien eine klare Evidenz, dass NSAR sowohl bei kurzfristiger als auch bei längerer Therapiedauer Schmerzen und Steifigkeit an der Wirbelsäule und an peripheren Gelenken lindern können. Bei verschiedenen Patientengruppen (Alter > 60 Jahre, gastrointestinale Blutung in der Anamnese, Komedikation mit Thrombozytenaggregationshemmern, oraler Antikoagulation, Bisphosphonaten, Colitis ulcerosa, Alkoholismus) wird eine Kombination mit Protonenpumpenhemmern empfohlen. Zwei bis vier Wochen nach Behandlungsbeginn mit NSAR sollte die Effektivität der Therapie beurteilt werden. Wenn eine Substanz nicht gewirkt hat, sollte für weitere zwei bis vier Wochen ein zweiter Wirkstoff versucht werden. Verlaufskontrollen sind individuell zu vereinbaren. Werden die Schmerzen mit NSAR nicht ausreichend gelindert, kann unter Umständen ein Therapieversuch mit Paracetamol oder Opioiden unternommen werden – beispielsweise bei nicht entzündlichen Schmerzen. Evidenz aus klinischen Studien fehlt jedoch.
Biologika bei Nichtansprechen auf NSAR
Sprechen Patienten nicht auf NSAR an, sind diese kontraindiziert oder bleibt eine hohe Krankheitsaktivität bestehen, sind Biologika eine Therapiemöglichkeit. Es gibt noch nicht ausreichend Studiendaten für die Empfehlung, ob mit einem Inhibitor des Tumornekrosefaktors alpha (TNFα) oder mit einem Interleukin(IL)-17-Inhibitor begonnen werden soll. Für TNF-Inhibitoren wie Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Certolizumab und Golimumab bestehen längere Erfahrungen in der klinischen Anwendung als mit IL-17-Inhibitoren wie Secukinumab, konstatieren die Leitlinienautoren. Wirkt ein Biologikum nicht ausreichend, sollte der Wechsel auf eine andere Substanz erfolgen. Außerdem sind NSAR eine mögliche Zusatztherapie, wenn Biologika die muskuloskelettalen Symptome nicht ausreichend lindern. Kommt es jedoch zu einer anhaltenden Remission (für mindestens sechs Monate), kann der Arzt eine Dosisreduktion bzw. eine Intervallverlängerung und später eventuell auch das Absetzen des Biologikums erwägen. Bei peripheren Manifestationen (z. B. Arthritis) werden häufig lokale Steroide appliziert. Sollte ein Patient darauf und auch auf eine angemessene Basistherapie (z. B. mit Sulfasalazin) nicht angesprochen haben, wird ein Therapieversuch mit einem TNF-alpha-Blocker empfohlen. Für Morbus Bechterew wurden weitere biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika (bDMARDs, (disease-modifying antirheumatic drugs) untersucht, die jedoch ineffektiv waren. Dazu zählen Rituximab, Abatacept, Ustekinumab, Tocilizumab und Sarilumab.
Chemisch-synthetische DMARDs als Option
Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis sind chemisch-synthetische DMARDs (csDMARDs) bei der axialen Spondyloarthritis keine Basistherapeutika im eigentlichen Sinne, sondern eine mögliche Option in bestimmten Fällen. Dennoch wird in der Leitlinie der Begriff Basistherapie verwendet, da er in der Rheumatologie weit verbreitet ist. Für Patienten mit axialer Spondyloarthritis und klinisch führenden peripheren Gelenkbeschwerden (aktivierte periphere Arthritis) wird in der Leitlinie der Einsatz von Sulfasalazin empfohlen. Auch Methotrexat ist eine Option, jedoch nicht bei Wirbelsäulensymptomatik.
Bewegung, Schulung, Selbsthilfegruppe und OP
Eine wichtige Säule im Behandlungskonzept der axialen Spondyloarthritis ist die Bewegungstherapie mit kardiorespiratorischem Training, Widerstands-, Dehnungs- und Stabilisationsübungen. Patienten sollten dazu individuell beraten und außerdem auf die Bedeutung von ausreichend Bewegung im Alltag hingewiesen werden. Zu den Zielen der Bewegungstherapie zählen der Erhalt der körperlichen Beweglichkeit, die Verminderung der Steifheit, eine verbesserte Haltung und Koordination, Schmerzreduktion sowie Sturzprophylaxe. Für rauchende Patienten kann die Information hilfreich sein, dass bei ihrer Erkrankung neben den allgemeinen gesundheitlichen Risiken des Rauchens ein höheres Risiko für stärkere Einbußen der Funktionsfähigkeit, eine stärkere röntgenologische Progression und ein schlechteres Therapieansprechen auf Biologika im Vergleich zu Nichtrauchern bestehen. Auch operative Maßnahmen (z. B. die Implantation einer Endoprothese bei Destruktionen im Hüftgelenk) zählen zu den Therapiemöglichkeiten bei axialer Spondyloarthritis. Patienten, die immunsuppressiv behandelt werden, sollen gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft werden. Außerdem können strukturierte Schulungsprogramme, Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen das Management der Erkrankung unterstützen. |
Literatur
S3-Leitlinie „Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen“. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und weitere Fachgesellschaften und Organisationen, AWMF-Registernummer 060 – 003, Stand 04. Oktober 2019, gültig bis 8. November 2023
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.