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„Ich hätte mir manche Maßnahmen früher gewünscht“

Interview mit THW-Ehrenpräsident Albrecht Broemme

eda | In Berlin entsteht derzeit eine 1000-Betten-Klinik für die Behandlung von COVID-19-Patienten. Binnen weniger Wochen soll eine Halle auf dem Messegelände in ein Notkrankenhaus umfunktioniert werden – mit jeglicher Technik und ­Infrastruktur, sodass infizierte Personen bestmöglich therapiert werden können. Als Projektleiter konnte die Berliner Senatsverwaltung Albrecht Broemme gewinnen, der auf mehr als 50 Jahre Erfahrung im Bevölkerungsschutz zurückblickt. Apotheken spielen für ihn dabei eine bedeutende Rolle. Das äußerte er bereits letztes Jahr im Interview mit der DAZ (DAZ 2019, Nr. 22, S. 62).

Eigentlich ist er seit Anfang dieses Jahres im Ruhestand. Fünf Jahrzehnte wirkte er ehren- und hauptamtlich im deutschen Bevölkerungsschutz – viele Jahre davon als Chef der Berliner Feuerwehr und zuletzt als Präsident des Technischen Hilfswerks (THW). Im Interview mit der DAZ verriet Albrecht Broemme letztes Jahr: „Ehrlich gesagt freue ich mich auf die Pensionierung, weil ich dann wieder mehr Zeit für mich und meine Familie habe.“

Doch seit Anfang letzter Woche ist der Ruhestand für den 66-Jährigen plötzlich vorbei. Die Corona-Krise führte in Berlin zu der Entscheidung, zusätzliche Behandlungs- und Bettenkapazitäten aufzubauen. Ein Corona-Behandlungszentrum mit 1000 Betten soll entstehen – in nur wenigen Wochen, weil die Infektionszahlen immer bedrohlicher zunehmen und die Politik die Überforderung und den Kollaps des Gesundheitssystems befürchtet.

Foto: imago images/Stefan Zeitz

Albrecht Broemme war von 2006 bis 2019 Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Zuvor war er ab 1992 Landesbranddirektor und Chef der Berliner ­Feuerwehr. Aktuell ist er Projektleiter des „Corona-Behandlungszentrums Jafféstraße“.

Für dieses historische Projekt konnte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ein „erfahrenes Kata­strophenschutz-Schlachtross“ gewinnen, wie der „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ (RBB) diese Personalie bezeichnete. „Ehe ich jetzt nur Garten­arbeit mache oder den Keller aufräume, hat man sich gedacht: Der könnte auch noch etwas anderes machen,“ erklärte Albrecht Broemme seine Entscheidung gegenüber dem RBB, das Corona-Behandlungszentrum an der Jafféstraße federführend aufzubauen. „Wer Flüchtlingslager aufgebaut und betrieben hat, wer den Folgen von Erdbeben und Sturmfluten getrotzt und eigenhändig Menschen aus brennenden ­Gebäuden gerettet hat – den kann ein Coronavirus nicht schrecken“, meint „Deutschlandfunk Kultur“ in einem aktuellen Podcast.

Auch pharmazeutische Expertise wird benötigt

In Zusammenarbeit mit der Berliner Gesundheitsverwaltung, den Krankenhäusern der Stadt, der Bundeswehr und der Messe selbst hat Broemme das Projekt innerhalb von zwei ­Tagen geplant, in dieser Woche beginnen die Bauarbeiten. Nach seinen Schätzungen wird das Projekt bis zu 30 Millionen Euro kosten. Zwischen 600 bis 800 Ärzte, Pfleger und weitere Hilfskräfte werden für den Betrieb benötigt. Das Personal soll sich vor allem aus Pensionären und Studierenden ­rekrutieren, damit möglichst wenige Fachkräfte aus dem bisherigen Gesundheitssystem herausgezogen werden. Darüber hinaus sieht Broemme Personalkapazitäten in vielen weiteren medizinischen Fachbereichen frei werden: „Dann gibt‘s natürlich ganze Bereiche von medizinischen Teilen, die gar nicht mehr aktiv sein können. Also eine Schönheitsklinik muss vielleicht nicht mehr arbeiten, und die haben auch Personal, beatmungserfahrene Leute. Wir haben den Bereich der Sportmedizin, wir haben Reha-Kliniken, also es gibt ganze Bereiche, wo man sagen kann: Die könnten dann auch Personal abstellen, weil sie jetzt keine Arbeit haben, solange wie das jedenfalls so ist“, erklärt er im Podcast von „Deutschlandfunk Kultur“.

Ein konkreter Eröffnungstermin steht noch nicht fest. Broemme rechnet mit einer Fertigstellung in ein paar Wochen. Publikumsverkehr und Patienten mit den allerschwersten COVID-19-Verläufen soll es übrigens nicht geben im Corona-Behandlungszentrum. Auch eine Krankenhausapotheke ist nicht geplant. Trotzdem will und muss sich Broemme in den nächsten Wochen auch um pharmazeutische ­Expertise kümmern.

Foto: imago images/Andreas Gora

Auf dem Gelände der Messe Berlin soll in den nächsten Wochen in Halle 26 das „Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße“ entstehen.

Dass in den vergangenen Monaten vor allem die Vor-Ort-Apotheken den – wie es im Feuerwehrjargon so schön heißt – „Erstangriff“ gegen die Epidemie durchgeführt haben, wundert Broemme nicht. „Apotheken sind eine der wenigen Institutionen, die mit ­ihrem gesamten Versorgungsauftrag einen Rund-um-die-Uhr-Dienst leisten – ähnlich wie bei der Polizei oder der Feuerwehr. Sie sind also gewissermaßen die einzige zivile Bastion, die Tag und Nacht für die Bevölkerung bereitsteht“, erklärte er im vergangenen Jahr gegenüber der DAZ (DAZ 2019, Nr. 22, S. 62). Dieser „Leuchtturm­charakter“ müsse seiner Meinung nach weiter ausgebaut und in der ­Politik besser verankert werden.

Wir haben mit Albrecht Broemme nun erneut gesprochen - über das entstehende Corona-Behandlungs­zentrum, das aktuelle Krisenmanagement und die Bedeutung der Apo­theken für die Eindämmung von Epidemien.

DAZ: Wochen bevor das Coronavirus im politischen Tagesgeschehen hier in Deutschland angekommen ist, mussten sich bereits die Apotheken mit der verunsicherten und zum Teil verängstigten Bevölkerung beschäftigen. Ist das Ihrer Meinung nach dem Leuchtturm-Charakter der öffentlichen Apotheke geschuldet?

Broemme: Das zeigt meines Erachtens, welches Vertrauen die Menschen in „ihre“ Apotheke setzen.

DAZ: Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der WHO, hat den Begriff der „Infodemie“ geprägt. Müssen wir akzeptieren, dass in unserer globalisierten Welt unmittelbar vor den eigentlichen Seuchen immer auch die sich vorab ausbreitenden ­Informationen zur Dramatik einer Krise beitragen?

Broemme: Ich drehe den Spieß um und erwarte, dass die Vernetzung ­dabei hilft, „vor die Lage zu kommen“. Darunter verstehe ich mit ­zeitlichem Vorlauf zu agieren statt nur zu reagieren.

DAZ: Sind wir auf solch eine Dynamik gut vorbereitet? Wie bewerten Sie die aktuellen politischen Reaktionen auf die Corona-Krise?

Broemme: Die Entwicklung der Corona-Krise ist meines Erachtens relativ wenig dynamisch: Wir konnten beobachten, was in China passiert, dann im Iran, in Italien ... Und hoffentlich kann die Dynamik mithilfe der angeordneten Maßnahmen abgeschwächt werden. Die Reaktionen sind gut erklärt und glaubhaft. Ich hätte mir – mit Blick auf Länder, die uns zeitlich voraus sind – manche Maßnahmen früher gewünscht.

DAZ: Viele sehen unser Gesundheitssystem in den nächsten Wochen und Monaten einem harten Stresstest ausgesetzt. Aber auch auf politischer Ebene wird man aus dieser Krise viel lernen können. Es gibt nun den Vorstoß, die Zuständigkeiten und Kompetenzen bei solchen Lagen mehr zu zentralisieren. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Broemme: Ich bin davon überzeugt, dass die besten Entscheidungen „an der Basis“ getroffen werden können, nämlich in den Kommunen und den Landkreisen. Vereinheitlicht werden müssten sowohl die Kriterien als auch die dazu gehörenden Maßnahmen. Es ist nicht zu vermitteln, dass es Länder gibt, wo maximal zwei Personen gemeinsam spazierengehen dürfen, woanders aber drei.

DAZ: Finden Sie, dass die Kranken­hausstruktur in Deutschland auf ein Szenario dieses Ausmaßes gut vorbereitet ist? Oder wurde in den letzten Jahrzehnten an den falschen Stellen rationiert?

Broemme: Diese Pandemie wird auch in Deutschland eine Belastungsprobe für das Gesundheitswesen sein. Auch wenn es gut aufgestellt ist, gibt es Grenzen. Die Konzentration der Fachdisziplinen halte ich für richtig, weil die Spezialisierung zu mehr Erfahrungen führt. Die Verringerung des Krankenhausnetzes ohne Ausgleich durch andere medizinische Einrichtungen würde im Katastrophenfall negative Auswirkungen haben.

DAZ: Desinfektionsmittel, Atemmasken und zum Teil auch bestimmte Arzneimittel sind mittlerweile Mangelware. Die Apotheken und der ­übrige Einzelhandel sind leergekauft. Wie kann man das verhindern? ­Sehen Sie die Pflicht bei den Apo­thekern oder beim Staat?

Broemme: Ich vermute, dass der größte Teil der Atemmasken an Stellen getragen wurde, wo man sie nicht braucht. Wer seine Haut mit häufigem Gebrauch von Desinfektionsmitteln malträtiert statt heißes Wasser und Seife zu benutzen, sollte lieber auf den Rat des Robert Koch-Instituts hören, oder seinen Apotheker fragen.

DAZ: Halten Sie den Vorschlag für sinnvoll, dass Impfungen zukünftig auch in Apotheken durchgeführt werden können?

Broemme: Ja. Es entlastet die Ärzte und erspart Wege.

DAZ: Was sollten Apotheken als Leuchttürme noch leisten zur Eindämmung von Infektions­krankheiten?

Broemme: Handzettel verteilen mit Informationen über Tipps und Warnungen.

DAZ: Ihre aktuelle Aufgabe ist es, in Berlin ein Corona-Behandlungszentrum mit 1000 Betten zu errichten. Die Chinesen hatten ein ähnliches Projekt innerhalb von sechs Tagen realisiert. Wie groß ist die Erwartungshaltung Ihnen gegenüber?

Broemme: Ich darf langsamer sein als die Chinesen, die meines Erachtens zwei Wochen brauchten, muss aber schneller sein als andere Berliner Großprojekte. Ich rede von „einigen Wochen“.

DAZ: Mit wem kooperieren Sie bei dem Projekt? Ziehen Sie auch pharmazeutische Fachkompetenz hinzu?

Broemme: Diese Aufgabe ist nur zu leisten, wenn die richtigen Fachleute engagiert zusammenarbeiten, dazu wird auch die Pharmazie gehören.

DAZ: Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Corona-Pandemie hierzulande weiterentwickeln? Müssen wir mit ähnlichen Zuständen wie in den europäischen Nachbarländern rechnen?

Broemme: Mit den vom Senat an­geordneten Maßnahmen wird die Anzahl der Betten mit Beatmungsmöglichkeiten von bisher 1000 insgesamt auf voraussichtlich 2800 erhöht. Ziel ist, dass jeder, der an COVID-19 erkrankt, auch adäquat versorgt werden kann. Möge dieses Ziel – mit Gottes Hilfe – erreichbar sein.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin. |

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