Pandemie Spezial

HIV-Medikament enttäuscht

Lopinavir / Ritonavir bei schwerkranken COVID-19-Patienten ohne Nutzen

cst | Auf der Suche nach wirksamen Therapien gegen das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) werden derzeit beachtliche Anstrengungen unternommen: Studien werden in Rekordzeit auf die Beine gestellt, in anderen Indikationen zugelassene Wirkstoffe im Schnellverfahren getestet. Doch nicht jeder Hoffnungsträger kann die hohen Erwartungen erfüllen. Die HIV-Therapie Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) konnte in einer randomisierten, kontrollierten Studie bei schwerkranken COVID-19-Patienten nicht überzeugen.

Üblicherweise wird Lopinavir zur Behandlung von Patienten mit HIV eingesetzt. Durch die Kombination mit Ritonavir, einem Cytochrom-P450-Inhibitor, wird die Plasmahalbwertszeit des Proteaseinhibitors verlängert. In-vitro-Untersuchungen und erste klinische Daten deuteten darauf hin, dass die antiretrovirale Therapie auch bei schweren, durch Coronaviren verursachten Infektionen wirksam sein könnte. Denn Lopinavir hemmt die C30-Endopeptidase, eine Familie von Schlüsselenzymen in der Replikation der Viren. Gegen SARS-CoV, dem Auslöser des Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS), und MERS-CoV, dem Auslöser des Middle East Respiratory Syndrome (MERS), erwies sich die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir als vielversprechend. Die Hoffnung ist groß, dass das Virustatikum auch gegen das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) helfen könnte.

Im Rahmen einer offenen, randomisierten, kontrollierten Studie an 199 Patienten mit laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion wurde die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir genauer untersucht. Die Patienten mussten aufgrund der COVID-19-Erkrankung in Wuhan, China, stationär behandelt und teilweise beatmet werden. Sie waren 49 bis 68 Jahre alt. Die Studienteilnehmer wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt: 100 Patienten wurden standardmäßig versorgt, 99 Patienten erhielten zusätzlich zwei Wochen lang oral zweimal täglich 400 mg Lopinavir plus 100 mg Ritonavir. Aufgrund der akuten Notfallsituation wurde auf die Herstellung eines Placebo-Präparates verzichtet. Die Behandlung war daher nicht verblindet.

Grafik: GEMINI – stock.adobe.com

Kein Vorteil gegenüber Standardversorgung

Sowohl unter Lopinavir/Ritonavir als auch unter alleiniger Standardversorgung verbesserte sich der Gesundheitszustand der Patienten im Median nach 16 Tagen. Im primären Endpunkt der Studie zeigte die zusätzliche Gabe des HIV-Medikaments somit keinen Nutzen. In den sekundären Endpunkten sah es etwas besser aus, wirklich überzeugen konnte Lopinavir/Ritonavir aber nicht. So war die Sterblichkeitsrate in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe zwar geringer als in der Kon­trollgruppe (19,2% vs. 25,0%), der Unterschied aber nicht signifikant. Zudem ist die Aussagekraft aufgrund der geringen Fallzahlen begrenzt. Im Hinblick auf die Dauer der intensiv­medizinischen Behandlung (sechs Tage vs. elf Tage) und die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus (12 Tage vs. 14 Tage) war eine Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir im Vergleich zur alleinigen Standardversorgung ebenfalls nur mit einem numerischen, nicht jedoch mit einem signifikanten Vorteil verbunden.

Nach Einschätzung von Lindsey R. Baden und Eric J. Rubin, die die Ergebnisse in einem begleitenden Editorial einordnen, spricht vor allem eine weitere Beobachtung gegen eine wirksame antivirale Aktivität der Kombinationstherapie: In der Viruslast der Patienten zeigte sich kein wesent­licher Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Da die Kombinationstherapie die Virusreplikation hemmen soll, hätte sich hier eigentlich ein Effekt zeigen müssen.

Eine Frage der Dosierung?

Ganz abschreiben sollte man Lopinavir/Ritonavir allerdings noch nicht. Denn die Studie hatte Schwächen. So war die Erkrankung bei den eingeschlossenen Patienten recht weit fortgeschritten: Im Median litten sie bereits 13 Tage lang an Symptomen bevor sie randomisiert wurden. Zudem ist unklar, ob mit der verabreichten Dosierung überhaupt ausreichend hohe antivirale Wirkspiegel erreicht werden können. Somit sind die Ergebnisse zwar ernüchternd, aber doch kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. So wird die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir nun auch in einer globalen Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei COVID-19-Patienten untersucht (s. S. 32). |

Literatur

Cao B et al. A Trial of Lopinavir-Ritonavir in Adults Hospitalized with Severe Covid-19. N Engl J Med 2020; doi:10.1056/NEJMoa2001282

Baden LR, Rubin EJ. Covid-19 – The Search for Effective Therapy. N Engl J Med 2020; doi:10.1056/NEJMe2005477

World Health Organization (WHO). WHO Director-General‘s opening remarks at the media briefing on COVID-19 – 18 March 2020. https://www.who.int/dg/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---18-march-2020; Abruf am 24. März 2020

Kupferschmidt K, Cohen J. WHO launches global megatrial of the four most promising coronavirus treatments. Science 2020;doi:10.1126/science.abb8497. www.sciencemag.org; Abruf am 24. März 2020

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