Pandemie Spezial

TCM im Kampf gegen COVID-19?

Die traditionelle Heilkunde aus Fernost soll zum Exportschlager werden, der Nutzen ist unklar

hb | Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) wird seit Tausenden von Jahren bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten eingesetzt, so auch jetzt gegen COVID-19. Anders als die Schulmedizin, die Virusinfektionen häufig nur symptomatisch behandelt, setzt sie eher auf die Stärkung des Immunsystems und die Wiederherstellung des Gleichgewichts im Körper – doch es gibt durchaus auch pharmakologische Ansatzpunkte. Mehrere zehntausend COVID-19-­Patienten sollen in China bereits mit TCM behandelt worden sein. Ein auch bei uns akzeptierter Wirksamkeitsnachweis steht jedoch aus.
Foto: zhengzaishanchu – stock.adobe.com

Nach den chinesischen Richtlinien für die Diagnose und Behandlung von ­COVID-19 werden die Patienten im Regelfall schulmedizinisch und additiv mit TCM-Zubereitungen behandelt, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Dieser Ansatz basiert auf Erfahrungen während des SARS-Ausbruchs im Jahr 2003. Ein Cochrane-Review zur kombinierten Behandlung von SARS mit westlicher Medizin und TCM [Liu 2012] kam allerdings zu dem Ergebnis, dass die zusätzliche Verwendung der TCM ­verglichen mit der westlichen Medizin allein offenbar keinen Nutzen in Bezug auf die Sterblichkeit hatte. Hervorgehoben werden jedoch Vorteile bei der Verbesserung der Symptome, wie Fieber, Husten und Atembeschwerden. Die Dosierungen von Corticosteroiden konnten reduziert werden und die Absorption der Lungeninfiltration verbesserte sich, ebenso wie die Lebensqualität der Betroffenen. Die Evidenz wird allerdings aufgrund der Qualität der eingeschlossenen Studien als schwach beurteilt.

Zehn Arzneipflanzen im Fokus

Nach einer Analyse des Einsatzes von TCM-Zubereitungen gegen COVID-19 in 23 chinesischen Provinzen wurden die folgenden zehn Arzneipflanzen am häufigsten verwendet [Luo 2020]:

  • Astragali Radix (Huangqi)
  • Glycyrrhizae Radix et Rhizoma ­(Gancao)
  • Saposhnikoviae Radix (Fangfeng)
  • Atractylodis Macrocephalae Rhizoma (Baizhu)
  • Lonicerae Japonicae Flos (Jinyinhua)
  • Forsythiae Fructus (Lianqiao)
  • Atractylodis Rhizoma (Cangzhu)
  • Platycodonis Radix (Jiegeng)
  • Pogostemonis Herba (Huoxiang)
  • Cyrtomium fortune J. Sm. (Guanzhong)

Tab. 1 enthält Pflanzeninhaltsstoffe und Extrakte aus der TCM, für die ­aufgrund von meist präklinischen Studien­ergebnissen eine Wirkung gegen Coronaviren angenommen wird. 3-Chymotrypsin-like Protease (3CLpro) ist wichtig für die Replikation von Viren und stellt somit ein vielversprechendes Target für die Entwicklung von Therapeutika gegen Coronaviren einschließlich SARS-CoV-2 dar.

Tab. 1: Inhaltsstoffe/Extrakte aus TCM-Drogen, für die Erkenntnisse zur Wirkung gegen Coronaviren vorliegen
Inhaltsstoffe/Extrakte aus TCM-Drogen
Postulierter Wirkmechanismus
pflanzliche Phenole und Extrakt aus den Wurzeln von Isatis indigotica
Hemmung der Aktivität von SARS-3CLpro
Extrakt aus Chinesischem Rhabarber
Flavonoide: z. B. aus Litschi-Samen, Herbacetin, Rhoifolin, Pectolinarin, Quercetin, Epigallocatechin-Gallat und Gallocatechin-Gallat
Herbacetin, Quercetin, Isobavachalcon, 3-β-D-Glucosid und Helichrysetin
Hemmung der Spaltungsaktivität von MERS-3CLpro
wässriger Extrakt aus Houttuynia cordata
Hemmung der Aktivität von SARS-3CLpro, Blockade der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase-Aktivität (RdRp)
Immunomodulation
Emodin aus den Gattungen Rheum und Polygonum
Hemmung der Interaktion des SARS-CoV-Spike-Proteins mit dem Angiotensin Converting Enzym (ACE2)
Hemmung des 3a-Ionenkanals von SARS-CoV und von HCoV-OC43 (Humanes Coronavirus OC43)
Baicalin aus Scutellaria baicalensis
Hemmung des ACE2
Kaempferol-Derivate
Hemmung des 3a-Ionenkanals des Coronavirus
Tetra-O-galloyl-β-D-glucose und Luteolin aus Galla chinensis und Veronicalina riifolia
schnelle Bindung an das Spike-Protein von SARS-CoV
Glycyrrhizin aus Glycyrrhizae radix
Hemmung der Adsorption und Penetration des Virus
Quercetin und TSL-1 aus Toona sinensis Roem
Hemmung des Eintritts von SARS-CoV in die Zelle
Tetrandrin, Fangchinolin und Cepharanthine
Hemmung des HCoV-OC43-Spike- und Nucleocapsid-­Proteins, Immunomodulation
Saikosaponine
Prävention von HCoV-229E (Humanes Coronavirus 229E)-Infektionen im frühen Stadium, inklusive der Anbindung und Penetration des Virus
Scutellarein und Myricetin
Hemmung des nsP13-SARS-CoV-Helicase-Proteins durch Beeinflussung der ATPase-Aktivität

Quelle: Yang 2020

Drei bevorzugte Formulierungen

Die Staatliche Administration für die Traditionelle Chinesische Medizin (satcm.gov.cn) hebt drei Formulierungen bzw. Präparate für COVID-19 besonders hervor. Auf Rang 1 befindet sich die traditionelle Zubereitung „Qingfei Paidu Tang“ (Tab. 2).

Tab. 2: Zusammensetzung des „Lungenreinigungs- und Entgiftungs-Dekokts“(Qing Fei Pai Du Tang).
Ephedrae Herba, Glycyrrhizae Radix et Rhizoma Praeparata cum Melle, Armeniacae Semen Amarum, Gypsum Fibrosum, Cinnamomi Ramulus, Alismatis Rhizoma, Polyporus, Atractylodis Macrocephalae Rhizoma, Poria, Bupleuri Radix, Scutellariae Radix, Pinelliae Rhizoma Praepratum cum Zingibere et Alumine, Zingiberis Rhizoma Recens, Asteris Radix et Rhizoma, Farfarae Flos, Belamcandae Rhizoma, Asari Radix et Rhizoma, Dioscoreae Rhizoma, Aurantii Fructus Immaturus, Citri Reticulatae Pericarpium, Pogostemonis Herba

Das „Lungenreinigungs- und Ent­giftungs-Dekokt“ ist nach den ­aktuellen chinesischen COVID-19-­Behandlungsempfehlungen (Stand: 20. März 2020) aufgrund der klinischen Beobachtungen für leichte, ­mittelschwere und schwere Fälle ­geeignet. Es soll Symptome wie Fieber, Husten, Müdigkeit und Beeinträchtigungen der Lungenfunktion gebessert haben.

Das zweite ist ein Fertigpräparat mit der Bezeichnung „Jinhua Qinggan“-Granulat. Es enthält zwölf pflanzliche Komponenten und soll sich im Jahr 2009 während der H1N1-Influenza-Pandemie als nützlich erwiesen ­haben. Die dritte Formulierung mit Namen „Lianhua Qingwen“ – Kapseln/Granulat, eine ebenfalls sehr verbreitete Zubereitung zur Behandlung von Erkältungen und Grippe, ­besteht aus 13 Kräuterkomponenten. Nach neueren Forschungsergebnissen soll Lianhua Qingwen die Replikation des neuartigen Coronavirus in Vero-E6-Zellen, die mit dem Virus ­infiziert sind, signifikant hemmen und Entzündungen entgegenwirken [Li 2020].

In über 90% der Fälle wirksam

In China hat die TCM einen hohen Stellenwert. Der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge wurden die Erfolge der TCM gegen COVID-19 im Rahmen einer Pressekonferenz am 23. März 2020 in Wuhan wie folgt beschrieben: Insgesamt sollen rund 74.000 COVID-19-Patienten oder 91,5% der gesamten bestätigten Fälle auf dem chinesischen Festland mit TCM-Zubereitungen oder Fertigpräparaten behandelt worden sein. Bei über 90% der Fälle soll sich die Behandlung als wirksam erwiesen haben. Die TCM-Verschreibungen sollen die Symptome effektiv gelindert, das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt, die Heilungsrate verbessert, die Sterblichkeit gesenkt und die Genesung der Patienten gefördert haben. Soweit die chinesische Nachrichtenagentur. In China laufen aktuell rund ­fünfzig klinische Studien zur Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit von TCM-Behandlungen für COVID-19-­Patienten.

Die Autoren eines aktuellen Reviews [Yang 2020], der sich mit den Daten und Perspektiven für die TCM gegen COVID-19 befasst, hoffen angesichts der oft mäßigen Qualität der Studien mit TCM-Zubereitungen gegen das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS), dass die aktuellen klinischen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit bei COVID-19 strengere Protokolle verwenden, um die Einhaltung international akzeptabler Standards zu gewährleisten.

TCM soll auch in Europa helfen

Die TCM wird von der chinesischen Regierung nicht nur zur Bekämpfung der gesundheitlichen Folgen der Epidemie im Inland propagiert. Sie soll auch zum „Exportschlager“ werden. „China Daily“ zufolge haben chinesische medizinische Hilfsteams bereits 100.000 Kisten Lianhua Qingwen in das schwer betroffene Italien mitgenommen. Weitere europäische Zielländer sollen Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande sein. |

 

Literatur

National Administration of Traditional Chinese Medicine [Internet]. Research progress inidentification of effective formula in traditional Chinese medicine [cited 2020 February 7]. http://bgs.satcm.gov.cn/gongzuodongtai/2020-02-06/12866.html

Cui HT, Li YT, Guo LY, Liu XG, Wang LS, Jia JW, Liao JB, Miao J, Zhang ZY, Wang L, Wang HW, Wen WB. Traditional Chinese medicine for treatment of coronavirus disease 2019: a review. TMR 2020;5(2):65. doi: 10.12032/TMR20200222165

Liu X, Zhang M, He L, Li Y. Chinese herbs combined with Western medicine for severe acute respiratory syndrome (SARS). Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17;10:CD004882. doi: 10.1002/14651858.CD004882.pub3. Review

Yang Y, Islam S, Wang J, Li Y, Chen X. Traditional Chinese Medicine in the Treatment of Patients Infected with 2019-New Coronavirus (SARS-CoV-2): A Review and Perspective. International Journal of Biological Sciences 2020;16(10):1708-1717

http://german.china.org.cn/txt/2020-03/26/content_75861995.htm

Luo H, Tang QL, Shang YX, Liang SB, Yang M, Robinson N, Liu JP. Can Chinese Medicine Be Used for Prevention of Corona Virus Disease 2019 (COVID-19)? A Review of Historical Classics, Research Evidence and Current Prevention Programs. Chin J Integr Med. 2020 Apr;26(4):243-250.

Li RF et al. Lianhuaqingwen exerts anti-viral and anti-inflammatory activity against novel coronavirus (SARS-CoV-2). Pharmacological Research 2020. doi: https://doi.org/10.1016/j.phrs.2020.104761

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