Arzneimittel und Therapie

Migräne bei Kindern vorbeugen

Cinnarizin und Natriumvalproat bewähren sich in Studie

Zur Prophylaxe der kindlichen Migräne stehen bislang nur wenige Arzneistoffe zur Verfügung, der Einsatz erfolgt in der Regel off label. Nun wurden Cinnarizin und Natriumvalproat in einer randomisierten, kontrollierten, doppelblinden Studie untersucht. Mit Erfolg: Beide Arzneistoffe waren ungefähr gleich wirksam und jeweils signifikant wirksamer als Placebo.

Migräne ist bereits im Kindes- und Jugend­alter eine relevante Erkrankung. Rund 8% aller Heranwachsenden leiden unter den anfallsartigen Kopfschmerzattacken. Eine Prophylaxe wird ab vier Episoden pro Woche empfohlen oder sofern der Alltag durch die Migräne eingeschränkt ist. Vertreter der Calciumkanalblocker und Antikonvulsiva kommen bereits bei Heranwachsenden zur Migräneprophylaxe in Betracht (s. Kasten „Leitlinie setzt auf Flunarizin und Topi­ramat“).

Leitlinie setzt auf Flunarizin und ­Topiramat

Für Deutschland gibt die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Hinweise zur Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen. Generell sollte bei Kindern nichtmedikamentösen Maßnahmen der Vorzug gegeben werden, da die Wirksamkeit einer medikamentösen Migräneprophylaxe nicht zweifelsfrei belegt ist. Die Wirkung von Flunarizin (5 mg/Tag) gilt nach Einschätzung der Leit­linienautoren als gesichert: Der Calciumkanalblocker wird bei Kindern als erste Wahl im Off-Label-Gebrauch empfohlen. Außerdem hat sich das Antiepileptikum Topiramat (15 bis 100 mg/Tag) als wirksam erwiesen und ist in den USA zur Migräneprophylaxe bei 12- bis 17-Jährigen zugelassen.

Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurden nun die Sicherheit und Wirksamkeit von Cinnarizin und Natriumvalproat untersucht. Cinnarizin wirkt als Calcium-, Histamin-, Dopamin-, Serotonin- und Bradykininantagonist und ist in Deutschland in Kombination mit Dimen­hydrinat zur Behandlung von Schwindel im Handel (z. B. Arlevert®, Vertigo-Vomex® plus Cinnarizin, Generika). Natriumvalproat blockiert spannungsabhängige Natrium- sowie Calcium-Kanäle und erhöht die Konzentration von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im synaptischen Spalt. Bei Erwach­senen gilt die Wirksamkeit des Antikonvulsivums in der Migräne­prophylaxe als gut belegt.

Foto: Africa Studio – stock.adobe.com

Bei Kindern und Jugendlichen stellt die Behandlung der Migräne eine besondere Herausforderung dar.

In die dreiarmige Doppelblindstudie wurden insgesamt 158 Migränepatienten zwischen sechs und 17 Jahren randomisiert, 149 schlossen die Studie ab. Davon waren je 49 Teilnehmer in der Cinnarizin- und Placebo-Gruppe sowie 51 in der Valproat-Gruppe. In den ersten vier Wochen lernten die Teilnehmer bzw. ihre Eltern, für die gesamte Studiendauer ein Tagebuch über die Migräneepisoden zu führen. Anschließend folgte die doppelblinde Behandlungsphase für zwölf Wochen. Hier erhielten die Patienten zweimal täglich entweder Cinnarizin, Natriumvalproat oder Placebo. Als primärer Endpunkt wurden die mittleren Veränderungen der Häufigkeit und der Intensität der Migräneattacken in den letzten vier Behandlungswochen im Vergleich zum Studienbeginn bestimmt. Sekundärer Endpunkt war der Anteil an Patien­ten mit Ansprechraten über 50%. Zusätzlich wurden unerwünschte Ereignisse dokumentiert.

Alles nur Placebo?

Die vorbeugende medikamentöse Behandlung der Migräne wirkt bei Kindern und Jugendlichen in den meisten Fällen langfristig nicht besser als Placebo – zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer umfassenden Netzwerkmetaanalyse. Vermutlich ist der Placebo-Effekt bei pädiatrischen Patienten besonders stark ausgeprägt. Die Wissenschaftler werteten 23 Studien aus den Jahren 1967 bis 2018 mit über 2200 pädiatrischen Patienten aus. Untersucht wurde die Wirksamkeit von Antiepileptika, Antidepressiva, Calciumkanalblockern, Blutdrucksenkern oder Nahrungsergänzungsmitteln im Vergleich zu Placebo. Lediglich eine Prophylaxe mit Topiramat und Propranolol erwies sich kurzfristig – über einen Zeitraum von weniger als fünf Monaten – als überlegen. Langfristig konnten die Studienautoren jedoch für keine der untersuchten Therapien einen signifikanten Vorteil gegenüber Placebo feststellen. Zwar zeigte sich insbesondere für Flunarizin und Pregabalin ein Trend für eine Wirksamkeit, die deutlich über den Placebo-Effekt hinausgeht, statistisch signifikant waren die Ergebnisse aufgrund der großen Variabilität jedoch nicht.

[Literatur: Locher C et al. Efficacy, Safety, and Acceptability of Pharmacologic Treatments for Pediatric Migraine Prophylaxis: A Systematic Review and Network Meta-analysis. JAMA Pediatr 2020; doi: 10.1001/jamapediatrics.2019.5856]

Im Vergleich zum Ausgangswert verringerte sich die Häufigkeit der Migräneattacken in allen drei Behandlungsgruppen signifikant: Gegenüber Placebo traten jedoch sowohl unter Cinnarizin als auch unter Natriumvalproat signifikant weniger Migräneattacken auf. Im Schnitt konnte die Häufigkeit um 3,4 (Cinnarizin vs. Placebo) bzw. 3,1 (Natriumvalproat vs. Placebo) reduziert werden. Auch in Bezug auf die Intensität der Migräneattacken erwiesen sich Cinnarizin und Natriumvalproat einer Placebo-Behandlung als überlegen. Auf einer Skala von 0 bis 10 war die Migräneintensität unter Cinnarizin gegenüber Placebo im Schnitt um 1,5 Punkte geringer, unter Natriumvalproat betrug der Unterschied zu Placebo 1,6 Punkte. Die Anzahl der Episoden konnte bei 71% der Teilnehmer in der Cinnarizin-Gruppe, bei 66% in der Natriumvalproat-Gruppe und bei 42% im Placebo-Arm mindestens halbiert werden. Neun Teilnehmer berichteten über unerwünschte Ereignisse wie Sedierung, Übelkeit und Erbrechen, Anorexie, Schwindel, Tremor. Ein Teilnehmer der Natriumvalproat-Gruppe brach die Therapie wegen schwerer Sedierung ab.

Insgesamt erwiesen sich beide Wirkstoffe als ähnlich gut wirksam und gut verträglich. Beim Einsatz von Natriumvalproat muss jedoch die teratogene Wirkung berücksichtigt werden. Den Studienautoren zufolge könnte daher insbesondere Cinnarizin zur Langzeitprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen in Betracht kommen. |
 

Literatur

Amanat M et al. Cinnarizine and sodium valproate as the preventive agents of pediatric migraine: A randomized double-blind placebo-controlled trial. Cephalalgia. 2019; doi: 10.1177/0333102419888485

Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.). AWMF-Registernummer: 030/05; Abruf am 10. Februar 2020

Apothekerin Jutta Hupfer

Das könnte Sie auch interessieren

Migräneprophylaxe

Hilft Magnesium bei Migräne?

Was eine Supplementierung leisten kann

Migräneprophylaxe mit Magnesium?

Neuerungen betreffen vor allem die medikamentöse Prophylaxe

Leitliniengerecht gegen Migräne

Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab

Wie unterscheiden sich die Antikörper zur Migräneprophylaxe?

Aktualisierte S1-Leitlinie berücksichtigt neue Wirkstoffe und setzt auf stärkere Personalisierung

Migräne akut und vorbeugend behandeln

Eine Übersicht der Biologika zur effektiven Prophylaxe von Attacken

Wann welcher Antikörper gegen Migräne?

Frühzeitiger Einsatz von CGRP-Antikörpern bewährt sich

Migräneprophylaxe mit Erenumab

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.