Pandemie Spezial

COVID-19 bei Kindern

Diskussionen rund um das Übertragungsrisiko und einen mysteriösen Krankheitsverlauf

Seit dem 11. Mai 2020 gilt in allen Bundesländern eine erweiterte Notbetreuung in Kitas, und auch Grundschulkinder dürfen – in unterschiedlichen Konstellationen – wieder in die Klassenräume. Diese Lockerungen werfen zahlreiche Fragen auf. Werden Kinder häufiger an COVID-19 erkranken, wenn sie wieder mehr Kontakt zu Gleichaltrigen und deren Familien haben? Wie gefährdet sind Kinder mit Grunderkrankungen? Was ist von Berichten über ­Erkrankungsfälle zu halten, die dem Kawasaki-Syndrom ähneln? Sind Kinder ansteckender als Erwachsene? Zu einigen dieser Fragen gibt es bereits Studienergebnisse, weitere werden in Kürze erwartet.
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Wie stark Kinder von COVID-19 betroffen sind und welche Rolle sie bei der Verbreitung des Coronavirus spielen, ist noch nicht genau bekannt.

Laut den Auswertungen des Robert Koch-Instituts (RKI) waren in der Mehrzahl der vorliegenden Studien Kinder seltener von einer SARS-CoV-2-­Infektion betroffen. Symptome wie Atemnot, Husten und Fieber verliefen bei Kindern eher mild, und es wurden nur sehr wenige Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 beschrieben [1]. Prof. Dr. Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden, sieht als möglichen Grund für die leichteren Erkrankungen eine Kreuzimmunität. Denn Klein- und Schulkinder müssen sich häufig mit anderen Coronaviren, die banale Atemwegserkrankungen hervorrufen, auseinandersetzen [2]. Welche Rolle Kinder bei der Virusübertragung spielen, ist noch unklar. Eine Studie aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Drosten hatte kürzlich gezeigt, dass bezüglich der Viruslast bei Kindern keine wesentlichen Unterschiede zu Erwachsenen bestehen [3].

Studien mit Kindern in Baden-Württemberg und Hamburg

Die meisten Studien mit Kindern wurden bislang in China durchgeführt. Mehr Daten über die Verhältnisse in Deutschland sollen beispielsweise durch die von der Landesregierung Baden-Württemberg initiierte „Heidelberger Kinderstudie“ gewonnen werden. Federführend sind die Zentren für Infektionskrankheiten und für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg, außerdem beteiligen sich die Universitätskliniken in Freiburg, Tübingen und Ulm. Ziel ist es, aus 2000 Haushalten in Baden-Württemberg je ein Kind zwischen einem und zehn Jahren und ein Elternteil auf SARS-CoV-2-Antikörper zu untersuchen. Man erhofft sich unter anderem Daten zur Prävalenz von COVID-19 bei Kindern, insbesondere bei denen, die in Zeiten des Lockdowns im Rahmen der Notfallbetreuung mit Gleichaltrigen und Betreuern Kontakt hatten. Erste Daten werden bereits in wenigen Tagen erwartet. Sie sollen in die Entscheidungen zu Lockerungsmaßnahmen in den Schulen im Bundesland einfließen. Die gesamte Studie ist auf einen längeren Zeitraum angelegt [4].

Altersverteilung von COVID-19 in Deutschland [1]

  • < 10 Jahre: 1,8%
  • 10 bis 19 Jahre: 4,2%
  • 20 bis 49 Jahre: 43%
  • 50 bis 69 Jahre: 32%
  • 70 bis 89 Jahre: 16%
  • ≥ 90 Jahre: 2,8%

Im Hamburg wird die seit 2016 laufende Gesundheitsstudie „Hamburg City Health Study“ (HCHS) derzeit um Kinder und Jugendliche erweitert. Ärzte des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hatten bisher bereits 14.000 Hamburger zwischen 45 und 74 Jahren getestet, unter anderem auf Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Demenz. Die Erweiterung zielt darauf ab, zusätzlich zwischen 600 und 1000 Kinder zu untersuchen, um Erkenntnisse beispielsweise zur Anfälligkeit von Kindern und Jugendlichen für SARS-­CoV-2-Infektionen zu gewinnen [5].

Das Kawasaki-Syndrom

Benannt ist die Krankheit nach dem japanischen Arzt Tomisaku Kawasaki, der im Jahr 1967 50 Fälle bei Kindern publiziert hatte, die er als akutes fiebriges mukokutanes Lymphknotensyndrom bezeichnete. Die Diagnose wird gestellt, wenn zusätzlich zu hohem Fieber, das mindestens fünf Tage dauert, vier der fünf folgenden Symptome auftreten:

  • Erythem und Ödeme von Händen und Füßen, später Abschuppung
  • Schwellung der Halslymph­knoten
  • trockene, beidseitige Bindehaut­entzündung
  • polymorphes Exanthem am ­ganzen Rumpf
  • typische Veränderungen der Lippen und der Mundschleimhaut („Erdbeerzunge“, rissige Lippen)

Auslöser des Syndroms ist vermutlich eine Fehlreaktion des Immunsystems auf verschiedene Viren - Rhinoviren, Respiratory-Syncytial­(RSV)-Viren, aber auch vergleichsweise „harmlose“ Coronaviren, die banale Atemwegserkrankungen hervorrufen. Beim Kawasaki-Syndrom kann es zu Entzündungen von kleinen und mittleren Arterien (Vaskulitis) kommen, die wegen damit verbundener Dilatationen oder Aneurysmen auch noch im Erwachsenenalter zu Komplikationen führen können. Behandelt wird das Kawasaki-Syndrom mit Immunglobulinen und Acetylsalicylsäure. In Deutschland liegt die Inzidenz bei 6,4 bis 7,2 pro 100.000 Kinder unter fünf Jahren, das heißt es treten pro Jahr etwa 430 bis 500 Fälle in dieser Altersklasse auf [11 – 13].

Besondere Vorsicht bei Kindern mit Grunderkrankungen?

Ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf besteht außer bei älteren Menschen auch bei Personen mit bestimmten Vorerkrankungen. Zu den Grundkrankheiten, die für Kinder und Jugendliche relevant sein können, zählen vor allem Diabetes mellitus, chronische Lungenerkrankungen und Immunschwäche, auch durch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten wie Kortison. Laut der Arbeitsgruppe Pädiatrische Diabetologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gelten bei bestätigter oder vermuteter SARS-CoV-2-­Infektion die gleichen Empfehlungen für das Management des Diabetes wie bei anderen Virusinfekten der Atemwege. So seien häufigere Blutzuckermessungen notwendig, da bei Infektionen generell ein erhöhter Insulinbedarf zu erwarten ist. Gegebenenfalls muss die Dosis des Basalinsulins erhöht werden. Wenn der Blutzuckerspiegel trotz Korrektur dauerhaft über 14 mmol/l bzw. 250 mg/dl liegt, wird eine Testung von Blutketon oder Urinketon und gegebenenfalls eine Korrektur nach Ketoazidose-Schema empfohlen [6].

Kinder mit Allergien und Asthma

Die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e. V. (GPA) rät in einer Stellungnahme dazu, die Behandlung von allergischem Schnupfen und Asthma bronchiale mit lokalen bzw. inhalativen Wirkstoffen sowie auch die Biologika-Therapie, zum Beispiel mit Dupilumab gegen schwere Neurodermitis, in der gegenwärtigen Pandemiesituation weiterzuführen. Denn bei einer Unterbrechung könnte es zur Destabilisierung der Erkrankung kommen, die Arztbesuche notwendig mache und die Kinder damit einem höheren Infektionsrisiko aussetze, so die Gesellschaft. Auch eine spezifische Immuntherapie (SIT) könne weitergeführt werden. Neu begonnen werden sollte sie jedoch nicht, da dann zu Beginn wöchentliche Arztbesuche notwendig wären. Eine Verschiebung der spezifischen Immuntherapie um einige Wochen oder Monate hält die Gesellschaft für vertretbar. Inhalationstherapien mit Dosieraerosolen, auch mit Inhalierhilfe, oder mit Pulverinhalatoren seien aus infektiologischer Sicht unproblematisch. Dagegen sollten Feuchtvernebler aufgrund der Aerosolbildung und Verteilung in der Umgebung nur dann angewendet werden, wenn ein anderes Inhalationssystem für das jeweilige Medikament nicht geeignet ist [7].

COVID-19 und Schwangerschaft

Viele Schwangere machen sich verständlicherweise Sorgen, ob im Falle einer Infektion eine Übertragung des Virus auf das ungeborene Kind oder später beim Stillen über die Muttermilch möglich ist. Zu dieser Fragestellung gibt es bisher nur wenige Studien, nach deren Ergebnissen eine Übertragung nicht ausgeschlossen werden kann. Nach der Geburt ist auch eine Übertragung durch Tröpfcheninfektion möglich. In der Muttermilch wurde SARS-CoV-2 bisher noch nicht nachgewiesen [1]. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es international keinen Hinweis, dass Schwangere durch das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) gefährdeter sind als die Allgemeinbevölkerung. Sie sollten sich aber generell vor Infektionen schützen, da beispielsweise Fieber in der Frühschwangerschaft das Risiko für eine Fehlgeburt erhöhen kann [8].

Krankheitsfälle, die dem Kawasaki-Syndrom ähneln

In den vergangenen Tagen war eine „mysteriöse Kinderkrankheit“, die dem Kawasaki-Syndrom ähnelt und bei positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Kleinkindern auftrat, das Thema einiger Schlagzeilen. Zuletzt gab es Berichte über 64 Kinder im Bundesstaat New York [9, 10]. Auch bei Erwachsenen mit COVID-19-Infektion war über Entzündungen in den Blut­gefäßen berichtet worden, die als eine der Ursachen für schweres Lungenversagen gesehen werden. Bei den betroffenen Kindern zweifeln die Ärzte mittlerweile daran, ob es sich bei den beschriebenen Fällen um „echte“ Kawasaki-Syndrome handelt (s. Kasten „Das Kawasaki-Syndrom“). Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardio­logie und Angeborene Herzfehler ­(DGPK) sprechen in einer Stellungnahme von einem „inkompletten Kawasaki Syndrom“ bzw. einem Hyperinflammationssyndrom [13]. US-amerikanische Kinderärzte verwenden dafür seit Kurzem den Begriff „pädiatrisches Multisystem-Entzündungssyndrom“. Im Unterschied zur klassischen Kawasaki-Erkrankung wurden bei den betroffenen Kindern in Großbritannien und den USA neben Fieber, Hautausschlag und entzündeten Blutgefäßen auch Bauchschmerzen und Schockzustände beobachtet. Der Virologe Prof. Dr. Alexander Kekulé sprach sich dafür aus, dass Kinderärzte in Deutschland derartigen Symptomen angesichts der Öffnung von Schulen und Kitas besondere Beachtung schenken sollten [14].

Meldesystem für stationär behandelte Kinder

Neben den bereits genannten Studien, die Daten zur Prävalenz von COVID-19 oder zur Viruslast bei Kindern erfassen oder erfasst haben, gibt es seit Kurzem auch ein Meldesystem für stationär behandelte Kinder. Es wurde von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie eingerichtet. Laut diesem Meldesystem, in das bislang 72 medizinische Einrichtungen involviert sind, wurden in Deutschland bis Anfang Mai 130 Kinder stationär behandelt, 18 von ihnen intensivmedizinisch, ein Patient war verstorben. Bei zwei Kindern wurde gleichzeitig ein Kawasaki-Syndrom beobachtet. Unter den Patienten waren auch 13 Neugeborene im Alter bis 28 Tagen. 112 Kinder konnten bereits entlassen werden [15]. |
 

Literatur

 [1] SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand: 7. Mai 2020, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText2, Abruf am 8. Mai 2020

 [2] COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen. Interview mit Prof. Dr. Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden, www.helios-gesundheit.de/kliniken/wiesbaden-hsk/unser-haus/aktuelles/detail/news/covid-19-bei-kindern-und-jugendlichen/, Abruf am 8. Mai 2020

 [3] Jones TC et al. An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age. reddit preprint, 2020

 [4] Studie über Corona bei Kindern. Pressemeldung des Landes Baden-Württemberg vom 24. April 2020, www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/studie-untersucht-rolle-von-kindern-bei-der-verbreitung-des-coronavirus/, Abruf am 8. Mai 2020

 [5] UKE erweitert größte Gesundheitsstudie wegen Corona um Kinder. Dtsch Aebl vom 28. April 2020, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112402/UKE-erweitert-groesste-Gesundheitsstudie-wegen-Corona-um-Kinder

 [6] Aktualisierte Informationen zu SARS-CoV-2 (Coronavirusinfektion) bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes. Informationen der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD), Stand 23. April 2020, https://diabetes-kinder.de/, Abruf am 9. Mai 2020

 [7] COVID-19 bei Kindern mit allergischen Erkrankungen. Stellungnahme der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e.V. (GPA) vom 9. April 2020, www.gpau.de/mediathek/pressemitteilungen/gpa-stellungnahme-covid-19-bei-kindern-mit-allergischen-erkrankungen/, Abruf am 8. Mai 2020

 [8] FAQ für schwangere Frauen und ihre Familien zu spezifischen Risiken der COVID-19-Virusinfektion. Information des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V., Stand 20. März 2020, www.bvf.de/aktuelles/gesundheitsinformationen/artikel/news/faq-fuer-schwangere-frauen-und-ihre-familien-zu-spezifischen-risiken-der-covid-19-virus-infektion/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=a2c19dbfa82cb31423def91d8dcc1b39, Abruf am 9. Mai 2020

 [9] COVID-19: Berichte über Kawasaki-Syndrom bei Kindern. Dtsch Aebl vom 4. Mai 2020, www.aerzteblatt.de/nachrichten/112543/COVID-19-Berichte-ueber-Kawasaki-Syndrom-bei-Kindern, Abruf am 6. Mai 2020

[10] Moll D. Kawasakiähnliches Syndrom bei Kindern nun auch in den USA. DAZ.online vom 8. Mai 2020, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/05/08/kawasakiaehnliches-syndrom-bei-kindern-nun-auch-in-den-usa, Abruf am 9. Mai 2020

[11] Kawasaki-Syndrom. https://flexikon.doccheck.com/de/Kawasaki-Syndrom?utm_source=www.doccheck.flexikon&utm_medium=web&utm_campaign=DC%2BSearch, Abruf am 6. Mail 2020

[12] Kawasaki T, Naoe S History of Kawasaki disease. Clin Exp Nephrol 2014;18(2):301-314

[13] Hyperinflammationssyndrom im Zusammenhang mit COVID-19. Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK), Stand 6. Mai 2020, https://dgpi.de/stellungnahme-dgpi-dgpk-hyperinflammationssyndrom-covid-19/), Abruf am 9. Mai 2020

[14] Kekulés Corona-Kompass, Folge 44 vom 7. Mai 2020, www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/

[15] COVID-19 Aufnahme-Meldung und Entlass-Survey der DGPI. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), https://dgpi.de/covid-19-survey-der-dgpi/, Abruf am 9. Mai 2020

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin. Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fachverlage.

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