Analytik

Bis zum Dahinschmelzen

Wie funktioniert die Schmelzpunktbestimmung?

Von Kurt Grillenberger | Um die Qualität von Ausgangs­stoffen sicherzustellen, schreibt die Apothekenbetriebsordnung in § 11 zwingend vor, dass in der Apotheke bei jedem Bezug von Ausgangsstoffen die Identität nachzuweisen ist. Neben nasschemischen Nachweisreaktionen und einer Vielzahl von spektroskopischen Analysen­methoden – vor allem der IR-Spektroskopie [1] – und chromatografischen Verfahren spielt hier die Bestimmung stoffspezifischer physikalischer Kenngrößen wie der relativen Dichte, der optischen bzw. spezifischen Drehung, der Schmelztemperatur und des Brechungs­indexes eine wichtige Rolle in der Qualitätskontrolle pharmazeutisch relevanter Substanzen.
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Vor allem die Bestimmung der Schmelztemperatur, häufig auch synonym als Schmelzpunkt bezeichnet, findet sich im Europäischen Arzneibuch bei Feststoffen sowohl als Identitäts- als auch Reinheitskriterium. Die Gleichsetzung der beiden Begriffe Schmelzpunkt und Schmelztemperatur ist wissenschaftlich nicht ganz richtig. Die Schmelztemperatur bezeichnet die Temperatur, bei der ein Stoff vom festen in den flüssigen Aggregatzustand übergeht. Der Schmelzpunkt hingegen bezieht sich definitionsgemäß auf eine bestimmte Temperatur und einen bestimmten Druck und spiegelt die – im Gegensatz zur Siedetemperatur äußerst geringe –Druckabhängigkeit der Schmelztemperatur wieder. So müsste man, um den Schmelzpunkt um 1 K zu ändern, den Druck um ca. 100 bar erhöhen. Die Druck- und Temperatur­abhängigkeit der Übergänge zwischen den Aggregatzuständen eines Stoffs wird durch dessen Phasendiagramm beschrieben (siehe Abb. 1).

Aus der ziemlich steil verlaufenden Schmelzkurve wird deutlich, dass für geringfügige Änderungen der Schmelztemperatur gravierende Druckänderungen erforderlich sind. So erhöht eine Reduzierung des Drucks von Normaldruck (1013 hPa) auf 6,1 hPa den Schmelzpunkt von Wasser gerade einmal um 0,01 K.

Abb. 1: Phasendiagramm von Wasser, nach [2]

Rückschlüsse auf Identität und Reinheit

Bei einem gegebenen Druck (in der Regel Normaldruck) ist die Schmelztemperatur eine Stoffkonstante. Von daher ist die Bestimmung der Schmelztemperatur eine geeignete Methode zur Identifizierung von Substanzen. Die Zuordnung kann entweder mittels vorhandener Literaturdaten oder durch parallele Vergleichsmessung einer Referenz­substanz erfolgen.

Da Verunreinigungen in der Regel zu einer Erniedrigung des Schmelzpunkts führen, findet die Bestimmung der Schmelztemperatur auch Anwendung in der Reinheits­kontrolle von Feststoffen. Dieses auch als Gefrierpunkts­erniedrigung bekannte Phänomen stellt zum Beispiel das Wirkprinzip von Tausalzen dar, die im Winter als Streusalz die Vereisung von Verkehrswegen verhindern sollen. Auch die Herstellung von Kältemischungen, also Eis-Kochsalz-Mischungen, beruht auf diesem Prinzip.

Die verschiedenen Arzneibuchmethoden

Im aktuellen Europäischen Arzneibuch finden sich gleich drei unterschiedliche Methoden zur Untersuchung des Schmelzverhaltens von Stoffen:

  • die Bestimmung der Schmelztemperatur nach der Kapillarmethode – Ph.Eur. 2.2.14 [3]
  • die Bestimmung des Steigschmelzpunkts mit offener Kapillare – Ph.Eur. 2.2.15 [4]
  • und die Bestimmung des Sofortschmelzpunkts – Ph.Eur. 2.2.16 [5].

Im Nachtrag 6.1 zum Ph.Eur. wurde die Methode 2.2.60 „Schmelztemperatur – Instrumentelle Methode“ veröffentlicht [6]. Diese beschrieb speziell das Messprinzip der digitalen Schmelztemperaturgeräte, die als Heizquelle einen elektrisch beheizbaren Heizblock und einen Temperaturfühler verwenden. Im Ph.Eur.-Nachtrag 9.1 wurde diese Methode wieder gestrichen und mit der Methode 2.2.14 zu einem Text zusammengefasst.

Neben den Ph.Eur.-Methoden beschreibt auch der DAC noch eine Methode zur Bestimmung des Mischschmelzpunktes – DAC-Probe 3 [7].

Die mit Abstand verbreitetste dieser Methoden ist die Kapillarmethode, häufig auch als Methode nach Tottoli bezeichnet [8]. Insgesamt 262 Monographien des Ph.Eur. beschreiben diese Methode entweder zur Identitätsprüfung oder zur Untersuchung der Reinheit. Die Bestimmung des Steigschmelzpunktes findet sich in nur 16 Monographien überwiegend bei Stoffen mit wachsartiger Konsistenz. Der Sofortschmelzpunkt wird lediglich in drei Monographien gefordert.

Ursprünglich wurden bei der Kapillarmethode ein oder mehrere Glaskapillaren mit der zu prüfenden Substanz in einer Heizbad-Flüssigkeit wie Paraffin oder Siliconöl mit einer definierten Heizrate aufgeheizt und das Verhalten der Substanz visuell beobachtet. Die Schmelztemperatur definiert das Ph.Eur. als die Temperatur, „bei der das letzte feste Teilchen einer kompakten Substanzsäule in der Schmelzkapillare in die flüssige Phase übergeht“ [3].

Heute besitzen die meisten Schmelzpunktbestimmungs­geräte einen elektrisch aufheizbaren Metallblock, in dem drei oder mehr Kapillaren gleichzeitig untersucht werden können. Die Auswertung erfolgt entweder ebenfalls visuell oder häufig vollautomatisch auf optoelektronischem Weg durch Bildaufzeichnung oder durch einen photometrischen Detektor, der eine Änderung der Lichtdurchlässigkeit (Transmission) bzw. der Lichtreflexion in Abhängigkeit von der gemessenen Ofentemperatur detektiert (Abb. 2). Um die Richtigkeit der Schmelzpunktbestimmung zu gewährleisten, sollten die Geräte mindestens einmal pro Jahr, besser in kürzeren Abständen, mit entsprechenden Referenzsubstanzen kalibriert werden. Dies sollte mit mindestens drei unterschiedlichen Referenzsubstanzen erfolgen, die möglichst den gesamten Temperaturbereich des Gerätes umfassen. Wenn von Seiten des Herstellers nichts anderes vorgeschrieben ist, können die Substanzen Vanillin (82 °C), Phenacetin (135 °C) und Coffein (236 °C) verwendet werden [9]. Die United States Pharmacopeia USP schreibt die Verwendung von insgesamt sechs Referenzsubstanzen zur Kalibrierung vor. Auch bei vollautomatischen Geräten ist es von Vorteil, wenn neben dem automatischen Ablesen eine visuelle Auswertung durch ein Sichtfenster möglich ist, da insbesondere Substanzen, die unter Zersetzung schmelzen, eine optoelektronische Auswertung erschweren. Die Apparatur zur Bestimmung des Sofortschmelzpunktes besteht aus einem (mit einem Gasbrenner oder elektrisch) beheizten Metallblock [5]. Dieser wird zunächst auf 10 °C unter die zu erwartende Schmelztemperatur aufgeheizt und anschließend mit einer Aufheizgeschwindigkeit von 1 °C pro Minute weiter beheizt. In regelmäßigen Zeitabständen werden kleine Teilchen der zu analysierenden Substanz auf den Block gestreut. Die Temperatur, bei der erstmalig die Substanz sofort nach Berührung des Metallblocks schmilzt, wird als t1 notiert. Nach Beendigung des weiteren Aufheizvorgangs wird während des Abkühlens weiterhin in regelmäßigen Zeitabständen etwas Analysensubstanz auf den Block gestreut. Die Temperatur, bei der erstmals kein sofortiges Schmelzen mehr beobachtet werden kann, wird als t2 festgehalten. Der Sofortschmelzpunkt wird als arithmetisches Mittel aus t1 und t2 berechnet.

Foto: Wepa

Abb. 2: Apothekenübliche Schmelzpunktbestimmer, voll- und halbautomatisch der Firma Wepa. Links: apotec® Easy Print, rechts: apotec® MPplus

Die DAC-Methode zur Bestimmung des Mischschmelzpunktes [7] beruht auf der Tatsache, dass Verunreinigungen zu einer Absenkung des Schmelzpunktes führen (Schmelzpunkterniedrigung). Hierzu wird nach der Kapillarmethode zunächst die Schmelztemperatur der zu überprüfenden Substanz bestimmt. Im Anschluss werden etwa gleiche Mengen der Analysensubstanz und einer identischen Referenzsubstanz fein verrieben und die Schmelztemperatur dieser Mischung ebenfalls nach der Kapillarmethode ermittelt. Die Prüfung entspricht, wenn die beiden Temperatur-Werte nicht mehr als 2 K voneinander abweichen.

Bei der Bestimmung des Steigschmelzpunktes schließlich wird die wachsartige Substanz in einer auf beiden Seiten offenen Glaskapillare so lange in einem Wasserbad erhitzt, bis die zu überprüfende Substanz schmilzt und in der Glaskapillare zu steigen beginnt [4]. Auf diese Weise wird der Steigschmelzpunkt als Mittelwert aus fünf Einzel­messungen ermittelt.

Eine hilfreiche Zusammenstellung aller Schmelztemperaturen der in Monographien des Ph.Eur., des DAB sowie des DAC beschriebenen Stoffe in alphabetischer Auflistung findet sich in der Anlage M des DAC. Dieser Liste ist auch zu entnehmen, ob die Schmelztemperatur nur in der Be­schreibung der Eigenschaften erwähnt ist oder als Qualitätskriterium für Identität bzw. Reinheit gefordert wird. Und auch über die im entsprechenden Werk vorgeschrie­bene Methode (Kapillarmethode, Sofortschmelzpunkt, Steigschmelzpunkt oder Mischschmelzpunkt) gibt die Auflistung Auskunft.

Fehler vermeiden

So schnell und unkompliziert die Bestimmung der Schmelztemperatur (vor allem nach der Kapillarmethode) auch ist, gilt es doch, einige Punkte zu beachten, um fehlerhafte Ergebnisse zu vermeiden:

  • Entscheidend für gute Resultate ist eine sorgfältige und exakte Probenvorbereitung der zu prüfenden Substanz. So sind größere Kristalle zu vermeiden, da diese zu falschen Ergebnissen führen. Falls nötig, sollte die Prüfsubstanz deshalb vorher zu einem feinen Pulver ver­rieben werden.
  • Um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, sollte die fein pulverisierte Probe, falls in der Monographie nichts anders angegeben ist, vor der Bestimmung 24 Stunden lang im Vakuum über Silicagel getrocknet werden.
  • Zur Messung sollte die Substanz zu einer ca. 4 – 6 mm hohen kompakten Säule in die Glaskapillare eingefüllt werden. Dabei ist es wichtig, das fein pulverisierte Material gut zu verdichten. Dies gelingt entweder durch mehrmaliges Aufklopfen oder durch Fallenlassen der Kapillare in einem größeren Glasrohr auf eine harte Unterlage.
  • Eine anschließende gründliche äußerliche Reinigung der Kapillarröhrchen z. B. mit einem Zellstofftupfer ist wichtig, da an der Außenseite anhaftende Substanzreste die elektronische Heizeinheit des Gerätes beschädigen können.
  • Nachdem das Schmelzpunktbestimmungsgerät zunächst rasch auf eine Temperatur von etwa 5 °C unterhalb der zu erwartenden Schmelztemperatur aufgeheizt wurde, muss sich dann in einer ausreichend langsamen Aufheizrate von 1 °C pro min. der Schmelztemperatur genähert werden.
  • Nur bei extrem reinen Stoffen ist mit einer scharfen Schmelztemperatur zu rechnen. Meist beobachtet man ein Schmelzintervall von 2 bis 3 °C.
  • Bei hygroskopischen Stoffen oder bei Substanzen, die zur Sublimation neigen, kann das offene Ende der Glaskapillare nach Befüllung mit der Substanz über einer Bunsenbrennerflamme zugeschmolzen werden. Der beim Aufheizen entstehende Druck in der Kapillare verhindert die Sublimation.
  • In der Regel zeigen nur kristalline Feststoffe eine scharf definierte Schmelztemperatur. Amorphe Substanzen schmelzen über ein breiteres Temperaturintervall.
  • Zahlreiche organische Stoffe schmelzen unter Zersetzung. Dies ist erkennbar an einer Veränderung der Farbe (meist zu braun), einem Schrumpfen der Probe oder der Beobachtung einer Gasentwicklung während des Aufheizvorgangs. Die Bestimmung der Zersetzungstemperatur ist meist schlecht reproduzierbar und stark abhängig von der Geschwindigkeit des Aufheizens. Die Zersetzungstemperatur wird im Unterschied zur Schmelztemperatur mit einem nachgestellten „Z“ gekennzeichnet, beispielsweise 230 °C (Z).
  • Zu unterschiedlichen Zeiten bestimmte Schmelztemperaturen sowie Kalibrationsmessungen sind nur dann vergleichbar, wenn sie mit derselben Aufheizrate durch­geführt wurden.
  • Die Bestimmung des Schmelzpunktes zur Identifizierung einer Substanz ist nur sinnvoll, wenn der Referenzwert in der Monographie auch unter der Bestimmung der Identität – und nicht unter der Beschreibung der Eigenschaften – aufgeführt ist, da Eigenschaften keine verbindlichen analytischen Anforderungen darstellen. |
     

Literatur

[1] Grillenberger K. Den Schwingungen auf der Spur – Wie funktionieren die IR- und NIR-Spektroskopie? DAZ 2020, Nr. 17, S. 66

[2] https://www.meereisportal.de/meereiswissen/was-ist-meereis/entstehung-von-meereis/gefrierprozess-von-meereis/ (abgerufen am 26.03.2020)

[3] Europäisches Arzneibuch Ph.Eur. 9.8. Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart. Methode 2.2.14: Schmelzpunkt – Kapillarmethode

[4] Europäisches Arzneibuch Ph.Eur. 9.8. Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart. Methode 2.2.15: Steigschmelzpunkt – Methode mit offener Kapillare

[5] Europäisches Arzneibuch Ph.Eur. 9.8. Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart. Methode 2.2.16: Sofortschmelzpunkt

[6] Europäisches Arzneibuch Ph.Eur. 8. Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart. Methode 2.2.60: Schmelztemperatur – Instrumentelle Methode

[7] Deutscher Arzneimittel-Codex, Govi-Verlag Eschborn. DAC-Probe 3: Bestimmung des Mischschmelzpunktes

[8] Tottoli M, Laboratoriumsgerät zur Untersuchung des Verhaltens einer Stoffprobe. Schweiz. Pat. Nr. 320388.

[9] Tawab M, Schmelzpunktbestimmung: Richtigkeit sicherstellen. DAZ 2012, Nr. 33, S. 66

Autor

Prof. Dr. Kurt Grillenberger, Pharmaziestudium und Promotion in Erlangen; Forschungstätigkeit in der Abteilung Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Ulm; seit 1997 Dozent am Berufskolleg für PTA und an der Hochschule der Naturwissenschaftlich-technischen Akademie Prof. Dr. Grübler gGmbH; seit 2015 Rektor der nta Hochschule Isny; Lehrbeauftragter für Chemie an der Hochschule Kempten

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