Pandemie Spezial

Schwanger in Zeiten von Corona

Wie es gelingen kann, trotz berechtigter Sorgen zuversichtlich zu bleiben

Von Julia Borsch | Es gibt wohl kaum eine Zeit im Leben, die sich so gut dafür eignet, sich verrückt zu machen (oder machen zu lassen) wie eine Schwangerschaft, insbesondere wenn es die erste ist. Irgendeine Horrorgeschichte kennt jeder, und nicht alle sind in der Lage, diese für sich zu behalten. Die unendlichen Weiten des Internets und vielfältigen, teils kostspieligen Möglichkeiten der modernen Medizin machen die Sache nicht besser – im Gegenteil. Der, der es schafft, trotzdem entspannt zu bleiben, kann sich glücklich schätzen. Doch gelingt das auch trotz Corona? Ein Erfahrungsbericht.

Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, von denen man in der Schwangerschaft tunlichst die Finger lassen sollte: zum Beispiel von Alkohol, Nicotin oder bestimmten Arzneimitteln. Warum? Weil sie erwiesenermaßen dem ungeborenen Kind schaden oder zumindest ein gewisses Risiko mit sich bringen, Schäden zu verursachen. Ebenso gut belegt ist die Sachlage für bestimmte Infektionskrankheiten. Treten sie in der Schwangerschaft auf, ist das Risiko für bleibende Schäden beim Kind oder schwere Krankheitsverläufe hoch. Dazu zählen zum Beispiel die Röteln, Varizellen, Toxoplasmose oder Zytomegalie. Und auch bei der saisonalen Grippe scheinen Schwangere ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe zu haben, weswegen in der Schwangerschaft die Impfung gegen Influenza eine Standardimpfung ist.

Und wie verhält es sich mit Corona? Eine der großen Schwierigkeiten, wenn nicht sogar die größte Schwierigkeit der aktuellen Corona-Pandemie ist ja ohnehin, dass man grundsätzlich kaum etwas über das Virus weiß: Wie wird es genau übertragen? Sicher scheint die Tröpfcheninfektion, doch das ist möglicherweise nicht der einzige Weg. Was macht das Virus überhaupt im Körper, wer ist besonders gefährdet ... ? Diese Liste lässt sich lang fortsetzen.

Foto: Julia Borsch

Julia Borsch hat sich anlässlich ihrer Schwangerschaft Gedanken zur Corona-Problematik gemacht.

Bei Schwangeren weiß man aber aufgrund der geringeren Fallzahlen naturgemäß immer noch weniger als bei allen anderen. Für die werdenden Mütter ist das besonders schwierig, da sie sich ja nicht nur um die eigene Gesundheit sorgen, sondern auch um die des ungeborenen Kindes. Denn so gibt es zwar Hinweise darauf, dass keine Übertragung im Mutterleib stattfindet und Schwangere kein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben – das Gegenteil scheint der Fall zu sein –, aber abschließend erwiesen ist das alles nach aktuellem Kenntnisstand nicht. Also viele Faktoren, die zusätzlich zu allen berechtigten und unberechtigten Sorgen, die man sich in Nicht-Corona-Zeiten als Schwangere schon macht, für eine völlig unentspannte Schwangerschaft sorgen könnten. Könnten!

Kein Anlass, sich verrückt zu machen!

Denn zumindest in meinem Fall tun sie das tatsächlich nicht. Woran es liegt? Schwer zu sagen. Vielleicht spielt die Fähigkeit, sich eher von den verfügbaren wissenschaftlichen Fakten leiten zu lassen als von Emotionen, eine Rolle. Denn die geben, wie gesagt, zumindest nach aktuellem Kenntnisstand keinen Anlass, sich verrückt zu machen. Und das war zum Glück so ziemlich von Anfang an so, da es bereits aus China diesbezüglich Daten gab. Das in Kombination mit einem zum Glück ohnehin nicht zu Panik neigendem Naturell sorgt tatsächlich dafür, dass zumindest das Coronavirus selbst bzw. COVID-19 nicht für (zusätzliche) schlaflose Nächte oder Alpträume sorgen.

Muss der Vater draußen bleiben?

Was allerdings stellenweise deutlich mehr an den Nerven zerrt als die Angst vor dem Virus selbst, sind die Begleiterscheinungen – hier allen voran die Unsicherheit, dass heute keiner sagen kann, was morgen erlaubt oder verboten ist. Die Frage Nummer eins: Darf der werdende Vater mit in den Kreißsaal, oder ist man am Tag aller Tage tatsächlich auf sich allein gestellt? Zu Beginn der Pandemie war das in einigen Kliniken der Fall, in anderen nie. Mittlerweile ist man wieder davon abgekommen, unter anderem weil die Proteste zu groß waren, aber auch weil es wohl wirklich nachteilig für den Geburtsverlauf war – und weil man zu der Erkenntnis gekommen ist, dass, wenn, dann ohnehin oft beide Partner infiziert sind. Auch wenn sich das wieder gelockert hat, die Folgen sind sichtbar: Es gibt anscheinend eine steigende Nachfrage nach Hausgeburten.

Ist Besuch in der Klinik erlaubt?

Frage Nummer zwei: Darf man auf der Wochenstation Besuch bekommen? Aktueller Stand in den Krankenhäusern in Baden-Württemberg: Besuch von einer definierten Person ist erlaubt. Doch gilt das auch für die Wochenstation? Bleibt das so, wenn die Infektionszahlen wieder steigen? Was ist mit der Neugeborenenstation, falls das Kind dort behandelt werden müsste? Keine Ahnung, und was heute gilt, kann morgen wieder anders sein.

Was ist mit der Nachsorge?

Frage Nummer drei: Was ist mit der Nachsorge? Wird die Hebamme kommen dürfen? Vielleicht will sie ja auch gar nicht? Insbesondere beim ersten Kind hat es etwas ziemlich Beruhigendes zu wissen, dass man nach der Geburt zu Hause nicht alleine ist, sondern jemand kommt, der einem hilft. Aber klappt das auch? Oder kommt die Hebamme in Schutzkleidung à la Outbreak? Auch eine eher gruselige Vorstellung.

Und die Großeltern?

Nächste Frage: Was ist mit den Großeltern? Unterstützung durch die eigene Mutter im Wochenbett (und vielleicht auch schon während der Schwangerschaft) ist unbezahlbar. Besuch von den Eltern ist in Baden-Württemberg aktuell erlaubt. Aber man setzt sie natürlich dadurch auch einem gewissen Risiko aus. Will man das?

Angst vor dem Arztbesuch

Man hört auch, dass Schwangere nicht zur Vorsorge gehen aus Angst vor einer Ansteckung. Das ist tatsächlich für mich wenig nachvollziehbar, beim Gynäkologen sind ja nicht unbedingt akut Kranke. Die engmaschige Kontrolle der Schilddrüsenwerte – bei entsprechender Vorerkrankung in der Schwangerschaft unerlässlich – macht allerdings der Hausarzt. Dessen Wartezimmer sucht man in Corona-Zeiten schon weniger gern auf.

Behörden auf Sparflamme

Dazu kommt, dass derzeit alle Be­hörden und Ämter auf Sparflamme arbeiten. In diesem Bereich ist die ­Digitalisierung in Deutschland auf Steinzeitniveau, für viele Anliegen muss man persönlich aufschlagen bzw. man müsste es, wenn man einen denn ließe. Und so ist bei eigentlich leicht lösbaren Formalien, wie die vorgeburtliche Anerkennung der ­Vaterschaft und eine gemeinsame Sorgerechtserklärung, lange nicht klar, ob das rechtzeitig klappt (es hat geklappt). So etwas ist man zumindest in Deutschland nicht gewohnt. Verwaltung läuft hierzulande – ­eigentlich.

Geburtsvorbereitung, aber wie?

Dazu kommt eine ganze Reihe von Dingen, die sich vermutlich unter „Luxusprobleme“ verbuchen lassen, aber nerven tun sie dennoch: Reihenweise werden die Geburtsvorbereitungskurse abgesagt – wegen Corona. Keine Frage, man bringt ein Kind auch so auf die Welt, aber wäre doch nice to have, auch wegen des Austauschs mit anderen Schwangeren. Bis kurz vor knapp war nicht klar, ob er stattfindet oder nicht. Er fand statt – online via Live-Stream. Größte Herausforderung: die selbst in Großstädten oft wackelige Internetverbindung. Es war auf jeden Fall das Beste aus der Situation gemacht, aber sicher nicht dasselbe wie vor Ort. Auch sämtliche Sportangebote haben sich ins Internet verlagert; Fitness- und Yogastudios sowie Hebammen haben sich hier größte Mühe gegeben, die Lücken zu füllen. Aber allein im stillen Kämmerlein ist dann doch was anderes als im Austausch mit anderen. Und die Schwangerensportart schlechthin, die auch wirklich bis zum Schluss machbar ist – Schwimmen – ist aktuell ein Ding der ­Unmöglichkeit. Wann Schwimmbäder wieder für den Regelbetrieb, also ­außerhalb von Schwimmkursen, ­öffnen, ist auch tatsächlich noch nicht klar.

Weitere „Luxusprobleme“

Shoppen fürs Baby? Geht zwar jetzt wieder, mit Maske und Auflagen aber nur der halbe Spaß. Also landet man doch im Netz. Der Paketbote hasst uns vermutlich. Noch einmal Urlaub ohne Kind? Wegen Corona leider gecancelt. Den Mutterschutz nutzen, um Freunde zu besuchen? Nicht erlaubt und vermutlich auch einfach nicht empfehlenswert. Aber das fällt, wie gesagt, eher in die Kategorie Luxusprobleme.

Und wenn das Kind da ist?

Glücklicherweise gibt es bislang auch keine Hinweise, die Neugeborene als besondere Risikogruppe ausweisen. Dennoch macht man sich Gedanken darüber, ob man wirklich nach der Geburt in den ersten Wochen Besuch bekommen sollte. Was mit Rückbildung, Babymassage etc. ist, vermag heute wohl niemand zu sagen. Bleibt die Hoffnung, dass wenn sich dann irgendwann die Frage nach der Kita stellt, sich die Lage wieder normalisiert hat. Aber sicher wissen tut das auch niemand, denn die aktuelle Welle könnte zumindest Experten zufolge eher nicht die letzte gewesen sein. Vieles wird wohl davon abhängen, wann ein Impfstoff zur Verfügung steht. Wie bei vielen anderen Dingen im Zusammenhang mit Corona gilt aber hier auch, keiner weiß heute, was morgen sein wird. Sicher ist nur eins: Das Kind wird sich wohl bis in alle Ewigkeit Geschichten über die ungewöhnlichen Umstände seiner Geburt anhören dürfen. |

Autorin

Julia Borsch, Apothekerin und Chefredakteurin von DAZ.online

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