Pandemie Spezial

Streit über Infektionspotenzial von Kindern

Neue Auswertung der „Drosten“-Studie: Geringeres SARS-CoV-2-Übertragungsrisiko nicht bewiesen

Welche Rolle Kinder bei der Verbreitung von Coronaviren spielen, ist nach wie vor nicht genau bekannt. Darüber wird nach wie vor heftig gestritten. Ein wichtiger Grund: eine von der Arbeitsgruppe des Berliner Virologen Prof. Dr. Christian Drosten vorab publizierte Studie. Eine unbefriedigende Situation auch für die Politiker, die beispielsweise über einen möglichen Übergang zum Normalbetrieb an Schulen ab dem kommenden Schuljahr entscheiden sollen.
Foto: vectorfusionart – stock.adobe.com

Die umstrittene Studie war am 29. April 2020 als Vorabversion (Preprint) mit dem Titel „Eine Analyse der SARS-CoV-2-Viruslast in Abhängigkeit vom Alter der Patienten“ auf der Website des Instituts für Virologie der Berliner Charité publiziert worden und sofort öffentlich publik geworden. Einen Peer-Review-Prozess hatte sie nicht durchlaufen.

In dieser Studie hatte Drostens Arbeitsgruppe Proben aus der Nasen- und Rachenschleimhaut von 3712 SARS-CoV-2-Infizierten mittels Real-Time PCR (RT-PCR) ausgewertet. Die Teilnehmer waren in zehn Altersgruppen zu je zehn Jahren (0 bis 10, 11 bis 20, …, 91 bis 100 Jahre) eingeteilt worden, um diese paarweise vergleichen zu können. Dabei ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied der Viruslasten.

Das Fazit der Wissenschaftler: „Kinder können genauso infektiös sein wie Erwachsene.“ Dieser Schlussfolgerung widersprachen andere Wissenschaftler. Professor Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, forderte Drosten sogar auf, die Studie wegen methodischer Mängel zurückzuziehen. Zu den Kritikpunkten zählte ­unter anderem, dass bereits die Art der Probennahme, die mit Tupfern ­erfolgte, sehr ungenau gewesen sei. Auch die Probennahme zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Erkrankung – nach bisherigen Erkenntnissen nimmt die Viruskonzentration im Blut einige Tage nach Infektion deutlich ab – sei problematisch. Nicht zuletzt schätzen die Kritiker die Stichprobe als viel zu klein ein.

Revision ohne neue Aussage

Die Arbeitsgruppe um Drosten über­arbeitete daraufhin die Untersuchung und publizierte am 2. Juni 2020 eine neue Version, in der sie die statistischen Methoden zum Teil ausgetauscht hatte. So wurden jetzt 3303 Sars-CoV-2-­Infizierte nur noch in die Gruppen 0 bis 6 Jahre, 0 bis 19 Jahre und Erwachsene (über 20) eingeteilt. Das Fazit liest sich deutlich zurückhaltender als in der ersten Version, ohne grundsätzlich anders zu sein. Es sei unwahrscheinlich, dass Kinder nicht so infektiös sein könnten wie Erwachsene („In particular, there is little evidence from the present study to support suggestions that children may not be as infectious as adults “). Auch die Empfehlung an die Politik fiel dezenter aus. Hatten die Wissenschaftler in der ­ersten Version noch vor einer kom­pletten Wiederaufnahme des Schul- und Kitabetriebs gewarnt, empfehlen sie jetzt, die Öffnung durch präventive Tests zu begleiten.

Art der Diskussion angeprangert

Die Kontroverse zwischen den Wissenschaftlern hatte sich schließlich bis in die sozialen und Publikums-Medien ausgeweitet, persönliche Angriffe auf Drosten inklusive. Dies veranlasste die Gesellschaft für Virologie (GfV) zu einer Stellungnahme, in der sie forderte, dass „die Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse und Meinungen in den Medien … immer sachlichen Kriterien folgen (sollte).“ Die GfV bedauert es, dass „Teile der deutschen Presse ­sowie einige wenige Diskutanten auf öffent­lichen Internetforen die sachliche Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nutzen konnten, um persönlich erscheinende Konflikte hervorzurufen und diese für eigene Zwecke wie etwa die Steigerung von Zugriffszahlen zu instrumentalisieren.“ Dadurch werde der Eindruck einer zerstrittenen Wissenschaftsgemeinschaft erweckt und das Vertrauen in die Wissenschaft geschmälert. |

Literatur

Jones TC et al. An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age. https://virologie-ccm.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc05/virologie-ccm/dateien_upload/Weitere_Dateien/analysis-of-SARS-CoV-2-viral-load-by-patient-age-v2.pdf (Fassung vom 30. April 2020), Abruf am 8. Juni 2020

Jones TC et al. An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age. Preprint, https://virologie-ccm.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc05/virologie-ccm/dateien_upload/Weitere_Dateien/Charite_SARS-CoV-2_viral_load_2020-06-02.pdf (überarbeitete Version vom 2. Juni 2020), Abruf am 8. Juni 2020

Kekulé, A. Die Statistik neu zu berechnen, kann die aktuelle Arbeit nicht retten. https://www.tagesspiegel.de/wissen/drosten-studie-zur-ansteckung-von-kindern-die-statistik-neu-zu-berechnen-kann-die-aktuelle-arbeit-nicht-retten/25866488.html, Abruf am 8. Juni 2020

Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie (GfV) zur aktuellen Diskussion um wissenschaftliche Studien in den Medien vom 3. Juni 2020, https://www.g-f-v.org/sites/default/filesStellungnahme
%20GfV%20zur%20aktuellen%20Diskussion%20um%20wissenschaftliche%20Studien%
20in%20den%20Medien%2003062020.pdf, Abruf am 8. Juni 2020

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.