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Beratung

Schlaflos im Alter

Warum Doxylamin und Diphenhydramin keine Selbstmedikationsoption mehr sein sollen

Selbstmedikation bei älteren Patienten kann schwierig sein. Neben häufigeren Begleiterkrankungen und Arzneimittelwechselwirkungen können auch ein verlangsamter Stoffwechsel und eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion dafür sorgen, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen in dieser Gruppe vermehrt auftreten. Bei sedierenden Antihistaminika der ersten Generation (Doxylamin, Diphenhydramin) kann dies eine erhöhte Gefahr von Stürzen und kognitiven Einschränkungen bedeuten. Daher hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfohlen, Doxylamin und Diphenhydramin für Patienten ab 65 Jahren der Verschreibungspflicht zu unterstellen.

Viele ältere Menschen haben Probleme mit dem Schlaf. In einigen Erhebungen klagen bis zu 50% der Senioren über Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen. Viele Sedativa werden für ältere Menschen aber nicht empfohlen. Daher ist es wichtig zu ergründen, wann eine medikamentöse Behandlung angebracht ist und welche Alternativen es gibt.

Was sind Schlafstörungen?

Die DSM-5 definiert Schlafstörungen als Unzufriedenheit mit der Schlaf­qualität oder -quantität, verbunden mit Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen oder frühmorgendlichem Erwachen mit der Unfähigkeit, wieder einzuschlafen. Diese Probleme müssen mindestens drei Nächte pro Woche über drei Monate auftreten und zu klinisch relevantem Leiden oder Einschränkungen im sozialen, ausbildungs- und beruflichen Leben oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen. Einzelne schlaflose Nächte gelten also nicht als Schlaf­störung.

Schlafstörungen haben eine hohe klinische Relevanz. Neben den direkten Auswirkungen wie Erschöpfung und verminderter Leistungsfähigkeit sind sie auch Risikofaktoren für eine Reihe weiterer Erkrankungen. Insomnien erhöhen langfristig das Risiko für Herzinfarkte, Herzversagen und Bluthochdruck. Außerdem sind Patienten mit Schlafstörungen häufiger übergewichtig und haben ein höheres Diabetes­risiko. Weitere Zusammenhänge sind für neurologische und psychiatrische Erkrankungen, vor allem Depressionen, bekannt.

Wie verändert sich das Schlafverhalten im Alter?

Ältere Menschen haben von Natur aus eine kürzere Schlafdauer als jüngere, und sie verbringen weniger Zeit im REM- und Tiefschlaf. Während Kinder 10 bis 14 Stunden täglich schlafen, verkürzt sich der Schlaf auf 6,5 bis 8,5 Stunden bei jungen Erwachsenen und danach langsam auf 5 bis 7 Stunden bei Menschen ab 60 Jahren. Zudem verlagert sich das gesamte Schlafgeschehen. Das bedeutet, dass ältere Menschen häufig früher einschlafen und entsprechend früh aufwachen. Darüber hinaus fallen externe Zeitgeber, wie feste Arbeitszeiten oder Mahlzeiten, für Menschen im Ruhestand oft plötzlich weg, was die Einhaltung eines regelmäßigen Schlafrhythmus erschweren kann.

Wie entstehen Schlafstörungen?

Das sogenannte 3-P-Modell zur Entstehung von Schlafstörungen unterscheidet zwischen prädisponierenden (predisposing), auslösenden (precipitating) und aufrechterhaltenden (prolonging) Faktoren. Zu den prädisponierenden Faktoren gehören bei älteren Menschen weibliches Geschlecht, niedrigeres Bildungs- und Einkommensniveau, Rauchen, Alkoholgenuss und wenig körperliche Aktivität. Ebenso sind geschiedene, getrennt lebende oder verwitwete Personen häufiger betroffen als verheiratete. Auslösende Faktoren sind neben Stress vor allem Arzneimittel und Erkrankungen, die vielfach im Alter vorkommen. So leiden Menschen mit chronischen Nieren- oder Magen-Darm-Erkrankungen, chronischen Schmerzen, Herz- und Lungen-Erkrankungen, malignen Erkrankungen, Polyneuropathien oder Schlaganfall öfter an Schlafstörungen. Substanzen wie Alkohol und andere Rauschmittel, aber auch Antidementiva, Blutdruck- und Asthmamedikamente sowie Diuretika können den Schlaf negativ beeinflussen.

Akute Insomnien treten sehr häufig auf und bilden sich meist schnell zurück, nachdem der Auslöser (z.B. Stress) wegfällt. Wenn aufrechterhaltende Faktoren dazukommen, kann die Störung des Schlafverhaltens dagegen chronisch werden. Viele Patienten mit Schlafstörungen setzen maladaptive Coping-Strategien ein. Unter diesem Begriff werden unangemessene Reaktionen wie Erdulden, Vermeiden und Überkompensation verstanden. Dazu gehören eine Verlängerung der nächtlichen Bettzeit oder ein Mittagsschlaf zum Ausgleich des Schlafverlustes. Dadurch wird jedoch der Schlafdruck reduziert und der Schlafrhythmus durcheinandergebracht. Auch Ängste vor Schlaflosigkeit können zu einem Teufelskreis mit erhöhter kognitiv-emotionaler und psychophysiologischer Erregung sowie Unter-Druck-Setzen der eigenen Person werden und unabhängig von der ursprünglichen Ursache zur Chronifizierung beitragen.

Bedenkliche Sedativa

Mehr als ein Viertel der Arzneistoffe auf der Priscus-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen fällt in die Kategorie der Sedativa oder Hypnotika. Auch die bislang rezeptfrei verfügbaren Antihistaminika Doxylamin und Diphenhydramin stehen auf der Priscus-Liste. Schlaf- und Beruhigungsmittel verringern die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen und können damit das Sturzrisiko bei Älteren erhöhen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der verlangsamte Stoffwechsel im Alter und Begleiterkrankungen bei der Dosierung nicht ausreichend beachtet werden. Zudem können anticholinerge Effekte die Gedächtnisleistung verschlechtern. Dieses Nebenwirkungspotenzial zusammen mit der Gefahr der Toleranzentwicklung schon bei kurzer Anwendung brachten den Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht zu der Empfehlung, Doxylamin und Diphenhydramin für Menschen ab 65 Jahren der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Wann hier eine Entscheidung getroffen wird, ist noch unklar. Für die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht ist eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) notwendig. Die Verordnungen zur Änderung der AMVV werden normalerweise zweimal jährlich (im Februar/März und im September/Oktober) vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (zuständig für Tierarzneimittel) unter Zustimmung des Bundesrates erlassen. Da das Bundesgesundheitsministerium in der Regel den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses folgt, ist zu vermuten, dass die Verschreibungspflicht für Doxylamin/Diphenhydramin ab 65 Jahren mit der nächsten AMVV-Änderung im Herbst eingeführt wird. Allerdings sind Verzögerungen des Verfahrens bedingt durch die Corona-Pandemie vorstellbar.

Therapiealternativen

Viele Sedativa gelten als nicht geeignet für ältere Menschen. So warnen die Autoren der Priscus-Liste neben Doxylamin und Diphenhydramin auch vor vielen Benzodiazepinen und den sogenannten Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon). Stattdessen werden als medikamentöse Alternativen Baldrian, sedierende Antidepressiva, Opipramol oder niedrigpotente Neuroleptika empfohlen. Somit ist die Selbstmedikation von Schlafstörungen im Alter nur sehr eingeschränkt möglich. Pflanzliche Präparate auf der Basis von Extrakten aus Baldrian, Melisse und Passionsblume werden von der EMA aufgrund von traditioneller Anwendung bei Schlafstörungen empfohlen. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) sieht für die Wirksamkeit dieser Phytopharmaka allerdings keine ausreichende Evidenz. Erschwert wird die Beurteilung der Wirksamkeit von Hypnotika durch die relativ hohe Placebo-Responserate bei Schlafstörungen. In einer aktuellen groß angelegten Analyse erreichte diese 63,5% der Ansprechrate von Benzodiazepinen in Bezug auf sowohl subjektive als auch objektiv gemessene Schlafparameter.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Statt Pharmakotherapie empfiehlt die DGSM in der Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ als Mittel der ersten Wahl bei Erwachsenen eine kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie (KVT-I). Diese besteht aus Entspannungsmethoden, Psychoedukation, Methoden der Schlaf-Wach-Strukturierung sowie kognitiven Techniken, die z.B. nächtliches Grübeln reduzieren sollen.

Zu den Entspannungstechniken gehören sowohl körperliche als auch geistige Techniken. Zur körperlichen Entspannung eignet sich beispielsweise die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Dabei werden bestimmte Muskelgruppen nacheinander bewusst angespannt und danach wieder gelöst. Dadurch soll die Körperwahrnehmung verbessert und bewusste Entspannung erleichtert werden. Für die gedankliche Entspannung werden Achtsamkeitstechniken (z.B. bewusste Wahrnehmung des Atems) oder Visualisierungstechniken wie Ruhebilder oder Phantasiereisen empfohlen.

Der Psychoedukation, also der Aufklärung über Schlaf und Schlafstörungen, kommt eine besondere Bedeutung zu. Fundierte Informationen können Betroffenen helfen zu erkennen, wie verhaltenstherapeutische Ansätze wirken und dass durch die Schlafhomöo­stase nach schlechten Nächten auch wieder gute zu erwarten sind. Zudem sollten Maßnahmen zur Schlafhygiene vermittelt werden (s. Kasten „Regeln für einen gesunden Schlaf“).

Regeln für einen gesunden Schlaf

  • nach dem Mittagessen keine Coffein-haltigen Getränke (Kaffee, Schwarztee, Cola) mehr trinken
  • Alkohol weitgehend vermeiden und keinesfalls als Schlafmittel einsetzen
  • keine schweren Mahlzeiten am Abend
  • regelmäßige körperliche Aktivität
  • allmähliche Verringerung geistiger und körperlicher Anstrengung vor dem Zubettgehen
  • ein persönliches Einschlafritual einführen
  • im Schlafzimmer für eine angenehme Atmosphäre sorgen (ruhig, verdunkelt)
  • in der Nacht nicht auf den Wecker oder die Armbanduhr schauen

[S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der DGSM]

Die Methoden der Schlaf-Wach-Strukturierung bestehen in erster Linie aus Stimuluskontrolle und Bettzeit­restriktion. Erstere sollen helfen, die Assoziation zwischen Wachheit und der Schlafstätte zu lösen. Dazu wird der Patient angehalten, das Bett ausschließlich zum Schlaf zu nutzen. Das bedeutet, nur ins Bett zu gehen, wenn man schläfrig wird, und dort nicht zu lesen, fernsehen, rauchen oder ähnliches. Bei Einschlafschwierigkeiten soll der Patient wieder aufstehen und in einem anderen Raum einer ruhigen Tätigkeit nachgehen, bis er schläfrig wird. Zudem sollte die Aufstehzeit immer gleich sein (auch am Wochenende). Die Bettzeitrestriktion folgt der Grundidee, den Schlafdruck durch eine Verkürzung der nächtlichen Bettzeit und Verzicht auf Tagschlaf zu erhöhen. Dafür wird die subjektiv erlebte Schlafzeit über zwei Wochen dokumentiert und die Bettzeit auf diese Zeit reduziert. Verbessern sich der Tiefschlafanteil sowie die Einschlaf- und Durchschlafanteile dadurch wesentlich, kann versucht werden, die Bettzeit schrittweise wieder zu erhöhen.

Kognitive Interventionen (s. Kasten „Kognitive Techniken gegen Grübeln“) dienen zur Durchbrechung von Gedankenschleifen und Veränderung schädlicher Überzeugungen zum Thema Schlaf. Statt unproduktiver Grübelei können auf dem „Gedankenstuhl“ Ideen zur Problemlösung generiert werden, damit die Gedanken an diese Probleme nicht in der Einschlafphase auftreten. Über Umstrukturierung dysfunktionaler Gedanken („Wenn ich nicht genug Schlaf bekomme, bin ich nicht leistungsfähig genug“) soll der Teufelskreis der Ängste vor Schlafstörungen durchbrochen werden.

Kognitive Techniken gegen Grübeln

Gedankenstuhl: Bei dieser Technik soll für das Nachdenken über potenziell belastende Themen, über die man sonst häufig nachts grübelt, ein bestimmter Ort und Zeitraum eingeplant werden. Dafür sucht man sich einen ruhigen Platz innerhalb der Wohnung (aber außerhalb des Schlafzimmers), an dem man täglich für eine kurze Zeit (15 bis 20 Minuten) seine Gedanken sortieren und Probleme bewusst aufarbeiten kann. Notizen sind dabei erlaubt.

Kognitive Umstrukturierung: Hier geht es darum, negative und dysfunktionale Gedankenkreisläufe zu erkennen und bewusst umzuformulieren, zu widerlegen oder zu „ent-katastrophisieren“. Dabei helfen Informationen zu physiologischen Veränderungen des Schlafverhaltens und zu individuellen Unterschieden im Schlafbedarf, Schlafprobleme rational zu beurteilen.

Paradoxe Intention: Um den Druck beim Einschlafen zu nehmen, kann es helfen, sich bewusst das Gegenteil vorzunehmen. Dafür legt man sich mit offenen Augen in die typische Schlafposition und versucht, so lange wie möglich wach zu bleiben. Viele Menschen schlafen dann in kürzester Zeit ein.

Für die kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie ist eine langfristige Effektivität über mehrere Jahre nachgewiesen. Dies betrifft sowohl die Einzel- als auch die Gruppentherapie. Ebenso gibt es gute Evidenz für internetbasierte Programme, die bei entsprechender Ausstattung und Interesse auch älteren Menschen empfohlen werden können. |

Literatur

Riemann D. Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen - Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“, S3-Leitlinie Somnologie, 27. Februar 2017

Holt S. Priscus-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen, 01.02.2011

Ergebnisprotokoll der 82. Sitzung des Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesministerium für Arzneimittel und Medzinprodukte (BfArM), 23. Januar 2020

Medikamente im Alter: Welche Wirkstoffe sind ungeeignet? Informationen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), Stand: Februar 2017, www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Medikamente_im_Alter.pdf

Patel D. Insomnia in the Elderly: A Review. Journal of Clinical Sleep Medicine 2018;1514(6):1017–1024

Apothekerin Sarah Katzemich

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