Arzneimittel und Therapie

Was nicht krank macht, härtet ab

Über den Versuch, mit Helminthenlarven Asthma und Co. einzudämmen

Etlichen Krankheiten wie Asthma, Neurodermitis und multipler Sklerose liegt ein entgleistes Immun­system zugrunde. Mittels Verabreichung von Helminthen versucht man, das Immunsystem wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Spanische Wissenschaftler haben versucht herauszufinden, mit welchem molekularem Mechanismus die Würmer in das Immunsystem eingreifen. Aus diesen Erkenntnissen sollen anschließend Behandlungsoptionen abgeleitet werden.

In den letzten Jahrzehnten konnte in den Industrieländern, vor allem unter Stadtbewohnern, eine starke Zunahme von Allergien, Autoimmunerkrankungen und chronisch entzündlichen Erkrankungen gesehen werden.

Arbeitsloses Immunsystem

Die sogenannte Hygienehypothese, auch Bauernhofhypothese genannt, geht davon aus, dass das kindliche Immunsystem aufgrund der zunehmenden Hygienemaßnahmen in der Bevölkerung viel weniger Kontakt mit bakteriellen, viralen und parasitären Erregern hat als noch vor einigen Jahrhunderten. Das Immunsystem wird also in dieser Lebensphase nicht trainiert. In der Folge werden eigentlich harmlose Stoffe wie Blütenpollen oder sogar eigenes Gewebe vom Immunsystem angegriffen. Bis in das letzte Jahrhundert waren es vor allem Darmparasiten, die den Menschen begleitet haben. Um im menschlichen Körper überleben zu können, haben die Parasiten dabei etliche Mechanismen entwickelt, z. B. durch Modulation des Immunsystems. Daher verwundert es nicht, wenn die medizinische Forschung durch die gezielte Gabe von Helminthen (Eingeweidewürmern) versucht, das entgleiste Immunsystem wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und dadurch das Krankheitsgeschehen bei betroffenen Asthmatikern, Heuschnupfen-, Morbus-Crohn- und Multiple-Sklerose-Patienten zu verbessern.

Eicosanoide im Fokus

Eicosanoide sind wichtige Mediatoren, die an vielen physiologischen und pathologischen Prozessen im Körper beteiligt sind – besonders prominent: ihre Beteiligung bei Entzündungsreaktionen. Sie entstehen bei Bedarf aus ihrer Vorstufe, der Arachidonsäure. Diese wird entweder auf dem Cyclo­oxygenase-Weg zu Prostaglandinen oder über den 5-Lipoxygenase-Weg zu Leukotrienen verstoffwechselt (siehe Abbildung). Leukotriene vom Typ 4 (z. B. LTC4, LTD4 und LTE4) sind als Schlüsselmediatoren der Typ-2-Inflammation maßgeblich an der Auslösung von Asthma beteiligt. Sie werden auch „slow-reacting substances of anaphylaxis“ genannt, da sie zwar verzögert, aber dafür sehr stark bronchokonstriktorisch wirken. Im Gegensatz dazu kann Prostaglandin E2 allergische Entzündungen und Asthmasymptome unterdrücken. Aktuell gibt es keine Therapeutika, die gegen Eicosanoide wirken. Bei allergischem Asthma sind daher symptomatische Behandlungen mit Cortison und bronchodilatierenden Arzneistoffen Mittel der Wahl.

Abb.: Der Arachidonsäure-Metabolismus: Membranphospholipide werden mittels der Phospholipase A2 zu Arachidonsäure umgesetzt. Über den 5-Lipoxygenase-Weg werden aus der Arachidonsäure anschließend proinflammatorische Leukotriene gebildet. Alternativ bilden die Cyclooxygenasen 1 und 2 (COX1, COX2) Prostaglandine, die entweder pro- oder antiinflammatorisch wirken können.

Mit Helminthen gegen die Entzündung

Die Studienlage zu Helminthen als Heilmittel gegen Entzündungen ist inkonsistent. Wie genau eine Wurm­behandlung im Körper wirkt, ist noch unbekannt. Bislang nahm man an, dass es bei der Verabreichung ausgewählter Würmer zu einer Reduktion der Typ-2-Inflammation kommt, zum Beispiel durch Induktion regulatorischer T-Zellen. Auch wird ein Einfluss auf Interleukin-33 (IL-33), Lymphozyten oder Makrophagen diskutiert.

Eine neu veröffentlichte Studie will aufzeigen, welche Auswirkungen die Stoffwechselprodukte von Würmern auf das komplexe System der Eicosanoide haben. Beforscht wurden Larvenprodukte von Heligmosomoides polygyrus bakeri (HpbE). HpbE ist ein unter Mäusen natürlich vor­kommender Parasit. Von ihm ist ­bekannt, dass er allergische Atemwegsentzündungen in Mäusen unterdrücken kann.

Die Larven von HpbE interferieren dabei mit der natürlichen Antwort des Immunsystems auf die bei Asthma relevanten Typ-2-Inflammationen.

Da steckt der Wurm drin ...

Foto: Vidady – stock.adobe.com

Zur Diagnosestellung einer multiplen Sklerose (MS) lassen sich mithilfe von Magnetresonanztomografie typische T2-hyperintense Läsionen in der weißen Hirnsubstanz detektieren. In der Vergangenheit war in zwei kleinen nicht-kontrollierten Studien gezeigt worden, dass nach Einnahme eines apathogenen Schweinepeitschenwurms die Anzahl der Läsionen zurückging. Andere Studien kamen zu gegenteiligen Ergebnissen. Jetzt wurde in einer randomisierten Placebo-kon­trollierten Studie die Wirksamkeit von Hakenwürmern (Necator armicanus) bei Patienten mit schubförmig remittierender multipler Sklerose untersucht. 71 MS-Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, die Hälfte bekam ein Gazeverband, der mit 25 Larven gespickt war, mindestens 30 Minuten um den Unterarm gebunden, die andere Hälfte einen leeren Gazeverband. Durch einen Gentest der Stuhlprobe wurde die Wurminfektion verifiziert. Insgesamt wurde die Wurmtherapie ohne schwere Nebenwirkungen gut von den Probanden vertragen. Als primärer Endpunkt konnte nach neun Monaten kein statistisch signifikanter Unterschied in der Gesamtzahl an Läsionen zwischen der Larven-Gruppe (154) und der Placebo-Gruppe (164) gefunden werden. Nach einer statistischen Post-hoc-Analyse ergab sich allerdings, dass mehr Patienten in der Verumgruppe (51%) keine aktiven Läsionen aufwiesen als in der Placebo-Gruppe (28%). Mit 5 Schüben in der Wurmgruppe traten auch weniger Krankheitsschübe auf als in der Kontrollgruppe (11 Schübe). Insgesamt können die Ergebnisse jedoch nicht als Erfolg gewertet werden, da kein signifikanter Vorteil im primären Endpunkt erzielt wurde.

Von LOX zu COX

Die Forscher um de los Reyes Jiménez konnten zeigen, dass es durch die Gabe der Helminthen zu einem Eicosanoid-Switch kommt: Zum einen wird der 5-Lipoxygenase-Weg unterdrückt und gleichzeitig der Cyclooxygenase-Weg induziert. Die Forscher lösten zunächst bei Mäusen mittels Hausstaubmilben allergische Atemwegsentzündungen aus. Anschließend verabreichten sie den Tieren intranasal einen Extrakt von infektiösen Helminthen-Larven (HpbE). Als Folge wurde eine deutlich abgeschwächte allergische Atemwegsentzündung im Mausmodell erkenntlich. In einem weiteren Versuch wurden menschliche Makrophagen ex vivo mit dem Larvenextrakt behandelt. Die HpbE-gesteuerte Induktion des Cyclooxygenase-Weges führte auch hier zur gesteigerten Produktion von entzündungshemmenden Mediatoren wie Prostaglandin E2 (PGE2) und Interleukin-10 (IL-10). Zusätzlich wurde die Chemotaxis der Makrophagen und Granulozyten unterdrückt. Die Tests bei Blutprodukten von Patienten mit „Aspirin-Asthma“ (engl. Aspirin exacerbated respiratory disease AERD) verliefen ebenfalls vielversprechend: Auch hier hob HpbE die Chemotaxis von Granulozyten auf. Bei AERD-Patienten wird durch die Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika die Cyclooxygenase gehemmt, und es kommt gleichzeitig zu einer Verschiebung des Arachidonsäure-Stoffwechsels auf die Leukotrienseite.

Target für die Zukunft?

Die Forscher um de los Reyes Jiménez haben bei ihrer Suche nach neuen Ansätzen zur Bekämpfung von Eicosanoid-induzierten Typ-2-Inflammationen mit dem Larvenextrakt von HpbE einen vielversprechenden Kandidaten gefunden. In den verschiedenen Versuchen zeigte HpbE eine breite immunregulatorische Wirkung in unterschiedlichen myeloischen Zelltypen. Bemerkenswert ist, dass HpbE von einem Mausparasiten abstammt, aber weitgehend überschneidende entzündungshemmende Wirkungen auf Eicosanoide und Granulozyten-Aktivierung in menschlichen Zellen zeigte (ex vivo). Auf der Grundlage von HpbE als wichtiges Eicosanoid-modulierendes Target könnte nun die Entwicklung eines neuen wurmbasierten therapeutischen Enzyms mit einem einzigartigen immunregulatorischen Profil starten. Es bleibt spannend. |

Literatur

De los Reyes Jiménez M, et al. An anti-inflammatory eicosanoid switch mediates the suppression of type-2 inflammation by hel­minth larval products. Science Translational Medicine 2020;12(540):eaay0605

Geisslinger et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie, klinische Pharmakologie, Toxikologie. 11. Auflage, Stuttgart. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2020

Tanasescu R et al. Hookworm Treatment for Relapsing Multiple SclerosisA Randomized Double-Blinded Placebo-Controlled Trial. JAMA Neurology 2020. doi:10.1001/jamaneurol.2020.1118

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

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