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Pandemie Spezial
Corona-Zeit ist Fake-News-Zeit
Gegengewicht zu Falschnachrichten schaffen
Infodemie
Im Februar 2020 erklärte der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) zur Infodemie. Unter Infodemie fallen die schädlichen Effekte vielfach verbreiteter Falschnachrichten, die im Informationszeitalter insbesondere über die sozialen Medien erfolgen. Was laut Ghebreyesus zurzeit mehr denn je benötigt wird, ist eine zeitnahe Verbreitung von vertrauenswürdigen und validen Informationen. Diese stellen präventive Maßnahmen gegen die „Krankheit der Panik“ dar [1]. Eine der von der WHO daraufhin ergriffenen Maßnahmen sind die sogenannten Myth Busters in englischer Sprache. Hier werden mit ansprechenden Grafiken Mythen rund um COVID-19 entlarvt (s. Abb. 1).
Was versteht man nun genau unter Falschnachrichten oder Fake-News? Dies sind falsche, manipulierte oder verzerrte Aussagen, die keine satirische oder parodistische Absicht verfolgen. Falschnachrichten lassen sich erst sicher so bezeichnen, nachdem sie geprüft wurden [2]. Eine Datenanalyse der deutschen Faktencheck-Plattform correctiv zeigt: In der Corona-Krise ist Youtube die am häufigsten gemeldete Quelle für fragwürdige Informationen. Gleichzeitig ist Whatsapp der wichtigste Verbreitungskanal: Ein Drittel der Nutzer gab an, die möglichen Falschnachrichten dort erstmals gesehen zu haben [14].
Chloroquin-Selbstmedikation und ihre Konsequenzen
Eine durch Falschnachrichten ausgelöste Einnahme von Hydroxychloroquin kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben: In einem Fallbericht aus China wird eine Patientin beschrieben, die Selbstmedikation mit Hydroxychloroquin-Tabletten betrieb (1,8 g in 24 Stunden). In der Folge entwickelte die Patientin psychische Störungen und Herzrhythmusstörungen. Die Patientin musste stationär auf einer Intensivstation behandelt werden [3]. Diese möglichen gesundheitlichen Folgen konnten im CIRS-Fallbericht (siehe Kasten „CIRS-Fall-Nr. 210418“) durch Eingreifen der Apotheke verhindert werden.
CIRS-Fall-Nr. 210418: Durch Falschnachrichten induzierte Selbstmedikation mit Hydroxychloroquin
Was ist passiert?
Ein Patient hatte zu Hause noch einen Vorrat an Hydroxychloroquin-Tabletten zur Malaria-Behandlung. Diese waren während eines Urlaubs nicht aufgebraucht worden. Durch Berichte in den sozialen Medien hat er gehört, dass Hydroxychloroquin vor COVID-19 schützen soll. In der Apotheke spricht er an, dass er jetzt beginnen möchte, die Hydroxychloroquin-Tabletten zur COVID-19-Prophylaxe einzunehmen.
Was war das Ergebnis?
Durch das Gespräch in der Apotheke und den Verweis auf die Risiken (z. B. schwere Herzrhythmusstörungen) bei gleichzeitiger unklarer Wirksamkeit nimmt der Patient Abstand von seinem Vorhaben.
Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?
Fake-News und verzerrte Informationen zu „Wunderarzneien“ im Kontext von COVID-19 verunsichern Patienten und können die Patientensicherheit gefährden. Hier können das gezielte Gespräch und das Verbreiten von validen Informationen helfen. Zur Verbreitung sollten die Apotheken auch ihre sozialen Medien einsetzen: Beiträge z. B. des Bundesministeriums für Gesundheit oder der Facebook-Serie der Apothekerkammer Westfalen-Lippe „Fakten statt Fake-News“ können geteilt werden.
In der COVID-19-Pandemie zeigt sich auch, dass Aussagen von politischen „Vorbildern“ mit großer Reichweite verheerende Auswirkungen haben können: Im März sprach US-Präsident Trump davon, dass Hydroxychloroquin eine sofortige Behandlungsoption ist, obwohl die Evidenzlage noch sehr löchrig ist. Dies führte zu Hamsterkäufen, starken Preiserhöhungen und auch Überdosierungen in Malariaregionen in Afrika und Asien. Lieferengpässe führten dazu, dass Patienten mit gesicherten Indikationen wie Lupus erythematodes nicht mit diesem Arzneimittel versorgt werden konnten [4]. Inzwischen nimmt Donald Trump das Arzneimittel Hydroxychloroquin auch selbst zur COVID-19-Prophylaxe ein. Auf Nachfrage nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Nutzen einer solchen Prophylaxe behauptete Trump zuletzt, er habe dazu viele Anrufe bekommen, und viele Ärzte und Krankenschwestern nähmen es auch vorsorglich ein [5]. Hydroxychloroquin wird gerade im Rahmen randomisierter Studien u. a. durch die von der WHO initiierte SOLIDARITY-Studie auf seine Wirksamkeit bei COVID-19 untersucht. Der Behandlungsarm mit Hydroxychloquin bei Krankenhauspatienten wurde in der SOLIDARITY-Studie inzwischen vorzeitig beendet. Eine Zwischenauswertung konnte keine stichfesten Beweise für eine Senkung der Mortalität durch Hydroxychloquin liefern [6, 13].
CIRS-NRW
CIRS-NRW steht für Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich um ein internetgestütztes Berichts- und Lernsystem zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung. CIRS-NRW soll dazu beitragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sind Partner von CIRS-NRW – gemeinsam mit den Ärztekammern, den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Medikationsprozess aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler sowie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Das sektoren- und professionsübergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW ist in Deutschland einzigartig. Kritische Ereignisse aus der Apotheke können unter www.cirsmedical.de/nrw berichtet werden.
Vitamin D als Beispiel für ein „Wundermittel“
Derzeit gibt es keine speziellen Schutzimpfungen oder Medikamente gegen COVID-19. Wie nicht anders zu erwarten, wird dennoch im Internet und den sozialen Medien die Wirksamkeit verschiedener „Wundermittel“ propagiert, das heißt von Präparaten mit vermeintlicher Wirksamkeit in verschiedenen therapeutischen Bereichen. Vitamin D wird z. B. eine Stärkung des Immunsystems zugesprochen, womit es z. B. einer Virusinfektion vorbeugen soll. Untersuchungen konnten allerdings bei üblichen Virusinfektionen dafür keine eindeutige Bestätigung finden. Ob Vitamin D einen Schutz gegen das neuartige Coronavirus bietet, wurde bisher nicht untersucht. Das erscheint aber aufgrund des aktuellen Wissensstandes als nicht plausibel. Viele verhaltenspräventive Maßnahmen wie z. B. regelmäßiges richtiges Händewaschen zur Eindämmung der Pandemie funktionieren nur, wenn sie von einem möglichst großen Teil der Bevölkerung umgesetzt werden. Falschnachrichten über vermeintliche „Wundermittel“ können das Vertrauen in solche Maßnahmen untergraben, ihre Umsetzung gefährden und so die Kontrolle des Infektionsgeschehens behindern.
Strategien zur Bekämpfung der Infodemie – was können Sie in der Apotheke tun?
Die öffentliche Apotheke hat eine zentrale Rolle in der Bekämpfung der Infodemie. Die klare Botschaft an alle Patientinnen und Patienten lautet: Im Moment gibt es keinen Impfstoff oder andere Arzneimittel zur Prävention oder Behandlung von COVID-19. Wenn Patienten Symptome wie Husten, Fieber und Erschöpfung verspüren, sollen sie frühzeitig ihren Arzt involvieren. Ganz wichtig: Vermeiden Sie blindes Vertrauen in „Wundermittel“ [8].
Nutzen Sie neben dem persönlichen Gespräch in der Apotheke auf jeden Fall auch die sozialen Medien als Kanal. Die Fake-News-Expertin Claire Wardle von der Harvard Universität gibt folgenden Hinweis: „Der beste Weg, Falschnachrichten zu bekämpfen, ist, die Welt mit validen Informationen zu fluten. Diese sollten leicht zu verstehen, attraktiv und auf mobilen Endgeräten einfach zu teilen sein [9]. Hierunter fallen auch die beliebten Statusmeldungen, z. B. bei Facebook und WhatsApp. Teilen Sie Faktenchecks speziell im Zusammenhang mit COVID-19. Aktiv sind hier journalistische Organisationen (z. B. correctiv.org, DPA-Faktencheck), Einrichtungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (z. B. Tagesschau.de, #Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks), wissenschaftliche Einrichtungen (z. B. Cochrane Österreich: medizin-transparent.at) und Regierungseinrichtungen (z. B. Bundesministerium für Gesundheit) [2]. Auch die Apothekerkammer Westfalen-Lippe liefert mit der Facebook-Serie „Fakten statt Fake-News“ ansprechende Beiträge, die über die sozialen Medien der Apotheken geteilt werden können [10]. Hier steht im Vordergrund, Unwahrheiten zu bekämpfen und dabei heiß angepriesene, aber wirkungslose „Wundermitteln“ zu entlarven (s. Abb. 2). |
Literatur
[1] NN. COVID-19: fighting panic with information. Lancet 2020;395(10224):537, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30379-2
[2] Umgang mit Falschnachrichten in Medien: Eine Übersicht über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Falschnachrichten bei COVID-19. Informationen des Kompetenznetz Public Health COVID-19, Stand: 12. Mai 2020, www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/2020_05_11_Factsheet_Fake_News-V1.pdf
[3] Liu S, Luo P, Tang M, Hu Q, Polidoro JP, Sun S, Gong Z. Providing pharmacy services during the coronavirus pandemic. International Journal of Clinical Pharmacy 2020;42:299-304
[4] Donald Trump: a political determinant of covid-19 BMJ 2020; 369, doi: https://doi.org/10.1136/bmj.m1643 BMJ 2020;369:m1643 BMJ 2020;369:m1643
[5] US-Präsident Trump nimmt Hydroxychloroquin als Prophylaxe ein. Deutsches Ärzteblatt online vom 19. Mai 2020, www.aerzteblatt.de/nachrichten/113002/US-Praesident-Trump-nimmt-Hydroxychloroquin-als-Prophylaxe-ein
[6] Nochmals: Hydroxychloroquin oder Chloroquin bei COVID-19 bedenklich? blitz-a-t vom 26. Mai 2020, www.arznei-telegramm.de/html/2020_06/2006509_01.html
[7] Meixner J. Unterstützt Vitamin D das Immunsystem gegen Corona und andere Viren? www.medizin-transparent.at/vitamin-d-und-das-immunsystem-was-stimmt
[8] Zheng S, Yang L, Zhou P, Li H, Liu F, Zhao R. Recommendations and guidance for providing pharmaceutical care services during COVID-19 pandemic: A China perspective. Research in Social and Administrative Pharmacy online 26. März 2020, https://doi.org/10.1016/j.sapharm.2020.03.012
[9] Caulfield T. Pseudoscience and COVID-19 — we’ve had enough already: The scientific community must take up cudgels in the battle against bunk. Nature online 27. April 2020, doi: 10.1038/d41586-020-01266-z
[10] Müller C. Apothekerkammer Westfalen-Lippe: Fakten gegen Fake-News bei Corona. Deutsche Apotheker Zeitung online vom 28. April 2020, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/04/28/fakten-gegen-fake-news-bei-corona
[11] DeJong C, Wachter RM. The Risks of Prescribing Hydroxychloroquine for Treatment of COVID-19 - First, Do No Harm. JAMA Intern Med online 29. April 2020, doi:10.1001/jamainternmed.2020.1853
[13] „Solidarity” clinical trial for COVID-19 treatments. Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Update: 6. Juli 2020, www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/global-research-on-novel-coronavirus-2019-ncov/solidarity-clinical-trial-for-covid-19-treatments
[14] Echtermann A. Datenanalyse: Nutzer finden fragwürdige Corona-Informationen vor allem auf Youtube und verbreiten sie über Whatsapp. Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft gemeinnützige GmbH, 12. Mai 2020, https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/05/12/datenanalyse-nutzer-finden-fragwuerdige-corona-informationen-vor-allem-auf-youtube-und-verbreiten-sie-ueber-whatsapp
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