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Reisepharmazie
„Ein durchaus beträchtlicher Schutz“
Mit einer Kombination aus Lebendimpfstoff und Chloroquin die Malaria besiegen
DAZ: Nach großen Erfolgen im Kampf gegen die Malaria in den vergangenen Jahrzehnten stiegen die Fallzahlen jüngst wieder an. Um das Ziel der Weltgemeinschaft zur Ausrottung der Krankheit bis 2030 noch zu erreichen, ruhen die Hoffnungen nun auf einem Impfstoff. Zu Recht?
Kremsner: Die Hoffnung ist berechtigt. Hätte man eine Impfung, die sehr gut wirksam ist, dann hätten wir eine Chance, mit einem konzertierten Einsatz dieses Mittels die Malaria massiv einzudämmen – vielleicht eines Tages auszurotten.
DAZ: Die Suche danach begann vor mehr als 30 Jahren. Warum dauert die Entwicklung so lange?
Kremsner: Eine antiparasitäre Impfung ist kein Kinderspiel. Bei der Malaria haben wir es nicht mit einem Virus wie bei Ebola oder COVID-19 zu tun, bei dem nur ein oder zwei Antigene als Ziel für eine Impfung infrage kommen. Das hätte man schnell exprimiert. Bei der Malaria ist es sehr viel komplexer. Da haben wir mindestens 5000 Gene, Exone und einige 100 Antigene, die infrage kommen. Und vielleicht kennen wir die wichtigsten noch gar nicht.
DAZ: Weil Plasmodium falciparum,der tödlichste Malaria-Parasit, seine Oberflächenproteine im Laufe seiner Entwicklung immer wieder ändert, müsste ein perfekter Impfstoff den Parasiten in unterschiedlichen Stadien angreifen. Ist ein solcher Ansatz realistisch?
Kremsner: Grundsätzlich ist die Idee gut, mehrere Antigene in den Fokus zu nehmen, die alle unterschiedlichen Entwicklungsstadien repräsentieren. Aber ob man das jemals testen kann, ist die Frage. Insofern bin ich skeptisch.
DAZ: Die beiden vielversprechendsten Vakzin-Kandidaten, die im Vor-Erythrozytenstadium des Protozoenparasiten ansetzen und dessen Eintritt in die Leber verhindern sollen, wurden in Tübingen mitentwickelt. Wie weit sind Sie mit der Entwicklung?
Kremsner: RTS,S ist der Impfstoff, bei dem der Zulassungsprozess bisher am weitesten vorangeschritten ist. Er hat eine positive Einschätzung der European Medicines Agency (EMA) erhalten, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Implementierstudien zugelassen, die seit 2019 in Kenia, Malawi und Ghana laufen, aber noch hat der Impfstoff es nicht ganz bis zur Zulassung geschafft. Mit Plasmodium-falciparum-Sporozoiten (PfSPZ) sind wir an der zweiten Position. Da sollen die Zulassungsstudien noch in diesem Jahr beginnen.
DAZ: Worin unterscheiden sich die beiden Ansätze?
Kremsner: Unser Ansatz mit Plasmodium-falciparum-Sporozoiten ist eigentlich nicht besonders innovativ, sondern eher altbacken. Wie bei der Masern- oder Windpockenimpfung nehmen wir die Erreger, wie sie sind, und schwächen sie durch Gammabestrahlung oder den Wirkstoff Chloroquin ab. Das funktioniert sehr gut. RTS,S nutzt hingegen das Circumsporozoiten-Protein von Plasmodium falciparum, also das Hauptoberflächenantigen, in Kombination mit dem Hepatitis-B-Oberflächenantigen HBsAg und Adjuvanzien. Es ist also gleichzeitig auch eine gute Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus.
DAZ: Die Weltgesundheitsorganisation lobt das Potenzial von RTS,S im Kampf gegen die Krankheit, die jedes Jahr mehr als 400.000 Menschen tötet – die meisten davon sind Kinder in Afrika. Allerdings bietet die Vakzine nur in vier von zehn Fällen Schutz. Mit Plasmodium-falciparum-Sporozoiten erreichen sie eine Schutzwirkung von mehr als 80%.
Kremsner: Dabei muss man bedenken, dass das Ganze abhängig ist von der Dauer der Beobachtung. Beim Sporozoiten-Impfstoff reden wir über einen Beobachtungszeitraum von zwei bis drei Monaten. Das ist das, was wir für die Reisemedizin wollen. Der Impfstoff RTS,S war von vornherein für den Einsatz bei afrikanischen Kindern bestimmt. Nach vier Jahren ist dieser Impfstoff nur mehr zu 35% wirksam.
DAZ: Ein enttäuschendes Ergebnis?
Kremsner: Nein, es ist sogar ein sehr gutes Ergebnis. Nicht so, wie wir uns das gewünscht haben, aber es ist ein erster Schritt und zeigt zum ersten Mal, dass es möglich ist, eine Impfung gegen Parasiten beim Menschen zu etablieren. Außerdem: Eine Verhinderung der Malariafälle von rund 40 Prozent über einen Beobachtungszeitraum von etwa vier Jahren ist schon eine durchaus beträchtliche Reduktion der Malariafälle.
DAZ: Aber wenn die Wirkung nach vier Jahren schwindet, müsste den Geimpften doch die Semi-Immunität – ein durch immer wiederkehrende Infektionen aufgebauter, natürlicher Impfschutz – fehlen. Droht ihnen danach schwere Malaria?
Kremsner: Das ist theoretisch möglich und wurde auch in einer Studie gezeigt. Die war aber maximal übertrieben. Die natürliche Immunisierung, die wir in Afrika sehen, wenn ein Kind durch überstandene Infektionen semi-immun wird, sehen wir – vielleicht ein bisschen abgeschwächt – bei dieser Impfung auch. Die Kinder werden ja trotzdem gestochen und infiziert. Vielleicht wird dadurch das Immunsystem immer wieder aufgefrischt. Aber das wissen wir nicht genau.
DAZ: In den Studien zu RTS,S fanden sich Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Meningitis sowie zerebraler Malaria und eine höhere Sterberate von Mädchen. Gibt es dafür eine Erklärung?
Kremsner: Die ursprünglichen Analysen haben keine irgendwie geartete Sicherheitsproblematik im Vergleich zu den Kontrollimpfungen gezeigt. Da gab es gar nichts. Aber in Posthoc-Analysen haben wir diese sehr dezent und nur in Subgruppen auftauchenden Fälle gefunden. Ich würde sagen, es ist Zufall. Wenn man nach sehr vielen Dingen sucht, findet man auch etwas. Bei Meningitis zum Beispiel gab es eine sehr auffällige Häufung, die aber keine Cluster hatte. Wir können uns das nicht erklären. Auch, weil es nicht nur ein Meningitis-Erreger gewesen ist. Bei einem würde ich sagen: Jetzt aber Obacht! Aber es waren zu viele: Listerien, Meningokokken, Pneumokokken, Staphylokokken. Es ist nur schwer erklärbar, warum das so sein sollte.
DAZ: Angesichts des nur partiellen Schutzes von RTS,S bei geschätzten Entwicklungskosten von bislang 700 Millionen Dollar sagen Kritiker wie ihr Kollege Adrian Hill von der Universität Oxford, anstatt weiteres Geld in RTS,S zu stecken, sollten die Mittel lieber für aussichtsreichere Vakzinkandidaten verwendet werden – etwa das von ihm mitentwickelte R21.
Kremsner: Das ist übrigens das gleiche wie RTS,S – das identische Antigen. So eine Chuzpe muss man erst mal haben. Demnächst werden wir, so ist der Plan, den R21-Impfstoff mit einem attenuierten Sporozoitenimpfstoffkandidaten Kopf an Kopf in Tübingen testen. Verblindet natürlich.
DAZ: Hill trifft aber einen Nerv: RTS,S hat als erster aussichtsreicher Kandidat die Aufmerksamkeit großer Förderer wie der Bill und Melinda Gates Foundation auf sich gezogen. Eine vergleichbare finanzielle Unterstützung dürften die folgenden Vakzinkandidaten nicht erfahren.
Kremsner: Es gibt jetzt nur noch sehr wenig Geld für Malariaimpfstoffe von der Gates Foundation. Um nicht zu sagen: fast keines mehr. Oder nur für andere Ansätze wie z. B. transmissionsblockierende Ansätze, die von der Idee her nicht schlecht sind. Aber wie man die Transmissionsinhibition im Feld wirklich messen will, ist mir schleierhaft.
DAZ: Mit GMZ2 haben Sie an einem Impfstoff gearbeitet, der den Parasiten nicht wie die anderen vor dem Eintritt in die Leber angreift, sondern erst im Blutstadium. Wie weit ist denn hier die Entwicklung?
Kremsner: Der Impfstoff GMZ2 zielte auf die asexuellen Parasiten ab und war ein hoffnungsvoller Ansatz. Diese rekombinante Protein-Vakzine hat sich aber als nicht sehr wirksam herausgestellt. Insofern haben wir diesen Ansatz jetzt aufgegeben.
DAZ: Damit konzentrieren Sie Ihre Anstrengungen nun auf Plasmodium-falciparum-Sporozoiten. Wann rechnen Sie mit einer Zulassung?
Kremsner: Wenn es mit dem Ansatz klappt, den wir jetzt verfolgen, und mit der schnellen Zulassung, wie es das Paul-Ehrlich-Institut und die EMA angekündigt haben, dann könnte es in zwei Jahren so weit sein, dann könnten wir den Impfstoff RTS,S sogar überholen.
DAZ: Der Impfstoff hilft erst einmal nur Reisenden aus Europa und den USA in Endemiegebieten. Könnte er irgendwann den Menschen in Afrika helfen?
Kremsner: Natürlich. Die Studien in unserer Partnereinrichtung in Lambarene in Gabun laufen ohnehin schon. Aber wir brauchen mehr Geld für noch längere Studien. Es wird also bestimmt noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis man die entsprechenden Zulassungen für Afrika erhält.
DAZ: Herr Professor Kremsner, herzlichen Dank für das Gespräch! |
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