... auch DAZ noch

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern

Der sonderbare Meinungswandel der Katharina J.

cr |  Wie rasant in der gehypten Start-up-Szene Positionen und Standpunkte über den Haufen geworfen werden, wenn der Geldsegen lockt, zeigt die jüngste TeleClinic-Transaktion: Mitte Juli wurde der Telemedizin-Anbieter aus München für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag von der DocMorris-Mutter Zur Rose gekauft. Dabei hatte TeleClinic, damals Kooperationspartner von apotheken.de, noch bis vor Kurzem mit Verve gegen aus­ländische Versender gewettert.

Ja, so schnell kann’s gehen: Heute singt die TeleClinic-Geschäftsführerin (neudeutsch: CEO) Katharina Jünger zusammen mit Zur Rose-Chef Walter Oberhänsli das hohe Lied Rendite-getriebener Versandhandelsvisionen und schwadroniert über digitale Plattformen unter einem (Kapital-)Dach, das allen Playern im Gesundheits­wesen offenstehen soll – Fremdbesitzverbot hin, Edikt von Salerno her.

Vor-Ort-Apotheken in Deutschland als neue Partner von DocMorris/Zur Rose/TeleClinic? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ob dem neuen Trio Infernal jemand auf den Leim geht? Das Gesundheitsportal des Deutschen Apotheker Verlags - apotheken.de – jedenfalls hatte nach Bekanntgabe der Transaktion die Zusammenarbeit mit der TeleClinic mit sofortiger Wirkung beendet. Aber lassen wir die TeleClinic-CEO Katharina Jünger selbst zu Wort kommen:

Vorher

„Bei TeleClinic sind wir davon überzeugt, dass es beim eRezept und der weiteren Digitalisierung der Arzneimittelversorgung nationale Lösungen geben sollte – auch ohne europäische Großkonzerne. Denn wir sehen deutlich die Vorteile für die Patienten: Nur in Apotheken können die Patienten schnell beraten werden und ihr Arzneimittel beziehen. Eine Kooperation mit ausländischen Versandhändlern kommt für uns deswegen nicht infrage – die Versorgungsnachteile für den Patienten sind einfach zu groß. Gerade bei dringenden medizinischen Fällen oder wenn man den Weg zur Arzt­praxis nicht schafft – und deswegen die TeleClinic kontaktiert – ist es wichtig, auch schnell an Arzneimittel zu kommen. Das ist mit EU-Versendern wie DocMorris nicht möglich.“

Und weiter:

„Wettbewerber aus dem Ausland verschicken die digitalen Rezepte an Versandapotheken im Ausland. Da ist eine sofortige Abholung noch in der Nacht natürlich nicht möglich. Da muss sich jeder selbst fragen, was mit seinen Daten passiert und warum er sich bewusst dafür entscheidet, nicht TeleClinic und damit einen deutschen Anbieter mit angebundenen Apotheken in Deutschland zu nutzen.“

(„Teleclinic bekennt sich zu Vor-Ort-Apotheken“, Artikel auf DAZ.online vom 5. Dezember 2019)

„DocMorris ist für viele Apotheken in Deutschland aus verschiedenen Gründen ein Dorn im Auge. Deshalb war für uns von vornherein klar: Wir brauchen den Apotheker vor Ort und [müssen dafür sorgen], dass er zufrieden ist. Deshalb können wir nicht mit DocMorris zusammenarbeiten.“

(„Geschichtentaxi“ auf DAZ.online vom 9. März 2020)

Nachher

„TeleClinic hat sich für Patienten und Ärzte als eine wertvolle und gerne genutzte Erweiterung der Gesundheitsversorgung etabliert. Darüber hinaus gibt sie Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, ihre Expertise flexibler und orts­unabhängiger anzubieten. Wir freuen uns sehr, dass TeleClinic zu einem integralen Bestandteil des digitalen Gesundheitssystems der Zur Rose-Gruppe in Deutschland und Europa wird.“

(Medienmitteilung zur Übernahme der Teleclinic durch die Zur Rose Group am 16. Juli 2020)

„Wir haben uns nach ausführlichen Überlegungen für diesen Schritt entschieden, da wir überzeugt sind, dass es der richtige Schritt ist, um in den nächsten Jahren weiterhin erfolgreich unsere Vision voranzutreiben.“

(Katharina Jünger gegenüber dem bisherigen Kooperationspartner apotheken.de, der daraufhin die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung beendete)

„Ich kenne den CEO von DocMorris schon viele Jahre, und wir waren immer wieder in Gesprächen. Wir teilen dieselbe Vision […] DocMorris hat vor einem Jahr einen Strategiewechsel hingelegt. […] Das war der Punkt, an dem ich dachte, dass DocMorris doch gut zu uns passen könnte. Wir haben in den vergangenen Monaten gemerkt, dass unsere Costumer Journey nicht beim Arzt aufhört, sondern beim Medikament. Denn bei der Hälfte unserer Fälle brauchen Kunden ein Medikament. Daher müssen wir diesen Teil auch kontrollieren. Das hätte aber bedeutet, dass wir neben dem Arztmarktplatz noch einen für Apotheken aufbauen müssten, und das wäre irgendwann zu komplex und teuer geworden.“

(Interview mit „Gründerszene“ vom 17. Juli 2020) |

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