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Kehrtwende bei Cannabidiolstatus

EU-Kommission bringt Einstufung als Betäubungsmittel ins Spiel

hb | Ist bald Schluss mit dem seit Jahren boomenden Cannabidiolmarkt, mit diffusen Heilversprechen und Winkelzügen der Hersteller? Eigentlich sollte die Novel-Food-Verordnung den Markt nachhaltig regulieren. Um diese scheint sich jedoch bislang kaum ein Hersteller zu scheren. Trotz fehlender Zulassung tummeln sich die Produkte weiter auf dem Markt. Nun setzt die EU-Kommission zu einer überraschenden Kehrtwende an. Sie zieht die BtM-Trumpfkarte.

Im Gegensatz zu Cannabis und Cannabisharz sowie Extrakten und Tinkturen von Cannabis fällt das nicht rausch­erzeugende Cannabidiol namentlich nicht unter das UN-Einheitsabkommen von 1961 über die Betäubungsmittel. Für die Einstufung in die vier Tabellen (Schedules) des Einheitsabkommens sind die UN-Suchtstoffkommission (Committe on Narcotic Drugs, CND) und die Weltgesundheitsorganisation zuständig, die entsprechende Empfehlungen abgibt. Im Jahr 2018 hatte sich die WHO erstmals eingehend mit dem medizinischen und dem Gefährdungspotenzial von Cannabis und „related substances“ befasst und kam zu dem Schluss, dass ein internationales Verbot von reinem Cannabidiol als Suchtstoff nicht gerechtfertigt sei.

WHO visiert Lockerungen an

Im Januar 2019 übermittelte die WHO dem UN-Generalsekretär dann sechs Vorschläge für Umgruppierungen innerhalb der Produktgruppe.

Cannabis und Cannabisharz sollten aus der Tabelle IV des UN-Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel gestrichen werden, in die die gefährlichsten Substanzen fallen, und in Tabelle I mit einer geringeren Kontrollintensität heruntergestuft werden. Cannabis­extrakte und -tinkturen sollten aus Tabelle I gestrichen werden. Zu dem Eintrag von Cannabis oder Cannabisharz in Tabelle I soll es eine Fußnote geben, wonach Zubereitungen, die hauptsächlich Cannabidiol und nicht mehr als 0,2 Prozent THC enthalten, komplett von der internationalen Kontrolle ausgenommen sein sollen. Die Weichen sollten demnach klar in Richtung „Lockerung“ gestellt werden. Damit gibt es aber für die Produkte noch lange keinen Freibrief für die „grenzenlose“ Vermarktung als Lebensmittel.

Foto: Elroi – stock.adobe.com

Produkte auf der Basis von Cannabidiol drängen seit einiger Zeit verstärkt auf den Markt. Ihr rechtlicher Status ist allerdings nach wie vor unklar.

Cannabidiol als zulassungspflichtiges Novel Food

Im Januar 2019 hatte die Europäische Kommission Cannabinoide in den Novel-Food-Katalog der EU aufgenommen. Hiernach sollen Cannabinoid-haltige Extrakte aus Cannabis sativa L. und andere Produkte, denen solche Extrakte als Zutat zugesetzt werden (z. B. Hanfsamenöl mit CBD) als neu­artig eingestuft werden, ebenso wie die Einzelsubstanz Cannabidiol (CBD), und zwar auch in synthetischer Form. Sie müssen damit eigens zugelassen werden. Ob ein konkretes Produkt als Novel Food einzustufen ist oder nicht, muss stets im Einzelfall geprüft werden, wobei die Beweislast beim Hersteller liegt.

Mittlerweile sollen bei den EU-Behörden mehr als 50 Anträge für die Zulassung von aus Hanf gewonnenen Produkten, insbesondere CBD, als neuartige Lebensmittel vorliegen. Bislang sollen erst drei Produkte mit synthetischem Cannabidiol die Validierungsphase überstanden haben. Entscheidungen gibt es noch nicht.

Novel-Food-Anträge liegen auf Eis

Für Produkte mit Cannabidiol, das aus der Hanfpflanze gewonnen wurde, hat sich kürzlich eine völlig neue Situation eingestellt. Die Prüfung ihrer Anträge wurde ausgesetzt und die Antragsteller wurden in einem Schreiben über eine „vorläufige Schlussfolgerung der EU-Kommission“ informiert, wonach Produkte aus industriellen Sorten von Cannabis sativa L., und somit auch CBD als Betäubungsmittel im Sinne des UN-Einheitsabkommens von 1961 über die Betäubungsmittel einzustufen sein sollen. Unter dieser Prämisse kämen sie nach dem Lebensmittelrecht der EU als Lebensmittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr infrage. Dies würde die ganze Novel-Food-Antragstellung zur Makulatur machen. Offensichtlich wird nun versucht, dem Wildwuchs im Markt ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, indem man die höchste Trumpfkarte zieht, nämlich die BtM-Trumpfkarte. Die Antragsteller können zu dem Schrei­ben noch bis Anfang September Stellung nehmen.

Wie das Tauziehen ausgehen wird, kann derzeit nicht abgeschätzt werden, aber es könnte noch in diesem Jahr zum finalen „Showdown“ für die Produktgruppe kommen. Zwei Entscheidungen dürften hierfür maßgeblich sein.

EU will die WHO-Vorschläge nicht mittragen

Zum einen werden die 53 Unterzeichnerstaaten der UN-Konvention im Dezember dieses Jahres in dem zustän­digen CND über die WHO-Empfehlungen von Januar 2019 abstimmen. Die Europäische Union hat in der Kommission nur einen Beobachterstatus, aber 13 EU-Mitgliedstaaten dürfen dort als Unterzeichner des Übereinkommens mit abstimmen. Im Dezember 2019 hatte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine einheitliche Position zu den WHO-Planungsempfehlungen herausgegeben. Hiernach ­sollen die EU-Länder zwei der sechs Empfehlungen, die sich speziell auf die CBD beziehen, nämlich die Streichung von Cannabisextrakten und -tinkturen aus Anhang I des Übereinkommens von 1961 und die Hinzufügung der Fußnote, mit der Cannabidiol von der internationalen Kontrolle ausgenommen würde, nicht mittragen. Stattdessen sollen sie fordern, diese nicht zur Abstimmung zu stellen und eine weitere Bewertung durch die WHO verlangen. Damit würden die Karten zu Cannabidiol neu gemischt.

EuGH-Urteil im Kanavape-Verfahren

Zum anderen könnte auch der Europäische Gerichtshof bei der kniffligen Einordnung von Cannabidiol noch ein wichtiges Wörtchen mitreden. Der EuGH muss gerade in einem Vorabent­scheidungsverfahren über den sogenannten „Kanavape“-Fall (Rechtssache C-663/18) befinden. Das Ausgangsverfahren betrifft die Vermarktung einer elektronischen Zigarette in Frankreich, deren Flüssigkeit Cannabidiol enthält. Zwei Geschäftsführer des Unternehmens, das die elektronische Zigarette unter der Bezeichnung „Kanavape“ vermarktet, waren vom Strafgericht in Marseille verurteilt worden, weil das in den Kartuschen enthaltene CBD-Öl aus der gesamten Hanfpflanze einschließlich ihrer Blätter und Blüten gewonnen wird, was nach französischem Recht verboten ist. Da das CBD-Öl außerdem in der Tschechischen ­Republik gewonnen und von dort aus eingeführt wird, stellt sich auch die Frage nach der Vereinbarkeit der französischen Regelung mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr. Am 14. Mai 2020 befand Generalanwalt Evgeni Tanchev in seinen Schlussanträgen, dass Frankreichs Verbot der Vermarktung von aus Hanf gewonnenen CBD-Produkten im Widerspruch zum EU-Recht über den freien Warenverkehr stehe. Er begründete seine Stellungnahme vor allem damit, dass aus Hanf gewonnene CBD-Produkte nicht als Betäubungsmittel eingestuft und daher durch das Freizügigkeitsprinzip der EU geschützt seien. Das Urteil des Gerichtshofs zu dem Fall wird ab September dieses Jahres erwartet.

Hanfverband protestiert

Der Europäische Verband für Industriehanf (EIHA) steht indessen Kopf und befürchtet einen „Todesstoß für den Hanfsektor“. Er pocht darauf, dass Industriehanf und dessen Folgeerzeugnisse keine Suchtstoffe oder psychotrope Stoffe seien. Diese Entscheidung scheine eher politischer als rein rechtlicher Natur zu sein, so die Kritik. Cannabidiol würde auf dem Markt bleiben, jedoch nur in der synthetischen Form, die teilweise mit umweltschädlichen Chemikalien hergestellt werde. Die vorläufige Auffassung der Kommission widerspreche jeder Logik und sei „zutiefst ungerecht“. Tatsächlich sei das chemisch hergestellte CBD-Enderzeugnis identisch mit dem natürlichen CBD-Extrakt.

Deutscher CBD-Markt der größte in der EU

Ein neuer Bericht von Frontier Data, der sich auf eine Umfrage unter mehr als 3000 CBD-Verbrauchern in 17 europäischen Ländern und auf Erkenntnisse aus dem US-amerikanischen CBD-Markt stützt, geht davon aus, dass der Cannabidiolmarkt in der EU ohne regulatorische Änderungen bis 2025 um 10,4 Prozent auf 13,6 Milliarden Euro wachsen wird.

Für 2020 werden die jährlichen Ausgaben für CBD in der EU auf insgesamt 8,3 Milliarden Euro geschätzt und für Deutschland werden sie auf 1,83 Milliarden geschätzt, womit Deutschland in der EU die Spitzen­position einnimmt.

Arzneimittelpotenzial schützen

Aus pharmazeutischer Sicht dürften viele die neue Entwicklung begrüßen. Schließlich kommt Cannabidiol wegen seiner pharmakologischen Eigenschaften auch für den Einsatz als Arznei­mittel infrage, ein Potenzial, das es zu schützen gilt. Im September 2019 wurde mit Epidyolex das erste Cannabidiol-haltige Fertigarzneimittel in der EU zugelassen. Viele CBD-haltige Produkte, die als Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht werden, „suchen“ zu Werbezwecken explizit die Nähe zum Arzneimittel und sind wahrscheinlich gerade deswegen ins Fadenkreuz der Gesundheitsschützer geraten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL vertritt bezüglich Cannabidiol in Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln schon seit geraumer Zeit einen klaren Standpunkt. Ihm ist „derzeit keine Fallgestaltung bekannt, wonach Cannabidiol in Lebensmitteln, also auch in Nahrungsergänzungsmitteln, verkehrsfähig wäre“. |

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