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Pandemie Spezial
Vitamin D im Kontext von COVID-19
Was über die Bedeutung für Prävention und Verlauf gesichert ist
Die ersten diesbezüglichen Empfehlungen stammten nicht von Wissenschaftlern oder Gesundheitsorganisationen, sondern von Bloggern und Influencern, die ihren Followern über verschiedene Social-Media-Kanäle Vitamin D zur Prävention von Infektionen mit SARS-CoV-2 empfahlen [4, 5].
Angesichts der physiologischen Bedeutung von Vitamin D für das Immunsystem und des ökonomischen Potenzials war das wenig überraschend; die Tatsache, dass es bisher weder einen Impfstoff noch eine etablierte Pharmakotherapie von COVID-19 gibt, tat ihr Übriges. Gleiches gilt für das psychologisch verständliche Bedürfnis vieler Menschen im Angesicht einer als besonders bedrohlich empfundenen Pandemie, der man vermeintlich hilflos ausgeliefert ist, selbst das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und sich gegen die Bedrohung zu wappnen. Doch Empfehlungen zur Supplementation mit Mikronährstoffen sollten sowohl auf Public-Health-Ebene als auch im individuellen Patientengespräch wissenschaftlich fundiert und evidenzbasiert sein [6]. Deshalb muss ein Blick auf Hypothesen, die dazu verfügbare Studienlage und deren Limitationen geworfen werden.
Pathophysiologische Hinweise
Die physiologische Relevanz von Vitamin D für ein funktionierendes Immunsystem ist detailliert erforscht und unstrittig [9, 10]. Vor diesem Hintergrund wird von einigen Autoren die Hypothese vertreten, dass beispielsweise die Häufung von Atemwegsinfekten und der saisonale Höhepunkt der Grippe im Winter/Frühjahr eine Folge der dann besonders niedrigen Vitamin-D-Spiegel sind [11, 12]. Die entsprechenden Assoziationsstudien sind zahlreich [13, 14].
In vitro wurden verschiedene Mechanismen identifiziert, die zu einer antiviralen Wirkung von Vitamin D im Lungengewebe beitragen könnten [15]. Aktuelle Metaanalysen liefern allerdings ein differenziertes Bild: Zur Prävention von grippalen Infekten, viralen Atemwegserkrankungen und auch Influenza ist eine Vitamin-D-Supplementation nur dann wirksam, wenn zuvor ein Vitamin-D-Mangel bestand (< 30 nmol/l; entspr. < 12 ng/ml) [16]. Bei adäquater Vitamin-D-Versorgung (> 50 nmol/l) gibt es diese präventive Wirkung nicht. Offensichtlich ist Vitamin D also nicht per se antiviral wirksam, sondern Vitamin-D-Mangel erhöht umgekehrt die Anfälligkeit für virale Atemwegserkrankungen. Ist der Mangel gezielt behoben, ergibt sich durch die zusätzliche Supplementation kein Vorteil [16].
Epidemiologische Studien
Wechselt man von pathophysiologischen Hypothesen und präklinischen Daten zur Human-Epidemiologie, wird die Studienlage zum Zusammenhang von Vitamin D und COVID-19 widersprüchlich [8]. Erste Studien aus den Anfangswochen der Corona-Pandemie schienen die Hypothese einer kausalen Beteiligung von Vitamin D zu bestätigen, indem wiederholt gezeigt wurde, dass hospitalisierte und schwer erkrankte COVID-19-Patienten häufiger einen Vitamin-D-Mangel haben als die Durchschnittsbevölkerung oder als asymptomatische Patienten [19, 20]. Höhere Plasmakonzentrationen von Vitamin D korrelieren mit niedrigeren Interleukin-6-Konzentrationen, die maßgeblich zum gefürchteten „Zytokin-Sturm“ beitragen [21].
Auch in einer größeren US-amerikanischen, retrospektiven Kohortenstudie konnte gezeigt werden (n = 489), dass Bevölkerungsgruppen mit statistisch schlechterer Vitamin-D-Versorgung (Ältere, Pflegeheimbewohner, Afroamerikaner) häufiger und schwerer erkranken als Menschen mit ausreichender Vitamin-D-Versorgung (> 20 ng/ml) [22]. Andererseits konnten die Autoren einer deutsch-österreichischen Studie mit 109 COVID-19-Patienten keinen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Status und Krankheitsschwere oder Lungenfunktion feststellen [23].
Folge oder Ursache?
Der Großteil dieser klinischen Daten ist jedoch praktisch ohne Aussagekraft, da entweder nicht auf potenzielle Störfaktoren adjustiert oder der Vitamin-D-Spiegel erstmals zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme erfasst wurde. Letzteres führt zur umgekehrten Kausalität: Im Rahmen der immunologischen Akute-Phase-Reaktion sinkt der Vitamin-D-Spiegel kurzfristig drastisch ab [24], weshalb hier ein niedriger Vitamin-D-Spiegel Folge (und nicht Ursache) der COVID-19-Erkrankung ist. Vielmehr tritt ein Vitamin-D-Mangel überdurchschnittlich häufig bei Erkrankungen und Lebensumständen auf, die ihrerseits das COVID-19-Risiko erhöhen, also im hohen Lebensalter, bei Adipositas oder bei Diabetes Typ 2. Bereits in der Vergangenheit wurde darauf hingewiesen, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel z. B. bei entzündlichen Erkrankungen Folge der Entzündung und eben nicht Erkrankungsursache ist [25].
Dies bestätigen zwei detaillierte Biobank-Analysen aus Großbritannien mit 656 bzw. 1.326 COVID-19-Patienten [26, 27]: Zwar suggerierten die Rohdaten hier auf den ersten Blick ebenfalls einen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad des COVID-19-Verlaufs und dem Vitamin-D-Status. Doch dieser statistisch signifikante Zusammenhang verschwand, wenn auf die bekannten Störfaktoren adjustiert wurde: Weder eine suboptimale Vitamin-D-Versorgung noch ein Vitamin-D-Mangel waren in diesen Biobank-Analysen mit der Krankheitsschwere oder der Sterblichkeit assoziiert.
Klinische Studien
Obwohl weltweit zahlreiche randomisiert-kontrollierte Interventionsstudien zur Anwendung von Vitamin D bei COVID-19-Patienten laufen (mit Dosierungen bis zu 200.000 I.E./d), gibt es bisher keine aussagekräftigen Daten zur klinischen Wirksamkeit von Vitamin D am Menschen [22, 28]. Entsprechende Fallberichte und Pilotstudien sind überwiegend anekdotischer Natur oder weisen erhebliche methodische Mängel auf (z. B. fehlende Placebokontrolle, stark verzerrte Gruppenordnung) [3, 29].
Angesichts dieser Fakten stellt beispielsweise das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) fest: „There is no evidence to support taking vitamin D supplements to specifically prevent or treat COVID-19“ [30]. Und auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) konstatiert in seiner Stellungnahme vom 10. September 2020: „Im Internet wird suggeriert, dass die Einnahme von (zum Teil sehr hoch dosierten) Vitamin-D-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln vor einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 […] schützen kann. Es sind dem BfR keine Studien bekannt, die belegen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus bzw. der Auslösung der Erkrankung schützt.“
Warnung vor hohen Dosierungen
Im Widerspruch dazu empfehlen verschiedene Autoren die pauschale Gabe von hochdosiertem Vitamin D an alle COVID-19-Patienten (50.000 – 300.000 I.E./d [31, 32]) oder gleich an die gesamte Bevölkerung (10.000 I.E./d, [33]). Derartige experimentelle Empfehlungen sind weder durch hinreichende klinische Erfahrung noch durch wissenschaftliche Evidenz abgesichert. Mehr noch: Die Anwendung von hochdosiertem Vitamin D bei COVID-19-Patienten widerspricht dem grundlegenden Schutzprinzip des primum nil nocere: So gibt es sogar Hinweise darauf, dass erhöhte Serumkonzentrationen von Vitamin D auch zu einer immunsuppressiven Wirkung führen könnten [34].
Niedrigdosis-Prophylaxe unbedenklich
Empfehlungen zur prophylaktischen Einnahme niedriger dosierter Vitamin-D-Präparate (beispielsweise in der Größenordnung von 2.000 I.E./d), wie sie an anderer Stelle vorgeschlagen werden [8], sind zwar ebenfalls ohne Wirksamkeitsnachweis hinsichtlich des SARS-CoV-2-Infektionsrisikos; zumindest sind diese Dosierungen aber gesundheitlich unbedenklich, solange sie unterhalb des tolerable upper intake levels der European Food Safety Agency (EFSA) für Erwachsene liegen (max. 4.000 I.E./d).
Zusammenfassung der Datenlage
Fasst man die Datenlage zum möglichen Einfluss des Vitamin-D-Status auf das Erkrankungsrisiko und den Verlauf von COVID-19 zusammen, ergibt sich ein relativ eindeutiges Bild: Die physiologische Bedeutung von Vitamin D für eine funktionierende Immunabwehr ist unstrittig. Die biochemisch abgeleitete Hypothese, eine Vitamin-D-Supplementation könne sich positiv auf Erkrankungsrisiko und -verlauf auswirken, klingt plausibel. In der Realität deuten epidemiologische Daten aus den USA und Europa auf eine umgekehrte Kausalität hin (Vitamin-D-Mangel als Folge, nicht als Ursache der COVID-19-Erkrankung) und lassen niedrige Vitamin-D-Spiegel als Marker eines aus anderen Gründen erhöhten Erkrankungsrisikos erscheinen (hohes Alter, Adipositas, Multimorbidität). Es gibt keine aussagekräftigen randomisiert-kontrollierten Studien zur Wirksamkeit einer Vitamin-D-Supplementation zur Prävention oder adjuvanten Therapie einer SARS-CoV-2-Infektion.
Schlussfolgerung für die Praxis
Angesichts der bevorstehenden dunklen Jahreszeit und der unklaren infektiologischen Entwicklungen ist eine gute Vitamin-D-Versorgung der Bevölkerung aus Public-Health-Perspektive ohne Zweifel empfehlenswert. Ein erneuter Lockdown dürfte sich ebenfalls tendenziell negativ auf den Vitamin-D-Status der Bevölkerung auswirken [6].
Die anzustrebenden, adäquaten 25-OH-D-Serumkonzentrationen bewegen sich gemäß internationalem Konsens zwischen 50 – 125 nmol/l. Tatsächlich ist dieser Referenzbereich viel weniger umstritten als mitunter suggeriert wird, sondern er wird beispielsweise sowohl von den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) als auch vom deutschen Robert Koch-Institut (RKI) offiziell vertreten. Sicherlich ist es der allgemeinen Gesundheit zuträglich, eine entsprechende Vitamin-D-Zufuhr sicherzustellen – falls nicht anders möglich, auch über Supplemente.
Die dazu erforderliche Vitamin-D-Dosierung ist individuell sehr unterschiedlich. Am sinnvollsten ist die Supplementation vermutlich bei Menschen mit einer Ausgangsserumkonzentration von < 25 nmol/l [35]. Eine präventive oder therapeutische Wirkung von Vitamin D hinsichtlich COVID-19 kann zwar postuliert werden – aktuell gibt es dafür aber keine klinische Evidenz.
Insgesamt vielversprechender erscheint in Anbetracht der etablierten Risikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe (Adipositas, Hypertonie, Diabetes Typ 2, metabolisches Syndrom) ein grundsätzlich optimierter Ernährungsstatus [1, 35]. Entsprechende ernährungs- und gesundheitspolitische Maßnahmen wären angesichts der Corona-Pandemie dringender denn je [36].
Ungeachtet dieser Überlegungen kann man auf Grundlage der unklaren Datenbasis für sich persönlich zu dem Schluss kommen, dass eine Vitamin-D-Supplementation sinnvoll sein könnte [37]. In diesem Fall sollten bei der unspezifischen Supplementation der gesunden Allgemeinbevölkerung Dosierungen zwischen 800 und 2.000 I.E./d angestrebt und die von der EFSA empfohlene Höchstdosis von 4.000 I.E./d (100 µg) aus guten Gründen nicht überschritten werden [6]. An dieser Stelle müssen insbesondere Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion zur Vermeidung von Gesundheitsschäden vor der unkontrollierten Einnahme höherdosierter Vitamin-D-Präparate gewarnt werden. |
Literatur
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[5] Pinnock D. Vitamin D and COVID-19. The Evidence Warrants Discussion! The Medicinal Chef Making Health Simple (2020)https://www.dalepinnock.com/vitamin-d-and-covid-19-the-evidence-warrants-discussion/. Zuletzt abgerufen am 23.09.2020
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- Das Impfstoffrennen: 42 COVID-19-Impfstoffe in klinischer Erprobung, zehn in Phase III
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9 Kommentare
Vitamin D Blutspiegel und Dosierungen
von Christina Del Prete am 11.10.2020 um 23:25 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Vitamin D Blutspiegel und Dosierungen
von Martin Smollich am 12.10.2020 um 10:44 Uhr
Vitamin D Covid
von Dr. Volker Schmiedel am 11.10.2020 um 10:17 Uhr
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AW: Vitamin D Covid
von Martin Smollich am 11.10.2020 um 20:50 Uhr
AW: Vitamin D Covid
von Dr. Wolfgang Feil am 13.10.2020 um 17:20 Uhr
AW: Vitamin D Covid
von Volker Schmiedel am 14.10.2020 um 12:14 Uhr
Vitamin D hilft bei Corona
von Manuela Heinzel am 10.10.2020 um 19:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Vitamin D hilft bei Corona
von Silke Höveler-Freitag am 10.10.2020 um 21:46 Uhr
AW: Vitamin D hilft bei Corona
von Martin Smollich am 11.10.2020 um 21:22 Uhr
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