Arzneimittel und Therapie

Influenza-Impfung auf Erfolgskurs

RKI schätzt Impfstoff-Wirksamkeit der vergangenen Saison höher als je zuvor

cel | Die Grippeimpfung der letzten Influenzasaison 2019/20 schütze besser vor Grippe als die Influenzavakzinen in früheren Jahren. Das meldet das RKI. Wie hoch war die Impfeffektivität? Welche Patienten profitierten besonders von der Impfung und bei welchen war der Impfschutz nicht ganz so gut? Das RKI erklärt zudem, warum eine Grippeimpfung, trotz manchmal nur suboptimaler Wirksamkeit, dennoch sinnvoll ist.
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Bereits im April fand das RKI im Epidemiologischen Bulletin 16|2020 auffällig, dass die letztjährige Grippewelle – verglichen mit den drei vorherigen Saisons – um mindestens zwei Wochen kürzer war. Das RKI führte dies auf die breiten Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zurück. Insbesondere seien Schulschließungen zu nennen, da Kinder in der Verbreitung der jährlichen Grippe eine wesentliche Rolle spielten, erklärte das RKI. Welchen Beitrag leistete die Grippeimpfung 2019/20 zum Schutz vor Influenza? Mit dem Epidemiologischen Bulletin 45|2020 stehen die Daten nun zur Verfügung.

Das RKI schätzt die klinische Impfwirksamkeit der Grippeimpfung 2019/20 auf 62 Prozent. Zum Vergleich: In der Grippesaison 2018/19 lag diese bei 21 Prozent, im schweren Grippewinter 2017/18 bei 15 Prozent. Auffällig ist außerdem, dass „die Impfung gegen jeden der drei in der Saison 2019/20 zirkulierenden Influenzatypen beziehungsweise Subtypen wirksam war“, schreibt das RKI. Die Wirksamkeit für Influenza A(H3N2) lag laut Berechnungen des RKI bei 62 Prozent, für A(H1N1)pdm09 bei 61 Prozent und für Influenza B bei 73 Prozent. Diese recht gleichmäßige Verteilung der Wirksamkeit gegen einzelne Stämme kennt man aus den früheren Saisons nicht: 2018/19 war der Schutz vor Influenza A(H1N1) mit 48 Prozent „hoch“, während gegen Influenza A(H3N2) „keine Wirksamkeit“ gezeigt werden konnte, erklärte das RKI damals. Und Influenza-B-Viren zirkulierten so wenige, weswegen das RKI die Impfwirksamkeit der Vakzinen nicht separat ausgewertet hatte.

Tab.: Wirksamkeit der saisonalen Influenzaimpfung der letzten Jahre
A(H1N1) pdm09
A(H3N2)
B
Influenzaschutz
2019/20
61 Prozent
62 Prozent
73 Prozent
62 Prozent
2018/19
61 Prozent
– 28 Prozent
Keine Nachweise
21 Prozent
2017/18
48 Prozent
Wenige Nachweise
1 Prozent
15 Prozent
2016/17
Wenige Nachweise
21 Prozent
Wenige
Nachweise
Keine Angabe
2015/16
14 Prozent
Wenige Nachweise
11 Prozent
Keine Angabe

Geschätzte Wirksamkeit der saisonalen Grippeimpfung gegen eine laborbestätigte Influenzaerkrankung, adjustiert auf Alter, Geschlecht, Grunderkrankung und Erkrankungsmonat.

Verzögerte WHO-Empfehlung zu Influenza A(H3N2)

Die WHO hatte sich mit der Empfehlung des Influenza-A(H3N2)-Stammes für die Saison besonders viel Zeit gelassen – sie fehlte bei der Empfehlung im Februar 2019 und folgte erst Wochen später. Das scheint sich gelohnt zu haben. Influenza-A(H3N2)-Viren sind bei der Impfvirus-Empfehlung besonders kritisch, sie stellen eine „zunehmende Herausforderung für die Auswahl der Impfstoffviren“ dar, erklärte die Weltgesundheitsorganisation damals. Der Grund: Influenza A ist besonders mutationsfreudig, was die Voraussage der in der Saison zirkulierenden Viren erschwert.

Impfschutz nimmt im Alter ab

Auch die letztjährige Grippeimpfung bestätigt, was sich seit Jahren abzeichnet: Ältere Menschen sprechen auf die Grippeimpfung weniger gut an. Nach Berechnungen des RKI waren Jüngere (bis 14 Jahre) nach einer Impfung zu 69 Prozent (95%-Konfidenzintervall (KI): 33 bis 85 Prozent) vor Grippe geschützt, 15- bis 59-Jährige zu 70 Prozent (95%-KI: 43 bis 84 Prozent), während für Menschen ab 60 Jahren die Impfeffektivität mit 43 Prozent (95%-KI: 6 bis 69 Prozent) angegeben wird. Diese Daten „deuten auf eine abnehmende Wirksamkeit der Impfung mit zunehmendem Alter hin“, so das RKI, allerdings sei die Studienpopulation auch sehr klein und somit die statistischen Vertrauensbereiche sehr groß. Dass ältere Menschen vielleicht einen speziellen Impfstoff benötigen, hat auch die pharmazeutische Industrie erkannt: Seqirus und Sanofi Pasteur haben mit Fluad® Tetra und Efluelda® Grippeimpfstoffe entwickelt, die das Immunsystem von Älteren besonders stimulieren sollen. Dabei setzt Fluad® Tetra auf einen Wirkverstärker (Adjuvans) und Efluelda® auf die vierfache Antigenmenge. Beide Grippeimpfstoffe sind bereits in der EU zugelassen, sie stehen frühestens ab der Grippesaison 2021/22 zur Verfügung.

Welche Grippeviren dominierten die Grippesaison 2019/20?

Die Grippewelle war mit elf Wochen (2. bis 12. Kalenderwoche 2020) kurz. Dem RKI zufolge dominierten vor allem Influenza-A-Viren das Grippegeschehen: Influenza A(H3N2) mit 45 Prozent und Influenza A(H1N1) mit 41 Prozent. Influenza-B-Viren wurden zu 14 Prozent entdeckt. Für die Vorjahressaison gibt das RKI im Saisonbericht 2018/19 die Verteilung der Influenzaviren mit 51 Prozent Influenza A(H1N1) und 49 Prozent Influenza A (H3N2) an (keine Influenza-B-Viren). Im Jahr zuvor, der Grippesaison 2017/18, dominierten hingegen mit 68 Prozent Influenza-B-Viren (Yamagata-Stamm). Laut Influenzasaisonbericht 2017/18 machten Influenza-A(H1N1)-Viren damals 28 Prozent aller labordiagnostisch bestätigter Influenzainfektionen aus, Influenza A(H3N2) 4 Prozent.

Wie bestimmt das RKI die Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen?

Das Robert Koch-Institut berücksichtigte in seiner Auswertung nur ambulant behandelte Patienten, die zwischen der Kalenderwoche 40/2019 (Beginn der Grippesaison 2019/20) und der Kalenderwoche 20/2020 mit akuten Atemwegserkrankungen und grippeähnlichen Symptomen (ILI: Influenza like Illness) eine der 111 Sentinelpraxen (s. Kasten „Was ist eine Sentinelpraxis?“) der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) aufsuchten. Bei 2853 Patienten wurde innerhalb von acht Tagen nach Erkrankungsbeginn ein Nasen- oder Rachenabstrich abgenommen und bei 791 Patienten (28 Prozent) eine Influenzaerkrankung labordiagnostisch (RT-qPCR) bestätigt („Influenzafall“). 2062 Patienten (72 Prozent) hatten ein negatives Testergebnis („Kontrolle“). Vereinfacht gesagt gibt es vier Fälle:

  • gegen Grippe geimpft und Patient erkrankt an Influenza,
  • gegen Grippe geimpft und Patient erkrankt nicht an Influenza,
  • keine Grippeimpfung und an Influenza erkrankt und
  • keine Grippeimpfung und nicht an Influenza erkrankt.

Das RKI hat auch Daten darüber, wer von den Influenza-Erkrankten zuvor eine Grippeimpfung erhalten hatte und wer nicht. Somit lässt sich die Impf­effektivität mithilfe statistischer Berechnungen ermitteln: Die Anzahl der Patienten, die mit einer Grippeimpfung vor Grippe geschützt waren, im Vergleich zu Patienten ohne Grippeschutz.

Was ist eine Sentinelpraxis?

Sentinelpraxen sind Arztpraxen im Bereich der Primärversorgung von Patienten. Sie sind ehrenamtlicher Bestandteil der Influenzaüberwachung in Deutschland und haben sich freiwillig dazu bereit erklärt, einmal wöchentlich bestimmte Daten an das RKI zu übermitteln, wie

  • die Anzahl ihrer Patienten pro Tag und Altersgruppe mit akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE),
  • die Anzahl aller Patientenkontakte pro Tag als Bezugsgröße und
  • die Anzahl der ARE-bedingten Krankschreibungen, Krankenhauseinweisungen und Todesfälle.

Lohnt sich eine Grippeimpfung?

Auch wenn die Wirksamkeit der Grippeimpfung in der vergangenen Saison gut war, wurden durch sie von 100 Geimpften „nur“ 62 vor einer Grippeerkrankung geschützt. Dennoch bleibt die Grippeimpfung der beste Schutz vor Influenza auf Bevölkerungsebene, betont das Robert Koch-Institut: „Aufgrund der Häufigkeit von Grippe kann durch die Impfung eine große Zahl an Erkrankungen verhindert werden.“ Laut dem letzten Wochenbericht der Saison 2019/20 (Kalenderwoche 39/2020) wurden seit Beginn der Grippesaison (Kalenderwoche 40/2019) 188.119 laborbestätigte Influenzafälle und 547 Todesfälle mit Influenzavirusinfektion an das RKI übermittelt. Im Jahr zuvor nennt das RKI im 39. Wochenbericht 2019 insgesamt 182.391 labordiagnostisch bestätigte Fälle und 966 Todesfälle (diese Zahlen unterscheiden sich von der im Saisonbericht 2018/19 mit 181.106, da das RKI im Saisonbericht den Zeitraum KW 40/2018 bis KW 20/2019 ausgewertet hat). Im schweren Grippewinter 2017/18 waren es laut dem letzten Wochenbericht 334.779 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle und 1728 Todesfälle.

AHA schützt auch vor Grippe

Das RKI erinnert zudem an die seit der Corona-Pandemie empfohlenen AHA+L-Regeln: „Abstand halten, Händehygiene, Alltagsmasken und regelmäßiges Lüften sind auch gegen Influenza wirksam.“ Dadurch werde das Risiko, sich mit Influenza zu infizieren, deutlich gesenkt. |

Literatur

Wirksamkeit der saisonalen Influenzaimpfung bei ambulant behandelten Patienten in der Saison 2019/20 in Deutschland, Epidemiologisches Bulletin 45|2020, Robert Koch-Institut

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