Arzneimittel und Therapie

Tamsulosin vor Katarakt-OP absetzen!

Alpha-1-Rezeptorantagonist kann Entstehung des Floppy-Iris-Syndroms begünstigen

dm/mab | In einer „Drug Safety Mail“ weist die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft auf das intraoperative Floppy-Iris-Syndrom im Zusammenhang mit Tamsulosin hin. Es kann als eine mögliche Komplikation der Kataraktchirurgie auftreten. Für die Praxis sei zudem wichtig, dass Tamsulosin anatomische Veränderungen des Auges zu bewirken scheint, die sich auch nach (frühem) Absetzen von Tamsulosin nicht vollständig zurückbilden.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) empfiehlt aktuell, dass bei Patienten mit klinischen Hinweisen auf eine Katarakt („grauer Star“) ein Augenarzt einbezogen werden sollte, ehe ein Alpha-1-Rezeptorantagonist (ARA) wie Tamsulosin verordnet wird. Dabei soll die Wahrscheinlichkeit einer zukünftig erforderlich werdenden Katarakt-Operation abgeschätzt werden. Ist bereits eine OP geplant, sollte der Eingriff laut AkdÄ möglichst vor Beginn einer Behandlung mit Alpha-1-Rezeptorantagonisten erfolgen. Denn für die Praxis sei wichtig, dass Tamsulosin anatomische Veränderungen – „möglicherweise eine Atrophie des M. dilatator pupillae“ – zu bewirken scheint, die sich auch nach Absetzen nicht vollständig zurückbildet. „Wenn noch keine Katarakt-Operation durchgeführt wurde, sollte – falls ein ARA unverzichtbar erscheint – ein nicht selektiver ARA wie Alfuzosin gewählt werden“, so die AkdÄ. Nach erfolgter Katarakt-Operation könne dann jeder Alpha-1-Rezeptorantagonist angewendet werden.

Vorsicht auch bei Frauen!

Grund für diesen doch eher ungewöhnlich allgemeinen Aufruf zur Vorsicht ist, dass sowohl die Trübung der Augenlinse als auch die benigne Prostatahyperplasie mit zunehmendem Alter immer häufiger vorkommen. Damit drohe vor allem bei Männern, die insbesondere mit Tamsulosin behandelt wurden, bei einer späteren Katarakt-Operation die Komplikation des Floppy-Iris-Syndroms (IFIS, siehe Kasten). Aber auch bei Frauen kann das Krankheitsbild z. B. nach Off-label-Anwendung von Tamsulosin bei rezidivierenden Nierenkoliken auftreten. Die Komplikationsrate sei dann höher als bei Männern.

Das Floppy-Iris-Syndrom (IFIS)

In Deutschland werden laut AkdÄ jährlich etwa 900.000 Katarakt-Operationen durchgeführt. „Bei der häufig durchgeführten Phakoemulsifikation wird die getrübte Linse nach minimaler Inzision durch Ultraschall zerkleinert und dann abgesaugt, bevor eine Kunstlinse eingesetzt wird.“ Als Komplikation kann während der Operation das Floppy-Iris-Syndrom auftreten, das eine „Irisverletzung, entrundete Pupille und damit mangelnde Blende (Blendempfindlichkeit und schlechteres Nahsehen), hintere Kapselruptur, Netzhautablösung sowie Verlust von Linsenteilen in den Glaskörperraum begünstigen und ein schlechteres Operationsergebnis mit Beeinträchtigung des Sehvermögens zur Folge haben“ kann.

Bereits 2005 – bei der Erstbeschreibung des IFIS – wurde auf die gleichzeitige oder vorangegangene Einnahme des Alpha-1-Rezeptorantagonisten Tamsulosin hingewiesen, erklärt die AkdÄ die Warnung weiter. Diese Assoziation soll seitdem immer wieder bestätigt worden sein – insbesondere mit Tamsulosin, aber auch mit anderen ARA wie Alfuzosin oder Doxazosin. (Weitere Risikofaktoren wie Alter, Hypertonie sowie die Anwendung von Finasterid, Angiotensin-2-Rezeptor-Inhibitoren, Benzodiazepinen und verschiedenen Antipsychotika werden diskutiert.)

Tamsulosin greift am M. dilatator pupillae an

Mechanistisch interessant dabei ist: „Tamsulosin weist eine höhere Affinität und Selektivität zum α1A-Adrenozeptor auf als die anderen ARA. Über diesen Rezeptor wird jedoch nicht nur der Tonus der glatten Muskulatur der Harnwege kontrolliert, sondern auch der M. dilatator pupillae. Eine unvollständige Kontraktion des M. dilatator pupillae durch Blockade des α1A-Adrenozeptors kann eine unzureichende Erweiterung der Pupille zur Folge haben“, so die AkdÄ.

Möglicherweise aufgrund dieser Selektivität für α1A-Adrenozeptoren, meint die AkdÄ, besitzt Tamsulosin ein bis zu 40-fach erhöhtes IFIS-Risiko gegenüber Alfuzosin. Eine geringere Spezifität gegenüber den einzelnen α1-Adrenozeptoren kann allerdings zu vermehrter Hypotension führen.

Vor OP rechtzeitig absetzen

Vor einer geplanten Katarakt-Operation sollten also sowohl Männer als auch Frauen gezielt nach der Anwendung von ARA (auch länger zurückliegend) gefragt werden. Falls Tamsulosin eingenommen wird, sollte es so früh wie möglich vor einer Katarakt-OP abgesetzt werden. Das wird was nach Kenntnis der AkdÄ bislang jedoch nur selten beachtet. Allerdings könne ein IFIS auch durch Absetzen über einen längeren Zeitraum nicht gänzlich vermieden werden. |

Literatur

Intraoperatives Floppy-Iris-Syndrom im Zusammenhang mit Tamsulosin („UAW-News International“), Drug Safety Mail der AkdÄ, 11. September 2020

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