Arzneimittel und Therapie

Was unterscheidet ApoE4 von ApoE3?

Forscher nehmen Alzheimer-Risikofaktor unter die Lupe

Das Apolipoprotein E ist ein wichtiger Transporter für Lipide im Gehirn und der wichtigste genetische Risikofaktor für die Alzheimer-Krank­heit. Träger der Gen-Variante ApoE4 haben ein höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken, als Träger der E3-Variante. Dem dahinterstehenden Mechanismus sind Berliner Forscher auf der Spur. Sie konnten zeigen, dass der Sortilin-Rezeptor, der eine wichtige Rolle bei der Expression neuroprotektiver Gene spielt, seine Funktion nur über ApoE3, nicht aber über ApoE4, ausüben kann [1].

2018 waren in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen an Demenz erkrankt [2]. Ein Großteil dieser Erkrankungen ist auf die Alzheimer-Krankheit zurückzuführen. Bei der chronisch neurodegenerativen Erkrankung kommt es zu einer Funktionseinschränkung der Neurone im Gehirn. Als Ursache sind vor allem amyloide Plaques und fehlgesteuerte Tau-Proteine von Bedeutung. Eine Heilung oder ein Aufhalten der Krankheit ist zurzeit nicht möglich. Da die Fallzahlen in unserer immer älter werdenden Bevölkerung stetig steigen, sind sowohl Methoden zur Früherkennung als auch neue Angriffspunkte für die Entwicklung neuer Arzneimittel wichtige Maßnahmen im Kampf gegen die Erkrankung.

Wichtiger Lipidtransporter

Das Apolipoprotein E (ApoE) hat drei Isoformen: ApoE2, ApoE3 und ApoE4. Dass speziell ApoE4 einen Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit darstellt, konnte schon in mehreren Studien gezeigt werden [3, 4]. Das Lipoprotein spielt unter anderem eine Rolle bei der Faltung der Tau-Proteine, der Plaque-Ablagerung oder den inflammatorischen Prozessen im Gehirn. Die dahinterstehenden Mechanismen sind jedoch noch weitgehend ungeklärt. Ein Team aus Wissenschaftlern verschiedener Berliner Forschungsinstitute sowie der Uniklinik Hamburg hat sich den Mechanismus um das ApoE-Protein näher angeschaut. Der Fokus der Forschung liegt dabei auf dem Signalweg des Sortilin-Rezeptors (engl. sort: verteilen). Dieser Rezeptor kommt vor allem in den Zellen des zentralen Nervensystems vor und ist an der Verteilung intrazellulärer Proteine beteiligt.

Nach Jahrzehnten eine neue Therapieoption

18 Jahre nach der letzten Zulassung eines Arzneimittels gegen Alzheimer hat jetzt die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA grünes Licht für die Genehmigung von Aducanumab innerhalb eines beschleunigten Zulassungsverfahrens gegeben. Es handelt sich dabei um einen humanen monoklonalen Antikörper, der an Beta-Amyloid bindet, das für den Untergang der Neuronen verantwortlich gemacht wird. Einmal pro Monat bekommen Patienten das Arzneimittel intravenös verabreicht, wodurch der kognitive Verfall verlangsamt werden soll und somit die Betroffenen länger selbstständig ihre Aufgaben des täglichen Lebens stemmen können. Auch in Europa hat der Hersteller Biogen Ende Oktober 2020 einen Zulassungsantrag für Aducanumab gestellt [5].

Verminderte Rezeptoraktivität stört Neuroprotektion

Die Wissenschaftler um Thomas Willnow konnten zeigen, dass ApoE4 die Aktivität des Sortilin-Rezeptors stört und so neurodegenerative Prozesse beschleunigt und die Alzheimer-Krankheit vorantreibt. Über den in der Membran sitzenden Sortilin-Rezeptor werden ApoE-gebundene Stoffe in die Neuronen aufgenommen. Der Rezeptor übermittelt die Aufnahme der ApoE-gebundenen Lipide und auch deren Umwandlung beispielsweise zu Endocannabinoiden. Diese dienen als wichtige Neurotransmitter, die neuroprotektive Gene im Gehirn regulieren. Liegt das Apolipoprotein in der E3-Variante vor, kann dieser Prozess ungehindert ablaufen. Die Isoform ApoE4 stört jedoch den oben beschriebenen Signalweg und könnte so die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit beschleunigen. Dies konnten die Wissenschaftler in verschiedenen Knock-out Mausmodellen und Massenspektronomie-Analysen zeigen. Es stellte sich heraus, dass die Abwesenheit des Sortilin-Rezeptors den neuroprotektiven Signalweg der Endocannabinoide stört, in dem proinflammatorische Gene aktiviert wurden. Ähnliche Ergebnisse konnten gezeigt werden, wenn der Sortilin-Rezeptor und die Isoform ApoE4 anwesend waren. Eine Erklärung finden die Forscher darin, dass der Sortilin-Rezeptor bei gebundenem ApoE4 nicht auf die Zelloberfläche zurückkehren kann, also gewissermaßen verklumpt und so seine Aktivität verliert. Die Blockierung dieser Re­zeptor-Interaktion mit ApoE4 könnte einen Angriffspunkt für neue Alzheimer-Therapien bedeuten. |

 

Literatur

[1] Asaro A, Carlo-Spiewok AS, Malik AR, et al. Apolipoprotein E4 disrupts the neuroprotective action of sortilin in neuronal lipid metabolism and endocannabinoid signaling [published online ahead of print, 2020 Jun 25]. Alzheimers Dement. 2020;10.1002/alz.12121. doi:10.1002/alz.12121

[2] http://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf abgerufen am 27.08.2020

[3] Corder EH, Saunders AM, Strittmatter WJ, et al. Gene dose of apolipoprotein E type 4 allele and the risk of Alzheimer’s disease in late onset families. Science. 1993;261:921-923

[4] Liu CC, Liu CC, Kanekiyo T, Xu H, Bu G. Apolipoprotein E and Alzheimer disease: risk, mechanisms and therapy. Nat Rev Neurol. 2013;9:106-118

[5] Neuer Alzheimer-Wirkstoff Aducanumab: Der aktuelle Stand, Informationen der Alzheimer Forscher e.V., www.alzheimer-forschung.de/forschung/aktuell/aducanumab/, Abruf am 06. November 2020

Laura Kneller, MSc Toxikologie

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