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Ein digitales Rezept – kein elektronisches Papierrezept!

Zur Rose trifft auf IBM – der gematik-Chef sieht keine Gefahr und erklärt Hintergründe

cm/eda | Die Apotheker und das E-Rezept - trotz engagierter Modellprojekte und Mitwirkung in den verschiedensten Gremien existieren immer wieder auch Rückschläge und Negativschlagzeilen in den Medien: Erst die Absage an die DAV-Web-App, dann der Verzicht auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und schließlich der Zuschlag für den IT-Konzern IBM, der den Fachdienst u. a. mit Personal und Expertise aus der Zur Rose-Gruppe auf die Beine stellen will. Im Interview erklärt gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken, wie es zu der ein oder anderen Entscheidung sowie Entwicklung gekommen ist und was er sich konkret vom Berufsstand wünscht.

DAZ: Herr Dr. Leyck Dieken, warum konkret hat IBM Deutschland den Zuschlag für die Entwicklung und den Betrieb des E-Rezept-Fachdiensts erhalten? Welche Kriterien waren dabei ausschlaggebend?

Leyck Dieken: Wie bei jeder Ausschreibung sind die Kriterien der Auswahl öffentlich und in wirtschaftlichen und qualitativen Aspekten gewichtet. In der Gesamtbewertung hatte IBM Deutschland dabei klar die Nase vorn.

DAZ: Wie sehr haben dabei die wirtschaftlichen Aspekte im Vordergrund gestanden?

Leyck Dieken: Wirtschaftliche Kriterien machen natürlich einen großen Anteil an der Entscheidungsfindung aus. Es ist ein wesentlicher Zweck von Ausschreibungen, einen möglichst günstigen Anbieter zu finden. Danach kommt es auf die Leistungsfähigkeit des Systems an. Die Herausforderung an dieser Ausschreibung ist ja, dass der Begünstigte bis Ende Juni 2021 fertig sein muss, damit wir im Juli mit dem E-Rezept starten können. Allein dadurch entsteht schon ein gewisser Anspruch, der dazu geführt hat, dass das Bewerberfeld klein war.

DAZ: IBM ist im IT-Bereich ja eine Größe. Wieso braucht solch ein Unternehmen weiteren Input durch Firmen wie die DocMorris-Schwester eHealth-Tec?

Leyck Dieken: Eine Voraussetzung für den Zuschlag war, dass der Bewerber bereits Erfahrungen im Apothekenmarkt gesammelt hat. Die IBM ist alleinig für den Betrieb der Fachdienste verantwortlich. Daher hat sich der Konzern für eHealth-Tec als Subunternehmer entschieden. Die Zur Rose-Tochter tritt übrigens explizit nicht als Partner von IBM auf, das wäre Vergaberechtlich eine völlig andere Situation. Wir haben nur IBM Deutschland be­zuschlagt und nicht etwa ein Konsor­tium. Für die Offenlegung der Sub­unternehmer ist IBM zuständig.

„Ich glaube fest daran, dass die Apotheker unbedingt zusammenkommen und sich hinter dem roten A versammeln sollten. Es ist von großem Wert, in Zeiten der Digitalisierung eine so traditionsreiche und anerkannte Marke zu haben, die jeder Mensch sofort erkennt.“

Dr. Markus Leyck Dieken

DAZ: Welche Aufgaben wird eHealth-Tec übernehmen?

Leyck Dieken: EHealth-Tec wird lediglich eine sehr kleine Rolle bei der Entwicklung des Fachdiensts spielen. Am Betrieb ist das Unternehmen später gar nicht mehr beteiligt. Mir ist bewusst, dass die Apotheker die Sorge haben, dass eHealth-Tec etwa aus dem Projekt mit der Techniker Krankenkasse vorgefertigte Bestandteile mitbringt. Das können sie nicht, weil unsere Spezifikation es gar nicht ermöglicht. Diese ist völlig anders gestrickt als die Infrastruktur im TK-Projekt. Konkret wird das Unternehmen lediglich einzelne Programmierer bereitstellen, die eingebunden in IBM-Teams arbeiten werden. Sobald die Programmierphase abgeschlossen ist, werden sie die Teams wieder verlassen. EHealth-Tec wird also zu keinem Zeitpunkt Betreiberverantwortung übernehmen und auch nicht in die Software-Wartung eingebunden.

DAZ: Die Vorstellung, dass die Zur Rose-Gruppe am E-Rezept-Fachdienst mitwirkt, sorgt dennoch für Unruhe bei den Apothekern. Verstehen Sie die Aufregung?

Leyck Dieken: Es war uns bewusst, dass allein der Name für Irritationen sorgen würde. Deshalb ist es uns wichtig, diesen Umstand sachlich ganz klar einzuordnen. Bei allen Emotionen, die jetzt hochkochen, sollten wir es nicht versäumen, die konkreten Fakten ausreichend zu beleuchten.

DAZ: Dann kommen wir zurück zu den Tatsachen. Sie betonen, dass IBM der Vertragspartner ist und es kein Konsortium gibt. Wäre es nicht besser, wenn alle Beteiligten gleichwertig auf einer Ebene agieren und auch von der gematik kontrolliert werden? So überlassen Sie doch IBM die Aufsicht.

Leyck Dieken: Das ist unnötig. Wir haben die volle Kontrolle, weil wir bestimmen, was gebaut wird. Wir tasten jede Woche ab, wie genau unsere Spezifikation erfüllt wird. Zudem sind sämtliche Prozesse über die Plattform GitHub öffentlich einsehbar. Damit ist es völlig ausgeschlossen, dass jemand im Hintergrund etwas bewegt, was wir nicht mitbekommen würden. Daraus folgt auch, dass eHealth-Tec beziehungsweise DocMorris keinerlei Wissensvorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern haben wird, weil alle Programmierungen für alle öffentlich nachvollziehbar sind.

Foto: Marc-Steffen Unger

Dr. med. Markus Leyck Dieken ist seit dem 1. Juli 2019 Alleingeschäftsführer der gematik. Er ist von Hause aus Internist und Notfallmediziner. Leyck Dieken promovierte 2001 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in Endokrinologie. Seine siebenjährige klinische Erfahrung umfasst stationäre und ambulante Tätigkeiten in Deutschland und Brasilien.

DAZ: Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Amazon die Zur Rose Gruppe kaufen möchte. Würde solch ein Ereignis etwas an Ihrer Einschätzung ändern?

Leyck Dieken: Nein. Ein Kauf der Zur Rose Gruppe durch Amazon hätte keinerlei Auswirkungen auf den Betrieb des E-Rezept-Fachdiensts. Er würde dem Konzern auch keine Einblicke ermöglichen, denn wie gesagt scheidet eHealth-Tec nach der initialen Phase vollständig aus dem Projekt aus. Insofern wäre eine Übernahme durch Amazon völlig irrelevant für das System.

DAZ: Noch einmal kurz zurück zur Vergabe: Woran ist das Angebot der Noventi gescheitert?

Leyck Dieken: Sowohl was die Wirtschaftlichkeit betrifft als auch in puncto Leistungsfähigkeit war IBM klar im Vorteil. Das Gerücht, Noventi sei wegen eines Formfehlers ausgeschieden, ist nicht wahr. Wir haben uns dennoch sehr gefreut, dass deutsche Apotheker an der Ausschreibung teilgenommen haben und ich glaube fest daran, dass die Apotheker unbedingt zusammenkommen und sich hinter dem roten A versammeln sollten. Es ist von großem Wert, in Zeiten der Digitalisierung eine so traditionsreiche und anerkannte Marke zu haben, die jeder Mensch sofort erkennt.

DAZ: Die Rechte am Apotheken-A trägt bekanntlich der Deutsche Apothekerverband. Dieser hatte seinerzeit eine eigens entwickelte Web-App vorgelegt, dennoch hat die gematik lieber selbst eine Anwendung entwickelt, in der sich das Konzept des DAV nicht wiederfindet. Warum?

Leyck Dieken: Wir wussten, dass der DAV eine webbasierte App programmiert. Das Problem daran ist, dass eine webbasierte Anwendung bezüglich der Voraussetzungen in der Telematik und auch nach den Vorgaben des BSI keine schlüssige App-Plattform ist. Darüber haben wir den DAV zu gegebenem Zeitpunkt informiert und mitgeteilt, dass er dafür eine andere Plattform finden muss.

„Die gematik muss raus aus dem veralteten technischen Konstrukt der vergangenen 15 Jahre.“

Dr. Markus Leyck Dieken

DAZ: Der DAV ist auch Gesellschafter in der gematik. Hätte die Expertise im Apothekenmarkt nicht auch von dort kommen können? Oder musste sie zwingend Teil der Ausschreibung sein?

Leyck Dieken: Die Gesellschafter der gematik haben jeden einzelnen Satz der Ausschreibunggekannt. Niemand kann sagen, er habe nicht gewusst, was wir spezifiziert haben. Die technischen Experten unserer Gesellschafter haben uns über Monate begleitet und jedem einzelnen Feature zugestimmt.

DAZ: Ein Kritikpunkt von IT-Experten am E-Rezept-Konzept betrifft die Sicherheit des Systems. Können die Anforderungen und Anwendungen der Telematikinfrastruktur nicht auch unter Verwendung einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung realisiert werden? Inwiefern hat das die gematik im Zuge der Spezifikationen tatsächlich abgewägt?

Leyck Dieken: Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schließen wir deshalb für uns aus, weil wir interoperabler werden wollen. Wir möchten ein digitales Rezept bauen, das nicht nur eine elektronische Variante des Papierrezepts ist. Dann würde kein zusätzlicher Nutzen für die Versicherten und Leistungserbringer entstehen. Das E-Rezept ist das erste Produkt der gematik, das auf einem interoperablen Standard basiert. Mit diesem sogenannten FHIR-Standard gehen wir zum ersten Mal raus aus der nur in Deutschland existierenden Technik-Sprache, die uns bisher immer im Weg stand, wenn es um Anbindung in Europa ging. Damit öffnen wir die Tür für eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, die der Gesetzgeber jetzt definieren muss. Ein Ziel könnte es sein, dass deutsche E-Rezepte bald europaweit einlösbar sind. Mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wären viele weitere Services für den Bürger nicht möglich gewesen. Die gematik muss raus aus dem veralteten technischen Konstrukt der vergangenen 15 Jahre.

„Das E-Rezept ist Punkt-zu-Punkt verschlüsselt und wir werden immer wieder kommunizieren, dass es sicher ist.“

Dr. Markus Leyck Dieken

DAZ: Wie wollen Sie das Vertrauen der Patienten und Leistungserbringer gewinnen, wenn Sie auf diesen Sicherheitsstandard verzichten?

Leyck Dieken: Das E-Rezept ist Punkt-zu-Punkt verschlüsselt und wir werden immer wieder kommunizieren, dass es sicher ist. Wir sind sehr unglücklich über Verlautbarungen, die das anzweifeln, aber einfach nicht korrekt sind. Hier werden wir weiter Aufklärungsarbeit leisten müssen, aber wir sind überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden.

Foto: imago images / Future Image

DAZ: Stichwort Kommunikation. Halten Sie die Bekanntmachung der Zuschläge Anfang der vergangenen Woche für gelungen? Die gematik und IBM haben die Kommunika­tion bei diesem hochbrisanten Thema ja quasi Zur Rose über­lassen.

Leyck Dieken: Bei einem EU-Ausschreibeverfahren wie unserem gibt es sogenannte Stillhaltefristen. In dieser Zeit dürfen wir als Vergabestelle nichts verlautbaren. Das würde die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährden. Deswegen konnten wir erst am vergangenen Montag, als die Frist abgelaufen war, darüber informieren. Natürlich ist es nicht optimal, wenn es bereits vorher über den einen oder anderen Kanal durchsickert. Dennoch dürfen wir vor Ablauf der Frist nichts dazu sagen. Wir würden uns auch als verlässlicher Partner unglaubwürdig machen.

DAZ: Den Zuschlag hat IBM zunächst für eine Laufzeit von 48 Monaten plus Option auf zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr erhalten. Was passiert danach?

Leyck Dieken: Diese Laufzeit hat mit dem EU-Ausschreibungsrecht zu tun. Demnach muss eine Vergabestelle nach einer gewissen Zeit anderen Anbietern die Möglichkeit einräumen, zu zeigen, ob sie es besser machen können. Wir haben natürlich ein Interesse daran, dass wir erstmal stabil starten können und nicht nach sehr kurzer Zeit wieder die Pferde wechseln müssen und plötzlich neue Betreiber hinzukommen. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit startet das Ausschreibungsverfahren wieder von vorne. In welchem Rhythmus wir das Los für den Betrieb des Fachdiensts künftig ausschreiben, wird die Gesellschafterversammlung entscheiden.

DAZ: Herr Dr. Leyck Dieken, vielen Dank für das Gespräch. |

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