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Aus der Hochschule
Reaktionen auf das Positionspapier
Die Initiative des BPhD lädt zur Diskussion ein
Ein Blick nach England
Die Novellierung der Approbationsordnung ist aus meiner Sicht dringend geboten. Sie muss sich an den Anforderungen orientieren, die die Gesellschaft an Apotheker stellt und in Zukunft stellen wird. Warum sonst sollte sich die Bevölkerung ein teures Pharmaziestudium leisten?
Im Vereinten Königreich hat man im letzten Jahr begonnen, die Standards für das Pharmaziestudium zu aktualisieren. Und das, obwohl sie nicht einmal zehn Jahre alt sind. Zuvor hatten sie bereits die klassische Aufteilung zwischen den Fächern zugunsten vier großer Bereiche verlassen:
Wie Arzneimittel wirken, wie Menschen funktionieren, wie Gesundheitssysteme arbeiten (Clinical Management) sowie die Kernkompetenzen. Unter „Wie Arzneimittel wirken“ finden sich die Grundlagen der Chemie, Biologie, Physik, Technologie und Pharmakologie. Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie werden bei den Systemen im Abschnitt „Clinical Management“ behandelt. Die Kernkompetenzen umfassen unter anderem die Forschung, kritische Bewertung, Problemlösung, klinische Entscheidungen, Kommunikation und Literaturrecherche.
Bemerkenswert finde ich im Vereinten Königreich das Verfahren der Novellierung: Das General Pharmaceutical Council, das für die Standards zuständig ist, organisierte eine breit angelegte Anhörung zu Änderungsvorschlägen, in der Apotheker, Arbeitgeber der verschiedenen pharmazeutischen Berufsgruppen, Studierende, Hochschullehrer, aber auch die Öffentlichkeit und Ärzte ihre Vorschläge einbringen konnten. Nicht nur, dass ein solches Verfahren wichtige Impulse liefert – es demonstriert auch nach außen, wie umfassend die Ausbildung für Apotheker bereits ist, welche Inhalte dort vermittelt werden und in welche Richtung sich der Berufsstand entwickeln will.
Was wäre, wenn man hierzulande solch eine Befragung als Impulsgeber für die Novellierung unserer Approbationsordnung durchführen würde? Vielleicht sogar mit einer Gewichtung der Wünsche und Vorschläge nach den derzeitigen prozentualen Anteilen der pharmazeutischen Arbeitsfelder? Das würde dem Auftrag der Gesellschaft an ihre Apotheker doch besonders gut Rechnung tragen. Und es würde den Blick für neue relevante Inhalte sicher stärker weiten als die bloße Überlegung, welchen Anteil die klassischen pharmazeutischen Fächer untereinander einnehmen sollten. Angesichts der Häufigkeit, mit der ich Aussagen höre wie „Ach echt, als Apotheker muss man studieren?“, scheint mir die Öffentlichkeitswirksamkeit ein sehr lohnender „Nebeneffekt“.
Die Apothekerschaft setzt auf die Flächendeckung. Alle Apotheker durchlaufen dieselbe Ausbildung und sollen auf allen Gebieten gleich „fit“ sein. Im Bereich der öffentlichen Apotheke sollen mit Ausnahme der Zytostatika- und Parenteralia-Herstellung alle Pharmazeuten gleichermaßen alle Dienstleistungen anbieten können. Damit die Apotheker hierfür nachhaltig den honorierten öffentlichen Auftrag erhalten können, muss die Leistung einen messbaren Nutzen erzielen, und zwar stetig und flächendeckend. Darum braucht es eine Gesetzesnovelle samt zügiger Umsetzung an allen Universitäten.
Darum reicht kein Flickwerk der Freiwilligkeit. Die Ausbildung muss allen zukünftigen Kolleginnen und Kollegen ein tragfähiges Fundament bieten, den Bedarf in der Gesellschaft auch in Zukunft zu erfüllen.
Pharmazie als Innovator
Das Positionspapier des BPhD ist eine Einladung an uns alle, unsere Lehre zu hinterfragen. Sofern nicht schon geschehen, können viele der Vorschläge mit etwas gutem Willen und ohne größeren Aufwand von jedem Dozenten sofort umgesetzt werden. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich liegt uns allen die Entwicklung der Pharmazie am Herzen.
In diesem Sinne möchte man dem Positionspapier noch einige selbstbewusste Visionen mit auf den Weg geben. Der Fokus-Shift von „small molecules“ zu Biologicals ist in der Forschung längst erfolgt. Biologicals, Clinical Reasoning, CRISPR-Cas, Digitalisierung, Dienstleistungen, DNA-Chips, E-Rezept, PCR, personalisierte Medizin, Pharmakogenomik, RNA-Impfstoffe. Neues kommt von allen Seiten. Ist die derzeitige Struktur an den Universitäten überhaupt geeignet, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten? Muss nicht auch über ein flexibles Grundgerüst nachgedacht werden, das diese Änderungen schneller adaptieren kann? Wie kann das aussehen? Vernetzung ist hier keine leere Worthülse. Sie muss nicht nur untereinander und mit den anderen Naturwissenschaften, sondern auch mit den klinischen Disziplinen, z. B. der Immunologie oder der Kardiologie, erfolgen. Selbst mit der Informatik oder der Betriebswirtschaft gibt es interessante Schnittmengen für spannende Projekte. Das Wissen hieraus fließt in die Lehre ein, ebnet den Weg für Innovationen und sorgt für rasche Updates. Das Studium und die Gesellschaft danken es uns.
Die Pharmakotherapie taucht im Ranking des BPhD ganz oben auf. Sie findet aber keinen Nachhall im Positionspapier. Dabei vermittelt sie die evidenzbasierte Anwendung des Arzneimittels am Patienten, ermöglicht es uns, in Industrie und Krankenhaus mit gleicher Sprache zu sprechen und – als Kernbereich – sinnvolle Vorschläge zum Patientennutzen einzubringen und umzusetzen. Pharmakotherapie schlägt die Brücke zu den oben genannten Disziplinen. Jedes pharmazeutische Institut benötigt entsprechend dringend Lehrstühle für Pharmakotherapie, translationale Forschung oder „Pharmaceutical Outcomes & Policy“: Bereiche, in denen ganz wichtige Themen behandelt und erforscht werden. Hier muss ein Großteil der Lehre angedockt und mit der Klinik vernetzt werden. Hier sind auch AMTS und Praxistraining anhand von OSCEs zu Hause. Von hier aus werden die Studierenden auf Station direkt am Patienten ausgebildet. Ohne vernetzte Zusammenarbeit und pharmakotherapeutisches Lernen im interprofessionellen Team ist ein Studium der Pharmazie nicht mehr vorstellbar. Der Brückenschlag in die Klinik ist selbstverständlich und muss auch und gerade von diesen neuen pharmazeutischen Lehrstühlen geleistet werden. „Augenhöhe“ ist spätestens dann ein Wort der Vergangenheit.
Ethik wird vom BPhD genannt, aber die Sozialpharmazie bietet noch viel mehr. Sie ist international unter verschiedenen Begriffen etabliert und beschäftigt sich mit allen versorgungsrelevanten Aspekten, die durch Pharmazeuten verbessert werden können. Sozialpharmazie arbeitet mit naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Methoden. Die Ergebnisse kommen dem Berufsstand und der Fakultät unmittelbar zu Gute. Einige Beispiele: Wie muss die pharmazeutische Versorgungslandschaft der Zukunft aussehen? Ab wann spricht man von Versorgungslücken und wie kann man ihnen begegnen? Wie kann man den Nutzen des Apothekers für die Gesellschaft messen und vergrößern? Sozialpharmazie ist ein weiterer Innovationstreiber für unsere Institute. Sie vernetzt die Disziplinen, die Forschung und Lehre und hinterfragt den Nutzen laufend.
Den Fokus im Studium auf den Patienten statt auf das Arzneimittel zu legen, ist formal nur ein kleiner Schritt, aber ein riesengroßer für das sich ändernde Selbstverständnis. Gute Wirkstoffe zu erforschen, zu entwickeln und abzugeben, ist Teil unserer Stellenbeschreibung. Der übergeordnete Sinn aber ist der Nutzen für den Patienten und für die Gesellschaft. Wenn wir unsere Ausbildung und Standespolitik immer nur an diesem einen Credo ausrichten, liegen wir automatisch richtig und finden in einem sich schnell wandelnden, fluiden System immer die bestmögliche Antwort, auch auf dringende Sorgen wie den EU-Versandhandel und die Digitalisierung. Um bösen Kommentaren vorzubeugen: Natürlich müssen wir um unsere Vergütung und Bedingungen kämpfen. Das ist selbstverständlich und gilt für Dienstleistungen genauso wie für das Packungshonorar. Es kann aber nicht die Ausrichtung des Berufsbildes und die Ausbildung bestimmen. Richten wir uns danach, wie wir dem einzelnen Patienten den größtmöglichen Nutzen erweisen, so positionieren wir uns in jeder Situation automatisch zukunftssicher. Das gilt für die Offizin genauso wie für die Industrie oder die Universität. Sicher brauchen wir ein naturwissenschaftliches Fundament und die Grundlagenforschung. Beides ist aber kein Selbstzweck, sondern muss sich am Sinn orientieren. Mit dem Fokus auf den Patienten starten wir das Studium vielleicht mit dem Apothekereid, vernetzen die Lehrinhalte mit der Evidenz, den Leitlinien und der Anwendung, strukturieren das Studium nach Organsystemen, wenden das Gelernte auf Station am Patienten an und legen das Fundament zum lebenslangen Lernen aus der Universität heraus. Wir können uns auch in der klinischen Praxis selbst fortbilden, was aktuell nicht immer der Fall ist. Wir lernen und arbeiten interprofessionell und finden Lösungen fernab der starren Muster. So können wir uns fortwährend anpassen. Gleichzeitig bleiben wir für den Nachwuchs attraktiv. Sind das nur leere Phrasen und Fantasien? Mitnichten, so ist eine zeitgemäße Ausbildung normalerweise organisiert. Viele Universitäten haben dies längst erkannt und wandeln sich. Wir sind Pharmazeuten. Wir müssen uns in einem Berufsleben mehrfach neu erfinden. Die besten Unis sind vernetzt und erschließen als Trendsetter neue Bereiche. Danken wir also dem BPhD für seine gute Arbeit, setzen um, was sinnvoll und machbar ist und gehen direkt einen großen Schritt weiter: Erfinden wir uns neu und gehen wir gestärkt aus diesem Prozess hervor. |
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