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Pandemie Spezial

Schnelltesten im Akkord

Was Massentests im Kampf gegen COVID-19 leisten können

Einige Länder wie Luxemburg und die Slowakei oder auch die italienische autonome Provinz Bozen-Südtirol versuchen mit Massen-Schnelltests, das dramatische ­Infektionsgeschehen in ihren Bevölkerungen besser in den Griff zu bekommen. Wäre das auch in Deutschland machbar und würde das überhaupt etwas bringen? Von Helga Blasius

Die norditalienische Provinz Bozen-Südtirol gehört in Italien zu den roten Zonen mit strengen Corona-Sperren. Um den Mitte November erlassenen harten Lockdown möglichst kurz zu halten, führte die Provinz unter dem Leitspruch „Südtirol testet” am Wochenende vom 20. bis 22. November 2020 eine dreitägige Massentestung durch, vor allem, um die asymptomatischen Infizierten herauszufiltern und damit Infektionsketten zu unterbrechen. An dem Antigentest-Screening sollten sich möglichst 350.000 Menschen beteiligen, das heißt rund zwei Drittel der Bevölkerung. Aufgerufen waren nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche und Kinder ab fünf Jahren. Außer in den eigens hierfür eingerichteten 200 Testzentren sollten die Menschen sich drei Tage davor und danach auch bei Hausärzten oder in Apotheken testen lassen können. Diese mussten sich dazu beim Südtiroler Sanitätsbetrieb akkreditieren. Die Testungen waren freiwillig und kostenlos. Positiv Getestete müssen sich auch ohne Symptome für zehn Tage in häusliche Isolation begeben. Bei einem Erfolg des Massentests wurden Erleichterungen bei den Corona-Einschränkungen für die Wirtschaft und in den Schulen in Aussicht gestellt.

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Unerwartet hoher Zuspruch

Das Konzept ist offensichtlich gut aufgegangen. Nach der vorläufigen Bilanz des Südtiroler Sanitätsbetriebes wurden die optimistischen Erwartungen bezüglich des Zuspruchs zu der Aktion noch übertroffen. Das berichteten die Südtirol News am Montag dieser Woche. Über 343.000 Menschen hatten in der Hauptphase an der Aktion „Südtirol testet” teilgenommen. 3185 Ergebnisse fielen positiv aus (0,9%). Die allermeisten der Betroffenen sollen asymptomatisch gewesen sein. Diese wären ohne die Testaktion wahrscheinlich unentdeckt geblieben. „Über 3000 positiv Getestete mögen wenig erscheinen, aber bei einer Reproduktionszahl R von 1,5, wie letzthin in Südtirol, würden diese potenziell 4500 weitere anstecken, die dann 6750 anstecken, womit man in einer Woche theoretisch auf mehr als 95.000 Ansteckungen hätte kommen können“, rechnet der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) vor. Mit Blick auf die Ergebnisse wurde angekündigt, Kleinkindbetreuung, Kinder­garten und Grundschule am Dienstag schon wieder für die Präsenzbetreuung zu öffnen.

Luxemburg hat schon, Österreich will noch

Die Massentestung zog auch das Interesse des Nachbarlandes Österreich auf sich, denn Bundeskanzler Sebastian Kurz plant im Dezember ebenfalls eine Massentestung. Mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern wäre Österreich das bisher größte Land, das Massentests auf COVID-19 durchführt. Luxemburg hatte schon Mitte Mai damit begonnen, die 600.000 Einheimischen sowie Berufspendler einem Test zu unterziehen. Das Verfahren zog sich allerdings über mehrere Wochen hin.

Slowakei testete in zwei Phasen

In der Slowakei mit 5,5 Millionen Einwohnern sollten kürzlich in einer Blitz-Aktion alle Personen ab zehn Jahren auf Corona getestet werden, und zwar mindestens zwei Mal. Zunächst wurden in einem Pilotprojekt in vier nordslowakischen Bezirken mit besonders vielen Infizierten zwischen 23. und 25. Oktober 2020 knapp 141.000 Bewohner durchgetestet, 91 Prozent der Zielgruppe. Bei nahezu 5600, also knapp vier Prozent, wiesen die Antigen-Tests eine COVID-19-Infektionen nach. Am 31. Oktober und 1. November wurden dann rund 3,6 Millionen Menschen in die erste landesweite Testrunde einbezogen. Über 38.000 waren positiv (1,06%). Die Nachtestungen eine Woche später erstreckten sich dann nur noch auf 45 Bezirke, in denen die Infektionsrate eine Woche zuvor bei über 0,7% lag. Ein weiteres landesweites Nachtesten dürfte es aber nicht mehr geben, meldete die Wiener Zeitung Mitte November.

In Deutschland „praktisch unmöglich“

Der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands Deutscher ­Laborärzte (BDL) Matthias Orth hält Massentests auch in Deutschland grundsätzlich für sinnvoll, zweifelt jedoch an der Machbarkeit. Damit diese überhaupt ein verlässliches Bild des Infektionsgeschehens innerhalb einer Bevölkerung zeichnen könnten, müssten sie möglichst gleichzeitig überall im Land stattfinden, erklärt Orth gegenüber der Deutschen Welle. Nach Angaben der Akkreditierten Labore in der Medizin bearbeiten deutsche Labore aktuell etwa 1,5 Millionen PCR-Tests pro Woche. Um die gesamte deutsche Bevölkerung innerhalb von sieben Tagen testen zu können, müssten es mehr als fünfzigmal so viele sein, rechnet er vor. Bei den derzeitig verfügbaren Testkapazitäten würde ein Massentest der gesamten Bevölkerung mehr als ein Jahr dauern. Kapazitätsmäßig ist aus seiner Sicht aktuell nicht mehr viel Luft nach oben, von dem „chronischen Mangel“ an Testmaterialien ganz zu schweigen. All diese limitierenden Faktoren machten Massentests praktisch unmöglich, meint Orth. Seiner Meinung nach ist die aktuelle Marschrichtung, vorrangig Menschen mit COVID-19-Symptomen zu testen, allerdings wenig zielführend. Entscheidend für den Verlauf des Infektionsgeschehens ist für ihn, die asymptomatisch Erkrankten mit hoher Viruslast zu finden.

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Klare Empfehlung für Massen-Schnelltests

Eine neue Studie, die von Forschern der University of Colorado Boulder und der Harvard University in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde (Larremore et al. 2020), spricht sich sehr klar für mehr Massentestungen mit Antigen-Schnelltests aus, selbst wenn diese Tests deutlich weniger empfindlich sind als PCR-Tests. Die Wissenschaftler stützen ihre Empfehlung im Wesentlichen auf die Erkenntnisse dazu, wie die Viruslast während der Infektion ansteigt und fällt, wann Menschen dazu neigen, Symptome zu erleben, und wann sie ansteckend werden. Es gebe früh in der Infektion ein sehr kurzes Fenster, in dem die PCR-Testung das Virus erkennt, ein Antigentest jedoch nicht. Während dieser Zeit sei eine Person oft nicht ansteckend. Die Wissenschaftler bezeichnen die Antigen-Schnelltests deswegen als „Ansteckungstests“, weil sie ihrer Einschätzung zufolge SARS-CoV-2-Fälle in der Phase mit einem bestehenden Ansteckungsrisiko äußerst effektiv erkennen können. Den günstigen Preis der Tests sehen sie als weiteren Vorteil.

Besser schnell und etwas ungenauer

Mithilfe mathematischer Modellierungen versuchten die Wissenschaftler danach, die Auswirkungen des Screenings mit verschiedenen Testarten auf verschiedene hypothetische Szenarien vorherzusagen. Bei gleicher Testfrequenz verminderte der Schnelltest die Ansteckungsrate nach ihren Berechnungen immer besser als der langsamere, empfindlichere PCR-Test, für den die Ergebnisse erst bis zu 48 Stunden später zur Verfügung stehen. Dieses Phänomen führen sie darauf zurück, dass asymptomatische Infizierte das Virus weiter verbreiten, während sie auf ihre Ergebnisse warten. |

Literatur

Corona-Massentests in der Slowakei umstritten. Vom 17. November 2020. https://www.wienerzeitung.at

„Südtirol testet“: 343.227 Personen haben sich insgesamt testen lassen. Vom 22. November 2020. https://www.suedtirolnews.it

Europas Erfahrungen mit Corona-Massentests nicht nur positiv. Der Standard. Vom 16. November 2020. https://www.derstandard.at

Wie sinnvoll sind Corona-Massentests? Deutsche Welle. Vom 17. November 2020. https://www.dw.com

Larremore DB, Wilder B, Lester E, Shehata S, Burke JM, Hay JA, Tambe M, Mina MJ, Parker R. Test sensitivity is secondary to frequency and turnaround time for COVID-19 surveillance. medRxiv. 2020 Jun 27:2020.06.22.20136309. doi: 10.1101/2020.06.22.20136309.

Apothekerin Dr. Helga Blasius
 

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