Arzneimittel und Therapie

HIV und PrEP in Zeiten von Corona

Was kann eine HIV-Schwerpunktapotheke leisten?

Jedes Jahr am 1. Dezember findet seit 1988 der Welt-AIDS-Tag statt, an dem über die Infektion informiert und gegen Vorurteile gekämpft wird. Seit etwa 25 Jahren gibt es wirksame Therapien gegen HIV – und bei rechtzeitiger Behandlung haben HIV-positive Menschen heute eine fast normale Lebenserwartung. Wir sprachen mit Apothekerin Monika Bock, die in Berlin als Filialleiterin einer HIV-Schwerpunktapotheke arbeitet und sich besonders für eine gute Betreuung HIV-Infizierter engagiert.

DAZ: Frau Bock, Sie leiten eine von ca. 100 HIV-Schwerpunktapotheken. Bitte helfen Sie uns, diese Spezialisierung einzuordnen – was zeichnet die Apotheke und deren Angestellte aus?

Bock: HIV-Schwerpunktapotheken sind in der Beratung und Versorgung von HIV-infizierten Patientinnen und Patienten besonders engagiert. Das setzt voraus, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offen für das Thema sind. Neben regelmäßigen Schulungen halten sich alle durch Lektüre der Fachliteratur und von Internetseiten wie HIVandmore.de, Deutsche Aidshilfe etc. auf dem Laufenden. Die spezialisierten HIV-Schwerpunktapothekerinnen und -apotheker sind darüber hinaus in Workshops und auf Kongressen unterwegs. In der täglichen Arbeit stehen sie unseren Patienten auch für tiefer­gehende Fragen zur Verfügung. Generell sind die infrage kommenden Arzneimittel und Therapien den Mit­arbeiterinnen unserer Apotheke gut bekannt. Einnahmehinweise, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen werden bei jeder Rezepteinlösung angesprochen. Dazu und zur Einhaltung weiterer Qualitätsstandards haben wir uns als Mitglied des Dachverbandes Deutsche Arbeitsgemeinschaft der HIV- und Hepatitis-kompetenten Apotheken (DAH²KA e. V.) verpflichtet. Nicht zuletzt ist natürlich auch die Lieferfähigkeit von HIV-Medikamenten ein Kriterium einer Schwerpunktapotheke – in unserer Apotheke liegt diese bei annähernd 100%.

DAZ: Wie viele HIV-Patientinnen und -Patienten kommen regelmäßig zu Ihnen?

Bock: Wir sehen in der Woche 70 bis 80 HIV-Patienten, die je nach Therapie monatlich oder einmal im Quartal zu uns kommen.

Foto: Quartier Apotheke

Monika Bock

DAZ: Dann können Sie bestimmt gut einschätzen, wie sich die Corona-Pandemie auf deren Situation ausgewirkt hat, beispielsweise bezüglich der Verfügbarkeit von HIV-Medikamenten?

Bock: Entgegen anfänglicher Bedenken haben sich keine Lieferprobleme bei den HIV-Medikamenten ergeben. Dennoch bekommen wir auch jetzt noch Anfragen, ob das auch so bleiben wird.

DAZ: Welche weiteren Sorgen und Nöte hat die Patientengruppe, neben der Angst, ihre Arzneimittel könnten nicht verfügbar sein?

Bock: Unsere HIV-Patientinnen und -Patienten haben ähnliche Sorgen wie alle Menschen mit chronischen Erkrankungen, die regelmäßige Arzt­besuche nötig machen. Eine wichtige Frage ist der Umgang der Arztpraxen mit Hygiene-, Masken-, Belüftungs- und Abstandsfragen.

DAZ: Wegen dieser Unsicherheiten haben viele Menschen während des ersten Lockdowns einen Arztbesuch gescheut – auch die HIV-Patientinnen und -Patienten?

Bock: In dieser Zeit wurden in der Tat weniger Rezepte eingelöst. Einige HIV-Patientinnen und -Patienten konnten ihre Ärzte überreden, ihnen Medikamente für einen längeren Zeitraum zu verordnen und dadurch die An­zahl der Praxisbesuche zu reduzieren.

DAZ: Haben Sie im Gegenzug eine erhöhte Frequentierung Ihrer Apotheke und Inanspruchnahme von HIV-spezifischen Beratungen verspürt?

Bock: Nein, eine höhere Kundenfrequenz mit derartigen Fragen hatten wir nicht. Vereinzelt kamen spezielle Anfragen, ob die HIV-Arzneimittel jetzt eventuell besonders wertvoll seien oder im Gegenteil, ob ein Therapiewechsel anzuraten wäre.

DAZ: Sie sprechen hierbei einen wichtigen Punkt an. Haben sich viele HIV-Patientinnen und -Patienten davor gefürchtet, womöglich empfänglicher für eine SARS-CoV-2-Infektion oder einen schweren COVID-19-Verlauf zu sein?

Bock: Natürlich war die Angst und Sorge bei unseren Patientinnen und Patienten sehr groß, dass sie besonders schwer betroffen sein könnten. Andererseits kursierten unter den möglichen antiviralen Optionen gegen SARS-CoV-2 anfänglich auch einige HIV-Medikamente. Daher keimte bei manchen die Hoffnung, ob man möglicherweise besser geschützt sei. Bezüglich des Risikostatus konnten Fachgesellschaften wie die European AIDS Clinical Society erfreulicherweise bereits Ende Mai eine vorsichtige Entwarnung geben. Es scheint keine Anzeichen für höhere Infektionsraten oder einen schwereren Verlauf unter stabiler HIV-Therapie zu ­geben. Wir müssen aber bedenken, dass circa 50% der Patientinnen und Patienten älter als 50 Jahre alt sind und diverse Komorbiditäten haben, die im Vergleich zur HIV-negativen Bevölkerung in jüngerem Alter einsetzen. Dadurch steigt das Risiko wieder.

DAZ: Sie versorgen auch viele Kundinnen und Kunden mit der HIV-Präexpositionsprophylaxe (HIV-PrEP) aus Emtricitabin/Tenofovir, die eigentlich 2020 richtig durchstarten sollte, nachdem sie seit September 2019 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann. Hat Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht?

Bock: In unserer Wahrnehmung hat sich die HIV-Präexpositionsprophylaxe zulasten der GKV gut etabliert. Für uns überraschend scheint die Pandemie hier keinen nennenswerten Unterschied zu machen, es kann regional natürlich anders sein.

DAZ: Haben Sie von Kundinnen und Kunden, die an einer HIV-PrEP Interesse gehabt hätten, gehört, dass sie aufgrund der COVID-19-Pandemie keinen Arzt­termin bekommen oder aus persönlichen Gründen vom Wunsch nach einer HIV-PrEP abgesehen haben?

Bock: Die HIV-Präexpositionsprophylaxe darf nur von Ärztinnen und Ärzten mit spezieller Fortbildung zulasten der GKV verordnet werden, welche in der Regel auch in HIV-Schwerpunktpraxen beschäftigt sind. Die Praxen in unserer Umgebung haben sich so organisiert, dass die Verordnung der HIV-PrEP auch in Corona-Zeiten möglich geblieben ist. Andererseits gibt es natürlich „Zielpersonen“ für eine HIV-Prä­expositionsprophylaxe, die aufgrund der Pandemiebeschränkungen derzeit keinen Anlass sehen, dauerhaft Arzneimittel einzunehmen und in regelmäßigen Abständen zu Kontrolluntersuchungen zu gehen, und daher keine HIV-PrEP begonnen haben.

DAZ: Richtig, durch Kontaktbeschränkungen, Veranstaltungsverbote und Schließungen von Clubs, Bars und anderen Einrichtungen hat sich mitunter das Sexualverhalten geändert. Konnten Sie beobachten, dass viele PrEP-Anwenderinnen und -Anwender daher von einer kontinuierlichen auf eine anlassbezogene PrEP-Einnahme umgestiegen sind?

Bock: Die derzeitig zugelassene Anwendung ist nur für die kontinuierliche tägliche Einnahme vorgesehen. Natürlich berichten Anwenderinnen und Anwender auch von anderen Einnahmegewohnheiten. Ob sich das Verhältnis verändert hat, lässt sich aus unserer Perspektive leider nicht einschätzen.

DAZ: Frau Bock, herzlichen Dank für das Gespräch! |

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