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Arzneimittel und Therapie
Bakteriophagen auf dem Prüfstand
Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Antibiotika-Resistenzdilemma
Bereits im Jahr 1917 entdeckte Félix d’Hérelle kleine Viren, die in der Lage sind, Bakterien zu infizieren und zu töten, und gab ihnen den Namen Bakteriophagen (griech. phageĩn: fressen). 1919 gelang es ihm, einige Kinder im Hôpital des Enfants Malades in Paris erfolgreich mit Bakteriophagen zu behandeln. Doch ein knappes Jahrzehnt später entdeckte Alexander Fleming das Penicillin, und die Phagenforschung kam fast vollständig zum Erliegen. Im Gegensatz zum Penicillin und seinen Nachfolgern wirken die Phagen hochspezifisch. Während Penicilline beispielsweise in die bakterielle Proteinbiosynthese eingreifen und dabei nicht zwischen unterschiedlichen Bakterienarten unterscheiden, wirken Phagen spezifisch gegen eine Bakterienart und manchmal sogar nur gegen einen einzigen Stamm. Bevor mit Phagen therapiert werden kann, muss daher der Erreger bestimmt und der richtige Bakteriophage gefunden werden. Dieser zeitliche Nachteil wird allerdings durch einen Blick auf die aktuelle Antibiotika-Resistenzlage relativiert.
Laut Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) infizieren sich allein in Europa jährlich 670.000 Menschen mit multiresistenten Erregern. Von den Infizierten sterben schätzungsweise 33.000 und damit jeder Zwanzigste.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Interesse an der Phagentherapie wächst. So wurde in einer Studie im Jahr 2016 die Phagentherapie von Kindern mit akuter Diarrhö in Bangladesh untersucht. Die erste randomisierte kontrollierte Studie wurde 2019 veröffentlicht, in der die Wirkung eines Phagen-Cocktails bei der topischen Behandlung von Brandwunden analysiert wurde. Obwohl die Studien eine gute Verträglichkeit zeigten, ist deren Aussagekraft in Hinblick auf die Wirksamkeit stark limitiert. Kritisiert wurde vor allem, dass nicht nach dem heutigen Standard der evidenzbasierten Medizin gearbeitet wurde. Ungeachtet dessen ist in einigen osteuropäischen Ländern wie Georgien, Russland und der Ukraine die Phagentherapie zugelassen und weit verbreitet.
Erfolge bei bakterieller Vaginose
Auch in anderen Indikationen wird fleißig mit der Phagentherapie experimentiert, zum Beispiel bei der bakteriellen Vaginose. Verantwortlich gemacht für diese Infektion, an der etwa pro Jahr 100 Millionen Frauen leiden, wird das Gardnerella-Bakterium, das die natürlichen Lactobazillen verdrängt und so ein Ungleichgewicht im vaginalen Mikrobiom erzeugt. Zudem erzeugt es auf den vaginalen Epithelzellen einen Biofilm, der das Wachstum weiterer anaerober Keime fördert und diese vor der Wirkung der eingesetzten Antibiotika abschirmt. Als Standardantibiotikum wird Metronidazol eingesetzt, wobei inzwischen etliche resistente Gardnerella-Stämme existieren. Die Firma PhagMed möchte nun einen neuen Weg einschlagen und nutzt dazu speziell rekombinant hergestelltes Endolysin, das die Bakteriophagen nach erfolgreicher Replikation in der Wirtszelle nutzen, um die Zellwände zu zerstören und so das Bakterium zu töten. Durch die gentechnische Veränderung ist das Endolysin um den Faktor 10 potenter als das des Wildtyps. Erste Versuche schienen erfolgversprechend. Laut den auf einem Preprintserver veröffentlichten Ergebnissen konnte bei über 90% der Proben der Biofilm aufgelöst werden, ohne dass dabei das empfindliche vaginale Mikrobiom zerstört wurde.
Quelle: Landlinger C et al. MedRvix 2020. doi.org/10.1101/2020.10.21.20216853
Bakteriophage, Placebo oder Antibiotika
In einer aktuellen Studie aus Georgien wurde nun erstmals der Effekt einer intravesikalen Bakteriophagen-Therapie bei Harnwegsinfekten beleuchtet. Verwendet wurde das in Georgien zugelassene Präparat „Pyo Bacteriophage“. Es besteht aus einer Mischung von Phagen, die spezifisch verschiedene Typen von Staphylokokken, Streptokokken, E. Coli, Pseudomonas aeruginosa und Proteus-Spezies lysieren. Zugelassen ist das Präparat bei eitrigen Entzündungen und gastrointestinalen Infektionen, die durch die genannten Erreger ausgelöst wurden. Zwischen Juni 2017 und Dezember 2018 wurden 97 Männer über 18 Jahre in die Studie eingeschlossen, bei denen eine transurethrale Resektion der Prostata bevorstand und die an komplizierten oder wiederkehrenden Harnwegsinfekten litten. Die Patienten wurden in einem 1:1:1 Verhältnis randomisiert. Die ersten beiden Gruppen erhielten jeweils doppelverblindet zweimal täglich über sieben Tage 20 ml Phagen- oder Placebolösung in die Blase verabreicht. Die dritte Gruppe erhielt systemisch applizierte Antibiotika (je nach Sensitivität) als Open-label-Standardtherapie. Primäres Outcome war die mikrobielle Normalisierung der Urinkultur, die nach Behandlungsende oder bei Studienabbruch genommen wurde.
Effekt fraglich, aber Sicherheitsprofil gut
Eine Normalisierung der Urinkultur stellte sich bei 18% der Patienten in der Bakteriophagen-Gruppe, bei 28% in der Placebo-Gruppe (Odds Ratio [OR] = 1,60; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,45 bis 5,71; p = 0,47) und bei 35% in der Antibiotika-Gruppe (OR = 2,66; 95%-KI: 0,79 bis 8,82; p = 0,11) ein. Jedoch war der Unterschied zwischen den Gruppen in Hinblick auf den Behandlungserfolg nicht signifikant. Auch das Auftreten von Nebenwirkungen – sowohl die Art als auch die Schwere – unterschieden sich nicht signifikant in den einzelnen Gruppen. Überraschend ist, dass der Behandlungserfolg in beiden Verumgruppen recht gering und Placebo diesem nicht unterlegen war. Eine Erklärung hierfür könnte ein therapeutischer Effekt durch die Blaseninstillation sein. Bei dieser könnte durch den Spülvorgang möglicherweise eine rein mechanische Reduktion der Keimzahl verursacht worden sein. Beschrieben wurde ein ähnlicher Effekt bereits für die Blasenspülung mit Leitungswasser. Aktuell laufende mikrobiologische Analysen untersuchen Urinkulturen nach abgeschlossener Behandlung in Bezug auf die verbliebenen Phagenkonzentrationen und deren Aktivität gegen isolierte pathogene Stämme. Die Ergebnisse werden weitere Einblicke in die antibakterielle Aktivität gewähren. Aufgrund der Mischung unterschiedlicher Phagenstämme in dem verwendeten Präparat und der Verdünnung in der Blase könnten die entscheidenden Phagentiter in vivo zu niedrig gewesen sein.
Zusammengefasst konnte die gute Verträglichkeit der Phagentherapie bestätigt werden, die Ergebnisse geben jedoch wenig Aufschluss über deren Effektivität. Weitere Studien mit längerer Behandlungsdauer, längerem Follow-up und höheren Phagenkonzentrationen sind wichtig für die weitere Beurteilung. |
Literatur
Leitner L et al. Intravesical bacteriophages for treating urinary tract infections in patients undergoing transurethral resection of the prostate: a randomised, placebo-controlled, double-blind clinical trial. Lancet Infect Dis. Published online September 2020; doi: https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30330-3
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