Pandemie Spezial

mRNA-Impfstoffe ante portas – EMA unter Druck

Ein Blick hinter die Kulissen des Zulassungsprozesses

du | Die britische Zulassungsbehörde MHRA hat inzwischen den mRNA-Impfstoff BNT162b2 der Firmen Biontech/Pfizer zugelassen. Die Impfungen sollen in diesen Tagen starten. Doch wie sieht es in der EU aus? Die Anträge auf bedingte Zulassung (Conditional Use Authorization) liegen sowohl für den mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer als auch für den von Moderna seit dem 30. November bzw. dem 1. Dezember vor. Die Prüfung läuft.

Für beide mRNA-Impfstoffe haben die Hersteller zur Zulassung auf die wegen der Pandemie neu geschaffene Möglichkeit des Rolling-Review-Verfahrens zurückgegriffen, an deren Ende eine bedingte Marktzulassung, eine sogenannte „Conditional Use Authorization“ stehen soll. Dieses Verfahren kommt nur für solche Arzneimittel infrage, die von besonderer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit sind und damit beispielsweise auf Krankheiten abzielen, für die es noch keine Behandlungsmöglichkeit gibt. Wird dem Antrag auf ein solches Verfahren durch die EMA stattgegeben, wie dies bei den mRNA-Impfstoffen der Fall war, dann können Hersteller schon während der Durchführung der zulassungsrelevanten Studien Daten aus den Bereichen der Entwicklung, Herstellung und vor allem aus den laufenden Studien zur Verfügung stellen. Das ermöglicht es, schon im Vorfeld des eigentlichen Zulassungsantrags mit der Bewertung zu beginnen und mit der Einreichung des abschließenden Dossiers schneller über eine dann allerdings bedingte Zulassung zu entscheiden.

Foto: Biontech

Erster mRNA-Impfstoff. Die britische Zulassungsbehörde MHRA hat in Großbritannien den Weg frei gemacht für die Impfung mit BNT162b2.

Neun Tage in England

In Großbritannien wurde das vollständige Antragsdossiers am 23. November 2020 eingereicht, am 2. Dezember 2020 erfolgte die Zulassung.

Vier Wochen in der EU?

So schnell wird es in der EU kaum ­gehen. Ziel des beschleunigten Be­wertungsverfahrens ist es, die Prüfungsphase von normalerweise 210 Tagen auf maximale 150 Tage zu verkürzen. Im Mittelpunkt der Prüfung stehen auch hier die Qualität, die Wirksamkeit und die Sicherheit des Arzneimittels.

An der Prüfung sind zwei Teams von unterschiedlichen Arzneimittelzulassungsbehörden der 27 EU-Mitgliedsstaaten beteiligt, ein Rapporteur-Team und ein Co-Rapporteur-Team. Die Teams bestehen aus jeweils zehn bis zwölf Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten (u. a. Pharmazeuten, ­Mediziner, Statistiker, Biologen) und werden von einem Case-Manager koordiniert. Ein drittes Team ist für die Begutachtung der hier erarbeiteten Bewertungen zuständig (Peer Review). Ergeben sich offene Fragen am Ende des Begutachtungsprozesses, werden diese mit dem Antragsteller geklärt [2]. Dann wird das Ergebnis dem Ausschuss für Humanarzneimittel, dem Committee of Human Medical Products (CHMP), vorgelegt und dort ­diskutiert. Kommen weitere Fragen auf, wird wieder der Antragsteller kontaktiert, der unter Umständen auch zu einer Anhörung geladen wird.

Offenen Fragen, die sich zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht klären lassen, wird mit einem Risk-Management-Plan, der Teil der Zulassung ist, Rechnung getragen.

Im Rahmen des Rolling-Review-Prozesses zu den mRNA-Impfstoffen der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna sind die vollständigen Antragsdossiers für die Zulassung am 30. November bzw. 1. Dezember eingereicht worden. Erwartet wird eine bedingte Zulassung für den Biontech/Pfizer-Impfstoff bis spätestens 29. Dezember 2020, für den von Moderna im Januar. Diese bedingte Zulassung wird an Auflagen geknüpft sein und zunächst einmal für ein Jahr erteilt.

Für die einen zu schnell, für die anderen zu langsam

Durch die schon erfolgte Notfallzu­lassung durch Großbritannien hat sich der Druck auf die europäische Zulassungsbehörde erhöht. Während unter anderem der Präsident der ­Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, eine schnellere Prüfung fordert und sich im Deutschlandfunk darüber gewundert hat, dass die EU-Behörden jetzt noch vier Wochen benötigen, mahnt der Vorsitzende des Weltärztebundes, Prof. Dr. Frank ­Ulrich Montgomery, zur Geduld und fordert eine gründliche Prüfung. Fakt ist, dass die Phase-III-Studien-Daten noch nicht in Gänze veröffentlicht sind. Zudem können viele Fragen im Hinblick auf Nebenwirkungen und Langzeitfolgen zu diesem Zeitpunkt, also ca. vier Monate nach Start der ­Biontech-Phase-III-Studie, noch nicht bekannt sein. |

Literatur

[1] Häufig gestellte Fragen zu Coronavirus SARS-CoV-2/COVID_19. www.pei.de

[2] Wie die Zulassung von Impfstoffen funktioniert. Interview mit Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der Medizinmarktaufsicht der österreichischen Zulassungsbehörde Ages. Der Standard, 18. November 2020

 

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