Arzneimittel und Therapie

Vorteil für Nortriptylin und Duloxetin

Patienten mit idiopathischer Neuropathie profitieren von geringer Abbruchrate

Neuropathien können unterschiedlicher Genese sein. In vielen Fällen lässt sich jedoch kein zugrunde liegendes Leiden diagnostizieren. Betroffene dieser idiopathischen Form der Erkrankung leiden unter teils massiven Schmerzen. Deren medikamentöse Behandlung ist noch kaum erforscht. In einer neuen Studie ist der Nutzen von Pregabalin, Duloxetin, Mexiletin und Nortriptylin in einem patientennahen Setting verglichen worden.

Periphere Neuropathien sind mit einer Prävalenz von circa drei Prozent eine relativ häufig auftretende neurologische Erkrankung [1]. Meist entwickeln sich diese sekundär zu Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, durch Alkoholabusus oder Arzneimittel. Bei jedem vierten Patienten kann allerdings keine eindeutige Ursache gefunden werden. Man spricht in diesem Falle von der idiopathischen sensorischen peripheren Polyneuropathie [2]. Neben tauben und kribbelnden Armen und Beinen leiden die Betroffenen unter starken Schmerzen. Die Therapie dieser neuropathischen Schmerzen ist bislang wenig untersucht.

Effektiv und auch nützlich?

Diese Lücke will die prospektive, adaptiv-randomisierte, open-label PAIN-CONTRoLS Studie aus den USA füllen [3]. Neben der Wirksamkeit legten die Autoren einen großen Wert auf die Praktikabilität der Therapie für den Patienten. Ein- und Ausschlusskriterien wurden daher niedrig angesetzt. Für die Studie wurden über drei Jahre 402 Patienten (über 30 Jahre, durchschnittlich 60,1 Jahre) mit idiopathisch auftretenden neuropathischen Schmerzen (≥ 4 auf einer 10-stelligen Schmerzskala) rekrutiert. Nach der Erstuntersuchung wurden sie zufällig den verschiedenen Studiengruppen zugeteilt. Die Forscher verglichen die tägliche Einnahme von 300 mg Pregabalin, 60 mg Duloxetin, 600 mg Mexiletin und 75 mg Nortriptylin über drei Monate. Die Teilnehmer erhielten ein Rezept über das jeweilige Medikament und mussten sich dieses selber beschaffen. Als primärer Endpunkt wurde eine sogenannte Nutzenfunktion bestimmt. In die Berechnung flossen die Wirksamkeit (Anteil der Patienten, die eine Schmerzreduktion von über 50% erreichten) sowie die Abbruchrate ein. Die Randomisierung neuer Teilnehmer wurde bei jeder Zwischenauswertung über die dreijährige Studiendauer hinweg basierend auf der Nutzenfunktion adaptiert. Neue Patienten wurden somit eher potenziell effektiveren Therapien zugewiesen.

Im Gegensatz zu gesunden Neuronen (A) sind periphere Neuropathien(B) typischerweise durch geschädigte Axone oder Demyelinisierung gekennzeichnet [2].

Vergleicht man zunächst nur die Wirksamkeit, gab es keinen klaren Gewinner. Bis auf Pregabalin wirkten alle Medikamente gleich gut, wenn auch insgesamt nur moderat (Nortriptylin 25,4%; Duloxetin 23%; Mexiletin 20,3%; Pregabalin 15,1%). Nach Berechnung der Nutzenfunktion lagen Nortriptylin (0,81) und Duloxetin (0,8) vor Pregabalin (0,69) und Mexiletin (0,58), da weniger Patienten die Behandlung mit den beiden erstgenannten Wirkstoffen abbrachen. Zum Therapiestopp führten meist unerwünschte Wirkungen, aber auch zu hohe Kosten oder eine zu geringe Wirksamkeit. Insgesamt waren alle Arzneistoffe sicher. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Mitfinanziert wurde die Studie vom PCORI (Patient-Centered Outcomes Research Institute), einer unabhängigen, durch Obamacare geschaffenen Einrichtung. Ziel dieser Institution ist es, den Stimmen der Patienten in der klinischen Forschung Gehör zu verschaffen [4]. Diese Intention ist in der Studie klar zu erkennen. Sie wurde praxisnah offen durchgeführt und erteilte dem vom Teilnehmer selbst bestimmten Therapieabbruch eine zentrale Rolle. Persönliche, beispielsweise finanzielle, Gründe der Patienten verzerrten zwar die Ergebnisse, allerdings sind diese Motive in der Realität nicht irrelevant.

Es lässt sich verallgemeinern, dass alle vier Wirkstoffe für die Schmerztherapie der idiopathischen Neuropathie infrage kommen. Nortriptylin und Duloxetin könnten aufgrund geringerer Abbruchraten bevorzugt werden. Gleichzeitig bedarf es Studien mit anderen Arzneimitteln bzw. neuartigen Therapien, da die untersuchten Arzneistoffe nur mäßig wirkten. Eine Placebokontrolle samt Verblindung wäre ebenso interessant gewesen. |
 

Literatur

[1] Beghi E et al. Chronic symmetric symptomatic polyneuropathy in the elderly. Neurology 1995;45:1832-1836

[2] Pasnoor M et al. Cryptogenic Sensory Polyneuropathy. Neurol Clin 2013;31:463–476

[3] Barohn RJ et al. Patient Assisted Intervention for Neuropathy: Comparison of Treatment in Real Life Situations (PAIN-CONTRoLS): Bayesian Adaptive Comparative Effectiveness Randomized Trial. JAMA Neurol 2020 Aug 17 online ahead of print

[4] Fleurence R et al. How the Patient-Centered Outcomes Research Institute is engaging patients and others in shaping its research agenda. Health Aff (Millwood) 2013;32:393-400

Apotheker Dr. Tony Daubitz

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