Therapien im Gespräch

2020 - viral dominiert

Revolutionäre Therapieansätze bei AIDS und Hepatitis D

mab | Ganz klar, 2020 war das Jahr von SARS-CoV-2. Doch die Wissenschaft hat auch andere Viruserkrankungen glücklicherweise nicht aus den Augen verloren und 2020 zum Teil revolutionäre Fortschritte in deren Therapien vorangetrieben.
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Betroffene Patienten dürften sich gefreut haben: Im Oktober 2020 gab der Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP der europäischen Zulassungsbehörde EMA grünes Licht für die Zulassung einer nie dagewesenen Therapie gegen das Humane Immundefizienzvirus (HIV). (s. DAZ 17, S. 48). Die neue Kombinationstherapie besteht aus dem neuartigen Integrase-Strangtransferase-Inhibitor Cabotegravir (Vocabria®) und dem nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptasehemmer Rilpivirin (Rekambys®). In Studien war die Fixkombination ähnlich wirksam wie die Standardtherapie, jedoch war die Behandlungszufriedenheit der Patienten deutlich gesteigert. Das dürfte an der einfachen Anwendung der Therapie liegen: Anstatt wie bisher jeden Tag etliche Tabletten einnehmen zu müssen, bekommen die Patienten die beiden Wirkstoffe alle vier bis acht Wochen gespritzt. Durch die stetige Weiterentwicklung der HIV-Medikamente sterben immer weniger Patienten an der Krankheit und werden dadurch immer älter (s. DAZ 34, S. 48).

Ältere HIV-Patienten: Eine Herausforderung

Gealterte HIV-Patienten leiden nicht selten unter vielen Komorbiditäten. So konnten bei Betroffenen im Vergleich zu HIV-negativen Patienten im gleichen Alter deutlich mehr Begleiterkrankungen wie erhöhter Blutdruck, Herzinfarkte, periphere arterielle Verschlusskrankheit und eingeschränkter Nierenfunktion gesehen werden.

Die Therapie dieser Begleiterkrankungen stellt aufgrund des hohen Inter­aktionspotenzials mit den antiretroviralen Arzneimitteln eine Heraus­forderung dar. Hier spielen vor allem Interaktionen zwischen den antiretroviralen Arzneimitteln, die über das CYP450-System abgebaut werden (zum Beispiel HIV-Protease-Hemmer), eine Rolle. Aber auch Wechselwirkungen, die über das P-Glykoprotein und die renalen Transporte vonstattengehen, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Daher sollte man insbesondere bei älteren Patienten, die Lipidsenker, Blutdrucktabletten oder Antikoagulantien einnehmen, besondere Vorsicht walten lassen. Bei einer Therapie mit Glucocorticoiden (auch in Form von Augentropfen, Aerosol und intramuskulärer Injektion) kann es durch gleichzeitig verabreichte HIV-Proteasehemmer zu einem gefährlichen Cushing-Syndrom kommen.

Interaktionen im Blick behalten

Eine große Erleichterung, um sich im Dschungel der Wechselwirkungen von antiretroviralen Medikamenten zurechtzufinden, bietet die von der Universität Liverpool speziell für HIV-Interaktionen bereitgestellte Datenbank. Unter www.hiv-druginteractions.org findet man nicht nur eine Auflistung möglicher Interaktionen, sondern kann gezielt auch einen Online-Interaktionscheck durchführen. Aber auch für HIV-Patienten, bei denen aufgrund von Resistenzen keine Therapie mehr gut anspricht, gab es 2020 Hoffnung. Mit Fostemsavir wurde ein neuer Wirkstoff zur Zulassung bei der EMA eingereicht, der auch auf multiresistenten HI-Viren durch seinen neuartigen Mechanismus ansprechen soll: Das Prodrug von Temsavir bindet an die gp120-Untereinheit der Virusoberfläche und verhindert so eine Konformitätsänderung, die für die initiale Bindung des HI-Virus mit den Ober­flächenrezeptoren der CD4+-Zellen notwendig ist (s. DAZ 22, S. 43). So kann eine Infektion der T-Zellen und anderer Immunzellen bei gleichzeitig günstigem Interaktionspotenzial verhindert werden.

Eine absolute Revolution hat sich auch in der Hepatitis-D-Therapie in 2020 gezeigt (s. DAZ 33, S. 36). Mit Bulevirtid (Hepcludex®) als Injektion steht erstmals ein Therapeutikum gegen Typ D des leberzerstörenden Virus zur Verfügung. Das Molekül verhindert die Kopplung von Hepatitis-B- und D-Viren an den Gallensalzrezeptor NTCP (Natrium+-Taurocholate Cotransporting Polypeptide) und verhindert so den Eintritt der Viren in die Hepatozyten.

Influenza-Impfstoff im Fokus

Neben SARS-CoV-2 hat uns dieses Jahr auch wieder die Influenza beschäftigt. Nicht nur, dass seit dem vierten Quartal in einigen Bundesländern auch Apotheker gegen die Grippe impfen dürfen, sondern auch, dass kurz nach Start der Impfsaison die Impfstoffe knapp wurden. Doch wie wirksam sind die Influenza-Impfstoffe eigentlich und wie hoch ist das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (s. DAZ 38, S. 56)? Laut Angaben des Robert Koch-Instituts lag die Wirksamkeit der Grippeimpfung in der vergangenen Grippesaison 2019/2020 erstmals bei 62%. Zum Vergleich: In den beiden Impfperioden zuvor lag sie lediglich bei 21% (2018/2019) oder in der Saison 2017/2018 sogar nur bei 15% (s. DAZ 42, S. 44). Doch woran liegt das? Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit der Grippeimpfung ist, dass die Vakzine in jeder Saison an die zu erwartenden Erregervarianten angepasst werden. Die WHO hatte sich bei der Empfehlung des Influenza-A(H3N2) für die Saison 2019/2020 besonders viel Zeit gelassen und folgte erst Wochen nach der Empfehlung der anderen Stämme. Was sich gelohnt zu haben scheint. Zur Erklärung: Influenza-A(H3N2) ist besonders mutationsfreudig, was die Voraussage auf die in der Saison zirkulierenden Viren erschwert. Allgemein konnte in den Auswertungen des Robert Koch-Instituts erneut bestätigt werden, was sich seit Jahren abzeichnet: Ältere Menschen sprechen weniger gut (43% Impfeffektivität bei über 60-Jährigen) auf die Grippeimpfung an als jüngere (bis 14 Jahre: 69%). Dass ältere Menschen möglicherweise einen anderen Impfstoff benötigen, hat inzwischen auch die Pharmaindustrie erkannt und hat mit Fluad®Tetra (Sequirus) und Eflueda® (Sanofi Pasteur) zwei Grippeimpfstoffe entwickelt, die das Immunsystem von Älteren besonders stimulieren sollen. So soll in Fluad®Tetra ein Adjuvans die Wirkung verstärken, Eflueda® enthält die vier­fache Menge an Antigen. Schade nur, dass beide Impfstoffe zwar bereits eine Zulassung haben, jedoch erst kommende Saison 2020/2021 zur Verfügung stehen werden.

Sicher impfen in Apotheken

Spätestens seit die ersten Grippeschutzimpfungen in Apotheken durchgeführt werden, dürfte auch die Sicherheitsfrage der Vakzine noch mehr in den Fokus gerückt sein. Wie bei anderen Impfungen auch können nach der Injektion Schmerzen, Schwellungen und Rötungen an der Einstichstelle auftreten, einige Patienten weisen einige Tage später Erkältungssymptome auf (s. DAZ 38, S. 56). Am gefürchtetsten sind jedoch anaphylaktische Reaktionen auf die Impfung. Hersteller raten daher von dem Gebrauch der Vakzinen bei Patienten ab, bei denen Allergien gegen Bestandteile von Ei, aber auch gegen Formaldehyd oder Gentamicinsulfat bekannt sind. Diese können trotz Aufreinigung in geringen Mengen in den Vakzinen vorhanden sein. Personen, bei denen eine schwere Hühnereiweißallergie in der Vergangenheit diagnostiziert wurde, sollten daher nur in einer klinischen Um­gebung geimpft werden, in dem ein anaphylaktischer Schock schnell behandelt werden kann. Doch in welcher Größenordnung befindet sich dieses Risiko denn nun? Studien kommen dabei auf eine Häufigkeit zwischen 0,2 bis 1,53 Fälle pro eine Million applizierter Dosen. Auch wenn das sehr selten ist, stellt der anaphylaktische Schock einen potenziell lebensbedrohlichen medizinischen Notfall dar. Apotheker, die die Influenza-Impfung in der Offizin anbieten, sollten daher auf diese Ausnahmesituation vorbereitet sein. Im Curriculum der Bundesapothekerkammer („Grippeschutz­impfung in öffentlichen Apotheken – Theorie und Praxis“) werden die Hilfsmaßnahmen theoretisch und praktisch vermittelt.

Und wenn die Influenza doch zuschlägt?

Und wenn uns die Grippe trotz Impfung doch erwischt? Vielleicht steht uns in wenigen Monaten dann schon Baloxavir (Xofluza®) als Alternative zu Oseltamivir und Co., gegen die inzwischen etliche Influenzaviren resistent sind, zur Verfügung (s. DAZ 43, S. 48). Im November hatte Baloxavir eine positive Zulassungsempfehlung des CHMP bekommen. Anders als die bisherigen Influenza-Wirkstoffe hemmt Baloxavir die Endonukleaseaktivität der viralen RNA-Polymerase und hemmt so die Transkription der viralen vRNA in mRNA. Infolge kann keine Virusreplikation mehr stattfinden. Das als Single-Dose eingesetzte Viru­statikum hatte sich zudem auch in der Postexpositionsprophylaxe als wirksam erwiesen. |

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