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Arzneimittelmissbrauch

Der Kick aus der Apotheke

Von Arzneimitteln, die für Drogentrips missbraucht werden

Das pharmazeutische Personal ist verpflichtet, einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten und bei begründetem Verdacht die Abgabe zu verweigern – so schreibt es Paragraf 17 der Apothekenbetriebsordnung vor. Daneben existiert die heilberufliche Pflicht, diesen Menschen Hilfe anzubieten. Leider fällt es im Alltag oft schwer, einen Missbrauch als solchen zu erkennen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine zuverlässigen Daten dazu, welche Medikamente wie zu Rauschzwecken angewendet werden. Der folgende Artikel beruht zum Teil auf den Erfahrungen von Konsumenten, die sich in Internet-Foren über ihre Trip-Erfahrungen mit Arzneimitteln austauschen. Ein Fazit der Recherche: Das Experimentieren kennt keine Grenzen.  | Von Rika Rausch

Arzneimittelfehlgebrauch ist ein von der Bestimmung abweichender Gebrauch, das heißt beispielsweise eine abweichende Indikation, Dosis oder Einnahmedauer. Davon abzugrenzen ist Arzneimittelmissbrauch als ein von der Bestimmung vorsätzlicher oder gezielter abweichender Gebrauch. Nicht selten mündet Missbrauch in einer Abhängigkeit. Etwa 4 bis 5% aller häufig verordneten Arzneimittel wird ein eigenes Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial zugeschrieben. Davon fallen etwa zwei Drittel in die Kate­gorien „verschreibungspflichtig“ und „Betäubungsmittel“. Aber auch OTC-Präparate bieten ein weites Feld für Arzneimittelmissbrauch. In ihrem Fall tragen die Apothekenmitarbeiter als einzige Sicherheitsbarriere eine besondere Verantwortung. Doch bei welchen Arzneimitteln lohnt sich heutzutage überhaupt ein zweiter kritischer Blick? Worauf man noch achten sollte, zeigt der Kasten „Wie erkennt man Arzneimittelmissbrauch?“.

Wie erkennt man Arzneimittelmissbrauch?

Arzneimittelmissbrauch ist im Alltag schwierig zu erkennen und kann zu heiklen Diskussionen am HV-Tisch führen. Rückschlüsse auf einen kritischen Arzneimittelkonsum können unter anderem aus den folgenden Umständen gezogen werden:

  • Häufigkeit der Nachfrage und gewünschten Mengen,
  • Hinweise auf Beschaffung aus mehreren (wohnortfernen) Apotheken,
  • Verschreiben eines kritischen Arzneimittels auf Privat­rezept oder durch verschiedene (wohnortferne) Ärzte für denselben Patienten,
  • Manipulation von Arzneimitteln (z. B. angebliche Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit bei Tropfenpräparaten von Opioid-Analgetika durch Streckung mit Wasser),
  • Rezeptfälschungen,
  • Tricks der Medikamentenbeschaffung, zum Beispiel die Vorgabe, ein Rezept verloren zu haben.

Bei Fällen von Manipulation von Arzneimitteln, Diebstahl und Fälschung von Rezepten muss unverzüglich die zuständige Berufskammer in Kenntnis gesetzt werden. Handlungsempfehlungen, was im Fall von Arzneimittelmissbrauch in der apothekerlichen Praxis zu tun ist, gibt der von der Bundesapothekerkammer (BAK) herausgegebene Leitfaden „Arzneimittelmissbrauch“ (aktueller Stand: März 2018).

Benzodiazepine

In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge etwa 1,9 Millionen Arzneimittelabhängige, davon sind allein etwa 1,1 bis 1,2 Millionen den Benzodiazepinen verfallen. Bekanntermaßen handelt es sich dabei nicht um die „klassischen“ Drogenkonsumenten, sondern häufig um Frauen im mittleren bis höheren Lebensalter. Selbst in therapeutischen Dosierungen kann sich unter Benzodiazepinen bereits nach zwei bis vier Monaten Einnahme eine Abhängigkeit entwickeln. Bei höherer Dosierung reichen mitunter vier Wochen. Schätzungsweise 40% der Benzodiazepin-Verordnungen münden in einer Dauereinnahme. Auch für die Benzodiazepin-Analoga Zolpidem und Zopiclon – ursprünglich in der Hoffnung entwickelt, ein geringeres Abhängigkeitspotenzial zu haben als Benzodiazepine – zeichnet sich eine steigende Tendenz zum Missbrauch ab.

Die Abhängigkeit ist das eine Problem, das andere der Missbrauch von Benzodiazepinen in der Drogenszene, wo sie als „Benzos“, „Roofies“ und „Dias“ bekannt sind. Benzodiazepine verstärken die Wirkung des inhibitorischen Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA) an GABAA-Rezeptoren und wirken auf diese Weise anxiolytisch, sedativ, antikonvulsiv und hypnotisch, je nach Dosierung und Einnahmeintervall auch euphorisierend. Sie werden unter anderem benutzt, um nach dem Konsum von aufputschenden Drogen wie Speed „runterzufahren“ oder aber einem sogenannten Horrortrip durch halluzinogene Substanzen entgegenzuwirken. Im Internet wird allerdings davor gewarnt, Trips auf diese Weise zu stoppen, da sich dadurch eine Psychose manifestieren kann. Zudem ist dieser bequeme „Aus-Knopf“ das Einfallstor in die Abhängigkeit. Eine lebensgefährliche Atemdepression droht vor allem bei Mischkonsum mit anderen Downern wie Alkohol oder Opioiden.

Opioide

Opioide sind Rauschmittel mit einer Jahrtausende alten Geschichte. Ob geraucht, geschluckt, geschnupft oder gespritzt – jede Applikationsform hat das Potenzial, den Anwender in einen Rauschzustand zu versetzen, und findet seine Anhänger. Auf Arzneimittelebene sind vor allem flüssige Darreichungsformen beliebt, da sie zentral schnell anfluten und neben Schmerzlinderung leichte Euphorie in Verbindung mit Gleichgültigkeitsempfindungen hervorrufen. Als Betäubungsmittel sind die meisten Opioide nur schwer zu beschaffen. Vor ein paar Jahren wurde die Branche darüber informiert, dass Konsumenten Abfälle aus Kliniken und Altenpflegeheimen gezielt nach gebrauchten Fentanyl-Pflastern durchsuchen. Um den Wirkstoff herauszulösen, werden die Pflaster gekaut oder für eine intravenöse Applikation ausgekocht. Andere Wege der Beschaffung reichen vom sogenannten Doktorhopping bis hin zum Diebstahl von Blanko-Betäubungsmittelrezepten. Auch das vermeintlich harmlosere, zur Linderung von Reizhusten eingesetzte Opioid Codein wird missbräuchlich angewendet, da es zu etwa 10% zu Morphin metabolisiert wird. Aus den USA stammt der Trend, einen Codein-haltigen Hustensaft mit kohlensäurehaltigen Softdrinks zu mischen und zu trinken. Der Mix ist als „Purple Drank“, „Dirty Sprite“ oder „Sizzurp“ bekannt. Ein User, der etwa 20 ml Codein-Tropfen mit Sprite auf einmal trank, berichtet im Internet: „Nach gut einer Stunde fing ich an Symptome von Heroin wahrzunehmen. Zunächst kratzte meine Kopfhaut. Dann lief der Juckreiz über den Nacken bis in die Waden. Es war wirklich unerträglich, denn man konnte nicht aufhören. Ich wartete darauf, ob sich ‚Insekten‘ unter meiner Haut bewegten, und redete mir für den Fall ein, dass dies nur Paranoia sei.“

Methylphenidat

Das Psychostimulanz Methylphenidat hemmt die Wieder­aufnahme der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt und wird zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) in Dosierungen von maximal 60 mg bei Kindern und 80 mg bei Erwachsenen pro Tag eingesetzt. Wegen seiner ZNS-stimulierenden Wirkung ist Methylphenidat auch für die Drogenszene interessant und trägt dort Namen wie „Diät-Coke“, „Kiddie Coke“, „R Ball“, „Smarties“ und „Kinder-­Kokain“. Die euphorisierende Wirkung ist umso ausgeprägter, je höher die Anflutungsgeschwindigkeit ist. Das Medikament wird in der Regel zermahlen und geschnupft, für den größeren Kick aber auch gespritzt. Anwender berichten, dass man die Zeit vergisst und viele Stunden am Stück hochaktiv ist. Auf das künstliche Hochgefühl soll jedoch ein deprimiertes Gefühl gepaart mit verringerter Aufmerksamkeit und völliger Erschöpfung folgen.

„Ich kann fünf Gesprächen gleichzeitig beiwohnen, und habe immer noch genug Redestoff für mich selber“, schreibt ein namenloser User nach dem Konsum von 100 mg Methylphenidat. Nachdem er die Dosis auf 200 mg steigerte, kippte dieses Gefühl: „Ich stand in dem völlig bedrohlich wirkenden Raum und hörte von draußen etwas, was sich nach Schreien von Menschen anhörte. Dieses Höllengeschrei. Dazu mischte sich das Summen einer Mücke. Ich war nervlich völlig am Ende …“

Während der Missbrauch von Methylphenidat vor allem an US-amerikanischen Schulen und Universitäten nach wie vor ein Problem darstellt, berichten in der Suchtbetreuung Tätige aus Deutschland, dass die Droge hierzulande so gut wie keine Rolle mehr spielt.

Hilfe zur Selbsthilfe

Der Fachverband Sucht e. V. (FVS) ist ein bundesweit tätiger Verband, in dem Einrichtungen zusammengeschlossen sind, die sich der Behandlung, Versorgung und Beratung von Suchtkranken widmen.

Fachverband Sucht e. V.
Walramstraße 3
53175 Bonn
Tel. 0228 261555
Fax 0228 215885
E-Mail: sucht@sucht.de
www.sucht.de

Das Blaues Kreuz in Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, von Sucht betroffene und mitbetroffene Menschen auf ihrem Weg aus krankhafter Abhängigkeit in ein gesundes und suchtfreies Leben zu begleiten.

Blaues Kreuz in Deutschland e. V.
Freiligrathstraße 27
42289 Wuppertal
Tel. 0202 62003-0
Fax 0202 62003-81
E-Mail: bkd@blaues-kreuz.de
www.blaues-kreuz.de

Die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) vermittelt Adressen zur Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen.

Wilmersdorfer Str. 39
10627 Berlin
Tel. 030 31 01 89 60
E-Mail: selbsthilfe@nakos.de
www.nakos.de

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Antiepileptika

Das GABA-Analogon Pregabalin wirkt ähnlich wie Benzodiazepine als klassischer Downer. In Dosierungen von 150 und 600 mg täglich ist es indiziert zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Epilepsie und generalisierten Angststörungen bei Erwachsenen. Die Verordnungszahlen steigen stetig. Auch in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen kommt es verstärkt zum Einsatz. So berichten Patienten im Opiat-Entzug, dass sich mit Pregabalin die Absetz­erscheinungen sowie die wieder verstärkt auftretenden Schmerzen lindern lassen. Andere schreiben, Entzüge unter der Therapie sogar „verschlafen“ zu haben.

Allerdings hat Pregabalin vor allem in Kombination mit Opioiden oder Alkohol das Potenzial, einen „Kick“ auszulösen. Heroinabhängige und Patienten im Methadon-Substitutionsprogramm sind besonders für Missbrauch gefährdet: Bei gleichzeitiger Einnahme kann sich ein Gefühl der Euphorie einstellen, bei Dosierungen weit außerhalb des therapeutischen Bereichs sogar Kokain-ähnliche Rauschzustände. Im Jahr 2017 warnten Mediziner angesichts steigender Fallzahlen von Überdosierungen und Suizidversuchen, Drogenkonsumenten unkritisch mit Pregabalin zu behandeln. Zudem ist sein Potenzial, selbst in eine Abhängigkeit zu führen, noch ungewiss.

Antipsychotika und Antidepressiva

Das Antipsychotikum Quetiapin wirkt in oralen Einmaldosen von 800 bis 1200 mg sedierend und angstlösend. Missbräuchlich wird es intranasal oder intravenös appliziert, um den First-Pass-Effekt zu umgehen. Ähnliche Effekte wurden mit Olanzapin in Dosen von 40 bis 50 mg pro Tag beschrieben. Der irreversible und unselektive Hemmstoff der Monoaminoxidasen (MAO) A und B Tranylcypromin ist strukturell mit Amphetamin verwandt und wird anders als andere MAO-Hemmer in hohen Dosen angewendet, um stimulierende Effekte zu erzielen. Auch der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin soll bei intranasaler Applikation Amphetamin-ähnliche Wirkungen entfalten.

Die intranasale Anwendung von Bupropion, einem Mitglied der Amphetamin-Familie, kann eine Kokain-ähnliche Wirkung haben. Aus den USA stammen Erfahrungsberichte, nach denen Bupropion bei intravenösem Konsum an die illegale Droge Crack erinnert. „Im Prinzip nichts anderes als ein legaler Upper direkt vom Arzt,“ schreibt ein anonymer User in ein Forum. Ein Benutzer mit Namen Zettfield meint: „Mit richtigen Uppern à la Amphetamin, MPH (Methylphenidat) oder sowas wie NEB (N-Ethylbuphedron) kann es nicht mithalten, da ihm die uppende Komponente nahezu fehlt, eher macht es einen gemütlich und etwas selbstsicherer.“ Auf der anderen Seite wird vor lebensbedrohlichen Krampfanfällen gewarnt.

Einige Anwender der Partydroge 3,4-Methylendioxy-methamphetamin (MDMA, Ecstasy) nehmen zusätzlich den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin ein, um Stimmungstiefs zu mildern. In den Foren wird aber eher davon abgeraten – einerseits aus Sorge vor einem Serotonin-Syndrom, andererseits, weil die Ecstasy-Wirkung wegen der Konkurrenz an 5-HT-Rezeptoren nahezu aufgehoben werden soll.

Dextromethorphan

Mittlerweile ein Klassiker unter den rezeptfreien Rauschdrogen ist Dextromethorphan, in der Szene unter anderem als „DXM“, „CCC“, „Triple C“, „Skittles“ und „Robo“ bekannt. Das mit Opioiden verwandte Dextromethorphan hemmt NMDA- Rezeptoren und stimuliert Sigma-1- und 5-HT-Rezeptoren. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch (Einzeldosis bis 30 mg, Tagesmaximaldosis 120 mg) macht man sich die zentral antitussive Wirkung zunutze. OTC-Präparate sind beispielsweise Wick® MediNait, Wick® DayMed Erkältungs-Kapseln für den Tag, Wick® Husten-Pastillen gegen Reizhusten mit Honig, Hustenstiller-ratiopharm®, NeoTussan Hustensaft und Silomat® DMP.

In therapeutischen Dosen hat Dextromethorphan keine analgetischen oder atemdepressiven Effekte und nur ein geringes Abhängigkeitspotenzial. Bei mehrfacher Überdosierung wirkt es jedoch euphorisierend und kann Rauscherlebnisse und psychotische Zustände mit Halluzinationen hervorrufen, aber auch Blutdruckabfall, Tachykardie und Atemdepression. Vor Kurzem warnte die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) im Zusammenhang mit Dextromethorphan-Missbrauch vor dem lebensbedrohlichen Serotonin-Syndrom, das vor allem durch pharmakodynamische Wechselwirkungen mit ähnlich wirkenden Drogen wie Kokain, Amphetamin (Ecstasy) und Lyserg­säurediethylamid (LSD) gefährlich werden kann.

Eine Überdosierung wird schneller erreicht, wenn Dextromethorphan zusammen mit CYP2D6-inhibierenden Arzneistoffen eingenommen wird, die seinen Abbau hemmen (z. B. Fluoxetin, Cimetidin, Ritonavir, Chinin). Der pulverisierte Arzneistoff scheint aber auch in Wasserpfeifen geraucht zu werden. Anwender unterscheiden vier verschiedene Stufen des High-Seins auf Dextromethorphan. Die erste wird oft als „breit-sein“ beschrieben, die zweite ist ein Zustand, der einem Alkoholrausch ähnlich ist, aber meist angenehmer empfunden wird. Auf den letzten beiden Stufen kann es zu sehr intensiven Rauscherfahrungen kommen bis hin zu außerkörperlichen und Nah-Tod-Erfahrungen. Um die vierte Stufe zu erreichen, müsste einem Dosis-Rechner zufolge eine 70 kg schwere Person etwa das 35-Fache der therapeutischen Dosis Dextrometh­orphan zu sich nehmen. In den Foren wird vor diesen Dosierungen gewarnt, da es zu allergischen Reaktionen, schlechten Trips, Wahnvorstellungen und Vergiftungen kommen kann. „Plötzlich realisierte ich, dass ich gefangen war. Eine kalte, klare Intelligenz sagte mir ohne Worte, so etwas wie ‚Jetzt ist es zu spät, Du bist für immer gefangen, in einem ewigen Kreislauf, ein Kurzschluss im Gehirn,‘“ so die Beschreibung eines anonymen Users.

Als Langzeitschäden sind psychische Abhängigkeit, Depression, Auslösung latenter Psychosen und irreversible Gehirnschäden bekannt. In den USA gab es bereits Todesfälle, weshalb einige US-Bundesstaaten mittlerweile die Abgabe an Jugendliche unter 18 Jahren untersagen. In Europa wurden 2016 im Zuge eines Risikobewertungsverfahrens Hinweise auf das Missbrauchspotenzial in die Produktinformationen aufgenommen. Auffallend häufig gingen bei der AMK Hinweise auf eine gleichzeitige Einnahme von Dextromethorphan mit H1-Antagonisten ein. Ob diese Arzneimittel eingesetzt werden, um die zentralnervöse Wirkung zu steigern, den Abbau zu verlangsamen oder potenzielle Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen zu vermindern, ist bislang unklar.

Loperamid

Loperamid wirkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch vorzugsweise als Agonist an den µ-Opioid-Rezeptoren im Darm. Da ein ausgeprägter First-Pass-Metabolismus seine Bioverfügbarkeit auf etwa 0,3% begrenzt und P-Glykoprotein (P-gp) es nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren lässt, hat Loperamid normalerweise keinen Einfluss auf das zentrale Nervensystem. Durch einen einfachen pharmakologischen Trick lässt es sich aber zu einem zentral wirksamen Opioid „umwandeln“ – das wissen auch pharmazeutische Laien, die das Durchfallmittel zu Rauschzwecken anwenden. In Kombination mit Arzneimitteln, die P-gp hemmen (z. B. Verapamil, Itraconazol, Chinidin, Clarithromycin, Ritonavir), kann Loperamid im Gehirn bereits in Dosen von 4 mg Euphorie hervorrufen. Auch ein Glas Grapefruitsaft kann Wirkung zeigen. Die sublinguale Darreichungsform ist besonders beliebt für Missbrauchszwecke. Konsumenten schrecken aber auch nicht davor zurück, Loperamid zu inhalieren oder zu rauchen. Ein anderer Weg, zentrale Wirkungen hervorzurufen, führt über die massive Überdosierung von Loperamid (bis zu 800 mg). Dieses Vorgehen wird aber in den Foren äußerst kritisch gesehen. „Wenn es klappt, dann liest man keine Berichte mehr darüber, weil derjenige nicht mehr vom Trip zurückkehrt“, kommentiert der User mit Namen ztoned. Die Behörden warnen vor kardialen, lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wie QT-Strecken-Verlängerung, Torsades-de-Pointes- und andere ventrikuläre Arrhythmien sowie Synkopen und Herzstillstand.

Indirekte Sympathomimetika

Zentral stimulierende Stoffe werden seit jeher zu Rauschzwecken angewendet. Viele der bekanntesten illegalen Drogen basieren auf einer Adrenalin-ähnlichen Wirkung. Indirekte Sympathomimetika wie Amfepramon, Ephedrin, Norpseudoephedrin (Cathin) und Phenylpropanolamin (Nor­ephedrin) setzen aus extragranulären Speichern adrenerger Neuronen im Gehirn Noradrenalin und Dopamin frei. Sie führen zu einer Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft, psychophysischer Aktivität, Appetitreduktion sowie zur Unterdrückung von Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit. Bei Überdosierung können diese Wirkungen in quälende Erregungszustände, gesteigerte Reizbarkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen bis zu psychotischen Bildern mit halluzinatorischen Verkennungen umschlagen.

Amfepramon (Regenon®, Tenuate®) und Cathin (Alvalin®) sind nach einem Widerruf der Zulassung im Jahr 2004 in Deutschland wieder in Form verschreibungspflichtiger Appetitzügler erhältlich. Im OTC-Sortiment von Apotheken finden sich indirekte Sympathomimetika vor allem in Kombinationspräparaten gegen Erkältungskrankheiten und Allergie, beispielsweise Pseudoephedrin in Aspirin® Complex, Boxagrippal®, Rhinopront® und Reactine® duo, Phenyl­propanolamin in Wick® DayMed.

Aus Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln kann der Ausgangsstoff für die illegale Herstellung von Amphetamin-Derivaten (z. B. Methamphetamin alias Crystal-Meth) isoliert werden. Auf diese Entwicklung wurde zum 1. Mai 2011 mit der Verschreibungspflicht für Packungen mit mehr als 720 mg Pseudoephedrin reagiert. In den USA gibt es Präparate, die bei Kontakt mit Wasser eine Polymer­matrix bilden, aus der Pseudoephedrin nicht extrahiert werden kann (Nexafed®).

Literaturtipp

Verdammt und zugedröhnt?

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Von Ernst Pallenbach und Peter Ditzel
Drogen und Sucht
Suchtstoffe – Arzneimittel – Abhängigkeit – Therapie

312 S., 33 s/w Abb., 3 s/w Tab., kartoniert, 44,80 Euro
ISBN 978-3-8047-1951-4
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2003
 

 

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H1-Antihistaminika

Antagonisten an H1-Rezeptoren wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat (Salz aus Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin) und Doxylamin sind indiziert bei Übelkeit, Erbrechen und Schlafstörungen. Letzteres Anwendungsgebiet birgt bekanntermaßen ein hohes Abhängigkeitspotenzial. In den vergangenen Jahren machten die H1-Antihistaminika jedoch eher wegen ihrer Zweitkarriere als Rausch­droge auf sich aufmerksam. Auf sogenannten Vomex-Partys wird Diphenhydramin für ein High-Gefühl überdosiert. Die Tageshöchstdosis von Diphenhydramin beträgt 150 mg. Für einen Trip wird in den Internetforen eine Initialdosis von 250 mg empfohlen. Ausprobiert wurde aber auch schon eine Steigerung bis in den Grammbereich. Der Konsument kann mitunter vergessen, dass er eine Droge eingenommen hat und sich in lebensgefährliche Situationen begeben, beispielsweise weil er einen Ertrinkenden in einem Fluss halluziniert und versucht, ihn zu retten. Ein sogenannter „Tripsitter“ als Begleitperson wird von Erfahrenen im Internet als unverzichtbar erachtet.

Ab Einzeldosen von 500 mg Diphenhydramin treten schwere Nebenwirkungen auf, die in Vergiftungen münden können, darunter zentraldämpfende Effekte, Wahnvorstellungen, zerebrale Anfälle, Atemdepression und lebensbedrohliche kardiovaskuläre Komplikationen. Eine Besonderheit stellen die Halluzinationen unter H1-Antihistaminika dar: Im Rausch sollen die Konsumenten überlebensgroße Spinnen und Insekten sehen, die Panik hervorrufen.

Doxylamin ist neben Paracetamol, Dextromethorphan und Ephedrin Bestandteil des Komplexpräparats Wick® MediNait. Vier Arzneimittel mit Missbrauchspotenzial garniert mit 18 Vol% Alkohol lassen den Verdacht aufkommen, der „Erkältungs-Schlummertrunk“ könnte allein schon als Rauschcocktail herhalten. Tatsächlich wird aber in den Foren vom übermäßigen Konsum abgeraten, da die Trips schlecht und die Nebenwirkungen äußerst unangenehm sind.

Sonstige

Alkoholkonsum ist zwar in Deutschland legal, doch kann gerade die Kombination mit psychoaktiven Substanzen gefährlich werden. Flüssige Arzneimittel enthalten teilweise bis zu 80% Alkohol, was bei der Beratung stets zu berücksichtigen ist. Im weitesten Sinne in puncto Missbrauch seien auch Augentropfen mit gefäßverengenden Wirkstoffen aus der Gruppe der Sympathomimetika (z. B. Proculin®, Berberil®) erwähnt, die bei Entzündungen eingesetzt werden. Ihre Wirkung wird ausgenutzt, um rote und müde Augen nach einem Drogenkonsum zu kaschieren. Ebenso sollte man bei Medizinprodukten wie Eis- und Kältesprays Vorsicht walten lassen. Wegen der enthaltenen flüchtigen organischen Lösungsmittel (z. B. Butan, Chlorethan) werden sie zum Schnüffeln missbraucht. Hierzu finden sich präzise Anleitungen im Internet, gespickt mit Tipps, wie etwa den flüssigen Stickstoff verdunsten zu lassen, um sich nicht die Lunge zu verkühlen.

Inwieweit Medizinal-Cannabis als Rauschdroge missbraucht wird, lässt sich anhand der bisher gesammelten Daten noch nicht abschätzen. Bei der AMK gingen bisher keine Meldungen über konkrete Verdachtsfälle ein (Stand 19. Dezember 2019) Bei der DAC/NRF-Redaktion gingen in letzter Zeit sehr viel weniger Anfragen zu dubiosen Verordnungen ein als im zweiten Halbjahr 2017. Allerdings lassen sich daraus kaum Rückschlüsse auf den tatsächlichen Missbrauch von Medizinal-Cannabis ziehen.

Auf einen Blick

  • Eine Vielzahl von Arzneimitteln birgt das Potenzial, die Wahrnehmung zu beeinflussen.
  • Missbrauchswillige, die mit Überdosierungen und Mischkonsum experimentieren, setzen sich großen, nicht selten lebensbedrohlichen Gefahren aus – wissentlich oder blauäugig.
  • Die Apothekenmitarbeiter unterliegen der berufspolitischen Pflicht, einem erkennbaren Missbrauch entgegenzutreten. Doch allein die Abgabe zu verweigern, ist keine Lösung und kann der heilberuflichen Verantwortung nicht genügen.
  • Vielmehr sollte der Dialog gesucht, nach der Motivation gefragt und auf vertrauensvoller Ebene in Erfahrung gebracht werden, welche Art der Hilfe der Konsument benötigt.
  • Vorwürfe, Drohungen, Ironie und Moralisieren sind dabei auf jeden Fall zu vermeiden.
  • In Zusammenarbeit mit Ärzten, Selbsthilfegruppen und Suchtberatungsstellen können Apotheken einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Teufelskreislauf Drogenkonsum zu durchbrechen.

Was ist bei einem Verdacht zu tun?

Erhärtet sich der Verdacht, dass ein Kunde ein Arzneimittel missbräuchlich anwendet, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Im Gespräch in der Vor-Ort-Apotheke besteht der große Vorteil, dass eine persönliche Ansprache möglich ist. In einem vertrauensvollen Dialog sollte über die Arzneimittelanwendung gesprochen, über die Risiken des schädlichen Gebrauchs aufgeklärt und so um Einsicht beim Konsumenten geworben werden. Stellt sich diese nicht ein, muss die Ab­gabe des Arzneimittels verweigert werden. Ein Kontrahierungszwang besteht nicht. Schwieriger gestaltet sich das Vorgehen bei auf Rezept verordneten Arzneimitteln. Es stellt sich die Frage, ob der Datenschutz verbietet, dass die Apotheke ohne Rücksprache mit dem Patienten den Arzt über ihren Verdacht informiert – laut Apothekenrechtsexpertin Dr. Sabine Wesser nein. Bei Verdacht auf eine Rezeptfälschung und einen möglichen Arzneimittelmissbrauch muss eine Nachfrage zur Aufklärung beim Arzt auch ohne Einwilligung möglich sein. Apotheker müssen ihre gesetzliche Pflicht nach § 17 Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung erfüllen. Demnach darf das pharmazeutische Personal ein Arzneimittel nicht abgeben, wenn ein begründeter Verdacht auf Arzneimittelmissbrauch besteht – daran könne auch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nichts ändern, so Wesser.

Jeder Verdacht auf Arzneimittelmissbrauch sollte anonymisiert der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gemeldet werden. Nur durch das Sammeln von Informationen lassen sich Daten über die Art und Häufigkeit von Missbrauchsfällen generieren und Maßnahmen zur Prävention ableiten. Allen Patienten, die Arzneimittel missbräuchlich anwenden oder eine Abhängigkeit entwickelt haben, muss ein seriöses individuelles Gesprächs- und Hilfsangebot unterbreitet werden. Je nach Schweregrad sollte an den behandelnden Arzt verwiesen sowie der Kontakt zu Selbsthilfegruppen (z. B. NAKOS, Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen) und Beratungsstellen vermittelt werden. Dass Apotheker erfolgreich eine verantwortungsvolle Rolle in der Betreuung Suchtkranker einnehmen können, wurde bereits in mehreren Projekten bewiesen, beispielsweise beim ambulanten Entzug von Benzodiazepinen in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt in Villingen-Schwenningen, begründet durch den Apotheker Dr. Ernst Pallenbach. |

Literatur

Borsch J. AMK warnt vor Dextromethorphan-Missbrauch. DAZ.online vom 13. November 2019, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/11/13/amk-warnt-vor-dextromethorphan-missbrauch/chapter:all

Arzneimittelmissbrauch. Leitfaden für die apothekerliche Praxis, herausgegeben von der Bundesapothekerkammer (BAK), Stand: März 2018, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Arzneimittelmissbrauch/BAK_Leitfaden_Arzneimittelmissbrauch.pdf

Sucker-Sket K. Unklare Verordnungen: Dürfen Ärzte Apothekern wegen der DSGVO die Auskunft verweigern? DAZ.online vom 22. August 2018, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/08/22/pflicht-zur-ruecksprache-schlaegt-datenschutz/chapter:all

Fachinformationen der erwähnten Arzneimittel

DH. Pregabalin: Ärzte warnen vor Missbrauch. pharmazeutische-zeitung.de vom 29. September2017, verfügbar unter https://www.pharmazeutische-zeitung.de/2017-09/pregabalin-aerzte-warnen-vor-missbrauch/

van den Heuvel M. Pregabalin: Die GABA-Dröhnung. news.doccheck.com vom 10. Dezember 2018, http://news.doccheck.com/de/229191/pregabalin-die-gaba-droehnung/

Said A. Wenn Arzneimittel missbraucht werden. Eine Übersicht über Arzneistoffe mit Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial. DAZ 2015;33:32

Schreiber U. Auf „Wolke sieben“ mit Loperamid: FDA warnt erneut vor Missbrauchspotenzial. DAZ 2018;826

Borsch J. FDA-Warnung: Schwere Herzprobleme durch Loperamid-Missbrauch. DAZ.online vom 10. Juni 2016, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/06/09/schwere-herzprobleme-durch-loperamid-missbrauch

Blasius H. US-Staaten: Dextromethorphan-haltige Hustenmittel nur noch ab 18. DAZ.online vom 16. Juli 2019, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/07/16/us-staaten-dextromethorphan-haltige-hustenmittel-nur-noch-ab-18

www.land-der-traeume.de, Informationen für Interessierte und Konsumenten über Drogen

https://de.drugfreeworld.org/drugfacts/prescription/abuse-of-over-the-counter-drugs.html, Informationen der gemeinnützigen Organisation „Foundation for a Drug-Free World“

Drogen Wikia, https://drogen.wikia.org/de/wiki/Kategorie:Inhalt

Drogen Info Laden, Informationen zu verschiedenen Themen im Bereich Drogen, https://drugscouts.de/de/page/erfahrungsberichte

Informationen des Schweizer Drogenforums für risikobewussten und selbstverantwortlichen Umgang mit Drogen, EvE & Rave, www.eve-rave.ch/Forum

Autorin

Rika Rausch, Apothekerin und DAZ-Redakteurin

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