Foto: andamanec / AdobeStock

Management

Der Leitwolf muss nicht immer vorne sein

Wie Sie Shared Leadership im Apothekenalltag leben können

Eine Dokumentation über Wölfe auf Wanderschaft. Ein daraus selektiertes, farblich markiertes und veröffentlichtes Foto, das via Social Media eine Erfolgs­geschichte sondergleichen aufweist – auch wenn das Ganze den wissenschaftlichen Faktencheck nicht besteht. Dennoch sind wir angesichts der enormen Begeisterung für die Interpre­tation, dass „Alpha-Wölfe zum Schluss gehen“, dazu eingeladen, uns von einem solchen Wunschbild inspirieren zu ­lassen!

Eine mögliche Szene im Alltag ­eines Wolfsrudels: die Wanderschaft von einem Ort zum anderen. Wölfe, die sich, wie an einer Perlenkette aufgereiht, hintereinander her bewegen und manchmal über eine weite Strecke jeder für sich und doch im Rudel vereint den Marsch in neue Gefilde bewältigen, um am Ende des Tages gemeinsam am Ziel anzugelangen. Wo befindet sich derweilen das Alpha-Tier? Und worüber definiert sich sein Status und seine Aufgabe?

„Weißt du, wo der Chef ist?“ Eine oft gestellte Frage. Was wäre, wenn sie sich erübrigen würde? „Hast du den Chef heute schon ­gesehen?“ Eine nicht minder gängige Formulierung. Was wäre, wenn sie sich als überflüssig erweisen würde? „Wo ist denn nur der Chef geblieben?“ Variante Nummer drei. Schon etwas ungehaltener. Was wäre, wenn auch sie schlicht und ergreifend un­nötig wäre?

Können Führungskräfte führen, ohne sofort greifbar und in fast ­jedem Moment verfügbar zu sein? Kann der Betrieb dennoch reibungslos funktionieren? Berechtige Fragen – wir lassen die Wölfe derweil allein auf ihrem Weg weiterziehen, schlüsseln zunächst auf und halten für uns fest, dass sich Führung in zwei große Teilbereiche trennen lässt: Management und Leadership.

Screenshot Facebook-Post, Monika Raulf / AZ/nd

Das ursprüngliche Bild, das aus der BBC-Dokumentation „Frozen Planet” stammt, wurde – mit farblichen Markierungen und einer entsprechenden Interpretation des Verhaltens im Wolfsrudel versehen – mit großer Begeisterung unzählige Male in den Social Media geteilt. Danach ist der Letzte im Rudel der Leitwolf – siehe Pfeil. Auch wenn die These dem Faktencheck nicht standhält – inspirierend ist die Begeisterung dafür allemal.

Management und ­Organisation

Auf die letztgestellte Frage, ob der Betrieb reibungslos ohne Chef funktionieren kann, müssen wir mit einem klaren „Nein“ antworten, sofern die alltäglichen betrieblichen Aufgaben nicht klar und sauber von der Führungsetage definiert sind. In diesem Falle vom viel zitierten und oft gescholtenen Management, das die Aufgabe hat, Strukturen und Abläufe verantwortlich zu organisieren. Konzepte, Strategien und Prozesse wollen etabliert werden. Stichwort: ge­lebtes QM. Nicht gerade ein Lieblingsthema und doch so wertvoll. Wenn, im Sinne von falls, es gelebt wird! Ist dies nicht der Fall, so wird der Chef in vielen Situationen unabkömmlich sein und bleiben. Oder aber es besteht das Risiko einer orientierungslos umherirrenden Truppe. Eine Erstinvestition an Energie ist somit unerlässlich, um langfristig delegieren zu können. Besonders wenn Informationsketten lückenhaft sind, tauchen Probleme in der alltäglichen Umsetzung auf.

Leadership und Loslassen

Anders hingegen, wenn wir Führung neuhochdeutsch als „Leadership“ definieren und damit zum Ausdruck bringen, dass im Unterschied zum Management Personalführung gemeint ist. Hier geht es nicht um betriebswirtschaftliche Strukturen, sondern darum, als Führungskraft den Rahmen für ein pflegliches und zeitgleich produktives Miteinander aller Beteiligten zu gestalten. Erweitern wir unsere Sichtweise und begeben uns in das sogenannte „Shared Leadership“, dann erwarten wir sogar das gegenseitige und wechselseitige, im besten Falle positive Übernehmen von Führungsqualitäten. Die designierten approbierten Führungskräfte dürfen in diesem Gedankenmodell das Loslassen üben und sich vertrauensvoll den sozialen Kompetenzen ihrer nicht-approbierten Kollegen überlassen.

Rollentrennung im ­Apothekenalltag

Die eben beschriebenen Rollen, die damit verbundenen Aufgaben und die jeweilige Ausführung zu einhundert Prozent im Apothekenalltag zu trennen, ist fast unmöglich. Wir dürfen festhalten, dass bis vor Kurzem auch gar keine Notwendigkeit dafür bestand. Waren doch Führungsaufgaben implizit nur (!) für den Chef vorgesehen. Maximal der eben schon erwähnte Approbiertenkreis konnte damit rechnen, sich mit diesen Inhalten beschäftigen zu dürfen - wahl­weise als Beauftragter für das von vielen ungeliebte QM. Mit zunehmendem Wandel der Apothekenlandschaft und immer häufiger anzutreffender Filialisierung hingegen ist es unerlässlich, sich Gedanken um eine möglichst allen gerecht werdende Führungs-Philosophie zu machen. Und an dieser Stelle sollten wir grundsätzlich eine neue Definition von Führung für uns aufstellen. Leader zu sein heißt nicht, die Macht zu haben. Schon gar nicht über andere. Leader zu sein heißt nicht, allzeit kontrollierend das Alltagsgeschehen zu dominieren. Leader zu sein heißt die Freiheit zu besitzen, genau diese Aspekte des in uns allen vorhandenen Machtwillens völlig ohne Konkurrenzdenken auch allen anderen zu überlassen, um so für die Gemeinschaft ein besseres Ergebnis und einen leichteren Weg auf der beschwerlichen Wanderschaft durch die Tücken des All­tages möglich zu machen.

Das Wolfsrudel kommt ins Spiel

Und genau in diesem Moment hilft uns der Blick auf unser Wolfsrudel weiter. Die Interpretation des farblich markierten Social Media Posts hält zwar dem Faktencheck nicht Stand. Dennoch bietet sie einen fulminanten Perspektivwechsel, der uns inspirieren darf. Nach der in den Social Media mit Begeisterung geteilten Wolfsrudel-These gehen an der Spitze überraschenderweise die Alten und Schwachen. Sie geben das Tempo vor. Keiner kann so verloren gehen. Niemand kann den Anschluss verlieren. Der Rest der Truppe passt seine Geschwindigkeit an und so gelangen am Ende des Tages alle zusammen am Bestimmungsziel an. Und wer befindet sich hinter dem ersten Teil des Rudels? Kommt etwa jetzt der Chef? Nein. Der These folgend noch nicht. Es schließen sich die Stärksten des Rudels an. Sie können die Alten und Schwachen im Falle eines von vorne kommenden Angriffs verteidigen und beschützen so natürlich auch alle anderen. Wer genau ist nun gemeint mit „die anderen“? Die sich anschließenden anderen sind das berühmt-berüchtigte Mittelfeld. Die Mitläufer – im wahrsten Sinne des Wortes. Dann folgen wiederum die Stärksten und beschützen die Meute vor Angriffen, die sich von hinten nähern können. Der Spannungsbogen steigt. Denn nach ihnen kommt ... erst einmal nichts. Sehr lange Zeit ... nichts. Und dann kommt. Mit weitem ­Abstand. Sehr weitem Abstand. Jawohl. Jetzt kommt der Chef. Weit hinten und in der Führungsposition unterwegs. Lassen wir uns von diesem trügerischen Bild nicht täuschen, fordert uns die ­zitierte These auf. Die wahre Leitwolf-Kompetenz liegt laut Fazit der bearbeiteten Bilder jenseits des von uns sichtbar Wahrnehmbaren. Sie liegt in der reinen Präsenz, in der vorhandenen, souveränen Ausstrahlung und in der puren Energie, die spürbar ist.

Voller Vertrauen schreiten die ersten Wölfe voran. Wohl wissend, dass sich ganz hinten einer der ­Ihren um sie sorgt. Dass der Eine, von ganz hinten aus, einen hervorragenden Überblick hat und die gesamte Situation überschaut. Und, falls erforderlich, eine Routenänderung über die ­gesamte Rudellänge hinweg in Windeseile kommunizieren kann. Denn vor dem Losmarschieren hat es ein „Rudel-Team-Meeting“ gegeben. In bester Managementmanier sind die Positionen klar verteilt, die jeweiligen Rollen vergeben und die damit verbundenen Aufgaben, Pflichten und Verhaltensweisen geklärt. Das Wolfs­rudel-Organigramm steht bereits, bevor sich auch nur die erste ­Pfote in Bewegung setzt. Keine Chance für Missverständnisse. Und wenn doch: Die Wölfe werden im Kollektiv dafür sorgen, dass dieser missliche Zustand nicht lange andauern wird! Und wie ist es um das zweite Segment bestellt, die „Leadership“-Struktur? Werfen Sie einen Blick auf das Foto. Es ist selbsterklärend. Keine Diskussion notwendig. Kein Wolf, der dem anderen ­seinen Rang streitig macht. Kein Wolf, der einen anderen ­zerfleischt. Eine natürliche Ordnung, die wir hier sehen. Geprägt von gegenseitigem Respekt, Disziplin und Familiensinn, der wiederum auf gewachsenen Strukturen basiert.

Wie verlockend ist es für Sie, sich dieser Wolfsrudel-These ­anzuschließen und auf unseren Alltag zu übertragen? Shared Leadership im Apothekenalltag verhält sich genauso: Jeder ist verantwortlich für seinen eigenen Aufgabenbereich, teilt seine individuellen Erfahrungswerte und geht als Leitwolf in der Verantwortung auf - empathisch, emotional unterstützend und energetisch wertvoll für den Rest der Truppe. Ein Apothekenteam auf Wanderschaft auf den teils unwegsamen Pfaden des Alltags. Und auch wenn das Wolfsrudel in Wirklichkeit doch anders tickt, als es die unzähligen Social-Media-Nutzer begeistert hat: Lassen Sie sich davon anregen und sorgen Sie mit Ihrer ganz individuellen Art von Leadership dafür, dass es Ihrem Rudel gut geht und Sie zur Stelle sind, wenn es Sie braucht.

In diesem Sinne wünsche ich ­Ihnen und Ihren Wolfskollegen ­einen rudelmäßig gut behüteten weiteren Weg durch die oft kargen und unwegsamen Steppen der Apothekenlandschaft! |

Monika Raulf, Apothekerin und zertifizierter Coach, 
www.co-pha.com

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