Foto: Bussarin – stock.adobe.com

Management

Mit Kränkungen gelassen umgehen

Wer die Opferrolle verlässt, wird wieder handlungsfähig

Manchmal tritt uns eine andere Person fest auf die Füße – im buchstäblichen oder im übertragenen Sinn. Wehe Zehen sind meist schnell vergessen, aber Angriffe, die unser Innerstes treffen, können noch lange im Gedächtnis bleiben. Der Umgang mit Kränkungen ist sehr individuell, was an dem einen förmlich abprallt, nagt beim anderen am Selbstbewusstsein. Was macht den Unterschied und wie lässt sich mit Kränkungen gekonnt um­gehen?

Eine Szene, die ich während meiner Coachingausbildung erlebt habe, werde ich nie vergessen. Sie ist für mich ein Sinnbild für das einnehmende Wesen und die Dynamik einer Kränkung, aber auch für den Ausweg.

Während eines Seminarwochen­endes brach es förmlich aus einer Mitteilnehmerin heraus und sie berichtete von einer Kränkung, die sich vor einigen Monaten in ihrem Arbeitsumfeld zugetragen hatte. Sie beschrieb die abwertenden Kommentare ihres Kollegen, fing an zu schluchzen und der Strom von Tränen schien nicht abreißen zu wollen. Der Leiter des Seminars, ein erfahrener Coach, hörte ihr sehr aufmerksam zu und gab ihr Zeit. Als sie dann mit den Worten schloss: „Er hat mich so furchtbar gekränkt“, erwiderte er schlicht: „Ja, und du hast ihn gelassen.“

Ich weiß noch, wie sonderbar, aber vor allem wie herzlos ich diesen Kommentar fand. Hatte sie nicht etwas Mitleid verdient? (Dieser gemeine Typ!) Und folgte jetzt dieses typische Machogehabe nach dem Motto „Schätzchen, da darfst du einfach nicht so empfindlich sein“?

Das Gespräch führte in eine ganz andere Richtung, als ich es erwartet hatte, und ich durfte lernen, dass es nahezu unmöglich ist, einen anderen zu kränken, wenn dieser sich nicht kränken lässt. Kränkung bedeutet, dass jemand die Gefühle oder das Selbstwertgefühl einer anderen Person verletzt. Die getroffene Person nimmt etwas persönlich, was begleitet ist von Wut, Scham, Schmerz oder anderen starken Gefühlen. Spontane Reaktionen können ein Gegenangriff, eine Art Schockstarre oder ein Rückzug sein, was die Situation jedoch nicht zwingend verbessert. Mein Mitleid hätte die Teilnehmerin kein Stück weitergebracht, sondern nur in ihrer Opferrolle bestärkt. Genau diese gilt es zu verlassen und wieder handlungs­fähig zu werden.

Foto: Bussarin – stock.adobe.com

Kränkung trifft den wunden Punkt – dann ist es besonders bitter, der Stich sitzt. Wie bringt man diese Wunde zum Heilen?

Anatomie der Kränkung

Wenn klar ist, wie eine Kränkung entstanden ist, lassen sich davon Handlungsoptionen ableiten. Einige Faktoren begünstigen eine Kränkung: die Situation, das Gegenüber und der eigene wunde Punkt.

Ist die Situation angespannt oder turbulent, kommt es leichter zu unbedachten Äußerungen. Es bleibt keine Zeit zu prüfen, ob das Gesagte richtig verstanden werden kann oder abwertend ankommen könnte. Verstärkt wird das Ganze, wenn dem Kontext, in dem die Situation stattfindet, ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Wer sich sehr mit seiner Arbeit identifiziert, den können Kränkungen im Job besonders hart treffen.

Speziell bei engen Beziehungen zwischen dem Kränkenden und dem Gekränkten können schlecht heilende Wunden entstehen. Der pöbelnde Passant auf der Straße zieht vorbei und seine Bedeutung für unser Leben ist eher gering. Ganz anders ist ein Kommentar von der Chefin oder dem Ehemann, diese verschwinden in den allermeisten Fällen nicht so leicht.

Ein entscheidender Faktor ist der wunde Punkt. Es gab da einmal ein Wortgefecht zwischen zwei guten Freunden, was den Außenstehenden – u. a. mir – schon sehr brenzlig vorkam, gleichzeitig waren die verbalen Attacken und Paraden so witzig, dass die Anwesenden immer wieder in Gelächter ausbrachen. Keiner der beiden „Streiter“ war später gekränkt, obwohl es so heiß herging. Der springende Punkt war, dass die beiden sich so gut kannten und deshalb genau wussten, was sie sich um die Ohren werfen konnten und was nicht. Sie haben beide die verletzliche Stelle des Gegenübers bewusst nicht attackiert. Wunde Punkte sind empfindliche Stellen unseres Innersten, die nach frü­heren Verletzungen nicht ganz abgeheilt sind. Was in die gleiche Kerbe schlägt, das kränkt uns.

In den allermeisten Fällen ist eine Kränkung für Außenstehende gar nicht zu erkennen.

Kalt erwischt – Einfluss der Situation

Wer eine Kränkung erfahren hat und diese abheilen lassen möchte, kann sich als erstes die Umstände, unter denen die Kränkung passiert ist, vor Augen führen. Ein guter Zeitpunkt ist dann, wenn die ersten Emotionen abgeklungen sind und die Betrachtung wieder mit etwas wohlwollenderem Blick erfolgen kann. War die Situation stressig? Manchmal verleitet die Situation zu Unsauberkeiten in den Aussagen. Was könnte gemeint gewesen sein? Hatte das Gegenüber genug Zeit, um aus­reichend empathisch zu agieren, oder stand er oder sie einfach nur unter Druck?

Zudem sollte die Atmosphäre in Augenschein genommen werden. Gehören Anerkennung, Vertrauen und eine faire Streitkultur zum üblichen Umgang oder fehlen faire Konfliktlösungen, Wertschätzung und eine gute Fehlerkultur? Wo schlechte Umgangsformen an der Tagesordnung sind, trifft es wohl jeden einmal. Das hat wenig mit der eigenen Person zu tun. Ob man schlechtes Klima über einen längeren Zeitraum aushalten möchte, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Unter Umständen war es sogar eine Retourkutsche für eine eigene Unbedachtheit, die ein paar Tage zurückliegt.

Die zweite Chance – Lösung durch das Gegenüber

Schön wäre es, wenn nach einer ganz frischen Verletzung des Selbstwertes der andere auf einen zukäme und sich entschuldigte. Oder wenn eine Führungskraft das rüpelhafte Verhalten ahnden würde. Dass Hilfe einfach so von außen kommt, in welcher Form auch immer, ist unwahrscheinlich. Warum das? In den allermeisten Fällen ist eine Kränkung für Außenstehende gar nicht zu erkennen. Sensible Stellen sind ganz individuell und auch die Schmerzgrenze ist bei jedem eine andere. Vielleicht war die Kränkung lediglich ein „Unfall“. Oder ist es Ihnen noch nie passiert, dass Sie ins Fettnäpfchen getreten sind und damit jemanden verletzt haben, ohne es zu wollen?

Mit einer kurzen Rückfrage zu dem Vorfall lässt sich einiges klären. Fragen Sie Ihren Gesprächspartner, wie seine Äußerung gemeint war und ob er diese konkretisieren kann. Vielleicht handelte es sich lediglich um ein Missverständnis. Diese Art von Rückver­sicherung bietet sich an, wenn Ihnen die Beziehung wirklich wichtig ist. Bei flüchtigen Bekanntschaften braucht es das wahrscheinlich gar nicht. Was die Frage beinhaltet, ob der andere Ihnen überhaupt der Mühe wert ist.

Natürlich kann hinter jeder Kränkung auch eine böswillige Attacke stecken, die muss sich niemand gefallen lassen. Trotzdem bleibt Ihnen das Recht zu entscheiden, ob Sie dieser zustimmen und sich treffen lassen oder nicht. Sie haben die Wahl. Meist sagt die Behauptung, die jemand ausspricht, mehr über ihn selbst aus als über den Empfänger der Nachricht.

Dexpanthenol für den wunden Punkt

Kränkungen erschüttern das Selbstwertgefühl. Wir fangen an, an uns selbst zu zweifeln. Den Dreh zu bekommen und aus einer ganz anderen Perspektive darauf zu schauen, ist nicht ganz einfach, aber lohnend. Es fühlt sich im ersten Moment noch ungewohnt an, aber wie so oft kommt die Routine mit der Übung. Bei jeder Kränkung sollten Sie für sich differenzieren, ob es sich um Tatsachen handelt oder um Behauptungen. Jede Behauptung ist lediglich die Wahrnehmung bzw. die persönliche Meinung eines anderen. Wahr­nehmung bedeutet aber nicht Wahrheit.

Die Gefühle, die in uns hoch­kochen, wenn wir eine Kränkung erfahren, sind als Signal zu werten, dass eine Grenze erreicht wurde, die es besser zu schützen gilt, oder eine verwundbare Stelle berührt wurde, die uns gar nicht bewusst war. Hinschauen ist an­gesagt: Warum fühle ich mich so? Wie sehen die Tatsachen aus? War die Kritik vielleicht berechtigt?

Menschen mit einem gefestigten Selbstwertgefühl kennen ihre Schwächen. Trotzdem stellen sie sich nicht permanent infrage, denn sie kennen genauso gut ihre Fähigkeiten. Fragen Sie sich einmal, woran Sie Ihren eigenen Wert festmachen – ist es Geld, Bildung, die Arbeit, die Familie? Sind es Dinge die Sie selbst beeinflussen können und wenn ja, zu wie viel Prozent? Ist es weise, seinen Wert wirklich daran auszumachen?

„Ach, du bist einfach zu empfindlich“

Da Kränkungen sehr individuell sind, sind auch die Wege, wie sich mit ihnen gut umgehen lässt, sehr unterschiedlich. Vielleicht ist Ihnen beim Lesen aufgefallen, dass ich Ihre beste Strategie, mit Kränkungen umzugehen, gar nicht genannt habe. Jetzt ist sie etwas mehr ins Bewusstsein gerückt. Nutzen Sie sie beim nächsten Mal, perfektionieren Sie sie. Die Hauptsache ist, dass sie Ihnen guttut und Sie Kränkungen damit ganz einfach ad acta legen können oder sogar direkt vergessen. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für ­Allgemeinpharmazie, Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin, www.anjakeck.de

Das könnte Sie auch interessieren

Über den Umgang mit unverschämten Kunden

Das ist ja unerhört!

Wie Sie unnötige Kränkungen vermeiden können

So eine Enttäuschung!

Warum Sie Ihre Apotheke immer wieder aufs Neue mit den Augen Ihrer Kunden sehen sollten

Öfter mal die Brille tauschen

Kompetenzgerangel zwischen Arzt und Apotheker

Mehr Arzneimitteltherapiesicherheit

Wie Tuscheln und Tratschen im Team vermieden werden können

Lindern Sie das Lästerlaster!

Wie Sie die Energie bündeln und für Veränderungen nutzen können

Vom WUTausbruch zum MUTausbruch

Wie Sie Ihre Selbstzweifel bekämpfen können

Das Scharlatan-Syndrom

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.