Pandemie Spezial

Gut getaktet

Ein Blick hinter die Kulissen eines Impfzentrums

Der 27. Dezember 2020 wird in die Geschichte eingehen, auch in die Medizin- und Pharmaziegeschichte. Seit diesem Datum wird in Deutschland in vielen Zentralen Impfzentren gegen Corona geimpft. Diese Impfzentren wurden in Windeseile in Messehallen oder sonstigen dafür geeigneten Lokalitäten auf die Beine gestellt. Wir konnten das Zentrale Impfzentrum des Klinikums Stuttgart, eines von derzeit neun Zentralen Impfzentren in Baden-Württemberg, besuchen. Es wurde vom Klinikum im Auftrag des Sozialministe­riums Baden-Württemberg im „Kultur- und Kongress­zentrum Liederhalle“ in Stuttgart errichtet. Wir durften einen Blick hinter die Kulissen werfen und verfolgen, welche Logistik und welcher Aufwand erforderlich sind, um die Bevölkerung, die Impfwilligen mit dem Impfstoff zu versorgen. | Von Peter Ditzel

Gut getaktet

Dort, wo sonst der Geist von Bach, Beethoven oder Mozart in der Luft liegt, arbeiten jetzt Ärzte und Apotheker, medizinisches und pharmazeutisches Personal in einer historischen Mission: Sie sind angetreten, mitzuhelfen, die Jahrhundertseuche zu bekämpfen. Der Hegel-Saal des Stuttgarter Kultur- und Kongresszentrums wurde umfunktioniert zu einem Impfzentrum: Im oberen Foyer erfolgt die Registrierung, der Check-In der Impfwilligen. Im unteren Foyer laufen die ärztlichen Aufklärungsgespräche an Bistro-Tischen. Die Patienten werden gefragt, ob beispielsweise Allergien bekannt sind oder ob sie Blutgerinnungshemmer nehmen, um dann die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Die Impfung selbst findet anschließend in einer der 15 Impfkabinen statt, die von Messebauern im Konzertsaal errichtet wurden. Danach können sich die Geimpften, wenn sie möchten, zur Beobachtung noch in einen Ruheraum begeben.

Klingt zunächst einfach, doch die Vorbereitungen, die Abläufe und die Logistik, die dahinter stecken, waren und sind für alle Beteiligten eine immense Herausforderung, auch für die Apotheke des Stuttgarter Klinikums, die, so eine Entscheidung des Klinikvorstands und der Stadt Stuttgart, mit eingebunden wurde. Ihre Aufgabe ist es, die Beschaffung, Lagerung und Vorbereitung des Impfstoffs zu organisieren. Bevor also den Impfwilligen der begehrte Impfstoff verabreicht werden kann, ist die Arbeit der Klinikapotheke gefragt. „Als diese Aufgabe auf uns zukam, haben wir sie gerne angenommen“, so Krankenhausapotheker Holger Hennig, Direktor der Apotheke des Klinikums Stuttgart, „ja, es war und ist eine große Herausforderung, aber wir sehen sie auch als konstruktive Abwechslung zu unserem Apothekenalltag.“

Von der Arbeit der Apotheke, von den Vorbereitungen zur Impfung bekommen die Impflinge nichts mit. Diese Arbeiten finden in den Nebenräumen des Kultur- und Kongresszentrums, sozusagen „backstage“, statt. Hier konnte Krankenhausapotheker Hennig Räume belegen zum Lagern des Impfstoffs und des Verbrauchsmaterials wie Spritzen, Handschuhe und Desinfektionsmittel. Einen dieser Räume hat er als Arbeitsraum für die Zubereitung der Spritzen umfunktioniert, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle Hände voll zu tun haben, den Impfstoff für die Impfung vorzubereiten.

Apotheke mit ärztlicher Tätigkeit

Aufgabe der Apotheke ist es, alles zu managen, was sich um den Impfstoff dreht, bringt es Hennig auf den Punkt, das beginnt bei der Beschaffung des Impfstoffs, d. h. Bestellung, Warenannahme und Einlagerung, bis hin zur Vorbereitung für die Anwendung. „Bei der Vorbereitung ergibt sich hier rechtlich gesehen die Besonderheit, dass wir dies nicht als Apotheke machen im Rahmen von Rezeptur oder Defektur“ erklärt es Hennig, „sondern wir führen hier de facto eine ärztliche Tätigkeit durch, nämlich die Vorbereitung eines parenteral anzuwendenden Arzneimittels für seine Anwendung. Die Verantwortung, was in diesem Zusammenhang getan wird, liegt letztlich beim Arzt. Der wiederum kann diese Tätigkeiten an andere Berufsgruppen delegieren, was er in diesem Fall getan hat: Er hat diese Vorbereitungsarbeit an uns delegiert, so dass wir dafür zuständig sind. Dennoch, es bleibt eine ärztliche Tätigkeit, wir unterliegen nicht den apothekenrechtlichen Vorschriften zur Rezeptur oder Defektur, wir dürfen nur das tun, was in der Packungsbeilage ­explizit erlaubt ist. Und wir müssen uns an ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1981 halten, das besagt: Zwischen der Vorbereitung zur Anwendung und dem Beginn der Anwendung darf nicht mehr als eine Stunde liegen.“

Der Impfstoff, der aus der Kälte kommt

Das ist er, der Impfstoff Comirnaty® von Pfizer/Biontech gegen COVID-19.

Fotos: DAZ/diz

Der Impfstoff (Handelsname Comirnaty®), der zurzeit verimpft wird, kommt von der Firma Pfizer/Biontech. Das Konzentrat zur Herstellung einer Injektionsdispersion muss tiefgefroren aufbewahrt und transportiert werden, es ist bei -90 °C bis -60 °C sechs Monate haltbar. Die Chargen, die derzeit verimpft werden, haben eine Haltbarkeit noch bis April 2021, d. h., sie wurden im September 2020 hergestellt. Ist der Impfstoff aufgetaut, aber noch nicht rekonstituiert, d. h. für die unmittelbare Applikation vorbereitet, ist er fünf Tage haltbar. Nach seiner Rekonstitution hält er noch sechs Stunden, zumindest im Mehrdosenbehältnis. „Ob dies auch für die aufgezogene Spritze zutrifft, darüber gibt es noch keine belastbaren Daten“, so Hennig, „somit ist man auf alle Fälle auf der sicheren Seite, wenn die vorbereitete Spritze innerhalb einer Stunde verabreicht wird.“ Um diese Zeitspanne einzuhalten, hat Hennig ein Farbkonzept eingeführt: Die Rekonstitution der Vakzine und das Aufziehen der Spritzen wird in Halbstunden-Intervalle eingeteilt, wobei jedem Intervall eine Farbe zugeteilt wird, so dass jede applizierbare Spritze einen Farbcode hat, aus dem das Zeitintervall der Zubereitung hervorgeht. Die so gekennzeichneten Spritzen müssen dann innerhalb der nächsten Stunde verwendet ­werden. Auch auf den Impfplätzen liegen diese Farbkarten, so dass aus ihnen ersichtlich wird, welche Farbe welches Halbstunden-Intervall kodiert, in dem die Spritze verbraucht werden muss. Die Apotheke druckt dann lediglich nur noch pro Spritze zwei Etiketten aus mit der Bezeichnung des Impfstoffs und der Chargenbezeichnung: ein Etikett ist für den Impfpass des Impflings bestimmt, das andere für die Dokumentation des Arztes.

Hier wird der Impfstoff bei minus 80 °C aufbewahrt: der Tiefkühlschrank des Zentralen Impfzentrums.

Bevor der Stoff geimpft werden kann

Am Abend erhält die Apotheke die Meldung, wie viele Patienten sich für den kommenden Tag angemeldet haben. Diese Menge an Impfstoffdosen plus eine Sicherheitsreserve, die sich aus Erfahrungswerten ergibt, wird dann vom Tiefkühlschrank ausgelagert und bleibt über Nacht in einem normalen Kühlschrank. (Der Impfstoff taut bei Raumtemperatur innerhalb einer guten halben Stunde auf, bei normaler Kühlschranktemperatur dauert es etwa drei Stunden.) Zur ­unmittelbaren Applikationsvorbereitung werden dann die erforderlichen Impfstofffläschchen (engl. Vials) rechtzeitig aus dem Kühlschrank genommen, auf Raumtemperatur gebracht und dann rekonstituiert.

Krankenhausapotheker Holger Hennig, Direktor der Apotheke des Klinikums Stuttgart, überprüft die aufgetauten Impfstoff­bestände.

Foto: DAZ/diz

Die Vials sind Mehrdosenbehältnisse, es lassen sich fünf bis sechs Impfdosen aus ihnen entnehmen: Ein Vial des Biontech Impfstoffs enthält 0,45 ml an Impfstoffsubstanz. Zur Rekonstitution des Impfstoffs wird der aufgetauten Substanz 1,8 ml Kochsalzlösung zugesetzt und vorsichtig vermischt, so dass sich dann 2,25 ml gebrauchsfertige Impfstofflösung in dem Vial befinden. Da pro Impfung 0,3 ml benötigt werden, lassen sich pro Vial sechs Impfdosen herstellen.

Wie groß sind die Kapazitäten?

Damit täglich ausreichend viele Impfdosen zur Verfügung stehen, muss rechtzeitig für Nachschub gesorgt werden. „Die Impfstoff-Bestellungen werden“, so erklärt es Hennig, „bei einer Stelle im Sozialministerium Baden-Württemberg aufgegeben, die dann den Impfstoff von einem zentralen Lager abruft – wo sich dieses Lager befindet, wird nicht kommuniziert, aus Sicherheitsgründen.“

Um die Spritzen „just in time“ vorzubereiten, haben sich Hennig und sein Team ein einfaches, aber gut getaktetes System ausgedacht. Aufgrund der Voranmeldungen ist dem Impfzentrum bekannt, wie viele Leute am Tag kommen und in etwa zu welcher Zeit. Da man aus Erfahrung weiß, dass der Impfvorgang einschließlich Vorbereitung des Impflings und Dokumentation etwa vier Minuten dauert, bedeutet dies, dass an einem Impfplatz 15 Patienten pro Stunde geimpft werden können. Im Stuttgarter Impfzentrum Liederhalle gibt es 15 Impfplätze, das heißt: In einer Stunde können hier etwa 225 Impfungen durchgeführt werden.

Die Vials (Mehrdosenbehältnisse) werden in Kartons geliefert.

Das Team von Krankenhausapotheker Hennig kann in 15 Minuten 60 Spritzen produzieren, also 240 in der Stunde. Wenn man also weiß, wie viele Patienten in der nächsten Stunde kommen, lässt sich der voraussichtliche Bedarf sehr gut berechnen und vorbereiten. Die vorbereiteten Spritzen werden dann im Viertelstundentakt vom Vorbereitungsraum zu den Impfplätzen getragen.

Vonseiten der Apotheke arbeitet jeweils eine Kraft (Apothekerin, Apotheker oder PTA) pro Schicht im Impfzentrum mit. Da pro Tag zwei Schichten angesetzt sind und auch am Wochenende geimpft wird, arbeiten insgesamt drei Vollzeitkräfte mit. „Allerdings haben wir“, so Hennig, „einige dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Ehemaligen oder durch Aufstocken der Arbeitszeit von Teilzeitkräften rekrutiert.“ Das pharmazeutische Personal ist für die Koordination und Beaufsichtigung der Herstellungsvorgänge zuständig. Die Rekonstitution des Impfstoffs und das Aufziehen der Spritzen wird dagegen von Auszubildenden des Klinikums durchgeführt. Sie kommen aus den unterschiedlichen Ausbildungsberufen des Klinikums (z. B. Hebammenschule, Krankenpflegeschule, operations- und anästhesietechnische Assistenzberufe, MTA-Schule) und wurden eigens für ihre Aufgaben im Impfzentrum angelernt. Pro Schicht arbeiten für die Vorbereitung der Spritzen insgesamt sieben Personen aus diesen Bereichen. „Die Bereitschaft des Apothekenpersonals und der Auszubildenden im Impfzentrum mitzuarbeiten, war erfreulich groß“, so Hennig, „natürlich ist es eine zusätzliche Belastung, aber es ist durchaus eine tolle Herausforderung und Erfahrung, hier dabei zu sein. Immerhin, diese Impfung ist auch ein historisches Ereignis, und wer dabei war, kann später mal sagen: ‚yes, we did it‘“. |

Autor


Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de


Im unteren Foyer des Kultur- und Kongresszentrums finden vor der Impfung die Aufklärungsgespräche für die Impflinge statt.

Zahlreiche Assistentinnen und Helferinnen kümmern sich darum, dass die Spritzen in den Impfkabinen bereit liegen und die Kabinen immer mit ausreichend Verbrauchsmaterial bestückt sind.

Fotos: DAZ/diz

Eine von 15 Impfkabinen im Zentralen Impfzentrum des Klinikums Stuttgart.

Arbeitsraum für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums: Hier wird der Impfstoff rekonstituiert und für die Applikation vorbereitet.

Vermischen der aufgetauten Injektions­dispersion mit Kochsalzlösung.


Aufziehen der Spritze: 0,3 ml der fertigen Dispersion werden verimpft.

Fertig!

Die Spritzen mit der vorbereiteten Injek­tionsdispersion werden in einer Schale gesammelt und im Viertelstundentakt zu den Impfplätzen gebracht
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