Pandemie Spezial

Vektorimpfstoffe unter Verdacht

Sinusvenenthrombosen sorgen für Spekulationen und unterschiedliche Reaktionen

du | Die Verunsicherung könnte kaum größer sein: Norwegen und Dänemark verzichten wegen der seltenen Fälle von Sinusvenenthrombosen nach Impfung mit dem Adenovirusvektor-basierten Impfstoff Vaxzevria von AstraZeneca erst einmal ganz auf diesen Impfstoff, in Deutschland wird empfohlen, nur noch über 60-Jährige damit zu impfen, in Frankreich nur noch über 55-Jährige, in Großbritannien nur noch über 30-Jährige. Ungeachtet dieser nationalen Alleingänge sieht die EMA bislang keine Veranlassung, die Indikation für den Impfstoff auf bestimmte Altersgruppen zu begrenzen.

Mit dem Bekanntwerden der ersten Fälle von Sinusvenenthrombosen (cerebrale Venenthrombose, CVT) nach Impfung mit dem Vektorimpfstoff AZD 1222 (Vaxzevria) wurde sehr schnell eine Hypothese zur Entstehung dieser Komplikation aufgestellt. Ähnlich wie bei der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) ließen sich Antikörper gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) identifizieren, die zu einem Verklumpen von Blutplättchen und damit gefährlichen Gefäßverschlüssen führen können [1]. Analog zu HIT wird im Zusammenhang mit der Impfung von einer Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombozytopenia,kurz VITT, gesprochen (s. a. DAZ 2021, Nr. 12, S. 30). Gerätselt wird allerdings immer noch, wie es zu der fatalen Antikörperbildung kommt. Da diese Komplikation inzwischen auch nach Impfung mit ­einem weiteren Vektor-basierten Impfstoff gegen COVID-19, der Vakzine von Johnson & Johnson, aufgetreten ist, jedoch nicht in unerwarteter Häufigkeit nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna, liegt der Verdacht nahe, dass der Vektor das Problem ist.

AstraZeneca sowie Johnson & Johnson nutzen als Genfähre für das zu produzierende Spike-Antigen Adenoviren und damit DNA-Viren. Jede Impfdosis enthält große Mengen an modifizierten Viren. Es ist nicht auszuschließen, dass die DNA auch extrazellulär freigesetzt wird. Ähnlich wie Heparin ist sie negativ geladen, könnte an den positiv geladenen Faktor PF4 binden und die Antikörperproduktion induzieren. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, ob die Dosierung mit mindestens 2,5 × 108 infektiöse Einheiten pro Dosis Vaxzevria zu hoch ist [2].

Foto: imago images/Friedrich Stark

Ein Vektorproblem? Nicht nur nach Impfung mit der von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten Vakzine sind Sinusvenenthrombosen aufgetreten.

Zusammenhang bestätigt

Dass zwischen den Impfungen mit dem Vektorimpfstoff Vaxzevria und der seltenen Komplikation einer Sinusvenenthrombose ein Zusammenhang besteht, bestreitet auch die EMA nicht mehr. Eine Zulassungseinschränkung hat sie jedoch bislang für nicht notwendig erachtet, verschiedene EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien jedoch schon. So wird von David Spiegelhalter, einem Statistiker der Universität Cambridge, das CVT-Risiko nach Vaxzevria-Impfung für Frauen zwischen 20 und 29 Jahren mit 1,1 pro 100.000 Impfungen angegeben [2]. Ihr Risiko, aufgrund eines schweren COVID-19-Verlaufs innerhalb der nächsten 16 Wochen intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen, liegt Spiegelhalter zufolge zwischen 0,8 und 6,9 pro 100.000, je nach Höhe der Virusexposition. Großbritannien hat für diese Altersgruppe daher entschieden, dass die Risiken der Impfung zu hoch sind.

Nutzen der Impfung altersabhängig

Unbestritten ist, dass mit zunehmendem Alter das Risiko für schwere ­COVID-19-Verläufe bis hin zum Tod steigt. Entsprechend nimmt mit zunehmendem Alter der Nutzen einer Impfung im Vergleich zu dem Sinusvenenthrombose-Risiko kontinuierlich zu. In seinem Sicherheitsbericht für den Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 2. April 2021 überblickt das Paul-Ehrlich-Institut insgesamt knapp 11 Millionen Impfungen mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty®, gut 700.000 Impfungen mit dem mRNA-Impfstoff von Moderna und knapp 3 Millionen Impfungen mit Vaxzevria von AstraZeneca, 12.409 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen wurden in diesem Zeitraum für Comirnaty® gemeldet, 1139 für den Moderna-Impfstoff und 17.170 für Vaxzevria. Bis zum 2. April registrierte das Paul-Ehrlich-Institut 42 Meldungen einer zentralen Venen-/Sinus­venenthrombose nach Impfung mit Vaxzevria, in 23 Fällen in Zusammenhang mit einer Thrombozytopenie, davon waren 35 Frauen und sieben Männer betroffen. In der Altersgruppe der 20- bis 59-jährigen Frauen traten 33 Fälle auf und damit mehr, als aufgrund der Hintergrundinzidenz zu erwarten gewesen wäre. Das und die Tatsache, dass von den bislang rund 80.000 Todesfällen in Zusammenhang mit COVID-19 in Deutschland nur rund 4% auf die Altersgruppe der unter 59-Jährigen entfallen, sind Erklärungsansätze für die Empfehlung, in Deutschland nur noch über 60-Jährige mit Vaxzevria zu impfen. Zu beachten ist, dass Vaxzevria in Deutschland zunächst nur für unter 65-Jährige empfohlen wurde und zu Beginn bevorzugt Jüngere geimpft worden sind. Wie sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei nahezu ausschließlicher Impfung von über 60-Jährigen entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Oxford-Studie: Hohes Risiko durch COVID-19

Hilfreich für die individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung könnte ein Blick auf das Sinusvenenthrombose-Risiko unter COVID-19 sein. Eine bislang nur als Preprint veröffentlichte Studie der Universität Oxford gibt die CVT-Inzidenz mit 39 pro einer Million an, für eine Impfung mit den mRNA-Impfstoffen BNT 162b2 (Comirnaty®) oder mRNA-1273 (Moderna) nach der ersten Dosis mit 4,1 pro einer Million [3]. Die Daten basieren auf der Auswertung von Sinusvenenthrombose-Fällen bis zu zwei Wochen nach einer COVID-19-Erkrankung (n = 513.284), einer Influenza-Erkrankung (n = 172.742) und der ersten Impfung mit einem der beiden mRNA-Impfstoffe (n = 489.871). Eine Influenzaerkrankung erhöhte die CVT-Inzidenz nicht. Die Autoren sehen ein deutlich höheres Risiko für Sinusvenenthrombosen durch die COVID-19-Erkrankung als durch eine Impfung mit einer mRNA-Vakzine. Die Inzidenz sei zudem deutlich höher als die, die die EMA für den AstraZeneca-Impfstoff Vaxzevria annimmt. Sie wird mit 5 pro einer Million angegeben und wäre damit in der gleichen Größenordnung wie die einer mRNA-Impfung in der Oxford-Studie. Da die EMA-Daten aus einer anderen Quelle stammen, ist ein direkter Vergleich mit den Ergebnissen der Oxford-Studie allerdings nicht möglich. Darauf verweisen auch die Autoren der Studie.

Die Meldezahlen des PEI (s. o.) und auch in den USA sprechen derzeit eine andere Sprache. So wurde in den USA der Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson vor dem Impfstopp am 13. April 2021 knapp 7 Millionen Mal verimpft, es wurden sechs Fälle von Sinusvenenthrombosen gemeldet. Für die zu diesem Zeitpunkt rund 182 Millionen verimpften Dosen der mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna wurde ein solches Sicherheitssignal nicht beobachtet. Ob also tatsächlich auch unter mRNA-Impfstoffen mit einem ähnlichen Risiko für die seltenen Sinusvenenthrombosen zu rechnen ist wie unter den Vektorimpfstoffen, muss erst noch bewiesen werden. Ungeachtet dessen lautet die Botschaft der Oxford-Studie, dass das CVT-Risiko einer COVID-19-Erkrankung deutlich größer ist als das einer Impfung [2]. |

Literatur

Greinacher A et al. Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. NEJM April 9, 2021 DOI: 10.1056/NEJMoa2104840

Kupferschmidt K, Vogel G. Hard choices emerge as link between AstraZeneca vaccine and rare clotting disorder becomes clearer. 11. April 2020, www.sciencesmag.org

Taquet M et al. Cerebral venous thrombosis: a retrospective cohort study of 513.284 confirmed COVID-19 cases and a comparison with 489,871 people receiving a COVID-19 mRNA vaccine, https://osf.io/a9jdq/

 

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