DAZ aktuell

Der Token in der Hand von DocMorris

Trotz Makel- und Zuweisungsverbot genießen Arzneimittelversender Vorteile

eda | ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hat Anfang dieser Woche in einem Statement das von der Großen Koalition aufgegriffene und umgesetzte Makel- und Zuweisungsverbot begrüßt. Doch betrachtet man die aktuelle Regelung genauer, bedarf es dringend weiterer Konkretisierungen: Die angekündigten Apothekenplattformen wären Stand heute, was die Rx-Bestellungen angeht, funktionell benachteiligt gegenüber den EU-Arzneimittelversendern. Denn im Hinblick auf die Zugriffsmöglichkeiten auf E-Rezept-Tokens genießen DocMorris und Co. eine fragwürdige Zwitterstellung und damit einen deutlichen Wettbewerbsvorteil.

Gebetsmühlenartig hatte die ABDA in den vergangenen Monaten Nachbesserungen beim Makelverbot gefordert. Schon bei den Debatten über das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) wurde das Makel- und Zuweisungsverbot heiß diskutiert: Wie kann sichergestellt werden, dass elektronische Verordnungen zukünftig auch wirklich in die Apotheken ge­langen, in denen die Patienten sie einlösen wollen? Zu Umwegen über Dritte, die mit der Rezeptvermittlung Geschäfte machen wollen, soll es dabei keinesfalls kommen.

In Berlin wurde man auf das Problem aufmerksam und führte daraufhin mit dem Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) ein sozialrechtliches Zuweisungsverbot für Ärzte und Krankenkassen (§ 31 Abs. 1 SGB V) und ein Abspracheverbot im Apothekengesetz (§ 11 Abs. 1 ApoG) ein, das ausdrücklich auch elektronische Verordnungen einbezieht, zudem für Dritte gilt und EU-Versandapotheken umfasst. Zudem gilt seitdem für Dritte ein Makelverbot für (E-)Rezepte (§ 11 Abs. 1a ApoG).

Ganz zufrieden waren Apothekenrechtsexperten und ABDA aber nicht mit diesen Paragrafen: Ihnen fehlte die Klarstellung, dass auch der Token des E-Rezepts vom Zuweisungs- und Makelverbot erfasst wird. Zuletzt hatte die ABDA eine entsprechende Forderung in ihrer Stellungnahme zum Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) aufgestellt. Dabei verwies sie auch auf die massive Kritik der beiden namhaften Apothekenrechtsexperten Professor Hilko J. Meyer und Dr. Elmar Mand.

Foto: Screenshot

Mit DocMorris+ beabsichtigt der Arzneimittelversender auch eine Plattform mit angeschlossenen Präsenzapotheken zu betreiben.

Verstöße bußgeldbewehrt

Auch diese Einwände und Verbesserungsvorschläge vernahm man im politischen Berlin: Das Bundesgesundheitsministerium hat Ende der ver­gangenen Woche bei seinen Formulierungshilfen für Änderungsanträge zum Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) nachgelegt und die Regelung auf den E-Rezept-Token ausgeweitet. Ein Verstoß gegen das Verbot soll sogar bußgeldbewehrt sein (s. Kasten am Ende des Textes).

Doch seit Bekanntwerden dieser Än­derungsvorschläge am vergangenen Freitag werden auch kritische Stimmen laut – und diese kommen weniger aus dem Lager der Arzneimittelversender als vielmehr aus dem Umfeld der großen Apothekenplattformpro­jekte: Neben dem „Zukunftspakt Apotheke“ von Noweda/Burda, arbeiten Noventi/Phoenix zusammen mit den Partnern von Pro AvO an gesund.de. Und auch der Deutsche Apothekerverband (DAV) beabsichtigt ein Apothekenportal zeitnah anzubieten. Diese Plattformen könnten einen deutlichen Wettbewerbsnachteil erfahren, wenn der Verordnungsgeber nicht bald nachbessert. Dabei ist das Makel- bzw. Zuweisungsverbot nur ein Aspekt, der dazu führen könnte, dass die Plattformbetreiber als „Dritte“ gar keine Rx-Verordnungen der Patienten an die gewünschte Apotheken leiten dürfen.

Zwar betonen Vertreter dieser Projekte gegenüber der DAZ immer wieder, dass man kein eigenes Interesse an den E-Rezepten bzw. Tokens habe. Doch man müsse als Plattform in der Lage sein, auf Patientenwunsch die Tokens an die jeweiligen Apotheken zu leiten. Und diese Funktion würde durch ein Makel- bzw. Zuweisungs­verbot erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar ausgehebelt. Für eine abschließende Bewertung dieses Szenarios bedarf es allerdings eines höchstrichterlichen Urteils, das endgültig klärt, unter welchen Umständen tatsächlich ein geschäftsmäßiges Makeln bzw. Zuweisen von E-Rezepten stattfindet.

Womöglich hat man aufseiten des Verordnungsgebers dieses Problem erkannt, da seit Montag dieser Woche eine veränderte Formulierung in der finalen Fassung des DVPMG-Änderungsantrags zu finden ist.

In einem Statement erklärt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: „Wir begrüßen, dass die Fraktionen von CDU/CSU und SPD unsere Bedenken zum Verbraucherschutz beim E-Rezept in ihrem Änderungsantrag für das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) aufgegriffen haben. Es ist wichtig und richtig, dass in Paragraph 11 Apothekengesetz nun noch einmal klargestellt werden soll, dass auch die elektronischen Zugangsdaten für das elektronische Rezept – die sogenannten E-Rezept-Token – vom Zuweisungs- und Makelverbot erfasst werden.“ Aus Verbraucherschutzgründen sei das „absolut wünschenswert“, so Overwiening weiter. Der Gesundheitsausschuss hat nach DAZ-Redak­tionsschluss am Mittwoch und das Bundestagsplenum am Donnerstag Gelegenheit, dieser Änderung im DVPMG zuzustimmen. Ende Mai ist der letzte Durchgang im Bundesrat geplant. Dann könnte das Gesetz zur Mitte des Jahres in Kraft treten.

DocMorris: Versandapotheke und Plattformbetreiber

Davon abgesehen verleiht diese Situation aber den großen EU-Versendern wie DocMorris erheblichen Aufwind. DocMorris sieht sich bekanntlich inzwischen nicht nur als reiner Arzneimittelversender, sondern auch als Plattformbetreiber, der um die Gunst der Apotheken vor Ort buhlt. DocMorris gilt im System der Gematik als Leistungserbringer bzw. EU-Versandapotheke und wird daher von der ­gematik selbst mit den für den Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) notwendigen Heilberufsausweisen (HBA) und Institutionskarten (SMC-B) versorgt. Im Gegensatz zu den inlän­dischen Plattforminitiatoren wie Noweda, Burda, Noventi, Phoenix, Pro AvO und dem DAV genießen DocMorris und andere EU-Versender also eine Zwitterstellung, die ihnen einen deutlichen Wettbewerbsvorteil im Zeitalter des E-Rezepts und der Plattformen verschaffen könnte.

Einerseits können sie als vom Bundesgesundheitsministerium legitimierte Versandapotheken innerhalb der Telematikinfrastruktur E-Rezept-Tokens empfangen, auslesen und beliefern. Andererseits wären sie darüber hinaus in der Lage, die Rx-Bestellungen der Kunden über ihre Platt­formen – also den angeschlossenen Apotheken – auszuspielen. So könnten den Kunden beispielsweise dringend benötigte verschreibungspflichtige Arzneimittel über die DocMorris-Mitgliedsapotheke in der Nähe ausgegeben werden, während Bestellungen aus dem OTC-Bereich und sonstigen Sortimenten aus den Lagern hinter der Grenze kommen.

DocMorris kann als Versender und Plattformbetreiber mit direktem Draht in die Telematikinfrastruktur also viel früher auf E-Rezept-Tokens reagieren als die inländischen Plattformprojekte.

Alle warten auf die Rechtsverordnung

Ein technisch denkbarer Ausweg wäre, dass die Plattformen tatsächlich und wie angekündigt eine Art „Gesundheitsökosystem“ schaffen dürfen, das die Patienten zwischen telemedizinischen und pharmazeutischen Angeboten auswählen lässt, und unter Mitwirkung der verschiedenen Leistungserbringer alles aus einer Hand anbietet. Sowohl der „Zukunftspakt Apotheke“ also auch Noventi/Phoenix bzw. Pro AvO haben diese Vision bereits formuliert. Damit dürften Ver­ordnungsdaten mit Einverständnis der Patienten innerhalb einer sicheren App-Umgebung ausgetauscht werden. So könnte die Verfügbarkeit der benötigten Arzneimittel in den Apotheken abgefragt werden, während der E-Rezept-Token und damit die eigentliche Verordnung über den Weg zwischen Arzt und Apotheke geleitet wird, so wie vom Gesetzgeber vorgesehen. ­Dieses Szenario würde aber noch mal weitaus mehr rechtliche (Abgrenzungs-)Fragen aufwerfen.

Sowohl bei der ABDA als auch bei den Initiatoren der Plattformprojekte ist man daher dem Vernehmen nach sehr gespannt auf die angekündigte Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums im Hinblick auf die rechtliche Stellung sogenannter Drittanbieter-Apps. Diese Verordnung soll zum Beispiel klären, ob es für E-Rezept-Tokens weiterhin eine „Teilen“-Funktion geben wird und inwiefern weitere Apps neben der Gematik-App E-Rezepte empfangen, verwalten und weiterleiten dürfen. Denkbar wäre also, dass es für die Apothekenplattformen beispielsweise ein Register bzw. ministerielle Ausnahmerege­lungen gibt, während das geschäfts­mäßige Makeln und Zuweisen von Verordnungen verboten bleibt. |

Große Koalition justierte beim Makel- und Zuweisungsverbot nochmals nach

ks | 25 Änderungsanträge hatten die Regierungsfraktionen zum Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) Anfang dieser Woche vorgelegt. Diese werden nach DAZ-Redak­tionsschluss am Mittwoch zusammen mit dem Gesetzentwurf abschließend im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten. Seine Empfehlung wird dann die Grundlage für die 2./3. Lesung am Donnerstag im Bundestagsplenum sein.

Was die geplanten Erweiterungen beim Makel- und Zuweisungsverbot angeht, haben die Fraktionen die Formulierungshilfen nochmals nachjustiert. Künftig sollen die ersten beiden Absätze des § 11 Apothekengesetz (ApoG) folgendermaßen lauten (Änderungen fett):

(1) Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Dies gilt auch für Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die die Zuweisung von Verschreibungen in elektronischer Form oder von elektronischen Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form zum Gegenstand haben. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Apotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen, sowie deren Inhaber, Leiter oder Personal, soweit diese Apotheken Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgen.

(1a) Es ist für die in Absatz 1 Satz 1 genannten Dritten unzulässig, Verschreibungen, auch Verschreibungen in elektronischer Form oder elektronische Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiter­zuleiten und dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.

In der Formulierungshilfe war in Absatz 1 noch die Rede von Rechtsgeschäften oder Absprachen, „die die Einlösung elektronischer Verordnungen oder das Sammeln, Vermitteln oder Weiter­leiten von deren elektronischen Zugangsdaten zum Gegenstand haben“.

Eine weitere Nachbesserung betrifft die Behandlung von Verstößen gegen das Makelverbot (§ 11 Abs. 1a ApoG) als Ordnungswidrigkeit. Hier war zunächst vergessen worden, den Bußgeldrahmen festzulegen. Nun ist klar: Ein Verstoß kann als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 20.000 Euro geahndet werden – das ist die höhere Stufe, weitaus häufiger ist bei Verstößen gegen das Apothekengesetz nur eine Geldbuße von bis zu 5000 Euro vorgesehen.

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