Pandemie Spezial

Warten auf die Impfstoffe

Versorgungsstrategie der EU in der Kritik

Im Moment regt sich vielerorts Unmut über die schleppend angelaufenen Lieferungen der zugelassenen COVID-19-Impfstoffe und deren Einsatz. Dieser Beitrag gibt einen kleinen Überblick über die Versorgungsstrategie der Europäischen Union (EU) und deren Umsetzung.

Die Beschaffung der Impfstoffe in der EU beruht auf der europäischen Impfstoffstrategie, die die EU-Kommission am 17. Juni 2020 vorgestellt hat. Sie soll allen Menschen in der EU einen möglichst schnellen und gleichberechtigten Zugang zu einem erschwing­lichen Impfstoff sichern. Außerdem sollten damit Rivalitäten zwischen den Mitgliedstaaten verhindert werden. Bei der Auswahl der Kandidaten hatten alle Länder ein Wörtchen mitzu­reden. Das Portfolio der Kandidaten sollte möglichst breit aufgestellt sein. Hätte man sich auf ein kleineres Spektrum beschränkt, so wäre die Gefahr groß gewesen, beim Scheitern von Entwicklungsprojekten zu wenig in den Händen zu haben.

Gemäß der Strategie verhandelt die Kommission im Namen aller teilnehmenden Mitgliedstaaten mit den Unternehmen über mögliche Kontingente zur Abnahme von Corona-Impfstoffen. Sobald sich einer der unterstützten Kandidaten als erfolgreich erweist, können die Mitgliedstaaten diesen auf der Grundlage der in der Abnahmegarantie festgelegten Bedingungen direkt beim Hersteller erwerben. Die Aufteilung zwischen den Ländern soll nach einem Verteilungsschlüssel anhand der Bevölkerungszahl erfolgen.

Verträge mit sechs Unternehmen

Seit dem Spätsommer hat die Europäische Kommission mit insgesamt sechs Unternehmen mit aussichtsreichen Impfstoffkandidaten Verträge über den Ankauf von Impfstoffen abgeschlossen (s. Tab.).

Tab.: Verträge der EU mit Herstellern von COVID-19-Impfstoffen
Firma
Vertrag (Datum des Inkrafttretens)
Anzahl der Impfdosen
(in Millionen)
Option auf weitere Dosen
(in Millionen)
Anteil für Deutschland*
(in Millionen)
AstraZeneca
27.08.2020
300
100
56,2
Sanofi-GSK
18.09.2020
300
Johnson & Johnson
21.10.2020
200
200
37,25
Biontech/Pfizer
20.11.2020
200
100
mindestens 60, gesicherte Option auf weitere 30 national
08.01.2021
200
100
CureVac
30.11.2020
225
180
mindestens 42, Option auf weitere 20 national
Moderna
04.12.2020
80
80
50,5, Verhandlung über zusätzliche national
Novavax
17.12.2020
Sondierungs­gespräche
100
100

*Stand 6. Januar 2021

Damit hat die EU mehr als 2,6 Milliarden Impfdosen für sich gesichert. In Anbetracht von 450 Millionen Unionsbürgern sind das, entgegen der vielerorts geäußerten Kritik, nicht zu wenige, sondern sogar eher zu viele. Der Grund für die Überbestellung war, dass bei den Verhandlungen und Zusagen für die Vorfinanzierung im Sommer 2020 noch lange nicht klar war, welche Impfstoffe als erste zur Zulassung kommen würden. Bei Biontech/Pfizer hatte die EU in der ersten Runde weniger als etwa bei AstraZeneca und Sanofi-GSK bestellt, weil die Vakzine eher teuer und kompliziert in der Handhabung ist (Kühlung bei ­minus 70 Grad).

Foto: DAZ/diz

130 Millionen Dosen mRNA-Impfstoffe für Deutschland

Zwischenzeitlich haben die Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Comirnaty®) und von Moderna (COVID-19-Vakzine Moderna) am 21. Dezember 2020 beziehungsweise am 6. Januar 2021 eine bedingte Zulassung für die EU erhalten. Es konnte also losgehen mit der Lieferung und den Impfungen. Laut Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vom 9. Januar 2021 soll Deutschland von Biontech/Pfizer und Moderna auf Basis der derzeitigen Ankäufe insgesamt mehr als 130 Millionen Impfstoffdosen erhalten. Bis ­Ende des ersten Quartals 2021 sollen davon 12 Millionen Dosen zur Verfügung gestellt werden.

Schleppender Start

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sollen die Bundesländer bis zum 1. Februar wie geplant 3,98 Millionen Dosen Biontech/Pfizer-Impfstoff geliefert bekommen. Die ersten Lieferungen von insgesamt 1,3 Millionen Dosen sind am 26., 28. und 30. Dezember erfolgt. Die restlichen 2,68 Millionen sind auf den 8., 18. und 25. Januar sowie den 1. Februar terminiert. Innerhalb Deutschlands werden die Impfdosen nach Bevölkerungsanteil an die Bundesländer verteilt.

Die Option auf Nachbestellung von weiteren 100 Millionen Dosen für das Jahr 2021 zog die Europäische Kommission am 15. Dezember. Am letzten Freitag schlug sie den EU-Mitgliedstaaten darüber hinaus vor, das EU-Kontingent von Comirnaty® auf insgesamt bis zu 600 Millionen Dosen aufzustocken. Von dem neuen Auftrag sollen bereits ab dem zweiten Quartal 75 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Der Rest soll im dritten und im vierten Quartal 2021 geliefert werden.

Moderna-Impfstoff kommt in diesen Tagen

Der US-amerikanische Hersteller Moderna will basierend auf dem Rahmenvertrag zwischen dem ersten und dem dritten Quartal 2021 160 Millionen Einheiten an die EU-Staaten liefern, nachdem die Option auf den Bezug der zusätzlichen 80 Millionen Dosen ebenfalls am 15. Dezember gezogen worden war. Die erste Lieferung sollten die Bundesländer am Dienstag, den 12.2.21, erhalten. Damit könnte in Deutschland dann neben Comirnaty® auch die zweite mRNA-Vakzine bei den gefährdetsten Bevölkerungsgruppen zum Einsatz kommen. Im ersten Quartal sollen aber wegen der bis dato begrenzten Produktionskapazitäten nur knapp zwei Millionen Moderna-Dosen nach Deutschland gehen. Die genauen Lieferpläne für den Moderna-Impfstoff will das BMG nach eigenem Bekunden nun zügig mit der EU und dem Unternehmen abstimmen.

AstraZeneca-Vakzine eventuell schon im Januar

Wie die Europäische Arzneimittelagentur Ende letzter Woche verlauten ließ, könnte bereits Ende Januar ein dritter Impfstoff gegen COVID-19 in der EU zugelassen werden. Der Antrag des Herstellers AstraZeneca auf eine bedingte Marktzulassung wird in Kürze erwartet. Der Vektorimpfstoff soll nach den bisherigen Studienergebnissen zwar eine geringere Wirksamkeit haben, als die beiden mRNA-Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna, aber er soll preiswerter sein und kann bei normaler Kühlschranktemperatur für sechs Monate gelagert werden. In Großbritannien erhielt der Impfstoff am 30. Dezember 2020 eine Genehmigung für die temporäre Verwendung.

Wie weit ist CureVac?

Weitere Hoffnungen auf Entspannung an der Impffront ­ruhen auf der mRNA-Vakzine von CureVac. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass das biopharmazeutische Unternehmen eine Kooperations- und Service-Vereinbarung mit Bayer geschlossen hat, um die Entwicklung und Bereitstellung seines COVID-19-Impfstoffkandidaten CVnCoV zu beschleunigen. Bayer soll dabei unter anderem seine etablierte Infrastruktur für die Durchführung von Studien, regulatorische Expertise und Lieferkettenleistungen einbringen. Ob es auch bei der Produktion mit einspringt, scheint noch nicht klar zu sein. Am 14. Dezember 2020 wurde mit dem Start einer globalen zulassungsrelevanten Phase 2b/3-Studie ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung von CVnCoV erreicht. Bei positivem Ausgang hofft CureVac auf die Zulassung bis zum dritten Quartal.

Holpriger Impfstart

Als gemeinsamen Termin für den Impfstart in der EU hatten sich die Mitgliedstaaten auf den 27. Dezember verständigt. Seitdem wird der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer nach und nach in Deutschland und auch in anderen Mitgliedstaaten verimpft. ­Vielen geht der Prozess nicht schnell genug. Die Politik versucht, die Ungeduld zu dämpfen. Man habe von Anfang an gewusst, dass es zu Beginn nur wenig Impfstoffe geben werde, und zwar nicht nur in der EU, sondern auch in vielen anderen Regionen der Welt, hat Jens Spahn in den letzten Tagen fast „gebetsmühlenartig“ immer wieder betonen müssen. Andere Länder seien teilweise schneller an die Impfstoffe herangekommen, weil sie sich im Gegensatz zur EU für Notfallzulassungen entschieden hätten. ­Außerdem könnten Impfkampagnen in kleinen Ländern wie Israel (9 Millionen Einwohner) leichter organisiert werden.

Mit der anstehenden Aufstockung der Produktionskapazitäten für Comirnaty® und der dritten Zulassung dürfte sich die Lage demnächst etwas entspannen. Ein bisschen könnte auch helfen, dass aus einer Ampulle nun auch sechs, statt bisher fünf Impfdosen gewonnen werden können. Eine entsprechende Änderung der Zulassung hatte die EMA am Mittwoch letzter Woche genehmigt.

mRNA-Impfstoffe nicht ­austauschen

Zahlreiche Diskussionen ranken sich aktuell auch um die Verteilung und den rationellsten Einsatz der zuge­lassen Impfstoffe, die alle beide zweimal verabreicht werden müssen, und zwar im Abstand von mindestens 21 bzw. 28 Tagen (s. a. S. 34). Laut Spahn werden die vorhandenen Dosen vorläufig für die erstmalig Geimpften reserviert, das heißt, die zweite Dosis wird jetzt schon beiseitegelegt und nicht etwa an eine andere Person verimpft. Der alternativen Verwendung der beiden bisher zugelassenen mRNA-Vakzine, das heißt etwa „erste Impfung mit Comirnaty®, zweite Impfung mit COVID-19-Vakzine Moderna“ oder umgekehrt erteilten sowohl der Präsident des Robert Koch-Instituts, Prof. Dr. Lothar Wieler, als auch der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Prof. Dr. Klaus Cichutek, bei einer Online-Fragerunde am 9. Januar 2021 eine klare Absage. Dieses sei ungeachtet desselben Impfprinzips (m-RNA-Impfstoff) nicht zulassungskonform und müsse erst in Studien untersucht werden.

Einigkeit herrscht darüber, dass die Impfung breiter Bevölkerungsschichten noch Monate dauern wird. Spahn warb um Verständnis dafür, dass es im Moment vielerorts noch etwas ruckelt. Er hofft jedenfalls, in diesem Jahr jedem Bürger ein Impfangebot mit dem Biontech/Pfizer- oder dem Moderna-Impfstoff machen zu können. Damit, dass aktuell jeden Tag Bilder von leeren Impfzentren über die Fernsehschirme flimmern, hat der Bundesgesundheitsminister nach eigenem Bekunden kein Problem. Ganz im Gegenteil, er sei froh darüber, dass die Struktur mit den weit über 400 Impfzentren bereits steht, wenn bald mehr Impfstoff kommt.

Apothekerin Dr. Helga Blasius, Remagen
 

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