Praxis

Medikationsanalyse einführen, aber wie?

Stellschrauben für eine erfolgreiche Implementierung

In vielen Ländern sind Medika­tionsanalysen (MA) als honorierungsfähige Leistung in öffentlichen Apotheken längst etabliert. Die Evidenz ist zunehmend gut belegt [1]. MA konnten Arzneimittel-bezogene Probleme reduzieren, verbesserten klinische Parameter wie den Blutdruck, Blutfettwerte und Blutzuckerspiegel, reduzierten die Anzahl ungeplanter Krankenhauseinweisungen und halfen, Kosten im Gesundheitswesen zu senken [2 – 12]. Trotz solcher eindrucksvoller Belege ist die Übernahme von Modellprojekten wie z. B. ARMIN, ATHINA und Apo-AMTS in die Regelversorgung kein „Selbstläufer“, sondern hängt von vielen Faktoren ab [13].

Medikationsanalysen in öffentlichen Apotheken sind ein wichtiger Beitrag zu mehr Arzneimitteltherapiesicherheit. Ob und wie sie angeboten werden, ist Chefsache.

In einer Übersichtsarbeit haben die Autorinnen dieses Beitrags die publizierten Erfahrungen der beteiligten Hauptakteure mit der Implementierung von Medikationsanalysen (MA) systematisch erfasst [14]. 23 Studien aus neun Ländern entsprachen den Ein- und Ausschlusskriterien und wurden in die Analyse einbezogen. „MA“ steht hier als Oberbegriff für die in Teilen unterschiedlichen Leistungen in den verschiedenen Ländern – Medicines Use Review, Home Medication Review, Medication Therapy Management usw. Für die Übersichtsarbeit wurden die Einflussfaktoren mithilfe des etablierten Implementierungsframeworks „CFIR“ [15] strukturiert erfasst, wobei die Faktoren fünf Bereichen zugeordnet werden (Kasten „Fünf Einflussfaktoren“).

Fünf Einflussfaktoren

Die in den Studien identifizierten Einflussfaktoren wurden je einem dieser Bereiche zugeordnet:

  • Eigenschaften der MA selbst
  • Einflüsse von außerhalb der Apotheke
  • Einflüsse innerhalb der Apotheke
  • Eigenschaften der beteiligten Personen
  • Prozess-bezogene Faktoren

Eigenschaften der Medikationsanalyse

Zu den Einflussfaktoren, die sich aus den Eigenschaften der MA ergeben, zählen die Komplexität der Durchführung, ob Anpassungen an lokale Gegebenheiten nötig und möglich sind, wie die Evidenzgrundlage von den Beteiligten eingeschätzt wird, welche Kosten bei der Einführung entstehen und ob MA gegenüber der Standardversorgung nach Einschätzung der Akteure einen Vorteil bringen. Unmittelbar nach Einführung der „Medicines Use Reviews“ waren manche Stimmen aus Großbritannien hinsichtlich der Qua­lität skeptisch [16], wohingegen US-Krankenkassensprecher überzeugt waren, dass MA „wirklich dramatische Verbesserungen“ in klinischen Parametern bewirkt hätten [17]. (Anm.: Ein Merkmal qualitativer Forschung wie Interviews und Fokusgruppen ist die Illustration der Ergebnisse anhand repräsentativer Zitate.) Auch wenn die Einführung anfangs nicht reibungslos lief [18], waren sich die Beteiligten über den Nutzen einer MA einig [16, 17, 19, 20]. So sagte ein Arzt in Neuseeland „Ich fand [die MA] wirklich außerordentlich wertvoll man ist so beschäftigt… und schließlich verordnet man immer noch und noch ein Arzneimittel … und dreht sich im Kreis“ [21]. Ein Patient in Spanien bemerkte „die Apothekerin ist besser als mein Hausarzt … als ob [sie] Psychologin wäre“ [22]. Ärzte und Apotheker fanden die Dokumentation komplex und hinderlich [16 – 18, 23, 24]. Ärzte schlugen vor, die MA gezielt bei bestimmten Arzneimitteln oder besonderen Patientengruppen zu nutzen und hierfür auch Überweisungen vom Arzt zum Apotheker zu ermöglichen [21, 25].

Äußere Rahmenbedingungen

Einflussfaktoren von außerhalb sind Bedürfnisse der Patienten, die Vernetzung der Apotheke mit Ärzten und anderen Organisationen, rechtliche Rahmenbedingen und die Vergütung. Apotheker aus diversen Ländern berichteten, dass Patienten MA schätzten und dass MA eine Versorgungslücke füllen [19, 20, 26 – 28]. Dies entsprach auch den positiven Rückmeldungen von Patienten nach der MA [22, 29]: „Meinem Arzt erzähle ich diese Dinge nicht, lieber meinem Apotheker“ [22]. Mitunter war es schwierig, Patienten einzuladen, denen die MA noch unbekannt war. Ein Apotheker in Belgien sagte „Die größte Herausforderung ist es, diejenigen zu überzeugen, die am meisten profitieren würden“ [30]. Deshalb wurden von Patienten und Apothekern groß angelegte Kam­pagnen vorgeschlagen, um über Leistungsumfang und Ziel der MA aufzuklären [30 – 32].

Die Zusammenarbeit mit Ärzten wurde von Apothekern als besonders kritischer und für den Erfolg entscheidender Punkt genannt [21, 23, 31, 33]. Auch einige Patienten äußerten diesbezüglich Besorgnis: „Ich denke, dass Ärzte das nicht schätzen, also Einmischung … seitens der Apotheker oder woher auch immer“ [29]. Gute Zusammenarbeit entwickelte sich aber auch gerade durch die MA, wenn Ärzte und Apotheker die jeweiligen Kompetenzen des anderen kennen und schätzen gelernt hatten [18, 30]. So sagten Ärzte aus einem Modellprojekt in Neuseeland, dass sie selbst eine MA nicht als Einmischung ansähen, allerdings möglicherweise ihre Kollegen, die diese Art Zusammenarbeit noch nicht kennen würden [21]. Das größte Hindernis für eine erfolgreiche Einführung der MA war eine fehlende oder unzureichende Vergütung sowohl für die Arbeit der Apotheker [17, 18, 20, 22, 24, 27, 30 – 36] als auch der beteiligten Ärzte [21].

Weitere Stellschrauben

Einflussfaktoren innerhalb der Apotheke umfassen die Kommunikation im Team, die Unternehmensphilosophie, -kultur und -ziele und verschiedene Ressourcen wie Software, Räumlichkeiten und Fortbildung, außerdem die Aufgeschlossenheit des Teams, Arbeitsabläufe, Lernklima und vor allem die Unterstützung der Leitung. Meist gelang die Einführung von MA in großen Apotheken mit vielen pharmazeu­tischen Mitarbeitern einfacher als in kleineren Betrieben [16, 22, 30], aber spanische Patienten sahen auch kleine Apotheken mit geringerem Kundenaufkommen als gut aufgestellt [22]. Orientierte sich der Unternehmenserfolg ausschließlich an der Anzahl abgegebener Packungen, war dies sehr hinderlich: „am Ende des Tages zählt nur der Rezeptstapel … und das ist eine Katastrophe“ [32]. Allerdings konnte die Einführung der MA die Unternehmenskultur von einer traditionellen Logistikfunktion durchaus zu einer stärker heilberuflichen Orientierung verschieben [19, 37]. Hilfreich waren regelmäßige Teambesprechungen [37], klare Kommunikation und ein guter Zusammenhalt im Team [31]. Insgesamt waren die Apotheker aufgeschlossen gegenüber dieser neuen Aufgabe und der damit verbundenen heilberuflichen Rolle [30], selbst wenn es anfangs schwierig schien, MA in die tägliche Routine einzubinden [24, 34, 36].

Das MA-bezogene Wissen der beteiligten Personen sowie deren allgemeine Überzeugungen, Einsatzbereitschaft, Selbstbewusstsein und Motivation entscheiden mit über die erfolgreiche Einführung. Einige Apotheker berichteten von anfänglichem Mangel an Selbstvertrauen [16, 24, 36], da sie sich nicht ausreichend vorbereitet fühlten [26]. Mit wachsender Routine und dem Ausbau fachlicher und kommunikativer Kompetenzen waren die Apotheker jedoch sicher, die MA besser durchführen zu können als jeder andere Heil­berufler [19, 20, 30, 32]. Ein Pluspunkt für die erfolgreiche Einführung war die Offenheit der Apothekerinnen und Apotheker gegenüber neuen Aufgaben wie der MA [20, 27, 30, 31]: „Dies ist wirklich unser Job, deshalb arbeiten wir in einer Apotheke“ [30].

Bei den Prozess-bezogenen Einflussfaktoren berichteten die Studien vor allem, wie Ärzte und Patienten für die MA gewonnen werden konnten [17, 21, 22, 25, 34]. Förderlich war es, den Ärzten vorab Ziel und Umfang einer MA zu erläutern [32]. Das Interesse der Ärzte hing davon ab, ob sie einen Patientennutzen erkennen konnten [25, 27] und ob sie für ihr Engagement vergütet wurden [18]. Der Patienten­ansprache kam eine entscheidende Rolle zu, solange die Dienstleistung relativ unbekannt war [18, 22, 26, 29, 30, 34, 37]. Patienten nahmen die Einladung zur MA aus vielfältigen Gründen an: Neugier, Respekt vor dem Apotheker oder Nutzenerwartung, auch wenn nicht klar war, was es damit auf sich hatte: „[Die Apothekerin] hat mich wirklich überrascht, so habe ich einfach ja gesagt, ohne zu wissen, was da auf mich zukommt“ [29].

Was ist zu tun?

Einige Einflussfaktoren werden durch die Medikationsanalyse selbst oder von außen bestimmt. Rechtliche Rahmenbedingungen und Vergütung werden „oben“ festgelegt, für eine mehrfach als hilfreicher Faktor benannte, überregionale Informationskampagne zur Medikationsanalyse sind die Standesorganisationen zuständig. Die Faktoren innerhalb der Apotheke sowie etliche der an Personen oder Prozessen hängenden Faktoren liegen jedoch im Einflussbereich jeder einzelnen Apothekerin, jedes einzelnen Apothekers. Die wissenschaftliche Untersuchung dieser Einflussfaktoren ist eine gute Grundlage, hier beizeiten gezielt aktiv zu werden. Recht gut erforscht sind die Sichtweisen der angestellten Apotheker, weniger gut repräsentiert sind die Stimmen der Patienten und Ärzte, und die Haltung der Apothekenleiter ist praktisch unbekannt. Um die Medikationsanalyse in der Breite einführen zu können, sind aber zunächst gerade die Apothekenleiter gefragt. Wie Kollegen in verschiedenen Ländern konstatiert haben [22, 26, 30, 33], wird die Einführung von Medikationsanalysen ohne Unterstützung der Apothekenleitung schwierig. „Wenn das nicht funktioniert und der Chef nicht investiert … keine Chance. Er ist die treibende Kraft.“ [22]. Hier in Deutschland werden die Apotheken­leiter entscheiden, ob sie diese Dienstleistung in ihren Betrieben anbieten wollen. Deshalb sollen ihre Sichtweisen in einer Interview-Studie genauer erforscht werden. Sie können daran teilnehmen (s. Kasten Mitmachen)! |

Mitmachen!

Medikationsanalysen ja oder nein, keinerlei oder ganz viel Erfahrung. Egal, wie Sie als Apothekenleiterin, als Apo­thekenleiter dazu stehen, wir Autorinnen dieses Beitrags möchten wissen, was Sie bewegt, und laden Sie zu unserer Studie ein. Über den QR-Code gelangen Sie zu einer kurzen Umfrage (9 Fragen; 2 Minuten Zeitbedarf), in der Sie uns Ihre Kontaktdaten für die Teilnahme an einem knapp 30-minütigen Online-Interview mitteilen können.

Wir Autorinnen freuen uns auf rege Beteiligung!

Literatur

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Dorothee Michel, Antonella Tonna, Anita Weidmann, Dorothee Dartsch, Hamburg/Aberdeen

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