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Oft nur Erfüllungsgehilfen
Europaparlamentsabgeordnete und Apothekerin Jutta Paulus über die Arbeit in der Offizin
Jutta Paulus engagiert sich seit 1987, als sie inmitten ihres Pharmaziestudiums in Marburg steckte, für die Partei „Die Grünen“. Nach einigen Jahren der politischen Pause war sie zwischenzeitlich aus der Partei ausgetreten, doch nun ist die Apothekerin aktiver denn je: Als Kandidatin auf der Europawahlliste von Bündnis 90/Die Grünen wurde sie 2019 in das Europäische Parlament gewählt, wo sie der Fraktion Die Grünen/EFA angehört. Dort arbeitet die gebürtige Gießenerin unermüdlich an konkreteren Klimazielen in der Europäischen Union.
DAZ: Vermissen Sie die Arbeit in der öffentlichen Apotheke?
Paulus: Ich habe viel Kontakt zu Freundinnen, mit denen ich studierte habe. Ich weiß also, wie es in der öffentlichen Apotheke läuft – und bin heilfroh, da raus zu sein.
DAZ: Warum das?
Paulus: Wir haben eine große Verantwortung gegenüber Patientinnen und Patienten und sind ausgebildet, Kontraindikationen zu erkennen, in der Selbstmedikation zu beraten oder wie man Prävention bei Diabetikern oder anderweitig Vorerkrankten leistet. Viele Kolleginnen und Kollegen engagieren sich und bieten gute Angebote. Wir sind aber überqualifiziert, passende Arzneimittel-Rabattverträge herauszusuchen. Auf dieser Ebene leisten Apotheker nur Erfüllungshilfe. Die Patienten haben nichts davon.
DAZ: Gilt das auch, wenn Apotheker das digitale Impfzertifikat pflegen?
Paulus: Grundsätzlich begrüße ich es, wenn Apotheker zusätzliche Kompetenzen erhalten. Bei der Ausstellung der digitalen Zertifikate ist allerdings Vorsicht geboten: Wie soll in der Apotheke überprüft werden, ob der Eintrag im vorgelegten Impfausweis echt ist? Wir haben uns auf EU-Ebene große Mühe gegeben, damit der digitale COVID-Pass datenschutzkonform und fälschungssicher ist. Das ist leider weder bei den klassischen gelben Impfausweisen noch bei den Ausdrucken, die manche Impfzentren ausgeben, der Fall. Die Verantwortung für die Echtheit eines Dokuments Dritter kann nicht den Apotheken zugeschoben werden.
DAZ: Und wenn die Vergütung stimmt, wie bei der Maskenabgabe?
Paulus: Leider bestärkt die wenig effiziente Prozedur der Maskenabgabe, die teils auch für die teilnehmenden Apotheken mit hohem Aufwand verbunden war und ist, das Image der Apotheke als „Goldgrube“. Hier hätte ich mir ein weniger bürokratisches und kostengünstigeres Verfahren gewünscht.
DAZ: Was müsste sich für die Apotheke ändern?
Paulus: Wir müssen uns Gedanken machen, welche Rolle ökonomische Faktoren gegenüber dem spielen dürfen, was das Beste für Patienten ist. Wir sollten die Expertise, die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten haben, stärker nutzen, gerade in der Beratung. Ich finde es beispielsweise interessant, dass die „Drug Stores“ in den USA, die eher unseren Drogerien ähneln, impfen dürfen, Apotheker aber in der Regel nicht. Ich würde mir wünschen, dass die pharmazeutischen Kompetenzen erweitert werden. Außerdem müssen wir uns überlegen – und das betrifft den gesamten Einzelhandel – wie wir den ländlichen Raum gestalten. Zu Recht ist die Apothekenlandschaft stark reguliert, damit sich einzelne auf Kosten der Allgemeinheit keine goldene Nase verdienen. Aber momentan fällt auf, dass viele Großstadtapotheken sehr gut leben können, während die Apotheken im ländlichen Raum am ausgestreckten Arm verhungern. Zeitgleich wachsen bei letzteren die Anforderungen, zum Beispiel durch mehr Notdienste, die gestemmt werden müssen.
DAZ: Wie wollen Sie die Bedingungen auf dem Land verbessern?
Paulus: Im neuen Wahlprogramm sprechen wir uns für mehr Fairness im Umgang zwischen Stadt- und Landbewohnern aus. Erneuerbare Energien werden nicht in der Stadt, sondern auf dem Land generiert. An diesen Gewinnen müssen Kommunen beteiligt werden. Anwohner von Solar- und Windenergieanlagen müssen die Chance haben, sich auch mit kleinen Beiträgen an den Anlagen und deren Gewinnen zu beteiligen. Dasselbe gilt für Lebensmittel, die nicht in der Stadt produziert werden, wo Menschen am meisten konsumieren.
DAZ: Haben Apotheker eine Verantwortung für das Klima?
Paulus: Ja, die haben sie. Die Möglichkeiten, als Apothekerin oder Apotheker Einfluss zu nehmen, sind aber überschaubar. Beim „One Health“-Ansatz wird die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als Einheit betrachtet. Apotheker können, wenn ein Patient mit einer Indikation kommt, überlegen, welches Mittel sie empfehlen können, weil es aus einem bestimmten Grund besser in puncto Nachhaltigkeit ist. Momentan ist das noch schwierig, weil es kein ordentliches Bewertungssystem gibt. Außerdem sind Apotheker davon abhängig, etwas mit einer möglichst großen Gewinnspanne zu verkaufen. Wenn wir bei leichtem kindlichem Fieber Wadenwickel anstelle von Paracetamol-Zäpfchen empfehlen, verdienen wir nichts.
DAZ: Das Vergütungsmodell müsste neu ausgerichtet werden?
Paulus: Ja, hier müssen wir am System schrauben. Wie genau, weiß ich nicht. In den Niederlanden gab es den Ansatz, dass Apothekerinnen staatlich angestellt werden, und damit unabhängig vom Umsatz Geld verdienen. Im medizinischen Bereich haben wir uns viel zu sehr darauf versteift, dass alles profitabel sein muss. Allgemein müssen wir uns fragen: wollen wir Menschen, die der Wirtschaft dienen, oder eine Wirtschaft, die dem Menschen dient? Einzelne öffentliche Apotheken können diese Fragen nicht beantworten. Dennoch kann jeder Apotheker überlegen, was er in der Beratung empfiehlt und wie er etwa mit Pharma-Vertretern umgeht.
DAZ: Eine Streitfrage der Grünen ist die Homöopathie. Wie stehen Sie dazu?
Paulus: Meine persönliche Ansicht ist: Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Aber wir sollten diesen Effekt nicht unterschätzen: Placebo-Operationen, z. B. bei Patienten mit arthritischen Knien, helfen auch. Würden Homöopathika aus der Apothekenpflicht fallen, würde sicher ein Teil der Placebo-Wirkung verloren gehen. Daher finde ich sinnvoll, es so zu lassen, wie es ist. Ich finde auch die Debatte, ob sie von Krankenkassen übernommen werden sollen oder nicht, weniger relevant. Immerhin reden wir hier über einen finanziellen Anteil von weniger als 0,1 Prozent aller Arzneimittelverordnungen. Eher sollten wir darüber reden, wie viel Prozent des Arzneimittelbudgets in Mittel fließt, die das Leben eines austherapierten Krebspatienten ‒ womöglich nur um sechs Wochen niedriger Lebensqualität ‒ verlängern.
DAZ: Muss die heutige Pharmazie nachhaltiger werden?
Paulus: Definitiv. In den 1990er-Jahren wurden erste vorsichtige Versuche eingeführt, mit denen geprüft werden sollte, wie sich Wirkstoffe auf im Wasser lebende Organismen auswirken. Die Ergebnisse wurden rein aus Interesse erhoben und hatten keine Auswirkungen auf die Zulassung der Arzneimittel. Bis heute sind wir nicht viel weitergekommen. Mittlerweile wissen wir, dass wir bestimmte häufig genutzte Wirkstoffe biologisch abbaubar bekommen, indem wir wenige Anpassungen am Molekül vornehmen. Auch das spiegelt sich in den Zulassungen noch nicht wider.
DAZ: Frau Paulus, vielen Dank für das Gespräch. |
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